Wirtschaft

Franz Hörl: Der wilde Kaiser

Franz Hörl ist das Gesicht und die Stimme des österreichischen Wintertourismus. In dieser Funktion ist der 66-Jährige tendenziell eher laut, ein bisschen rücksichtslos und sehr zuversichtlich, "dass wir in den nächsten 30 Jahren keine Probleme haben werden".

Drucken

Schriftgröße

Die historische Wahrheit kommt per SMS, sie enthält einen alten Zeitungsausschnitt. Auf dem Bild ist ein Berghang zu sehen, weitgehend grün (mutmaßlich, denn das Bild ist in Schwarz-Weiß gehalten). Bloß ein schmales Schneeband zieht sich ins Tal. Bildunterschrift: "Die Schladminger Planai am Neujahrstag 1988". Geschickt hat die SMS der Zillertaler Hotelier, Seilbahnunternehmer und Politiker Franz Hörl, er will damit natürlich etwas sagen, und zwar: Regt's euch wieder ab! Konkret dreht sich die Aufregung um die Frage, ob man denn angesichts steigender Temperaturen, Schneefallgrenzen und Folgekosten am alten Modell des Wintertourismus festhalten könne oder ob sich die Branche, die doch so bedeutende Anteile des österreichischen BIP erwirtschaftet, langsam was Neues überlegen muss.

Welche Haltung Franz Hörl dazu einnimmt, ist nicht gerade geheimnisumwittert, aber auch nicht banal, immerhin ist der Zillertaler als ÖVP-Tourismussprecher eine tragende Säule der Republik. Also: Anruf in Gerlos, Hotel Gaspingerhof. Es geht gerade rund im Hause Hörl, aber wann geht es das nicht. Es herrscht Hochsaison, derzeit sind vor allem Holländer und Deutsche im Ort, außerdem bereitet Hörl ein Symposium mit den Seilbahn-Kollegen aus Graubünden vor, für das er am Donnerstagabend von Wien-wohin er am Donnerstagmorgen wegen der Nationalratssitzung geflogen sein wird-wieder nach Tirol fliegen muss, aber im Moment ist er ohnehin gerade auf dem Sprung nach Oberösterreich. In seiner eigenen Wahlkampfbroschüre wird der 66-Jährige als Tausendsassa und Multifunktionär beschrieben, als Seilbahnbetreiber, Bergbauer, Hotelier, Politiker und Bauherr. Fehlt eigentlich nur der Jäger und Ski-Lobbyist. Die "Süddeutsche Zeitung" nannte ihn auch schon "Wadenbeißer", die "Frankfurter Allgemeine" "Prellbock" und "Polterer"; auch profil hat ihn in der Vergangenheit hart angefasst.

Leider hat die Berichterstattung der letzten drei Wochen dazu geführt, dass man im Ausland glaubt, wir hätten gar keinen Schnee.

Franz Hörl

Er nimmt es sportlich und die Interviewanfrage an, aber viel Zeit ist nicht, bitte, und zum vereinbarten Termin schon gar nicht, denn Franz Hörl muss noch die 9-Uhr-Nachrichten schauen. Es könnte nämlich gut sein, dass er darin vorkommt, immerhin hat er am Tag zuvor wieder einmal für News gesorgt. Im Gespräch mit der Austria Presse Agentur hatte er seine Branche gegen die aktuell stark vernehmbaren Klimaschutzbedenken verteidigt und mit einem Hinweis auf die CO2-Bilanz von Flugreisen und Kreuzfahrten gekontert. Bei denen könne er sich nämlich durchaus eine Kennzeichnungspflicht betreffend Umweltschädlichkeit vorstellen, auch über Werbeverbote wie im Tabakbereich müsste man einmal reden. Es mangelte in weiterer Folge nicht an Gegenwind, aber das ist Hörl gewohnt. Also: "Ich erzähle Ihnen jetzt ein Erlebnis, das ist drei Tage her und war ein Grund, warum mir der Kragen geplatzt ist. Eine holländische Familie spricht mich bei der Bergbahn an und fragt: Herr Hörl, wir waren jetzt fünf Tage bei Ihnen auf Urlaub, haben ein wunderbares Wetter gehabt, die Schneeverhältnisse waren ausgezeichnet, wir konnten gut Ski fahren, aber unsere Freunde aus Holland rufen uns an und fragen: Was macht ihr denn in Gerlos, wenn ihr nicht einmal Ski fahren könnt?' Leider hat die Berichterstattung der letzten drei Wochen dazu geführt, dass man im Ausland glaubt, wir hätten gar keinen Schnee."

Franz Hörl ist überzeugt, "dass wir in den nächsten 30 Jahren keine Probleme haben werden". Denn: "Was stört es die Wiese, wenn ein weißes Band durchführt?"

