Budget

Fiskalratschef: „Vermute, dass der Finanzminister die Zahlen diesmal nicht in Abrede stellt“

Der Fiskalrat rechnet für heuer mit einem deutlich höheren Budgetdefizit. Schon wieder. Christoph Badelt, Chef des Fiskalrats, über den massiven Spardruck und das Budget-Gaslighting der vergangenen Bundesregierung.

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Redundanz in Presseaussendungen ist weder unüblich, noch sorgt sie im Regelfall für Aufregung. Dieses Déjà-vu war aber eines der unangenehmeren Art. Als am Freitagvormittag um 10.03 Uhr ein E-Mail des Fiskalrats ins Postfach eintrudelte, stockte vermutlich ein paar Wirtschaftsjournalisten der Atem. Das Budgetdefizit wird laut der aktuellen Prognose der Budgethüter heuer wohl 4,4 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Das ist deutlich mehr als die zuletzt prognostizierten 3,8 Prozent – etwa vom IHS – und viel höher als die von der EU vorgegebene Maastricht-Grenze von drei Prozent. Die Schuldenquote steigt bis 2026 auf 86,1 Prozent unserer Wirtschaftsleistung. Kurz: Die Budgetsituation ist noch viel prekärer, als wir dachten. 

Schon wieder. Denn der Fiskalrat warnte bereits im Vorjahr, ziemlich genau um die gleiche Zeit, dass die Ausgaben aus dem Ruder laufen und sich die Budgetsituation massiv verschlechtern wird. Die Warnungen wurden von der damaligen Bundesregierung lange überhört. Solche Hiobsbotschaften kommen in einem Wahljahr schlecht an. Und jetzt? profil sprach mit dem Präsidenten des Fiskalrats, über die Gründe für die Budgetmisere, warum Österreich noch viel mehr sparen muss, als ursprünglich angenommen, und ob er dem Finanzminister zutraut, das Budget zu konsolidieren. 

Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Fiskalrat davor gewarnt, dass das Budgetdefizit höher sein wird als angenommen und die Schulden aus dem Ruder laufen werden. Damals wollte die Regierung nicht so recht auf Sie hören. Jetzt warnen Sie wieder vor einem noch höheren Budgetdefizit. Déjà-vu oder die natürliche Konsequenz der ignorierten Warnungen im Vorjahr?

Christoph Badelt

Beides. Um diese Zeit macht das Fiskalratsbüro immer, aufbauend auf der neuesten Wifo-Prognose, die Gesamtdarstellung im Fiskalregelbericht. Das ergibt sich aus dem zeitlichen Ablauf der verschiedenen Prognosen. Das Déjà-vu ist, dass das Defizit nach der aktuellen Prognose noch viel höher ist als bisher angenommen. Wobei ich dazusagen muss, dass wir zwar schon für 2024 ein Budgetdefizit von 4,1 Prozent angekündigt hatten. Aber das ist nicht der relevante Vergleichswert, weil wir bei der aktuellen Prognose schon 4,2 Milliarden Euro an Budgetkonsolidierung eingerechnet haben. Und trotzdem wird das Defizit unserer Einschätzung nach 4,4 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Wenn es die Regierung schafft, tatsächlich die angekündigten 6,3 Milliarden Euro einzusparen, wären wir wieder bei vier Prozent.

Wie, denken Sie, wird das Finanzministerium diesmal auf die neuen Zahlen reagieren?

Badelt

Ich vermute einmal, dass der Finanzminister die Zahlen diesmal nicht in Abrede stellen wird.

Welche Faktoren haben denn – kurz zusammengefasst – zu dieser neuerlichen Verschlechterung der Budgetsituation beigetragen?

Badelt

Es sind im Wesentlichen drei Gründe: Erstens müssen wir auch für 2025 mit einem höheren Defizit bei den Ländern und Gemeinden rechnen. Der viel gewichtigere Grund ist aber die schlechtere Wirtschaftsprognose. Und womit wir alle nicht gerechnet haben, war, dass das Budgetdefizit 2024 derart in die Höhe schnellt. Und hier schlagen sich Ausgaben zu Buche, die nicht nur einmal getätigt wurden, sondern dauerhaft wirken.

