Interview
Gewessler: „Mir fehlt das Verständnis für die Blockadehaltung“
Der Klimaplan muss nach Brüssel geschickt, über das Renaturierungsgesetz soll abgestimmt werden, das Klimaschutzgesetz fehlt immer noch. Ministerin Leonore Gewessler spart nicht mit Kritik am Koalitionspartner ÖVP und macht EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling die Mauer.
Von Christina Hiptmayr und Franziska Dzugan
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Frau Ministerin, in ein paar Tagen ist EU-Wahl. Wie oft haben Sie sich, angesichts des Wirbels um Lena Schilling, in den vergangenen Wochen gedacht, es wäre vielleicht doch besser gewesen, wenn Sie selbst als Spitzenkandidatin angetreten wären?
Gewessler
Nie. Aus gutem Grund, weil wir mit Lena Schilling wirklich eine großartige Spitzenkandidatin haben. Die EU-Wahl ist eine Richtungsentscheidung darüber, wie es auf diesem Kontinent weitergeht. Gehen wir in eine gute Zukunft mit Klimaschutz, mit der Fortsetzung des Green Deal? Oder gehen wir zurück in die Vergangenheit mit rechtsextremer Hetze, mit der Klimawandel-Leugnung der Freunde von Wladimir Putin? Lena Schilling ist eine Kandidatin mit enormem Engagement für Klimaschutz und eine aufrechte Kämpferin gegen rechtsextreme Hetze. Sie wird das im Europaparlament wunderbar machen.
Sie und die Grünen machen Schilling seit Wochen die Mauer, dennoch ebbt die Diskussion nicht wirklich ab. Hat man diese Dynamik parteiintern unterschätzt?
Gewessler
Mich macht die aktuelle Diskussion wirklich betroffen. Wenn ich mir meine eigene Biografie vor Augen halte: Ich bin vor fünf Jahren als Quereinsteigerin in die Politik gegangen, mit einer großen Freude auf eine neue Aufgabe. Um nach Jahrzehnten des Stillstands im Klimaschutz etwas bewegen zu können. Die Reaktion in meinem Umfeld war: Willst du dir das wirklich antun? Ist es das wert? Nach viereinhalb Jahren in der Politik sage ich für mich: Es war jede Minute wert – und mir sind auch viele Grauslichkeiten passiert. Aber das, was jetzt passiert, habe ich Gott sei Dank noch nie erleben müssen. Wenn aus privaten Chats zweier ehemaliger Freundinnen zitiert wird und rundherum damit Politik gemacht wird, dann ändert das unsere politische Kultur. Dann wird die Eintrittshürde in die Politik noch einmal höher. Am Ende bleiben dann nur noch Menschen über, die aus Teflon sind, denen alles wurscht ist. Dann kriegen wir ein politisches System mit lauter Donald Trumps und Herbert Kickls.
Bei der letzten EU-Wahl haben die Grünen 14 Prozent der Stimmen erzielt. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie diesmal?
Gewessler
Wir laufen um jede einzelne Stimme. Wir haben derzeit drei Mandate, und unser Ziel ist es natürlich, diese drei Mandate auch im Europaparlament zu halten.
Auf EU-Ebene stehen in nächster Zeit große Themen an. Beim Renaturierungsgesetz könnte Österreich das Zünglein an der Waage sein. Bislang waren Sie an das Veto der Bundesländer gebunden, die hierzulande für den Naturschutz zuständig sind. Wien und Kärnten signalisierten zuletzt, aus der Blockadehaltung auszuscheren. Werden Sie, obwohl die ÖVP dagegen ist, dem Renaturierungsgesetz Mitte Juni im Umweltministerrat zustimmen?
Gewessler
Das ist das wichtigste Naturschutzgesetz, das wir auf europäischer Ebene beschließen können. Wir haben in den letzten Jahrzehnten der Natur immer mehr Raum weggenommen, immer noch einen Parkplatz betoniert, immer noch eine Schuhschachtel irgendwo hingestellt. In dieser Verordnung geht es um die Wiederherstellung der Natur und deswegen begrüße ich die Initiative von Wien und Kärnten, wieder Dynamik in diese Diskussion zu bringen. Für mich ist die einheitliche Stellungnahme der Bundesländer rechtlich bindend. Deswegen habe ich Michael Ludwig und Peter Kaiser um Klarstellung gebeten: Stehen sie noch hinter der bisherigen Stellungnahme der Bundesländer oder eben nicht mehr? Wenn die Länderstellungnahme aufgehoben wird, werde ich alles tun, dass Österreich zustimmen kann.
Europaministerin Karoline Edtstadler hat Ihnen schon vorsorglich ausgerichtet, dass Sie damit gegen das Gesetz verstoßen würden. Würden Sie tatsächlich den Koalitionsfrieden riskieren?
Gewessler
Rechtlich bindend ist die Länderstellungnahme. Im zweiten Schritt gibt es die langjährige Praxis, dass im Rat die jeweilige Ministerin, der jeweilige Minister entscheidet. Ich sehe nicht ein, warum das hier anders sein sollte. Und ganz ehrlich gesagt: Eine Auslegung, bei der immer das rauskommt, was die ÖVP gerne hätte, möchte ich schon hinterfragen. Wenn der Kollege Norbert Totschnig (ÖVP-Landwirtschaftsminister, Anm.) im Rat eine Aufweichung der Umweltstandards in der Agrarpolitik beschließen kann, ohne mein Einvernehmen und explizit gegen meinen Willen, dann ist schon die Frage, warum das umgekehrt nicht auch gehen soll.
