Die 43 Seiten der WKStA
Müller zählt zweifelsohne zu den spannendsten Persönlichkeiten, die der polit-administrative Komplex in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Der heute 61-Jährige legte in der Finanzverwaltung eine steile Karriere hin. 2015 wurde er Leiter der Präsidialsektion und stellvertretender Generalsekretär. Als 2019 eine Expertenregierung für einige Monate die Republik lenkte, fungierte Müller als Finanzminister und leitete nebenher gleich auch noch das Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport. 2020 wechselte er dann in die Chefetage der FMA, wo er sich seither als einer von zwei Vorständen um die Sauberkeit des österreichischen Finanzplatzes kümmert.
Die Vorwürfe, um die es im Ermittlungsverfahren gegen Müller ging, rührten aus seiner Zeit als Sektionschef im Jahr 2017. Damals standen – nach der Übernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz – Neuwahlen an. Und im Finanzministerium begann man mit Vorbereitungsarbeiten für bevorstehende Regierungsverhandlungen. So weit, so normal. Allerdings sollen dabei auch Schritte gesetzt worden sein, die weniger dem Ministerium und mehr der ÖVP dienten. Weil dabei auch eine externe Beratungsfirma beigezogen und vom Ministerium bezahlt wurde, ortete die WKStA Untreueverdacht.
19.000 Euro für Beratungsfirma
Davon betroffen: der frühere Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid, der diesbezüglich ein Geständnis abgelegt hat und Kronzeuge werden will; der Chef der Beratungsfirma, der ebenfalls Fehlverhalten zugegeben und einer Diversion zugestimmt hat; und eben Müller, dessen Verfahren nun gänzlich eingestellt wurde.
Was steckt dahinter? Insgesamt geht es um rund 19.000 Euro. Laut einem „Standard“-Bericht soll die WKStA festgestellt haben, dass Müller die Zahlung an die Beratungsfirma unrechtmäßig freigegeben habe. In Bezug auf einen Teilbetrag von rund 15.000 Euro sei dies aber ohne den Vorsatz erfolgt, die Republik zu schädigen. Bei restlichen rund 4000 Euro nehme die Behörde zwar einen solchen Vorsatz an, hier sei aber bereits die Verjährung eingetreten.
Nach Durchsicht der Einstellungsbegründung lässt sich sagen: Das stimmt. Es ist aber noch lange nicht alles. Die Verjährung ist nämlich nur deshalb eingetreten, weil der übrig gebliebene Teilbetrag von 3911,63 – recht knapp – unter der Schwelle von 5000 Euro liegt, über der eine längere Verjährungsfrist gegolten hätte. Die WKStA schreibt in der Einstellungsbegründung, Müller sei der „unmittelbare Täter der Untreue“. Der heutige FMA-Chef habe „den objektiven und subjektiven Tatbestand der Untreue“ verwirklicht, die Strafbarkeit sei aber eben verjährt.
Die Sache mit der Verjährung
Interessant ist, warum die WKStA in Bezug auf den größeren Teil des ausbezahlten Betrags – 15.467,24 Euro – bei Müller keinen Schädigungsvorsatz annimmt: Unter Mithilfe der Beratungsfirma war unter anderem ein Excel-Tool entwickelt worden, um Expertenvorschläge aus der Finanzverwaltung zu sammeln – so weit, so unverdächtig. Darüber hinaus erstellte die Firma aber ein „Prozessdesign für Regierungsverhandlungen“, das bei einem Workshop präsentiert wurde. In diesem Prozessdesign habe sich die „parteipolitische Ausrichtung des Projekts sehr deutlich manifestiert“, schreibt die WKStA. Die darauf entfallenden Kosten sind die erwähnten 3911,63 Euro.
