Fachkräftemangel: Die Suche nach dem Perfect Match
Michael Berger hat eine Aufgabe, die vielen heimischen Betrieben Kopfzerbrechen bereitet: Die richtige Person für eine ausgeschriebene Stelle zu finden. Das Thema mitsamt allen Schwierigkeiten ist für ihn aber alles andere als neu. "Ich bin seit 18 Jahren bei Palfinger tätig, und das Thema Fachkräftemangel beschäftigt mich seit 18 Jahren", sagt der Personalchef des Technologiekonzerns mit Sitz in Bergheim bei Salzburg. So richtig zugespitzt hat sich die Suche nach dem richtigen Personal aber laut Berger im Zuge der Coronapandemie: "Gefühlt ist der Fachkräftemangel-der auch davor schon vorhanden war-durch dieses schnelle Hochfahren noch einmal sichtbarer geworden." Beschäftigte in der Pflege oder dem Tourismus, wo ohnehin seit Jahren Personalknappheit herrscht, haben sich umorientiert. Andere haben die Pandemie in ihren Heimatländern verbracht und sind nie wieder zurückgekehrt. Die Alterskohorte der Babyboomer verlässt nach und nach den Arbeitsmarkt, nachkommende Altersgruppen sind deutlich schwächer besetzt und stellen neue Anforderungen in puncto Job. Und das spürt nicht nur die Firma Palfinger. Heimische Unternehmen stellt das vor enorme Herausforderungen.
Vier von fünf österreichischen Betrieben spüren den Mangel-durchaus unterschiedlich-im täglichen Geschäft. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw).Die Studie im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) zeichnete bereits 2022 ein düsteres Bild für Österreichs Unternehmertum: In fast zwei Drittel der betroffenen Betriebe führt der Personalmangel zu Umsatzeinbußen. Aufträge mussten storniert, das Leistungsangebot zurückgefahren werden. Hauptverantwortlich dafür: die demografische Entwicklung. "Während wir in den letzten drei Jahrzehnten eigentlich laufend ein starkes Wachstum des Arbeitskräfteangebots hatten, hat sich dieses jetzt deutlich verlangsamt", sagt Helmut Mahringer, Arbeitsmarktökonom am österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Zahlen der Statistik Austria zufolge sinkt die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 65 Jahre) bis zum Jahr 2040 um rund 244.000. Die Aufgabe, die richtige Person für eine unbesetzte Stelle zu finden, wächst sich für Unternehmen zur Mammutaufgabe aus.
Wenn Michael Berger spricht, bekommt man aber den Eindruck, dass ihm genau diese Aufgabe Spaß macht. In seinem Büro hängt ein Foto einer Glühbirne. Es steht sinnbildlich dafür, wie intensiv sich der Personalverantwortliche über diese Herausforderung den Kopf zerbricht. "Das beginnt bei Berufseinsteigern. Einen Lehrling oder Praktikanten zu finden, ist gleich schwierig wie die Suche nach einem Manager", sagt Berger. Die Bekanntheit in Salzburg und im Westen Oberösterreichs sorgt zwar dafür, dass sich immer noch rund 100 Personen für 50 Lehrstellen bewerben. Die Personalabteilung wurde in Bergheim dennoch ausgebaut. "Wir haben das HR-Team in den letzten Jahren verdoppelt, unser CEO forciert das Thema, und auch die PR-Abteilung setzt sich noch intensiver dafür ein", so der Personalchef. Auf die Frage, was denn das beste Rezept gegen den Fachkräftemangel sei, sagt Berger: "Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die man hat, gut zu behandeln und zu halten."
Beschäftigte zu Markenbotschaftern machen, Ausbildungsmöglichkeiten im Betrieb ausbauen, die Öffentlichkeitsarbeit ausweiten und intensiver in Hochschulen zu gehen: Möglichkeiten, dem Fachkräftemangel als Unternehmen entgegenzuwirken, gibt es viele. Unverzichtbar ist laut Berger aber eine weitere Zutat: der gute Ruf. "Employer Branding ist eigentlich einfach: Das, was ich als Unternehmen verspreche, halte ich-was im Inserat steht, findet der Mitarbeiter im Betrieb. Substanz und Authentizität sind das Um und Auf, denn hinter jedem Social-Media-Account von Palfinger gibt es Kununu oder Glassdoor (Plattformen, auf denen Unternehmen von aktivem oder ehemaligem Personal anonym bewertet werden können; Anm.)",sagt der Vice President Global HR. "Jeder, der ein bisschen Social-Media-affin ist, schaut sich an, was es über die Firma alles zu finden gibt. Wenn ich da als Unternehmen lauter Minuspunkte habe, dann kommt der-oder diejenige erst gar nicht zum Bewerbungsgespräch."
