Fernwärme: „Jetzt heizen wir elektrisch, weil es billiger ist“
Fernwärme ist ein langfristiges Geschäft. Wer einmal in eine Wohnung mit dem Warmwasseranschluss zieht, wird auf absehbare Zeit daran hängen. Für Christoph Hof und seine Frau war das über viele Jahre nie ein Problem. Auch wenn die Dachgeschosswohnung des Paars im Bezirk Landstraße in Wien schlecht isoliert ist und die Wärme der Heizkörper schnell nach oben entweicht. „Dafür haben wir einen schönen Ausblick“, sagt Hof.
Womit der pensionierte Lehrer nie gerechnet hätte: dass die monatlichen Kosten für die Fernwärme fast so hoch wie die Miete ausfallen. Obwohl er und seine Frau seit dem massiven Anstieg der Energiekosten letztes Jahr – eine Konsequenz des Angriffs Russlands auf die Ukraine – deutlich weniger geheizt haben. In mehreren Schritten sind die monatlichen Fernwärme-Vorschreibungen laut Hof auf rund 900 Euro gestiegen. Bis zum Vorjahr, basierend auf dem Verbrauch von 2021, waren es noch etwa 250 Euro pro Monat. Dazu kommen Nachzahlungen von mehreren Tausend Euro in den vergangenen Monaten. „Wir können das gerade noch zahlen. Jetzt heizen wir elektrisch, weil es billiger ist, obwohl wir Fernwärme haben. Sonst könnten wir es uns nicht mehr leisten“, sagt Hof.
Wie kann es sein, dass die Kosten für Fernwärme um ein Vielfaches höher liegen als noch vor wenigen Monaten – obwohl die Energiepreise wieder sinken? Der Gaspreis etwa ist in Österreich seit Jahresanfang wieder stark gesunken. Laut dem Gaspreisindex der Energieagentur lag der Wert nach einer Vervielfachung im Vorjahr zuletzt wieder auf dem Niveau von 2021. Fernwärme wird vielerorts zu einem Großteil mit Gas erzeugt.
Geheimnisvolle Kosten
Eines der großen Probleme bei der Fernwärme ist die Intransparenz. Anders als bei der Versorgung mit Strom und Gas ist der Markt für Fernwärme nicht reguliert. Die Abnehmerinnen und Abnehmer können sich den Lieferanten in der Regel auch nicht aussuchen oder wechseln. Oft schließen die Hauseigentümer oder Immobilienentwickler einen Vertrag mit einem Lieferanten für die gesamte Liegenschaft ab – die Details sind nur in Ausnahmefällen einsehbar.
„Physisch ist es gar nicht möglich, in einzelnen Wohnungen eine andere Art der Versorgung zu bekommen. Man kann aus den Verträgen nicht aussteigen“, sagt Clemens Berger, Jurist für Wohnrecht bei der Arbeiterkammer. „Es braucht mehr Transparenz und Informationen zu den durchschnittlichen Kosten für Fernwärme, aber auch für Zentralheizungen.“
Der Markt für Strom und Gas wird von der Regulierungsbehörde E-Control überwacht. Im Rahmen des Erneuerbaren Ausbaugesetzes, das ÖVP, Grüne und SPÖ im Juni 2021 im Parlament beschlossen haben, hätte die E-Control auch Befugnisse bei der Fernwärme bekommen sollen, etwa mit einer Preiskontrolle. Wie der „Kurier“ nun berichtet hat, wurde die Zuständigkeit der E-Control für die Fernwärme aber herausgestrichen. Laut dem grünen Verhandler Lukas Hammer, weil die SPÖ ihre Zustimmung genau davon abhängig gemacht hat.
„Es ist überraschend, dass wir bei Strom und Gas volle Durchregulierung haben, aber bei Fernwärme nicht. Das haben die Kommunen, wo die SPÖ, aber auch die ÖVP sehr einflussreich sind, bisher erfolgreich verhindert“, sagt Walter Boltz, ehemaliger Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control und Berater der Bundesregierung bei Energiethemen. Bei Fernwärme gebe es auch keine Vorgaben der EU.
Diese Woche hat auch das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) vermeldet, dass es bei der Fernwärme in Österreich effektive Kontrollen und Regulierung brauche. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) hat die Preisgestaltung der Fernwärme-Anbieter daraufhin als „aktuell teilweise wenig transparent“ bezeichnet. Auch er sieht die E-Control am Zug, um für mehr Transparenz zu sorgen.
Viel Nähe zur Politik
Laut Boltz wird man gerade in Städten sukzessive ohne Erdgas auskommen müssen. Da es kaum Alternativen gebe, werde es zu einem weiteren Ausbau der Fernwärme kommen. „Wenn man als Konsument fast keine Wahl hat, wäre eine Regulierung notwendig. Da sollten die Menschen schon das Gefühl haben, die Preissetzung erfolgt nach objektiven Kriterien, nicht weil die Gemeinde ein neues Schwimmbad braucht“, sagt Boltz.