Das Excel-Tool wiederum sollte den Ermittlungsergebnissen zufolge zwar auch einen Abgleich der Expertenvorschläge „vor allem mit dem Wahlprogramm der ÖVP“ ermöglichen. Insbesondere in Bezug auf die „lebhafte Darstellung der Begeisterung für das Excel-Tool und das Projekt im Allgemeinen“ im Zuge einer Vernehmung, sieht sich die WKStA aber nicht in der Lage, Müller „mit ausreichender Sicherheit“ einen Schädigungsvorsatz zu diesem Teil der Kosten – den 15.467,24 Euro – nachzuweisen: Er habe das Tool und andere Projektergebnisse – abgesehen vom Prozessdesign und von dem einen Workshop – als „wertvoll für die aktuelle und zukünftige Planung und Steuerung von Projekten“ im Finanzministerium eingeschätzt.
WKStA sieht wissentlichen Befugnismissbrauch
Ungeachtet dessen geht die WKStA insgesamt von einem wissentlichen Befugnismissbrauch aus: Ausbezahlt wurde das Geld im Zuge einer größeren Abrechnung für ein Projekt mit dem Titel „Organisationsentwicklung BMF“. Müller wusste laut WKStA, dass er durch die Freigabe der 19.378,87 Euro seine Befugnis „zugunsten der ÖVP missbrauchte und öffentliche Gelder für parteipolitische Zwecke einsetzte“. Allein das reicht aber nicht aus, um den Untreuetatbestand zu erfüllen. Es muss auch noch der Schädigungsvorsatz dazukommen, welchen die WKStA eben nur in Bezug auf den kleineren Teilbetrag für nachweisbar hält.
Da es sich bei der vorliegenden Causa um einen sogenannten berichtspflichtigen Akt handelt, ist davon auszugehen, dass die zuständige Oberstaatsanwaltschaft und das Justizministerium die rechtlichen Einschätzungen der WKStA teilen. Dennoch sei betont, dass es sich dabei um kein Gerichtsurteil handelt. Schwerwiegende Verdachtsannahmen der WKStA, welche ebenfalls von den Oberbehörden geprüft worden waren, haben in der Vergangenheit auch schon zu Freisprüchen geführt.
Im konkreten Fall wird die Gerichtsfestigkeit der Vorwürfe wohl niemals geklärt werden: „Eine Einstellungsbegründung kann nicht bekämpft werden“, teilt Müllers Anwältin Caroline Toifl auf profil-Anfrage mit. „Ich finde es richtig, dass das Strafverfahren gegen meinen Mandanten eingestellt wurde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die in der Einstellung angeführte 43-seitige Begründung unabdingbar richtig ist.“
Anwältin: „Kein einziger Zeuge einvernommen“
„In zwei Jahren Ermittlungsverfahren wurde kein einziger Zeuge einvernommen, obwohl viele BMF-Mitarbeiter in das Projekt“ eingebunden gewesen seien, hält Toifl fest. Das Ministerium habe auch die Schadensgutmachung der Beratungsfirma nicht angenommen, weil es keinen Schaden bei sich gesehen habe. Darüber hinaus enthalte die Einstellungsbegründung Aussagen, die sich gegenseitig widersprechen würden, meint Toifl. Etwa wenn damit argumentiert wird, dass bestimmte Leistungen „ausschließlich“ im Interesse der ÖVP gelegen seien. Den Workshop zum Thema Prozessdesign habe Thomas Schmid vorbereiten lassen. Wäre nun festgestellt worden, dass objektiv keine strafbare Handlung vorlag, könnte das laut der Anwältin die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen in spe beeinträchtigen.
Müller: „Im Interesse des BMF“
Schon im Ermittlungsverfahren habe man dargelegt, dass Regierungsverhandlungen keine „Privatveranstaltungen“ politischer Parteien seien, betont Toifl. Müller hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Er argumentierte im Verfahren unter anderem, dass es um die Vorbereitung des Finanzministeriums für eine neue Legislaturperiode gegangen sei – „im ureigensten Interesse des BMF und damit des Bundes“. Er sei nicht an einer allfälligen Verwendung zugunsten politischer Parteien beteiligt gewesen. Am Nutzen für das Ministerium würde eine solche aber nichts ändern.
Das hat die WKStA offenbar nicht überzeugt.