Wo und wie die Preise bei Fernwärme steigen
Der Strahl aus der Dusche hat innerhalb weniger Sekunden die gewünschte Temperatur. Kein zeitraubendes Aufheizen. Keine klobige Therme, die für viel Geld gewartet werden muss. Heizkörper, die blitzschnell warm werden. Auch wenn der Gedanke an mehr Wärme im Sommer unangebracht scheinen mag – der nächste Winter kommt bestimmt. Und dann scheinen die dicken, gut isolierten Wasserrohre der Fernwärme Sicherheit zu geben, dass es nicht plötzlich kalt wird. Auch wenn die Energieversorgung zu kippen droht, so wie vergangenes Frühjahr, als der Angriff Russlands auf die Ukraine die Preise für Gas und Strom in die Höhe schnellen hat lassen.
Im April des Vorjahres war die Verunsicherung anscheinend so groß, dass viel mehr Menschen explizit eine Wohnung mit Fernwärmeanschluss gesucht haben. Laut den Immobilienplattformen Willhaben und ImmoScout24 haben sich die diesbezüglichen Suchanfragen damals verdreifacht.
Wie so oft hat die Sicherheit aber ihren Preis. Und im Fall der Fernwärme einen sehr viel höheren Preis als vor den massiven Steigerungen bei den Energiekosten. Im Juni waren die Preise für Fernwärme laut einem Index der Österreichischen Energieagentur landesweit im Schnitt fast doppelt so teuer wie im Juni vergangenen Jahres. Das ist die größte Steigerung aller Energieträger in Österreich – beim Erdgas hat das Plus nur knapp über 80 Prozent betragen. Und im Vergleich zum Juni 2021 hat sich Fernwärme um 120 Prozent verteuert. Diesen Wert übertrifft nur das Gas mit einer Verdreifachung im selben Zeitraum. Strom war um ein Zehntel teurer, Heizöl sogar um mehr als ein Viertel billiger als im Juni letzten Jahres.
Außer Konkurrenz
Mehr als eine Million Wohnungen in Österreich hängen an einem Nah- oder Fernwärmenetz. Sie müssen jetzt fast das Doppelte der Kosten tragen als noch vor einem Jahr. Das große Problem dabei: Wer sich einmal für Fernwärme entscheidet, kommt davon schwer wieder weg. Und während man den Gas- oder Stromanbieter in Österreich mit wenig Aufwand wechseln kann, gibt es bei der Fernwärme keine Wahlmöglichkeit. Wer die Leitungen legt, liefert auch die Wärme und kassiert. Das sind die großen Landesenergieversorger wie Wien Energie, Salzburg AG, Energie AG, EVN, Energie Steiermark und KELAG. Aber auch eine Vielzahl kommunaler Stadtwerke, die kleinere Heizkraftwerke betreiben, oftmals mit Biomasse, und die Abwärme naheliegender Industriebetriebe nutzen.
Nicht nur, dass Bezieherinnen und Bezieher von Fernwärme an einen Anbieter gebunden sind. Auch wie die Preise zustande kommen und wann beziehungsweise in welchem Ausmaß sie angehoben werden dürfen, ist oft ein Rätsel. Die Arbeiterkammer hat dazu bereits vor Jahren vier Studien in Auftrag gegeben und kam zum Schluss, dass der Markt für Fernwärme trotz seiner großen Bedeutung sehr intransparent ist. Konsumentinnen und Konsumenten fehle bei den Preisen eine Übersicht, und sie müssten zum Teil hohe Kosten tragen, heißt es seitens der Arbeiterkammer.
Die Preiserhöhungen der jüngeren Vergangenheit waren bei der Fernwärme durchaus spektakulär: Wien Energie hat den Fernwärmepreis für fast eine halbe Million Haushalte in der Bundeshauptstadt mit September 2022 um 92 Prozent angehoben. Ende Juni vermeldete der Versorger, dass man den Preis wieder um 20 Prozent senken wird. Finanziert wird der Rabatt aus dem Gewinn der Wien Energie – die zuletzt sehr gut verdient hat.