Kinderbetreuung ist ein Riesenthema
Und noch etwas erhöht immer mehr die Attraktivität der Arbeitgeber: betriebliche Kinderbetreuung. Im Mai hat etwa die Voestalpine in Linz die Kinderbetreuung auf 200 Plätze verdoppelt. Ein paar Kilometer entfernt, im Linzer Speckgürtel, setzt der Feuerwehrausrüster Rosenbauer auf eine betriebsübergreifende Kinderbetreuung. Auch in Bergheim ist die Kinderbetreuung immer wieder ein Thema, erzählt der Palfinger-Personalchef: "Wir haben das im Unternehmen schon einige Male diskutiert, und es wird auch bestimmt wieder aufschlagen. Das Hauptproblem ist, dass wir innerhalb von 60 Kilometern fünf Standorte haben, und wenn ich beispielsweise in Lengau (im Bezirk Braunau in Oberösterreich; Anm.) eine Betreuungseinrichtung eröffne, dann muss ich diesen Service auch bei allen anderen Standorten anbieten. Sonst bekomme ich ein Problem mit dem Betriebsklima." Auch habe man die Belegschaft mehrfach befragt, die sich aber vor allem eine Kinderbetreuung "nahe am eigenen Zuhause und weniger am Arbeitsplatz wünscht", sagt Berger. Über den kürzlich im Finanzausgleich vereinbarten Zukunftsfonds sollen jetzt, so das Versprechen, 1,1 Milliarden Euro auch in den Ausbau der Kinderbetreuung fließen.
"Mit der Ankündigung eines flächendeckenden Ausbaus geht es in die richtige Richtung, das muss jetzt in die Umsetzung kommen", sagt Julia Moreno-Hasenöhrl, stellvertretende Abteilungsleiterin für die Sozial-und Gesundheitspolitik in der WKÖ. Die Wahlfreiheit für junge Familien sei wichtig, "und wenn es diese gibt-das sehen wir auch in anderen Ländern-,dann steigt auch die Arbeitsmarktintegration von Frauen", so die WKÖ-Verantwortliche. "In Österreich haben wir einen relativ großen Unterschied zwischen der Erwerbsbeteiligung von Müttern und Frauen ohne Kinder. Würden wir diese Lücke bis 2040 halbieren, hätten wir rund 20.000 Arbeitskräfte mehr", meint WIFO-Ökonom Mahringer . Bereitschaft dafür gebe es auch, wenn es nach den Zahlen der Statistik Austria geht: 65.200 Frauen in Österreich gaben an, dass sie im Fall einer besseren Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit ausweiten würden.
Aber auch der beste Ruf eines Unternehmens, die engagiertesten Maßnahmen und eine bessere Kinderbetreuung haben Grenzen. Viele Arbeitskräfte sind in Österreich schlichtweg nicht zu finden. "Wir haben in Österreich fast 300 Fachkräfte aus Drittstaaten, also fast zehn Prozent unserer Belegschaft", sagt Berger. Ausgeschrieben werden diese Jobs von den Unternehmen selbst, im Ausland unterstützen dann aber-bei Bedarf-sowohl die WKÖ als auch die Austrian Business Agency (ABA).Im Jahr 2019 wurde diese von einer Betriebsansiedelungsagentur zu einer Standortagentur weiterentwickelt. Seither neu im Portfolio: die Suche nach qualifizierten Fachkräften.
Auf Personalsuche im Ausland
"Da bei vielen Betriebsansiedelungen auch die Frage nach den dafür geeigneten Fachkräften zum Thema wird, hat man 2019 beschlossen, der ABA auch die Aufgabe der Begleitung von internationalen Fachkräften nach Österreich und der Bewerbung des Arbeitsstandortes Österreich zu übertragen", sagt ABA-Geschäftsführer René Tritscher. Aktiv ist die ABA, die dem Arbeits-und Wirtschaftsministerium (BMAW) unterstellt ist, dabei vor allem in Polen, Kroatien, Bulgarien, Rumänien, Portugal, Spanien sowie Albanien, Kosovo und Nordmazedonien. Künftig möchte man auch Brasilien, Indonesien und die Philippinen in den Fokus rücken. Auf Talent Days in Breslau, Career Days in Sofia, Roadshows in Österreich oder auf (Online-)Jobmessen sowie zig weiteren Veranstaltungen im In-und Ausland hält man Ausschau nach Fachkräften. Die Zielgruppe ist eine sehr spezifische, ebenso genau definiert sind die infrage kommenden Berufsgruppen. "Wir wollen vor allem internationale Talente aus den Bereichen IT, Elektrotechnik, Elektronik, Mechatronik und Life Sciences (Biowissenschaften; Anm.) ansprechen", sagt Margit Kreuzhuber, Abteilungsleiterin von ABA Work.
