Geld oder reden: Gemeinden verzichten auf gesetzliche Mitspracherechte
Wenn ein Unternehmen ein großes Bauprojekt durchziehen will, kann die Vorbereitung dafür schon einmal ein Jahrzehnt dauern. Die Auswirkungen auf die Verkehrsströme rundherum wollen genauso erhoben sein wie jene auf den Boden. Aufwendige Umweltverträglichkeitsprüfungen stehen ebenso bevor wie langwierige Anrainerbeteiligungsverfahren.
All dies ist teuer und kompliziert, aber es soll auch sicherstellen, dass kein Betroffener auf der Strecke bleibt. Bürger und Gemeinden haben das Recht auf Mitsprache. Neuerdings jedoch scheint eine Praxis aufzutauchen, welche dieses Prinzip in Frage stellt: Gemeinden werden von Projektbetreibern dafür bezahlt, dass sie auf Rechtsmittel verzichten oder dass sich das Verfahren nicht in die Länge zieht.
Wie der "Kurier“ berichtete, ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft seit März 2014 gegen einen Gutteil des Mistelbachers Gemeinderats.
Konkret orten kritische Bürgerinitiativen diese Vorgehensweise derzeit bei zwei Fällen in Niederösterreich. Die Causen sind ziemlich unterschiedlich. Aber in beiden Fällen fließt Geld von Unternehmen in die Budgets umliegender Gemeinden - gekoppelt daran, inwiefern sie Projekte mittragen und Planungen nicht verzögern. Es geht zum einen um die geplante dritte Start- und Landepiste des Flughafens Wien-Schwechat und zum anderen um eine Reststoffdeponie nahe der Stadt Mistelbach.
Letzterer Fall beschäftigt auch die Justiz. Wie der "Kurier“ berichtete, ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft seit März 2014 gegen einen Gutteil des Mistelbachers Gemeinderats, rund 30 Abgeordnete, vor allem von der ÖVP. Vorwurf: mutmaßliche Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch.
Die Mandatare sollen sich nicht persönlich bereichert haben, denn das Geld floss an die Mistelbacher Stadtkassa. Doch die Zahlungen sollen, so der Verdacht, die Volksvertreter bewogen haben, im Sinn der Betreiberfirma zu stimmen. Das Unternehmen - die Zöchling Abfallverwertung GmbH mit Sitz im niederösterreichischen Hainfeld - war für keine Stellungnahme erreichbar. Jedenfalls übersandten die Staatsanwälte kürzlich ihren Vorhabensbericht an die Oberstaatsanwaltschaft. Diese entscheidet nun, ob Anklage gegen die Gemeinderäte (wie auch Vertreter der Zöchling GmbH) erhoben wird.
Die Geschichte der Affäre reicht bis ins Jahr 2005 zurück. Damals, bei Gründung der Deponie, schloss die Gemeinde Mistelbach mit Zöchling eine privatrechtliche Vereinbarung: "Die Gemeinde erhält eine Zahlung von 1,5 Euro pro Tonne abgelagerten Abfalls.“ Dafür verpflichte sie sich, "sämtliche notwendigen Maßnahmen zur Erlangung der Betriebsbewilligung (...) durchzuführen und die Deponie in allen Behördenverfahren und bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen“. Als im Jahr 2011 eine Vergrößerung der Deponie anstand, bekräftigten Mistelbach und Zöchling in einem neuen Vertrag die alte Abmachung: "Die Vereinbarung von 2005 bildet einen integrierenden Bestandteil der gegenständlichen Vereinbarung.“
Das Projekt sei anachronistisch angesichts des Klimawandels. Und: Es drohen massive Lärm- und Emissionsbelastungen.
Friedrich Brandstetter, Sprecher der Bürgerinitiative "Gegengift“, kritisiert dies scharf: "Hier werden Politiker zu Lobbyisten gemacht und öffentliches Mitspracherecht ausgehebelt.“ Brandstetter war derjenige, der die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft einbrachte.
Für die Gemeinde Mistelbach will ÖVP-Bürgermeister Alfred Pohl "aufgrund des laufenden Verfahrens“ keine Stellung nehmen. Nur so viel: Man weise "den Vorwurf der Bestechlichkeit vehement zurück“. Pohl betont, dass in der zweiten Vereinbarung von 2011 "weder Zahlungen vereinbart noch Rechte verkauft“ worden seien. Überhaupt: Alle Vorgänge seien "transparent durch ressortverantwortliche Politiker und unter anwaltlicher Beratung“ erfolgt.
Der nächste Fall spielt am Flughafen Wien-Schwechat - und wirft ebenfalls Fragen auf. Dort laufen gerade die Vorbereitungen für eines der größten Bauprojekte Österreichs. Der Beginn der Planungen für die dritte Piste geht aufs Jahr 1998 zurück, die erwartete Fertigstellung dräut 2025. Momentan findet die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) in zweiter Instanz statt.
Die Piste sei unabdingbar für Österreichs Rolle als Knotenpunkt in Mitteleuropa, argumentiert die Flughafen Wien AG (sie gehört zu je 20 Prozent den Bundesländern Wien und Niederösterreich). Doch zahlreiche Umwelt- und Bürgerinitiativen laufen Sturm. Das Projekt sei anachronistisch angesichts des Klimawandels. Und: Es drohen massive Lärm- und Emissionsbelastungen.