Es geht weiter nach oben
Auch andere Energieversorger wie Energie Steiermark, Linz AG, Kelag und Salzburg AG haben ihre Fernwärmetarife letztes Jahr deutlich erhöht. Die Salzburg AG fiel zuletzt auch mit einer weiteren geplanten Preissteigerung für rund 35.000 Kundinnen und Kunden auf: Laut dem Unternehmen wird gerade geprüft, in welcher Höhe eine allfällige Preisanpassung für Fernwärme erfolgen muss. „Die Erhöhung wird jedenfalls im einstelligen Prozentbereich bleiben“, sagt Saskia Haller gegenüber profil, Sprecherin der Salzburg AG. Auch eine nachträgliche Preisanpassung sei nicht geplant.
Das Unternehmen passt dafür auch seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) an. Mit dem Argument, dass man die Preiserhöhungen der vergangenen Monate damit nicht im vollen Umfang an die Kundinnen und Kunden weitergeben müsse, hieß es zuletzt seitens der Salzburg AG. Denn die Preise seien an einen Index gebunden, der durch die weiterhin hohe Inflation in die Höhe getrieben werde.
Die Arbeiterkammer Salzburg ortet in der AGB-Änderung aber den Versuch des Versorgers, sich eine Hintertür für künftige Preiserhöhungen offen zu halten, wenn zu einem früheren Zeitpunkt darauf verzichtet wurde. Im Gespräch mit profil kritisiert Michaela Schmid, Leiterin der Abteilung Wirtschaft der Arbeiterkammer Salzburg, dass eine Preissenkung nach der AGB-Änderung unwahrscheinlich werde. Dabei habe die Salzburg AG die Fernwärmetarife bereits letztes Jahr erhöht. Fernwärme sei auch deutlich teurer als Erdgas, dabei würde die Fernwärme in Salzburg zu mehr als zwei Drittel von Gaskraftwerken erzeugt werden. Die Indexformeln des Versorgers seien schwer nachzuvollziehen und würden die realen Kosten bei der Fernwärmeerzeugung nur bedingt widerspiegeln, so Schmid.
Laut Haller von der Salzburg AG ist es das Ziel der AGB-Änderung, massive Preissteigerungen zu verhindern, „die sonst womöglich erforderlich wären und die den alten AGB zufolge bei rund 50 Prozent lägen“, so die Sprecherin.
Fernwärme hängt am Gas
Tatsächlich ist der Gaspreis in Österreich seit Jahresanfang wieder stark gesunken. Laut dem Gaspreisindex der Energieagentur lag der Wert nach einer Vervielfachung im Vorjahr zuletzt wieder auf dem Niveau von 2021. Bei der Fernwärme hat der Gaspreis nicht nur in Salzburg einen großen Einfluss – österreichweit beträgt der Gasanteil etwa ein Drittel, laut einem Bericht des Fachverbands der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen (FGW). Die Hälfte liefert Biomasse, den Rest brennbare Abfälle, Öl und Kohle. In Wien wird die Fernwärme zu Spitzenzeiten zu zwei Drittel mit Gas produziert.
In Wien gibt es zudem eine Preiskommission, in der auch Vertreterinnen und Vertreter von Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer sitzen. Bei der Fernwärme hat das Gremium aber nur ein Anhörungsrecht – die massive Erhöhung letztes Jahr wurde abgenickt. In Salzburg fehlt eine solche Kommission, die Arbeiterkammer fordert ebendiese.
Wie unterschiedlich die Preisgestaltung trotz Indizes und Preiskommissionen ausfällt, zeigt das Beispiel St. Pölten: Der dortige Fernwärmeversorger gehört je zur Hälfte der Stadt und dem Landesenergieversorger EVN – der auch an der Wiener Börse notiert ist. Laut der Stadtregierung soll der Fernwärmepreis in St. Pölten nach Gesprächen mit der EVN um mehr als ein Fünftel sinken, obwohl eine Preisklausel per Juli eine Erhöhung vorgesehen hätte. NEOS, SPÖ und Grüne verlangen überhaupt, dass der Landesrechnungshof im von der ÖVP und FPÖ regierten Bundesland die Preissteigerungen der EVN bei Strom, Gas und Fernwärme seit Jänner 2022 nun genau prüfen soll.
