Ermittlungen und Skandale: Sanierungsfall Finanzministerium
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Von Josef Redl
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Im Jänner des Jahres 2000 platzte Rudolf Edlinger in den zähen Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP der Kragen: „Eher lasse ich meinen Hund auf eine Wurst aufpassen als die ÖVP auf das Geld der Steuerzahler“, erklärte der damalige SPÖ-Finanzminister. Wenige Wochen später ging ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel eine Koalition mit der FPÖ ein. 25 Jahre hat es seit Edlingers Bonmot gedauert, bis wieder ein Sozialdemokrat das Finanzministerium übernimmt.
Der neue Finanzminister, Arbeiterkammer-Chefökonom Markus Marterbauer, übernimmt das Ressort nicht nur in einer schwierigen Budgetsituation und muss allein heuer mehr als sechs Milliarden Euro einsparen. Er erbt noch ganz andere Probleme: Das Haus stand in den vergangenen Jahren im Zentrum einer ganzen Reihe von Skandalen, mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse behandelten Vorwürfe von Postenschacher, Amtsmissbrauch und der missbräuchlichen Verwendung öffentlicher Gelder. Das Finanzministerium galt einst als das bestgeführte Haus der österreichischen Verwaltung, eine Art Hochburg beamtischer Exzellenz. Heute ist es ein Sanierungsfall. Wie konnte es so weit kommen?
Das letzte Mal hat die ÖVP den Schlüssel zum Haus in der Johannesgasse 5 im Jahr 2000 dem Koalitionspartner überlassen. Damals zog Karl-Heinz Grasser unter Kanzler Wolfgang Schüssel für die FPÖ mit 31 Jahren als jüngster Finanzminister der Zweiten Republik ein. „Als wir gekommen sind, gab es in der Beamtenschaft schon eine rote Färbung. Der Stolz, für das Finanzministerium zu arbeiten, war allerdings viel größer als die Parteinähe“, erinnert sich Matthias Winkler. Der heutige Geschäftsführer der Sacher-Hotelgruppe war von 2000 bis 2007 Kabinettschef von Karl-Heinz Grasser. Der freiheitliche (und später parteifreie) Finanzminister führte das Haus, ohne an den Schlüsselpositionen auf politische Vertraute zählen zu können. „Die Mitarbeiter des Hauses hatten extremes Qualitätsbewusstsein und hohe Ansprüche an sich selbst“, so Winkler.
Seine zweite Amtszeit absolvierte Grasser von 2003 bis 2007 als parteifreier Minister. Seither hat die ÖVP das Ministerium in jeder Regierungsverhandlung erfolgreich für sich reklamiert. Das Finanzministerium ist das einflussreichste Ressort in jeder Regierung: Im ehemaligen Winterpalais des Prinzen Eugen von Savoyen in der Wiener Innenstadt laufen Informationen aus allen Teilen der Verwaltung zusammen. Hier werden nicht nur die Milliardenbudgets des Bundes berechnet, hier muss jede größere Ausgabe von den anderen Ministerien zur Prüfung und Freigabe vorgelegt werden. Das verschafft dem Finanzminister Macht über seine Regierungskollegen. Das BMF ist aber auch Eigentümervertreter der Republik in Institutionen wie der Oesterreichischen Nationalbank, bei der Finanzmarktaufsicht, der Bundesbeschaffungsgesellschaft und – noch – bei der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG).
Zuletzt war das Finanzministerium vor allem zuverlässiger Lieferant für skandalöse Schlagzeilen.
Toxische Altlasten
Der 6. Oktober 2021 markiert einen Wendepunkt in der österreichischen Politikgeschichte. An diesem Tag führte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Hausdurchsuchungen in drei Machtzentren der Republik durch: im Bundeskanzleramt, im Finanzministerium und in der Parteizentrale der ÖVP.
Der Verdacht der Ermittler: Eine Clique um den früheren ÖVP-Parteichef Sebastian Kurz soll sich mit Inseraten die Gunst der Boulevardmedien gekauft und mit gefälschten Umfragen das Image des Jungpolitikers aufpoliert haben – und das alles mit öffentlichen Mitteln aus dem Finanzministerium. Wenige Tage nach der Hausdurchsuchung erklärte Sebastian Kurz unter dem Druck der Öffentlichkeit und der Grünen seinen Rücktritt als Bundeskanzler, ein paar Wochen später tat es ihm sein Vertrauter, Finanzminister Gernot Blümel, gleich. Was sich in den vergangenen Jahren hinter der barocken Prunkfassade des ehemaligen Winterpalais von Prinz Eugen abgespielt hat, ist gut dokumentiert. Ermittler haben Festplatten und Handys beschlagnahmt, Untersuchungsausschüsse haben sich eine Unzahl an Dokumenten und E-Mails liefern lassen. Als Türöffner und Leitfaden dienten Tausende Chats von Thomas Schmid, mittlerweile Kronzeuge der Justiz. Schmid war zwischen 2015 und 2019 Generalsekretär im Finanzministerium und erster Ansprechpartner für Wünsche aus der ÖVP. Mittlerweile ist es kaum noch möglich, bei all den Skandalen den Überblick zu bewahren.
ÖVP-Klubobmann August Wöginger machte sich bei Schmid für einen Parteifreund stark, der sich um einen Vorstandsposten an einem oberösterreichischen Finanzamt beworben hatte. Der Mann erhielt den Job, obwohl er nicht der bestgeeignete Kandidat war.
Die Meinungsforscherin Sabine Beinschab, inzwischen ebenfalls Kronzeugin, fertigte auf Kosten des Finanzministeriums Umfragen im Interesse der ÖVP an.