Ist erst einmal eine Person gefunden-ob von der ABA oder den Unternehmen und ihren Recruiting-Abteilungen selbst-und über das Arbeiten und Leben in Österreich informiert, steht die Beantragung der Rot-Weiß-Rot-Karte an. Sieben Kategorien davon gibt es: für Mangelberufe, Schlüsselkräfte, selbstständige Schlüsselkräfte, für all jene, die in Österreich ein Start-up gründen wollen, Studienabsolventinnen und-absolventen, Hochqualifizierte, Stammarbeiterinnen und Stammarbeiter. Ganz schön kompliziert. Auch Palfinger hat deshalb schon mehrfach die ABA konsultiert. "Wo wir die ABA in Anspruch nehmen: im Kampf gegen den Verwaltungsdschungel. Wenn wir knifflige Fälle haben, wo es darum geht, ob die gewünschte Fachkraft die Kriterien erfüllt, oder wenn es um die Art der Arbeitserlaubnis geht", meint Berger mit Blick auf den bürokratischen Aufwand, mit dem heimische Betriebe konfrontiert sind.
Mehr als 6300 Unternehmen und internationale Spezialisten hat die ABA im Jahr 2022 zu den Themen Aufenthalt und Beschäftigung in Österreich betreut. Darunter auch jene 1600 Beratungen im Rahmen der Servicestelle der RotWeiß-Rot-Karten. Ein weiteres wichtiges Angebot der ABA: die Jobbörse (jobs. workinaustria.com; Anm.).Rund 24.000 Bewerbungen sind im Vorjahr über diese Website eingegangen. Zusätzlich zu den bestehenden Services sollen künftig auch internationale Studierende und Auslandsösterreicher gezielt angesprochen werden.
Oft gemeinsam auf Veranstaltungen, aber mit einem anderen Ziel, sucht auch die WKÖ international nach Fachkräften. "Seit Anfang 2022 machen wir das im Rahmen unserer internationalen Fachkräfteoffensive und setzen dabei auch auf die Büros der Außenwirtschaft", sagt Moreno-Hasenöhrl. Das geschieht meist über die Wirtschaftsdelegierten der WKÖ. Sie sind es auch, die vor Ort bei der Organisation von Veranstaltungen sowie der Vernetzung helfen. "Wir haben uns nach einer detaillierten Analyse sechs Fokusländer ausgesucht: Albanien, Kosovo, Nordmazedonien und unsere Zukunftsmärkte, die ein bisschen weiter weg sind: Brasilien, Indonesien und die Philippinen", so die WKÖ-Verantwortliche. Die ersten drei Länder sind es auch, die bei Palfinger eine Rolle spielen: "Im Moment beschäftigen wir einige Personen aus der Ukraine und aus Ländern, die an die EU angrenzen, aber noch keine Mitgliedstaaten sind, und auch welche aus den USA. Ein konkretes Muster verfolgen wir dabei nicht", sagt Berger.
Die Wirtschaftskammer hingegen verfolgt in den Ländern, in die sie "strategisch hineingeht", ein klares Muster. "Anders als die ABA schauen wir uns vor allem die Mangelberufsliste an. Der Fokus liegt also auf handwerklichen Berufen sowie auf IT, Tourismus und Pflege", sagt Moreno-Hasenöhrl. Die größte Herausforderung diesbezüglich liegt laut der WKÖ-Verantwortlichen darin, abzugleichen, ob die Ausbildung im Herkunftsland in Österreich anerkannt werden kann oder nicht. Neben der Suche vor Ort wird geschaut, "ob Bildungsinstitute Potenzial haben", und wenn möglich, Kooperationsabkommen abgeschlossen. "Wichtig ist uns, dass wir einen Mehrwert im Herkunftsland schaffen. Dass wir nicht einen Braindrain verursachen und damit ein Land abgrasen", betont die stellvertretende Abteilungsleiterin für Sozial-und Gesundheitspolitik in der WKÖ.
