Konjunkturprognose

EU-Defizitverfahren: Wäre Österreich fremdgesteuert?

Das österreichische Budgetdefizit wird laut IHS und Wifo in den Jahren 2025 und 2026 höher ausfallen, als es die EU-Fiskalregeln erlauben. Ein Defizitverfahren scheint kaum noch abwendbar. Doch was genau bedeutet das? Und wird Österreichs Budget dann wirklich aus Brüssel verwaltet?

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Die Anzeichen verdichten sich, dass Österreich ein EU-Defizitverfahren bevorsteht. War die ÖVP während der Koalitionsverhandlungen noch strikt dagegen, bereitet die neue Staatssekretärin im Finanzministerium, Barbara Eibinger-Miedl (ÖVP), die Öffentlichkeit langsam auf einen solchen Weg vor. „Wir werden notfalls wie andere Länder auch mit einem Defizitverfahren umgehen können“, wenn man sonst Gefahr laufe, die Konjunktur abzuwürgen, sagte sie vor wenigen Tagen.

Der Sinneswandel der ÖVP hat einen guten Grund: Die Prognosen haben sich noch einmal verschlechtert.

Was sich seit dem Budgetausschuss am Montag und der nach unten revidierten Wachstumsprognose der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) abzeichnet, bestätigen nun auch die Konjunkturprognosen die beiden wichtigsten beiden Wirtschaftsforschungsinstitute hierzulande: das Institut für Höhere Studien (IHS) und das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). Die Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass das österreichische Budgetdefizit heuer und im kommenden Jahr über den Maastricht-Kriterien von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen wird. Das Wifo beziffert das Defizit mit 3,3 Prozent heuer und 3,5 Prozent im Jahr 2026. Ähnlich sieht das auch das IHS mit jeweils 3,2 Prozent für heuer und das kommende Jahr unter der Annahme der bereits nach Brüssel übermittelten Konsolidierungsmaßnahmen.

Maastricht-Kriterien

  • Budgetdefizit: Die Differenz zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben darf maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen.
  • Staatsverschuldung: Die Gesamtverschuldung eines EU-Mitgliedstaates darf höchstens 60 Prozent des BIP betragen.

Und auch der Schuldenstand soll laut Wifo mit 82,2 Prozent des BIP für das laufende Jahr und 85 Prozent im kommenden Jahr deutlich über den 60 Prozent der festgelegten Kriterien liegen.

„Das derzeitige Einsparvolumen dürfte nicht ausreichen, um das Defizit unter die angepeilte Marke von 3 Prozent des BIP zu drücken“, heißt es in der Wifo-Prognose. Denn wie spätestens seit Anfang der Woche bekannt ist, dürfte das Budgetloch doppelt so groß sein wie bisher angenommen. Statt des von der Bundesregierung angekündigten 6,39 Milliarden Euro Sparpakets, bräuchte es laut Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) weitere Maßnahmen – in der Höhe des bereits beschlossenen Ausmaßes. Ein Sparpaket in der Höhe zwischen elf und zwölf Milliarden Euro käme in etwa dem Betrag gleich, den Österreich jährlich im Bildungsbereich ausgibt. Das ist aber kaum aufzustellen und würde laut Expertinnen und Experten das geringe Wirtschaftswachstum, das ab der zweiten Jahreshälfte einsetzen soll, abwürgen. Und damit würde das Defizit nur weiter ansteigen. Ein Teufelskreis, wie es Finanzminister Marterbauer beschreibt.

Wie kam es überhaupt so weit?

Die Gründe dafür sind vielfältig und strukturell. Einige reichen bis zur Coronapandemie zurück. Um die Krise abzufedern, beschloss die damals türkis-grüne Bundesregierung umfangreiche Hilfsmaßnahmen, um Unternehmen und Bevölkerung zu entlasten. Kurzarbeitsregelung. Covid-Hilfen. Energiebonus. Koste es, was es wolle, nannte die türkis-grüne Koalition das. Dazu wurde im Zuge der ökosozialen Steuerreform mehr Geld an die österreichischen Haushalte ausgeschüttet, als durch die CO2-Bepreisung eingenommen wurde. 

Aber auch die Abschaffung der kalten Progression spült weniger Staatseinnahmen in die Kasse des Finanzministers. Und schlussendlich kämpft Österreich wie auch der wichtige Handelspartner Deutschland mit einer strauchelnden Wirtschaft. Der Krieg in der Ukraine, Donald Trumps Ankündigungen etwaiger US-Zölle und die Auflockerung der deutschen Schuldenbremse erschweren Prognosen zusätzlich. Die neue Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und Neos hat also ein marodes Budget geerbt. Und weil die wirtschaftlichen Entwicklungen auch die Finanzmittel der Länder und Gemeinden belasten, fällt das Budgetloch nun noch größer aus als bisher bekannt war.

Die Bundesregierung wird laut Aussagen des Finanzministers und seiner Staatssekretärin Eibinger-Miedl dennoch am Plan, die vereinbarten rund 6,4 Milliarden Euro einzusparen, festhalten. Bis 13. Mai hat das Finanzministerium Zeit, diese Gelder zu finden, denn dann wird Marterbauer im Nationalrat seine Budgetpläne präsentieren. Am 18. Juni sollen die Vorstellungen der Bundesregierung in puncto Staatsfinanzen für das Jahr 2025 und 2026 beschlossen werden. Bis dahin wird die EU-Kommission aller Voraussicht nach aber längst entschieden haben, ob Österreich in ein EU-Defizitverfahren muss oder nicht. Unter Wirtschaftsforschern und dem Umfeld des Finanzministers geht man davon aber längst aus.