Womit wir alle nicht gerechnet haben, war, dass das Budgetdefizit 2024 derart in die Höhe schnellt. 

Christoph Badelt

über die nach oben korrigierte Prognose zum Budgetdefizit

Welche genau?

Badelt

Die Ausgaben im Gesundheitsbereich und bei der Inanspruchnahme von Förderungen sind deutlich gestiegen. Das zieht aber ein dauerhaftes Ausgabenwachstum nach sich. Dann gab es noch einen dritten Faktor, den wir nicht bedacht hatten: die höchstgerichtliche Entscheidung für Gehaltsnachzahlungen für öffentlich Bedienstete. Das war ein sehr großer Betrag, der sich 2024 zu Buche geschlagen hat.

Der Fiskalrat meint auch, dass die Konsolidierungsmaßnahmen, die die Bundesregierung bisher gesetzt und angekündigt hat, nicht ausreichen werden, um wieder auf einen gesunden Budgetpfad zurückzufinden. Wieso?

Badelt

Wir können in unsere Prognose nur Maßnahmen einrechnen, die wir auch wirklich einschätzen können. Die 6,3 Milliarden Euro, die die Regierung sich heuer vorgenommen hat, sind noch nicht so weit konkretisiert, dass wir diese Zahl voll einrechnen können. Wenn man diese Summe tatsächlich einsparen kann, würde das Defizit ja nur vier Prozent betragen. Der andere Aspekt ist, dass wegen der schlechteren Wirtschaftslage und der viel zu hohen Ausgaben im Vorjahr das Konsolidierungsvolumen von 6,3 Milliarden bei Weitem nicht reichen würde, um ein Drei-Prozent-Ziel zu erreichen.

Wieviele Milliarden bräuchte es dafür?

Badelt

Um das Budgetziel von drei Prozent zu erreichen, müsste die Bundesregierung zwölf Milliarden Euro einsparen – allein heuer. Das halte ich praktisch für unmöglich. Und wirtschaftspolitisch auch gar nicht für sinnvoll.

Würde das ohne ein EU-Sanierungsverfahren überhaupt gehen?

Badelt

Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ohne ein VÜD-Verfahren (Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, Anm.) gehen soll. Einen so hohen Betrag können Sie in so kurzer Zeit nur mit einer Steuererhöhung bei Verbrauchssteuern, zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer, aufstellen. Aber ich glaube nicht, dass die Bundesregierung jetzt weitere Steuern erhöhen wird.

Der jetzige Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) war lange Zeit Ihr Vize im Fiskalrat. Trauen Sie ihm eine so massive Budgetkonsolidierung zu?

Badelt

Ich traue ihm das zu, allein deshalb, weil es keine Alternative gibt. Aber seine politische Kraft allein wird nicht reichen. Das muss innerhalb der gesamten Regierung ausverhandelt werden. Er führt zwar jetzt die Verhandlungen mit den einzelnen Ressorts, aber das ist nur ein kleiner Teilbereich der notwendigen Einsparungen. Die restlichen Maßnahmen müssen alle wollen. Finanzminister Marterbauer kann aufgrund seiner fachlichen Autorität viel erreichen, aber allein kann er diese Milliarden nicht stemmen.

Wo sehen Sie den größten Sparbedarf?

Badelt

Ich als Fiskalratschef kann nicht sagen, wo man sparen soll. Das ist eine politische Entscheidung. Aber die Regierung wird in den nächsten Jahren wohl nicht darum herumkommen, die großen Ausgabenpositionen – das Gehaltswachstum im öffentlichen Dienst und die Pensionen – anzugehen. Mittelfristig müssen wir jetzt wirklich diese tausendfach beschworenen Struktur- und Föderalismusreformen machen und effizienter werden. Aber das hilft uns budgetär erst in zwei bis drei Jahren.

Zur Person

Christoph Badelt (74) ist seit 2021 Präsident des Fiskalrats. Er ist emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und leitete von 2016 bis 2021 das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo).

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".