Kritik bei der Suche nach internationalen Fachkräften äußert der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB). "Was macht es für einen Sinn, in Marokko und Tunesien neue Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzuwerben und gleichzeitig Menschen aus diesen Ländern, die einen Asylantrag gestellt haben, wieder abzuschieben, statt ihnen die Chance zu einem 'Spurwechsel' zu geben",so der ÖGB gegenüber profil. Gefordert wird, dass "jene, die ohnehin die Voraussetzungen für eine Rot-Weiß-Rot-Karte erfüllen, diese auch in Österreich beantragen können", appelliert der Arbeitnehmerverbund.
Tropfen auf den heißen Stein
In der Gesamtschau des Arbeitskräftemangels richtet der qualifizierte Zuzug derzeit nicht viel aus. Zwar wurden im Vorjahr mit 6182 Rot-Weiß-Rot-Karten fast doppelt so viele Karten wie im Jahr 2021 (3881) ausgestellt. Bei einem Rückgang der Personen im erwerbsfähigen Alter um rund 244.000 bis zum Jahr 2040 braucht es aber eine Gesamtstrategie, meint WIFO-Ökonom Mahringer. "Das Wichtigste ist, bestehende Potenziale möglichst gut zu nutzen. Dazu muss unser Arbeitsmarkt integrativer werden. Das heißt, Leute in den Arbeitsmarkt miteinbeziehen, die bestimmte Erwerbshindernisse mitbringen. Das Pensionsantrittsalter von Frauen steigt an, stark besetzte Jahrgänge bedeuten viele ältere Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt. Das ist eine Gruppe, die Unternehmen bislang nur wenig nutzen. Dasselbe gilt für Mütter. Hier braucht es vor allem eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es gilt, Weiterbildungsmöglichkeiten zu verbessern und zweite Bildungschancen am Arbeitsmarkt zu etablieren. Und es braucht einen besseren Umgang mit und möglichst die Vermeidung von gesundheitlichen Einschränkungen. Österreich ist bei den gesunden Lebensjahren nicht im Spitzenfeld", zählt Mahringer Handlungsstränge auf, die den Arbeitskräftemangel entschärfen könnten. In dasselbe Horn, nämlich sich gezielter um vorhandene, ältere Geburtsjahrgänge zu bemühen, stößt auch der ÖGB. Notwendig dafür wäre allerdings sowohl die Bereitschaft der Unternehmen zur Beschäftigung von älteren Personen-vor allem in IT-Berufen und im Tourismus-,als auch ein proaktives betriebliches Gesundheitsmanagement, so die Gewerkschaft.
Zudem würde eine stärkere Koordination zwischen den unterschiedlichen Zuständigkeiten die Suche nach qualifizierten Fachkräften im Ausland erleichtern. "Dort verlieren wir viel Potenzial, weil wir Entwicklungshilfe und Bildungsexport noch gezielter einsetzen könnten. Das sind aber unterschiedliche Projekte, bei manchen ist das Bildungsministerium zuständig, bei anderen das BMEIA (Außenministerium; Anm.).Wenn wir das gezielter bündeln könnten, wie das die Deutschen machen, dann wäre das sehr sinnvoll", sagt Moreno-Hasenöhrl. Zwei weitere Anregungen spricht man in Bergheim aus: "Es hilft uns jede Maßnahme, mit der innerhalb der EU gemeinsame Standards geschaffen werden. Wenn ein Drittstaatsangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis im EU-Land A hat, darf er in Österreich arbeiten, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis im EU-Land B hat, darf er nicht in Österreich arbeiten, und bei anderen Konstellationen darf er vielleicht in Österreich arbeiten", sagt Palfinger Personalchef Berger.
Aber auch die Willkommenskultur spielt eine Rolle: "Kanada punktet damit, als ein offenes, zuzugsfreundliches Land wahrgenommen zu werden. Unser strikter Migrationskurs hingegen schürt ein Klima, dass sich Menschen oftmals nicht willkommen fühlen", äußert Berger Bedenken, dass sich Interessierte dann für andere Standorte entscheiden. "Keine Maßnahme der Politik wird uns Unternehmen den Job abnehmen, unsere Hausaufgaben zu machen", betont der Palfinger-Personalchef, "aber wenn sich Interessierte gar nicht bewerben, weil sie sagen 'nach Österreich will ich nicht', dann ist ein Rekrutieren im Drittstaat sinnlos."