Preise ohne System
„Der Eindruck, dass die Preise bei der Fernwärme ziemlich willkürlich festgelegt werden, ist nicht ganz falsch“, sagt Walter Boltz, ehemaliger Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control und Berater der Bundesregierung bei Energiethemen. Die Fernwärme in Österreich sei nicht reguliert, und es gebe keine systematische, nach den tatsächlichen Kosten orientierte Preisbildung. In den meisten Städten und Gemeinden seien die Preise eben Verhandlungssache zwischen Versorgern, lokalen Regierungen und Sozialpartnern. „Das wird oft nach dem Motto entschieden: Geht’s jetzt oder haben wir nächstes Jahr Gemeinderatswahlen und müssen die Verluste noch länger schlucken?“, sagt Boltz.
Denn in der Vergangenheit sei vielerorts versucht worden, die Fernwärme sogar billiger zu halten als Alternativen wie Gasthermen oder Ölheizungen, um Menschen für Wohnungen mit Fernwärme-Anschluss zu gewinnen. „Viele Kundinnen und Kunden haben die vollen Kosten der Fernwärme in den vergangenen Monaten wohl nicht getragen.“ Irgendwann würden die Versorger aber versuchen, die Kosten wieder reinzuholen.
„Die Leute hätten schon ein Recht auf eine sachliche, nachvollziehbare, kostenorientierte Preispolitik, die sich nicht am nächsten Wahltermin orientiert. Sie hängen ja am Fernwärmenetz und kommen dem nicht aus“, sagt der Energieexperte Boltz.
Ausbaupläne
Derzeit hat das Fernwärmenetz in Österreich eine Länge von circa 5800 Kilometern (Stand 2021). Laut Fachverband der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen (FGW) soll das Netz bis 2031 auf 6700 Kilometer erweitert werden. In Wien sollen bis 2040 etwa 600.000 Haushalte von Gasheizung auf ein alternatives Heizsystem umgerüstet werden, und im dicht besiedelten Stadtgebiet setzt man dabei vor allem auf Fernwärme. In der Bundeshauptstadt soll die Fernwärme bis 2040 auch klimaneutral werden. Derzeit kommen noch fossile Brennstoffe zum Einsatz. 2026 soll Wien auch seine erste Geothermie-Anlage bekommen. Dazu muss ein Thermalwasservorkommen in mehr als drei Kilometern Tiefe angezapft werden – der Beginn der Bohrarbeiten ist für 2024 geplant. Die erste Anlage in Aspern soll bis zu 20.000 Haushalte mit Wärme aus der Tiefe versorgen können. Bis 2030 will die Wien Energie bis zu vier Anlagen in der Donaustadt und in Simmering mit einer Gesamtleistung von bis zu 120 Megawatt für 125.000 Haushalte entwickeln. Österreichweit liegt der Erneuerbaren-Anteil bei der Fernwärme laut FGW derzeit bei knapp über der Hälfte. Laut einer Studie der Österreichischen Energieagentur im Auftrag des FGW könnte die Zahl der Fernwärmekundinnen und -kunden in Österreich bis 2040 von derzeit 1,5 Millionen auf 2,3 Millionen steigen. Um trotz Kundenzuwachs klimaneutral zu werden, müssten große zusätzliche Kapazitäten von Biomassekraftwerken entstehen. Der höchste Zuwachs wird für die Fernwärmeerzeugung allerdings durch Wärmepumpen und Geothermie erwartet. Ab 2025 sei es vor dem Hintergrund der Dekarbonisierung auch notwendig, bei der Fernwärmeerzeugung auf Kohle zu verzichten. Bis 2040 müsse auch der Einsatz des Energieträgers Öl wegfallen, heißt es seitens des FGW.