Wie Familiendynastien im Prater ihre Betriebe übergeben
Von Clara Peterlik
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Seit über 75 Jahren pinkelt der kleine Gartenzwerg in der ältesten Hochschaubahn Österreichs von links oben auf die Fahrgäste hinunter. Der Wasserstrahl erwischt die Halbglatze des Vaters, das Kind daneben kichert vergnügt. Dann fährt der Zug, der auch „Zwergerlbahn“ genannt wird, vorbei an der Dorfkulisse von Heiligenblut, dahinter erhebt sich der Großglockner, ein letztes Mal geht’s hinauf. Gut gelaunt sitzt Hubert Pichler, der Inhaber der Anlage, im Wagen. „Ich bin dasselbe Baujahr wie die Hochschaubahn“, erzählt er. Bald steht die Übergabe an, allerdings schränkt er ein: „Das mit dem ‚bald‘ ist so eine Sache. Ich fühle mich noch relativ fit.“
Im Prater gibt es rund 80 Unternehmen, zehn davon werden in den kommenden Jahren innerhalb der Familie an die nächste Generation übergeben. Das ist gewissermaßen repräsentativ für das gesamte Land. Rund zehn Prozent der 157.000 Familienunternehmen sollen in den nächsten Jahren an die eigenen Kinder oder Nachkommen gehen, weiß das Finanzministerium. Weil die geburtenstarke Babyboomergeneration in Pension geht, steht der Generationswechsel in besonders vielen Betrieben an.
Aber so eine Übergabe ist eine heikle Sache und birgt innerfamiliäres Konfliktpotenzial. Wollen die Kinder das überhaupt? Ist es wirtschaftlich der richtige Zeitpunkt? Gibt die alte Generation das Ruder tatsächlich aus der Hand? Werden die anderen Geschwister beteiligt oder ausbezahlt? Im Prater gehören viele Stände seit mehreren Generationen derselben Familie. Was können wir aus deren Erfahrung lernen? Ab ins Getümmel.
„Wir sind am halben Weg“
Die Bahn hält an, alle bewegen sich zum Ausgang, nur ein Kind zieht in die andere Richtung, trenzt, es will noch einmal fahren. Die nächsten Fahrgäste steigen schon in den Wagen ein. Daneben diskutieren zwei deutsche Familien, wie sie sich die Fahrtkosten aufteilen. Auch der 76-jährige Inhaber steht auf, geht aber gegen die Fahrtrichtung. Er biegt links durch eine kleine Tür ab, zwei Stufen hinunter, und schon befindet er sich unter dem Holzgerüst der Bahn. Dort, wo kaum Regen hingelangt, ist das Holz original aus den 1940er-Jahren, andere Teile wurden schon mehrmals ausgetauscht.
Die Hochschaubahn hatte einen turbulenten Start. In der Nachkriegszeit gebaut, ging sie prompt in Konkurs. Pichlers Stiefvater, eine wahre Praterlegende, wie er erzählt, war daran beteiligt. Das Geschäft nahm wieder Fahrt auf, einige Jahre später gab seine Mutter ihr Obstgeschäft auf, leitete die Hochschaubahn, und Pichler arbeitete mit – neben seinem Betriebswirtschaftsstudium und seinem späteren Job in einer heimischen Großbank. Seine Mutter saß bis ins hohe Alter auf der Bank vor der Hochschaubahn, und erst als Pichler in Pension ging, widmete er sich ganz dem Prater.
Jetzt ist das aber auch schon 20 Jahre her. Hubert Pichlers Krankenakte ist länger, als man an diesem Vormittag denken würde. Fünf Jahre möchte er noch aktiv bleiben, aber er will allzeit bereit sein. Eine Tochter ist Lektorin an der Wiener Wirtschaftsuni, die andere war jahrelang in einem internationalen Unternehmen tätig, jetzt wird sie Kindergärtnerin. Die Uni-Lektorin würde die Geschäfte des Vaters auch tatsächlich gern fortführen. Praktischerweise befindet sich der Campus der Wirtschaftsuniversität gleich ums Eck. „Wir sind auf halbem Weg zur Übergabe“, betont er.