Was bedeutet ein Defizitverfahren für Österreich?

„Das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (VÜD) zielt darauf ab, dass die EU-Länder übermäßige Defizite und/oder Schuldenstände korrigieren“, heißt es im Rechtsinformationssystem der EU. Und über ein solches Verfahren entscheidet nicht die Bundesregierung selbst, sondern die EU-Kommission. Und diese verwendet dafür auch nicht die Konjunkturprognosen der beiden Wirtschaftsforschungsinstitute IHS und Wifo oder die Wachstumsprognose der OeNB, sondern ihre eigene. Kommt die Kommission zum Schluss, dass die Kriterien nicht eingehalten werden können, entscheiden die Finanzminister der EU-Mitgliedsländer darüber, ob Österreich in ein Defizitverfahren muss.

Es ist nicht so, dass die Europäische Kommission sozusagen jeden Radiergummi überprüfen wird, der dann in den Ministerien gekauft wird. Man hat trotzdem weiterhin das Heft des Handelns in der Hand.

Philipp Heimberger, Wirtschaftsforscher am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

In der Praxis würde das bedeuten, dass „man in einem intensiven und ständigen Austausch mit Brüssel ist, erweiterte Berichtspflichten hat und alle drei Monate überprüft wird, wie denn der Stand der Konsolidierungsmaßnahmen ist“, sagt Margit Schratzenstaller, Budgetexpertin am Wifo, zu profil. Es geht also darum, der Kommission glaubhaft darzustellen, dass man die Staatsfinanzen wieder auf einen gesunden Pfad zurückbringt. Allerdings widerspricht Schratzenstaller populistischen Warnungen: Das heiße keineswegs, dass „Brüssel irgendetwas diktieren kann, was man zu tun hat. Die EU-Kommission kann Österreich auch nicht vorschreiben, ob man das einnahmenseitig oder ausgabenseitig macht“, sagt die Expertin. Wie das Defizit gesenkt und die Schulden abgebaut werden, entscheidet also allein die Bundesregierung.

„Es ist auch nicht so, dass die Europäische Kommission sozusagen jeden Radiergummi überprüfen wird, der dann in den Ministerien gekauft wird. Man hat trotzdem weiterhin das Heft des Handelns in der Hand“, bestätigt auch Philipp Heimberger, Wirtschaftsforscher am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Die Budgethoheit würde damit also nicht „am EU-Altar in Brüssel geopfert“, wie es FPÖ-Finanzsprecher Hubert Fuchs jüngst behauptet hat. Paradoxerweise würden die Konsolidierungsanforderungen, also wie viel eine Regierung einsparen muss, „im Defizitverfahren deutlich sinken“, sagt Heimberger. Denn im April 2024 wurden die EU-Fiskalregeln reformiert.

Neue EU-Fiskalregeln

Die beiden bekannten Defizit- und Schuldenkriterien von drei beziehungsweise 60 Prozent der Wirtschaftsleistung gelten weiterhin. Weil in der Vergangenheit aber oft sehr viel Geld in sehr kurzer Zeit eingespart werden musste und das oft negative Auswirkungen auf die Konjunktur hatte, darf die Schuldenreduzierung nun langsamer ablaufen. Für Länder, deren Schulden zwischen 60 und 90 Prozent des BIP liegen – also auch Österreich – müssen diese um jährlich 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung abgebaut werden. „Das wären für Österreich ungefähr 2,5 Milliarden Euro jährlich“, sagt der wiiw-Ökonom.

Hinzukommt, dass ein Land, das wichtige Investitionen plant, etwa Infrastrukturvorhaben, Klimaschutzmaßnahmen oder auch Ausgaben fürs Heer, um mehr Zeit für die Defizitkorrektur ansuchen kann. Das Ziel der geänderten Regeln lautet also: ein spezifischer, auf das Mitgliedsland zugeschnittener Plan für den Schuldenabbau, statt starre und gleiche Vorgaben für alle.

„Kein Grund zur Panik“ also, wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen – der als Professor für Volkswirtschaft 14 Jahre lang an heimischen Unis unterrichtet hat – am Mittwoch sagte? Nicht ganz. Denn der Hintergrund ist „schon ein ernster“, wie Van der Bellen am Dienstag meinte. Denn, wenn der Wirtschaftsmotor läuft und die Staatseinnahmen sprudeln, ist ein Budget leichter zu sanieren. Im Falle einer Rezession sei Vorsicht geboten. „Warum? Weil zu starke Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen die Rezession ja weiter verschärfen würden“, so das Staatsoberhaupt. Daher sei das eine Situation, die „Fingerspitzengefühl braucht“.

Aber nicht nur die Bundesregierung wird Fingerspitzengefühl beim Sanieren brauchen, auch die EU-Kommission und die Finanzminister der EU-Mitgliedsstaaten. Denn wie sich die neuen Fiskalregeln auf Investitionen, Schulden und die wirtschaftliche Entwicklung in der Praxis auswirken werden, ist noch nicht lange erprobt. Seit Sommer 2024 befinden sich Frankreich, Italien, Belgien, Malta, Polen, die Slowakei, Ungarn und Rumänien (bereits seit 2020, ausgesetzt bis 2024; Anm.) in einem Defizitverfahren. Saniert hat sich also noch kein Land unter den neuen Rahmenbedingungen. So gut wie fix ist aber, dass sich Österreich demnächst dazu gesellt.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.