Eurofighter: Briefkasten "Vector" bringt Airbus-Chef in Bedrängnis
Als ob diese Geschichte noch einer Pointe bedurfte - voilà: Im Herbst 2004, knapp mehr als ein Jahr, nachdem das österreichische Verteidigungsministerium 18 Eurofighter Typhoon-Jets in Deutschland bestellt hatte, war eine Anzahlung auf den Kaufpreis von nicht ganz zwei Milliarden Euro fällig (die Reduktion auf schlussendlich 15 Flieger sollte erst 2007 erfolgen). Pünktlich zum 1. November 2004 überwies die Bawag PSK im Namen und auf Rechnung der Republik Österreich vereinbarungsgemäß 501 Millionen Euro an die Eurofighter (EF) Jagdflugzeug GmbH, ein multinationales Gemeinschaftsprojekt unter deutsch-französischer Führung.
Nur einen Monat später, am 3. Dezember 2004, wurde bei EADS (einem der EF-Gesellschafter) in Paris ein streng vertrauliches, sechsseitiges "Memorandum“ aufgesetzt, das in Kopie ganz nach oben gehen sollte: Zu Thomas Enders, damals Leiter der "Defence Division“, heute Vorstandsvorsitzender des Luft-Raumfahrt- und Rüstungskonzerns, der nunmehr unter Airbus Group firmiert. Es ist vor allem eine Passage des Memorandums, die heraussticht: "Nach unserem Verständnis hat EF am 1. November 2004 eine Anzahlung des österreichischen Verteidigungsministeriums in einer Höhe von rund 500.000.000 Euro erhalten, die es ermöglicht, eine erste Anzahlung an EADS Deutschland zu leisten, das wiederum eine entsprechende Anzahlung an VECTOR leisten wird", meldeten zwei französische EADS-Führungskräfte an Enders und andere Empfänger.
Eine "Anzahlung“ an Vector also, bestritten aus österreichischem Steuergeld. Welche Ironie. Denn die Vector Aerospace LLP mit Sitz in London war jene obskure Gesellschaft, die längst ins Zentrum des Eurofighter-Skandals gerückt ist. Zwischen 2005 und 2010 schleuste EADS Deutschland 113,965 Millionen Euro an das (mittlerweile aufgelöste) britische Konstrukt, hinter dem ein italienischer Geschäftsmann mit Kontakten zur kalabrischen ‘Ndrangheta und zwei österreichische Waffenhändler standen.
Was sie leisteten? Dazu gibt es zwei Versionen. Die eine erzählt unter anderem Thomas Enders, zuletzt in einem Interview mit dem deutschen "Handelsblatt“, das am Montag vergangener Woche veröffentlicht wurde: "Wir wollten mit Hilfe von Vector die Gegengeschäfte im Zuge der Beschaffung von Eurofighter-Kampfflugzeugen durch die Republik Österreich generieren und managen.“
Der wirtschaftliche Ausgleich im Wege von Gegengeschäften, im Fachjargon auch "Offset“ genannt: Das war die argumentative Allzweckwaffe der schwarz-blauen Bundesregierung um ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel und den damals verantwortlichen ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, wenn es darum ging, den Wählern den volkswirtschaftlichen Nutzen des Rüstungsgeschäfts zu erklären. Das Konglomerat EADS/Eurofighter hatte sich 2003 verpflichtet, österreichischen Unternehmen bis 2018 Aufträge in einer Höhe von vier (später 3,5) Milliarden Euro zu verschaffen. Aber wozu es brauchte es einen blickdichten Londoner Briefkasten?
Die andere Version lässt sich in profil vorliegenden Ermittlungsakten aus Deutschland und Österreich lesen, die auch Teil des öffentlich zugänglichen Datenraums sind, den profil und die Rechercheplattform DOSSIER online eingerichtet haben ( www.dossier.at/eurofighter). Demnach war Vector nichts anderes als eine "schwarze Kasse“ - eingerichtet mit dem Zweck, Schmiergelder und Kickbacks zu verteilen. Eine Art Durchlauferhitzer, der bar jeder Kontrolle operierte.