© Patrick Rieser
"Zwergerlbahn" im Wiener Prater
Inhaber Pichler vor der Heiligenblutkulisse und dem Großglockner
"Zwergerlbahn" im Wiener Prater
Inhaber Pichler vor der Heiligenblutkulisse und dem Großglockner
Generation wechselt, Pacht steigt
Eine Fahrt kostet bei Familie Pichler derzeit 3,50 Euro für Kinder und vier Euro für Erwachsene. „Wir sind ein Volksbetrieb, da darf es nicht so viel kosten.“ Aber geht die Rechnung auf? „Ja, mir bleibt etwas über – und ich brauche nicht so viel. Die Kinder haben auch schon alles, und wir schauen, dass wir einen unternehmerischen Polster haben, wenn etwas anfällt. Zum Beispiel haben wir vergangenes Jahr 40.000 Euro für einen Umbau ausgegeben.“
Alle Praterunternehmer pachten den Grund von der Stadt Wien und errichten darauf ihre Attraktionen. Viele haben sehr alte Verträge, die zwar mit der Inflation steigen, aber von einem niedrigen Niveau aus, den genauen Preis will Pichler nicht nennen.
Bei der Übergabe an die nächste Generation können sich die Bedingungen allerdings ändern. Lange Verhandlungen mit der Stadt, ein bisschen Theater und abwarten. Betriebsübergaben brauchen auch den richtigen wirtschaftlichen Zeitpunkt und die nötige Vorbereitung. Manche Übergaben hätten sich so um Jahre verzögert, heißt es aus dem Vergnügungspark. Die zuständige Prater Wien Gmbh will sich dazu nicht äußern.
Das Pachtthema habe er vor einer Woche auch Finanzminister Magnus Brunner mitgeteilt, der bei einem Termin im Prater war. Die Regierung einigte sich auf den letzten Metern der Amtsperiode noch auf ein Gesetz, das Familienbetriebe bei der Übergabe unterstützen soll. Etwa bei steuerlichen Prüfungen, damit die nächste Generation keine böse Überraschung erwartet. Eine neue Regelung für gleichbleibende Pachthöhen sei allerdings nicht in Planung, heißt es aus dem Ministerium.
Frisch übernommen
Keine zwei Minuten von Hubert Pichlers Hochschaubahn entfernt arbeitet Tina Heindl. Sie ist schon einen Schritt weiter, denn sie hat heuer offiziell das Gasthaus von ihrem Vater übernommen, das davor schon ihre Oma geführt hatte: die „Praterschwemme“. Dazu gehören auch ein Imbissstand und ein Eisstand. Direkt gegenüber betreibt ihre Mutter „Heindl’s Kinderland“ – ein Kinderriesenrad, ein Elefanten- und ein Flugzeugkarussell. Und eine Gasse weiter hat ihr Onkel eine Kinder-Autoattraktion. Sie ist ein richtiges Praterkind, aus zwei Schaustellerfamilien. Oder wie die Praterverbandschefin Silvia Lang wenig später beim Kaffee sagen wird: „Ich sag immer, ich kenn sie bereits aus dem Kinderwagen, ihr Großvater war so stolz.“
Heindls Vater ist Mitte 70, hat sich zurückgezogen, berät sie noch und schenkt an besonders gut besuchten Wochenenden mit aus. Das Geschäft läuft. Es sei zwar nicht mehr so einfach wie früher, Personal zu finden, das an Wochenenden und an Feiertagen arbeiten will, aber sie will weiter expandieren. In Kürze eröffnet sie „Escape Games.“ Ihr Vater hatte eigentlich andere Pläne für sie. „Ärztin oder Anwältin hat er sich vorgestellt.“ Sie absolvierte aber die Hotelfachschule, arbeitete im Ausland und stieg dann ins Familienbusiness ein. Ihr einziger Sohn ist 17 Jahre alt, auch ein Praterkind, aber meistens im Reitstall des Vergnügungsparks. „Seine Leidenschaft sind Pferde.“
Da so viele Übergaben anstehen, hat der Verband der Praterunternehmer jetzt einen Mustervertrag entworfen, damit nicht alle zum Anwalt müssen. Den hat auch Tina Heindl unterschrieben.
Tina Heindl
Sie übernahm die "Praterschwemme" heuer von ihrem Vater.
Wahre Praterdynastien
Manche Praterfamilien machen schon seit fünf Generationen Geschäfte hier – zum Beispiel die der Praterverbandschefin Silvia Lang. Sie führt den Unterhaltungspalast „Daytona Beach“, eine Riesenrutsche und zwei weitere Geschäfte. Mittlerweile hängen die Bilder ihres Ururgroßvaters im heuer eröffneten Pratermuseum. Nikolai Kobelkoff wurde ohne Arme und Beine geboren. Ein Theaterdirektor entdeckte ihn 1870 auf einem Jahrmarkt in seinem Heimatland Russland und nahm ihn sozusagen auf Europatour mit. Im Wiener Prater verliebte er sich in die Tochter einer Praterfamilie. „Heute stammen von 80 Geschäftstreibenden 20 aus den alten Praterdynastien vor 1945“, erklärt Lang. 20 kamen nach dem Zweiten Weltkrieg dazu, der Rest sind Neuankömmlinge.