Für Hörl sind solche Berichte geschäftsschädigend. Er führt das Hotel Gaspingerhof gemeinsam mit seiner Frau Margot in dritter Generation: 4 Sterne Superior, 80 Zimmer, 75 Mitarbeiter, 5 Saunen, Turnsaal, beheiztes Freibad, unterirdischer Verbindungsgang mit Direktzugang zur Zehner-Gondel der Dorfbahn Gerlos. Die "Super-Skiwoche" (sieben Nächte Halbpension, sechs Tage Skipass, Spa-Gutschein) kostet im Jänner ab 1505 Euro pro Person. Franz Hörl könnte zufrieden sein, rein wirtschaftlich läuft die Saison hervorragend. "Wir haben Corona überwunden." Wenn da nicht die schlechte Presse wäre. "Es streitet ja kein Mensch ab, dass das ein schlechter Winterbeginn war und wir in tieferen Lagen weiße Bänder auf grünen Wiesen haben. Aber wenn man die 'ZIB 2' geschaut hat, konnte man meinen, dass man in Tirol gar nicht mehr Ski fahren kann. Und gleich danach kommt die Sendung 'Traumschiff'. Da bitte ich um Verständnis, dass mir irgendwann der Kragen platzt."

Und wenn Franz Hörl der Kragen platzt, dann hört man das eben bis nach Wien hinaus, meistens klingt auch eine Portion Medienkritik mit. "Da machen sich Leute um eine Branche Sorgen, die davon nichts verstehen, die nicht davon leben, die nicht darin investiert haben, denen aber furchtbar langweilig ist, weil sie scheinbar keine anderen Themen hatten, über die sie schreiben könnten. "Hörl dagegen versteht sich in touristischen Belangen zu Recht als Experte, und er hält mit dieser Expertise nicht hinter dem Berg, vor allem nicht, wenn es darum geht, den Flachländlern seine Welt zu erklären: "Vorgestern habe ich mit einer Journalistin gesprochen, die war ganz verwundert, dass ich es nicht furchtbar finde, wenn auf einer grünen Wiese ein weißes Band ist. Ja was tut das der grünen Wiese? "Und überhaupt: Die, die da so gescheit reden, sollen mir bitte eine Alternative sagen. Ich höre immer nur 'sanfter Tourismus'. Schau dir einmal die Bergsteigerdörfer an. Das ist eine nette Markennische, aber überleben können damit nur wenige. Der Wohlstand des Westens von Österreich kommt zu großen Teilen aus dem Wintertourismus. Ich sehe dazu keine Alternative."

Die 800-Einwohner-Gemeinde Gerlos liegt auf 1300 Höhenmetern, verfügt über ein Skigebiet mit 52 Liften und 150 Pistenkilometern sowie einen auch für Laien sichtbaren Wohlstand. Das geht auch auf die Kappe des Franz Hörl. Er hat während seiner Lehre in den 1970er-Jahren am Arlberg erlebt, wie Wintertourismus funktioniert. Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1978 übernahm er 21-jährig den Betrieb in Gerlos, engagierte sich in den lokalen Bergbahnen, auch finanziell; seit 1979 ist er deren Geschäftsführer, ab 1983 mit Margot verheiratet, außerdem Gemeinderat, von 1992 bis 2009 Bürgermeister, seit 2006 Nationalrat der ÖVP. Unter seiner Ägide wächst das Skigebiet von Gerlos mit den Nachbarorten zur "Zillertal-Arena" an, wird laufend erweitert und modernisiert, denn ja, die Pisten sind kriegsentscheidend in der Vision des Franz Hörl.

Er will die Situation dabei gar nicht ins Lächerliche ziehen. Er sieht nur nicht die Dramatik, die andere zu sehen meinen. "Bis 2050 haben wir gar kein Problem, sofern die Vorhersagen der Wissenschaft zutreffen. Ich gehe davon aus, dass im Mittel eine dauerhafte Schneedecke künftig um 200 Höhenmeter nach oben wandern wird. Generalisieren kann man das aber nicht, weil oft mikroklimatische Einflüsse wirksam werden." Und wieder drängt sich die Frage nach der Alternative auf: "Der ganze Wintertourismus im Westen fußt auf dem Skifahren. Es kommen über 80 Prozent der Gäste zum Skifahren oder Snowboarden. Wenn ich will, dass das Zillertal weiter acht Millionen Nächtigungen erzielt, dann gibt es dazu leider Gottes keine Alternative. Außer ich beginne einen Strukturwandel wie im Ruhrgebiet und bin mit zwei Millionen Nächtigungen zufrieden. Dann kann man vielleicht mit anderen Wintersportarten auskommen. Aber das bedeutet für zwei Drittel der Unternehmen den Exitus und für die Täler eine Abwanderungswelle wie in Teilen der italienischen und französischen Alpen."

Im Herbst hat Hörl der APA verraten, dass er in seinem Skigebiet drei Windräder errichten werde (es wären die ersten im ganzen Bundesland),weil: "Es reden immer alle nur g'scheit daher. Aber der Praxistest steht aus. Den will ich nun liefern."Er erzählt auch noch vom Biomassekraftwerk im Ort, das sämtliche Hotels beheize, und von den vielen neuen Photovoltaik-Anlagen. "Natürlich mache ich mir Gedanken über die Zukunft, deshalb investieren wir ja auch im Bereich der Nachhaltigkeit. Das übersieht man alles. Die Wirtschaft reagiert ja laufend. Also noch einmal: Sagen Sie mir die Alternative! Sollen wir jetzt vor Gram und Scham in einem Loch versinken?"

Das wird, so viel kann man prophezeien, nicht passieren.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.