Die im Juli 2004 gegründete Vector Aerospace bekam ab März 2005 laufend Geld von EADS Deutschland und leitete dieses umstandslos weiteren Briefkästen zu: Zweckgesellschaften ohne erkennbare Geschäftstätigkeit mit Sitz in Luxemburg, der Isle of Man, den Caymans, den Britischen Jungferninseln, Singapur, Zypern. Als "Direktor“ von Vector fungierte der italienische Finanzjongleur Gianfranco Lande, als Gesellschafter traten zwei weitere Briefkästen in Erscheinung, die den österreichischen Waffenhändlern und EADS-"Lobbyisten“ Alfred P. und Walter S. zugerechnet werden.
So sehr Thomas Enders sich zuletzt auch mühte, die Rolle von Vector zu behübschen - er muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Funktion der Londoner Struktur nie kritisch hinterfragt zu haben. Hat er? Eine profil-Anfrage an Enders Stab Mitte vergangener Woche ging ins Leere. Kein Kommentar.
Enders, den sie in Deutschland nur "Major Tom“ nennen, steht mittlerweile gehörig unter Druck. Kürzlich berichteten "Der Spiegel“ und die französische Investigativ-Plattform mediapart.fr, dass in der Vergangenheit auch beim Verkauf von Airbus-Zivilflugzeugen Schmiergelder geflossen sein könnten. Auch dazu sind mittlerweile behördliche Untersuchungen in mehreren Ländern anhängig.
Eines fällt auf: Trotz wiederkehrender interner Revisionen, teils unter Beiziehung von Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern, vermag selbst EADS/Airbus bis heute nicht mit Bestimmtheit zu sagen, was genau Vector für die 114 Millionen Euro leistete. Auch die Behörden kamen in jahrelangen Recherchen (Hausdurchsuchungen und Offshore-Kontenöffnungen inklusive) nicht wirklich weiter. Oder wie es die zuständige Kriminalhauptkommissarin der Kriminalpolizei München in einem mit 28. Oktober des Vorjahres datierten Schriftsatz formulierte: "Was sich nicht auffinden lässt, sind Tätigkeitsnachweise von Vector-Mitarbeitern.“
Um zu verstehen, was in und um Vector passierte, greift profil zwei der zahlreichen Geschäftsverbindungen exemplarisch heraus:
- Zwischen 2005 und 2008 überwies Vector 13,4 Millionen Euro an eine Columbus Trade Services Limited mit Sitz auf der Isle of Man - für die angebliche "Vermittlung“ mehrerer Gegengeschäfte. Columbus behauptete zum Beispiel, dem oberösterreichischen Flugzeugzulieferer FACC drei Aufträge des Airbus-Konzerns im Gegenwert von immerhin 264 Millionen Euro "vermittelt“ zu haben - und fakturierte Vector allein dafür eine Provision in der Höhe von 6,6 Millionen Euro. Die Wahrheit ist: Eine solche "Vermittlung“ hat es nie gegeben, Columbus stellte Scheinrechnungen. Am 11. Jänner dieses Jahres wurde der frühere Vorstandschef von FACC Walter Stephan vom Wiener Bundeskriminalamt als Zeuge befragt. Stephan sagte unter Wahrheitspflicht aus, was er schon im ersten Eurofighter-Untersuchungsausschuss 2006/2007 zu Protokoll gegeben hatte: "Die Verhandlungen zwischen FACC und Airbus und die darauf folgende Abwicklung wurden immer direkt geführt. Es gab keine Vermittler.“ Und: "Die Firma Columbus ist mir unbekannt. Ich gebe nochmals an, dass es keine Vermittler gegeben hat.“
- Weitere fünf Millionen verrechnete Columbus Vector für die "Vermittlung“ mehrerer Aufträge des Daimler-Konzerns an die Magna-Gruppe - auch hier konnte nie ein Leistungsnachweis erbracht werden, wie profil bereits in Ausgabe Nr. 29/17 berichtete. Hinter der Columbus Trade Services Ltd. standen übrigens zwei Österreicher: Thomas E., ein ehemaliger Bankdirektor, Klaus K., ein Steuerberater und Wirtschaftsprüfer - sehr wahrscheinlich Strohleute. Für wen? Unklar.