Aus umherziehenden Schaustellern wurden sesshafte Unternehmer. Und viele kleine Stände wuchsen zu großen Betrieben. Die vorhandene Fläche blieb gleich, die Zahl der Attraktionen pro Praterfamilie nahm zu. Und die Kinder pro Familie, auf die die Attraktionen in der nächsten Generation aufgeteilt wurden, sank. Während Vorfahre Kobelkoff sechs Kinder hatte, freut sich Silvia Lang, dass ihr einziger Sohn an der Übernahme interessiert ist. Wenn sich keine Nachfolger finden, gebe es oft interessierte Nachbarn, die sich vergrößern wollen oder Betriebe für ihre Kinder suchen. Internationale Vergnügungskonzerne wie das Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds blieben die Ausnahme. Auch an der „Zwergerlbahn“ gebe es immer wieder Interessenten.
Bei der berühmtesten Attraktion nach dem Riesenrad ist der Generationswechsel teilweise vollzogen: im Schweizerhaus. Der Geschäftsführer heißt Karl Kolarik, so hießen schon sein Vater und sein Großvater. Er übernahm vor mittlerweile fast zehn Jahren die Geschäftsführung, seinem Vater gehören aber noch zwei Drittel des Traditionshauses, seiner Schwester Lydia ein Drittel. Doch der Familie gehört nicht nur das Lokal, das im Vorjahr rund 15 Millionen Euro Umsatz machte, sondern auch ein Getränkegroßhandel, Immobilien und eine Reihenhauserrichtungsgesellschaft. Eine Ecke weiter zog Elisabeth Kolarik, die Schwester von Karl senior und Lydia, ein zweites Praterimperium hoch. Sie war Anfang der 1990er-Jahre zwar Geschäftsführerin im Schweizerhaus, baute dann aber das Luftburgunternehmen und Lokal Kolarik auf. Sie übergab bereits vor vier Jahren an ihren Sohn Paul und dessen Frau.
Weniger Streit als in den 1990er-Jahren
Zurück zur „Zwergerlbahn“. Auch Pichler vergrößerte den Betrieb im Lauf der Zeit. 1980 eröffnete er einen Radverleih. „Eine Renovierung der Bahn stand an, als studierter Betriebswirt musste mir da eine Finanzierungslösung einfallen.“ Mit der Zeit entwarf er eigene Rikscha-Modelle, die einem Porsche nachempfunden waren. Er fuhr damals selbst einen, mittlerweile ist er auf einen gemütlichen Familienwagen umgestiegen. Und er verpachtet ein kleines Lokal, das an die Hochschaubahn grenzt.
Hinten in der Werkstatt unter der Hochschaubahn schleift gerade der Betriebsleiter etwas ab, auf der Tür klebt ein Pickerl der Bierpartei. Der Inhaber schmunzelt nur. Politisch sind sie zwar unterschiedlicher Meinung – Pichler engagierte sich für die ÖVP –, aber der Schmäh rennt. Seit 30 Jahren arbeiten die beiden zusammen und halten mit viel handwerklichem Können diese einzigartige Bahn in Schuss. „Das ist Personalführung. In vielen Konzernen beachtet man das kaum mehr. Da geht es oft nur um die Rendite. Dabei sind die Mitarbeiter das Wichtigste im Unternehmen“, so der pensionierte Banker vor seiner Hochschaubahn.
Die Übergaben verlaufen jetzt ruhiger, erzählt er. Vielleicht auch, weil es weniger Geschwister gibt. Früher wurde mehr gestritten, etwa wenn ein Verwandter ein ähnliches Geschäft wie ein anderer aus der Familie eröffnete. Der Vorstand der Praterunternehmer habe dann bei den Streitereien vermittelt. Doch über die Jahrzehnte bleibe bei all den Übergaben und Veränderungen die Grundregel die gleiche: Meistens säßen die Alten auf drei, vier Geschäften und geben eins nach dem anderen an die Jungen weiter. „Die ältere Generation hat das Geld in der Hand, die Jungen bringen sich immer mehr ein. Und irgendwann haben sie das Ruder in der Hand.“
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.