Vor diesem Hintergrund begann der Flughafen bereits im Jahr 2000 ein umfangreiches Mediationsverfahren mit Umlandgemeinden und Bürgerplattformen. Die Gespräche mündeten 2005 in einen Mediationsvertrag. Darin erklärt sich der Flughafen in strittigen Punkten (etwa wann Nachtflüge stattfinden) zu Konzessionen bereit. Umgekehrt verpflichteten sich die Gegenüber, "keine Schritte im Genehmigungsverfahren zu setzen, die geeignet sind, es (...) zu verzögern“.
Eine Gemeinde kann beeinspruchen, was immer sie will, ohne dass diese Vereinbarungen ungültig werden. (Peter Kleemann)
Zugleich gründete die Flughafen Wien AG den sogenannten "Umweltfonds“. In diesen zahlt das Unternehmen seither Geld ein. Es fließt an rund 15 Umlandgemeinden, von Schwechat über Zwölfaxing bis Enzersdorf an der Fischa. Damit werden etwa Gesundheits- und Lärmschutzprojekte finanziert. Das Geld wird nach einem komplexen Schlüssel auf die Kommunen verteilt, etwa nach Passagieraufkommen und Lärmbetroffenheit der jeweiligen Gemeinde.
Aber nicht nur das: Die Gemeinden bekommen auch desto eher ihr Geld, je schneller die Bewilligungsverfahren für die dritte Piste voranschreiten. So steht es im sogenannten "Leistungsvertrag“, der dem Umweltfonds zugrunde liegt. Wenn zum Beispiel die UVP in erster Instanz abgeschlossen ist (was 2012 der Fall war), werden laut Vertrag "50 Prozent der zustehenden Mittel an den Fonds ausbezahlt“. Und so weiter. Je nach Bewilligung kommen also die Geldspritzen.
Ein Anreiz für Gemeinden, der Piste keine Steine in den Weg zu legen? Keinesfalls, sagt Flughafen-Sprecher Peter Kleemann. Die Zahlungen seien vielmehr ein "Ausgleich“ für die Gemeinden. "Mit der dritten Piste geht ja auch eine entsprechende Flugverkehrsbelastung für sie einher.“ Das Behördenverfahren samt UVP habe nichts mit Mediationsvertrag und Umweltfonds zu tun. "Eine Gemeinde kann beeinspruchen, was immer sie will, ohne dass diese Vereinbarungen ungültig werden. Die Stadt Wien etwa hat eine Einwendung im Verfahren gemacht - und dennoch Anspruch auf eine Zuwendung aus dem Umweltfonds.“
Kritiker sehen das anders. Martin Tögel etwa, Sprecher der Bürgerinitiative gegen Fluglärm und die dritte Piste im Wiener Bezirk Liesing, hat mit seinen Mitstreitern vergangenes Jahr den Sachverhalt bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt: "Ein solcher vorauseilender Verzicht ist demokratiepolitisch bedenklich. Es stellt sich die Frage, inwieweit hier Druck auf die Gemeinden ausgeübt wird.“ Allerdings entschied das Landesgericht für Strafsachen im heurigen Februar, das Verfahren einzustellen.
In Zeiten immer knapperer Gemeindebudgets mag es für manch einen Bürgermeister attraktiv sein, eine privatrechtliche Zusatzvereinbarung zu schließen.
Fest steht jedenfalls: Viel Geld fließt vom Flughafen an die Gemeinden. Laut Flughafen-Sprecher Kleemann wurden seit Gründung des Fonds mehr als 3,1 Millionen Euro ausbezahlt. Allerdings: Wer zu welchem Zeitpunkt wie viel bekommt und was genau mit den Summen geschieht, bleibt weitgehend im Dunklen. Informationen darüber werden nicht veröffentlicht. Die meisten Bürgermeister der Umlandgemeinden reagierten nicht auf eine profil-Anfrage.
Immer wieder gibt es auch Unklarheiten. So kritisierten im Jahr 2015 die Schwechater Grünen, dass die Stadt bereits 3,4 Millionen Euro Flughafen-Geld im Budget eingeplant habe - dabei bekommt Schwechat dieses Geld laut Vertrag erst, wenn die zweitinstanzliche Entscheidung bei der UVP fällt. Dies jedoch ist bis heute nicht passiert.
Die Gemeinden rechnen also fix mit den Zahlungen der Unternehmen - im Fall der dritten Piste genauso wie möglicherweise in anderen, bislang unbekannten Causen. Gefährdet das deren Unabhängigkeit? Lassen sie sich beeinflussen? Und wie verbreitet sind überhaupt Arrangements à la Schwechat und Mistelbach?
All das weiß man kaum. Politiker, NGOs und Gerichte haben sich bisher nur wenig mit dem Thema befasst.
Es bleibt nur eine Vermutung: In Zeiten immer knapperer Gemeindebudgets mag es für manch einen Bürgermeister attraktiv sein, eine privatrechtliche Zusatzvereinbarung zu schließen.