Insgesamt hängen mehr als eine Million Wohnungen in Österreich an einem Nah- oder Fernwärmenetz. Sie müssen jetzt fast das Doppelte der Kosten tragen als noch letztes Jahr. In der Bundeshauptstadt betreibt der Landesenergieversorger Wien Energie das größte Fernwärme-Netz für fast eine halbe Million Haushalte. Und da waren die Preiserhöhungen der jüngeren Vergangenheit massiv: Das staatliche Unternehmen hat den Fernwärme-Preis in Wien mit September 2022 um 92 Prozent angehoben. Ende Juni vermeldete der Versorger, dass man den Preis wieder um 20 Prozent senken wird. Finanziert wird der Rabatt aus dem Gewinn der Wien Energie – die zuletzt sehr gut verdient hat.
Seitens Wien Energie heißt es: Wie sich die individuellen Kosten der Bezieherinnen und Bezieher von Fernwärme entwickelt haben, sei von vielen Rahmenbedingungen wie dem versorgten Gebäude und dem persönlichen Verbrauch abhängig. Wien Energie habe unterschiedliche Maßnahmen gesetzt, um die Kundinnen und Kunden zu entlasten.
Gegenüber dem Fernwärme-Nutzer Hof wurde auf Nachfrage bekannt gegeben, dass der Kärntner Landesenergieversorger Kelag die Fernwärme liefert und die Kosten für das gesamte Wohnhaus von einem Jahr aufs nächste um das Dreifache gestiegen sind, und zwar auf fast 55.000 Euro. Deshalb die massiven Nachzahlungen und monatlichen Mehrkosten.
Damit aber nicht genug. Das Ablesen des tatsächlichen Fernwärme-Verbrauchs in der Wohnung und die Abrechnung erfolgt in vielen Fällen nicht über die Energieversorger selbst – sie lagern diese Tätigkeiten an private Dienstleister wie die deutschen Firmen Techem GmbH und ista SE aus, die auch Niederlassungen in Österreich unterhalten.
Chaos bei Abrechnungen
Laut dem Juristen Berger von der Arbeiterkammer sind die von Unternehmen wie Techem oder ista erstellten Abrechnungen sehr undurchsichtig, und es komme darin auch immer wieder zu Rechtswidrigkeiten, etwa wenn Nachzahlungen innerhalb von wenigen Tagen fällig gestellt werden. Seit den massiven Preissteigerungen würden die Abrechnungsfirmen oft auch nicht mit der Flut an Nachfragen und Beschwerden von Kundinnen und Kunden nachkommen. „Teilweise haben die ihre Telefone einfach abgedreht“, sagt Berger.
Auch Christoph Hof berichtet von intransparenten Abrechnungen seitens Techem, unbeantworteten E-Mails und Unklarheiten bei der Kommunikation mit dem Unternehmen. Auch wurden „Fantasiebeträge abgebucht, die ich nicht nachvollziehen kann“, sagt Hof gegenüber profil.
Dabei sind die Abrechnungsfirmen hochprofitabel. Techem wurde im Jahr 2018 das letzte Mal verkauft, für rund 4,6 Milliarden Euro. Im Jahr 2017 hat eine Firma aus dem Reich des Hongkonger Milliardärs Li Ka-shing ista für etwa 4,5 Milliarden Euro gekauft. In Österreich hat das Kartellgericht im Vorjahr gegen ista wegen verbotener Absprachen mit Konkurrenten eine Geldstrafe von 2,2 Millionen Euro verhängt. Zuvor wurde ista in Österreich schon dazu verurteilt, mehr als zwei Millionen Euro an etwa 60.000 Kundinnen und Kunden zurückzuzahlen, weil es unzulässige Zuschläge verrechnet hatte.
In einer Stellungnahme gibt ista an, dass die gestiegenen Energie- und Wärmekosten nicht mit dem Kartellverfahren in Zusammenhang stehen würden und das Unternehmen nicht an der zur Verfügung gestellten Energie verdiene. Man könne versichern, dass die durch die Kartellstrafe entstandenen Kosten nicht auf dem Rücken der Kundinnen und Kunden kompensiert würden. Das Unternehmen sei
aktuell mit einer erhöhten Anzahl an Kundenanfragen konfrontiert, was zur Folge habe, „dass unsere Antwortzeiten und die Erreichbarkeit unseres Kundenservices derzeit leider nicht so flott sind wie gewohnt“, heißt es seitens ista.
Techem weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass es kein Energieanbieter oder Energielieferant ist und daher keinen Einfluss auf die Energiepreise hat. Die Beauftragung des Energieanbieters obliege der Hausverwaltung.
Und seitens Wien Energie heißt es, dass man ista und Techem lediglich mit Ablese- und Messdienstleistungen beauftragen würde. Die Beauftragung erfolge nach Bundesvergabegesetz mit europaweiter Ausschreibung. „Über deren Verrechnungsmodalitäten können wir deshalb keine Aussage treffen.“ An den noch immer hohen Preisen will also niemand schuld sein.