- Nicht weniger als 18,1 Millionen Euro zahlte Vector zwischen 2005 und 2007 an eine Centro Consult Limited mit Sitz in Großbritannien. Auch hier ging es um die angebliche Vermittlung von "gegengeschäftsfähigen Aufträgen“ (unter anderem an Magna). Und auch hier zog ein Österreicher im Hintergrund die Fäden: der Waffenhändler und EADS-"Lobbyist“ Walter S., der nach Behördenerkenntnissen zumindest bis 2005 Alleingesellschafter der Centro Consult und zudem Hälfteeigentümer von Vector Aerospace war
S. wurde am 12. Oktober des Vorjahres von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter einvernommen. Und was er zu sagen - oder eigentlich: nicht zu sagen - hatte, lässt tief blicken. Was ihm zu dem am 1. Dezember 2004 geschlossenen Vertrag zwischen Vector und Centro einfiele, wollte Staatsanwalt Michael Radasztics wissen. Walter S. dazu: "Ich kenne diesen Vertrag nicht und habe ihn auch nicht unterschrieben.“ Und die Centro-Rechnungen an Vector über mehr als 18 Millionen Euro? "Ich hatte mit der Rechnungslegung nichts zu tun, ich kenne auch die gelegten Rechnungen nicht.“ Radasztics hakte nach - und wollte unter anderem wissen, warum manche der behaupteten Gegengeschäfte offensichtlich doppelt verrechnet wurden. Walter S. darauf: "Dazu ist mir nichts bekannt, ich wurde damit nicht befasst.“ Schutzbehauptungen? Vielleicht. Doch sie zeigen eindrucksvoll, dass etwas faul war am System Vector.
Es kommt aber noch besser. Geht es nach Walter S. dann wusste dieser noch nicht einmal, dass ihm einst auch die Hälfte von Vector Aerospace gehörte. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass der Staatsanwalt mehrere von S. unterschriebene Vector-Dokumente vorlegte. "Das ist meine Unterschrift. Im Detail kenne ich diese Papiere nicht. Ich habe im Rahmen der Gründung von Centro und auch später bei der Freigabe von Zahlungen sehr viele Papiere bei Lande (Anm.: Vector-Direktor Gianfranco Lande) unterschrieben … Mir war bei Leistung dieser Unterschriften nicht bewusst, dass ich damit zum Miteigentümer der Firma Vector werde … Lande hat ein ganzes Firmengeflecht um Vector aber auch Centro errichtet, wo er im Wege von Insichgeschäften Verträge abgeschlossen hat.“
Der Beschuldigte Walter S. gab also an, dass sein früherer Partner Gianfranco Lande Geschäfte mit sich selbst tätigte - wenn auch mit Geld von EADS Deutschland, also letztlich österreichischem Steuergeld. Tatsächlich soll der Italiener einen Betrag in einer Größenordnung von rund 30 Millionen Euro in seine Richtung umgeleitet haben - ohne dass sich bei EADS Deutschland irgendjemand daran gestoßen hätte. Ein in dieser Form beispielloses Kontrollversagen. Oder doch Absicht?
Und das führt zurück zu Airbus-Chef Thomas Enders, der sich neuerdings öffentlichkeitswirksam als Aufdecker inszeniert. Wie war es möglich, dass mehr als 100 Millionen Euro Konzernvermögen in dunklen Kanälen verschwanden?
Diese und andere Fragen werden demnächst wohl die deutsche Gerichtsbarkeit beschäftigen. Die Staatsanwaltschaft München I steht offenbar kurz vor der Fertigstellung einer Anklage gegen ein Dutzend Personen - allesamt ehemalige EADS-Manager oder "Berater“, darunter einige Österreicher. Der Vorwurf geht in Richtung Untreue. Schlicht deshalb, weil bis heute nicht klar ist, bei wem die vermuteten Bestechungsgelder schlussendlich landeten. Dafür war das weltumspannende System aus Briefkästen zu gut aufgesetzt. Thomas Enders wird in dem Verfahren, an dem auch die Staatsanwaltschaft Wien beteiligt ist, nicht als Beschuldigter geführt.
Gegenüber dem "Handelsblatt“ verneinte Enders, dass Vector eine "schwarze Kasse“ gewesen sei: "Ich habe keine und ich kenne keine. Heißt das, es gibt definitiv keine? Davon gehe ich jedenfalls bis zum Beweis des Gegenteils aus.“
profil fragte bei Airbus nach. Wenn Vector keine schwarze Kasse war, was war es dann? Antwort: keine.