Die politischen Kabinette der jeweiligen Finanzminister veranlassten die Kommunikationsabteilung, immer mehr Geld für Inserate in Medien bereitzustellen. Von nicht einmal drei Millionen Euro stieg der Werbeetat bis 2020 auf über 13 Millionen Euro.
„Vergiss nicht - du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für“ die „Reichen!“, lautet eine der bekanntesten Nachrichten, die Schmid verschickte. Der Empfänger Michael K. sollte dem Automobilmanager Siegfried Wolf dabei helfen, einen Nachlass bei seiner millionenschweren Steuerschuld zu erwirken – entgegen der ausdrücklichen Empfehlung der zuständigen Finanzbeamtin. K. organisierte die Schlussbesprechung so, dass die Beamtin nicht dabei war.
„Inzwischen gibt es auf jeder Ebene im Haus ehemalige Kabinettsmitarbeiter“
Wer mit langjährigen Mitarbeitern des Ministeriums spricht, hört auffällig oft Begriffe wie „demotivierend“, „frustrierend“ oder „unbefriedigend“. Und damit sind weniger die jüngsten Skandale gemeint als vielmehr die Arbeitsumstände insgesamt. Das politische Kabinett, das eigentlich als Schnittstelle zwischen Minister und Fachbeamten fungieren sollte, ist im BMF längst das eigentliche Machtzentrum geworden. Informationen werden eifersüchtig gehütet und nur an ausgewählte Mitarbeiter weitergegeben. Wer sich für Vorgänge außerhalb seiner unmittelbaren Zuständigkeit interessiert, gilt bald als suspekt. Der früher ausgiebig gepflegte Austausch über die Ressortgrenzen hinweg ist beinahe zum Erliegen gekommen.
Von Wilhelm Molterer bis Magnus Brunner reicht die ÖVP-Ahnengalerie der jüngeren Vergangenheit im Finanzministerium. Keiner von ihnen diente eine ganze Legislaturperiode. Und dennoch hinterließen sie bleibende Spuren: durch die Besetzung von Posten in der Ministerialbürokratie. Das Finanzministerium wurde in den vergangenen 25 Jahren einer gründlichen politischen Umfärbung unterzogen.
Legionen von politischen Kabinettsmitarbeitern nutzten das Haus als Jobbörse, zur Aufhübschung des eigenen Lebenslaufs oder als Karrieresprungbrett. Und wenn sich bis zum Ende der Legislaturperiode nichts Besseres ergibt, werden die „Kabis“ mit sicheren Jobs in der „Linie“ versorgt. Wichtig ist dabei nur das richtige Timing. In den Tagen nach der Hausdurchsuchung am 6. Oktober 2021 bemühten sich gleich sechs Kabinettsmitarbeiter gleichzeitig darum, in ein unbefristetes Dienstverhältnis mit dem Finanzministerium einzutreten. Sogar der Termin für eine Aufnahmekommission war für 11. Oktober anberaumt. Die Vorkehrungen erwiesen sich als unnötig. Das Finanzministerium blieb weiterhin in ÖVP-Hand, die sechs konnten ihre Jobs im Kabinett behalten.
„Inzwischen gibt es auf jeder Ebene im Haus ehemalige Kabinettsmitarbeiter“, sagt ein Beamter, der anonym bleiben will. Viele von ihnen bekommen auch noch einen kleinen Karriereturbo mit auf den Weg. Die Parteigünstlinge werden oft zumindest für kurze Zeit mit der „interimistischen Leitung“ oder der „Stellvertretung“ in einer Organisationseinheit betraut. „Wird wieder einmal ein Job ausgeschrieben, können sie im Gegensatz zu den einfachen Fachbeamten auf Führungserfahrung im Lebenslauf verweisen“, so der Beamte.
Der interimistische Finanzminister Gunter Mayr wird demnächst wieder auf seinen angestammten Posten zurückkehren. Er ist Chef der Sektion IV für Steuerpolitik und Steuerrecht. Und: Er ist der einzige Sektionschef, der auf eine langjährige Karriere als Fachbeamter im Finanzministerium zurückblicken kann.
„Die Sektionschefs waren früher international anerkannte Koryphäen auf ihrem Fachgebiet. Das ist heute nicht mehr so“
Der frühere Journalist Harald Waiglein kam unter Wilhelm Molterer 2007 als Pressesprecher ins BMF und ist seit 2012 Chef der Sektion III Wirtschaftspolitik und Finanzmärkte. Andreas Reichhardt (Sektion Telekommunikation und Bergbau) war zu Zeiten von Schwarz-Blau Kabinettsmitarbeiter von Verkehrsminister Hubert Gorbach, stieg bis zum Sektionschef auf und war in der Expertenregierung unter Brigitte Bierlein sogar kurze Zeit selbst Verkehrsminister. Angelika Schätz und Maria Ulmer waren vor ihrem Wechsel auf die höchste Ebene des BMF im Wirtschaftsministerium in Führungsfunktionen. Sie sind allesamt Juristen, wie auch die Leiterin der Präsidialsektion Elisabeth Gruber. „Die Sektionschefs waren früher international anerkannte Koryphäen auf ihrem Fachgebiet. Das ist heute nicht mehr so“, sagt ein Mitarbeiter des Finanzministeriums zu profil. Fachbeamte würden sich gar nicht mehr für Führungspositionen bewerben.
Auch der parteifreie Interims-Minister Gunter Mayr ist übrigens nicht ganz ohne Netzwerk. Der Tiroler ist ebenso Mitglied im ÖVP-nahen Cartellverband wie schon sein Vorgänger Magnus Brunner. Auch Mayrs persönlicher Referent ist ein aktives Mitglied der katholischen Studentenverbindung.
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Josef Redl
Wirtschaftsredakteur. Davor Falter Wochenzeitung.