Ein weiterer Zankapfel in der Koalition ist der Nationale Klima- und Energieplan (NEKP). Österreich ist das einzige EU-Land, das noch keinen vorgelegt hat, weshalb die EU ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Bis Ende Juni muss nun der endgültige Plan an Brüssel übermittelt werden. Wie kann denn das noch gelingen?
Gewessler
Indem wir genau die Diskussion darüber führen, welche weiteren Maßnahmen wir noch brauchen, um die geforderten -Einsparungen zu erreichen. Denn im Entwurf haben wir hier noch eine Lücke, die es zu schließen gilt. Grundsätzlich sehen wir, dass die Maßnahmen, die wir gesetzt haben, wirken. Die Emissionen sinken substanziell. 2022 um mehr als fünf Prozent, 2023 ebenfalls. Aber im Entwurf gibt es noch eine Lücke, um die Ziele bis 2030 zu erreichen, und die möchte ich schließen.
Wenn die ÖVP nicht einmal dem vorigen Entwurf zustimmen wollte, der, wie Sie selbst sagen, die Ziele gar nicht
erreicht, wie soll die ÖVP da einem neuen Plan zustimmen, der ja noch viel weitreichendere Maßnahmen beinhalten muss?
Gewessler
Wir haben immer wieder über Maßnahmen diskutiert und noch einmal diskutiert und um Kompromisse gerungen. Gemeinsam mit der ÖVP haben wir in den letzten Jahren eine Vielzahl von Gesetzen beschlossen, wo man jetzt sehen kann: Sie wirken. Ich habe mir da einen Ruf für Hartnäckigkeit erarbeitet. Und ich werde auch hier dranbleiben.
Sie haben tatsächlich einiges weitergebracht. Sie haben die -Bepreisung und das Klimaticket eingeführt sowie üppige Förderungen für Erneuerbare Energien. Aber in jüngster Zeit hat man das Gefühl, der Motor stottert.
Gewessler
Dem möchte ich schon widersprechen. Wir haben erst vor wenigen Wochen den Netzinfrastrukturplan präsentiert. Wir haben kürzlich das Wasserstofffördergesetz mit 800 Millionen Euro für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ins Parlament geschickt. Da geschieht jetzt noch vieles. Ja, manche Dinge warten noch. Beim enorm wichtigen Elektrizitätswirtschaftsgesetz sind wir kurz vor der parlamentarischen Behandlung. Das Gasgesetz liegt schon im Parlament. Hätte ich das schon gern fertig? Sicher! Selbstverständlich bleiben wir auch da dran. Aber die Liste an Dingen, die auch dieses Jahr gelungen sind, ist lang.
Was Sie jetzt nicht erwähnt haben, ist das Klimaschutzgesetz, welches auch schon längst fällig ist. Haben Sie schon aufgegeben, dass das noch was wird in dieser Legislaturperiode?
Gewessler
Nein, natürlich nicht. Wenn es nach mir geht, können wir es morgen beschließen, es liegen ja Entwürfe vor. Ehrlich gesagt fehlt mir in der Zwischenzeit das Verständnis für die Blockadehaltung, die da aus Teilen des Landes kommt – gerade auch aus der Wirtschaftskammer. Ich habe das Gefühl, da geht es schon lang nicht mehr um irgendwelche Inhalte im Gesetz. Da geht es um Prinzipienreiterei. Es gibt hier destruktive Kräfte, die nicht wollen, dass wir weiterkommen. Das Paradoxe daran ist, dass wir die Gesetze, die in den einzelnen Sektoren dafür sorgen, dass die Emissionen sinken, ja längst beschlossen haben. Aber beim Klimaschutzgesetz, wo es darum geht, wie die unterschiedlichen Ebenen zusammenspielen, da spießt es sich. Da kann man schon die Vermutung haben, es spießt sich gerade bei denen, die keine Verantwortung übernehmen wollen.
Eine Auslegung, bei der immer das rauskommt, was die ÖVP gerne hätte, möchte ich schon hinterfragen.
Bundeskanzler Nehammer betont zwar immer wieder, dass Österreich ein Klimamusterland sei. Aber in seinem „Österreichplan“ etwa hat das Klima recht wenig Raum eingenommen. Stattdessen sollen Straßen ausgebaut und mit E-Fuels betriebene Autos gefördert werden. Teilweise widersprechen die Aussagen sogar dem Regierungsprogramm. Rufen Sie ihn bei solchen Gelegenheiten eigentlich an und fragen, was da los ist?
Gewessler
Er hat mit dem „Österreichplan“ als Bundesparteiobmann der ÖVP eine Rede gehalten, und da werde ich ihm nicht vorschreiben, was er sagen soll. Ich traue mich aus voller Überzeugung sagen, dass wir gemeinsam in den letzten viereinhalb Jahren mehr Klimaschutz gemacht haben als die 20 oder 30 Jahren davor. Ja, da haben wir uns manchmal auch zusammenraufen müssen. Denken Sie etwa an die -Bepreisung und den Klimabonus. Da haben wir lang diskutiert. Aber dass unsere Parteiprogramme unterschiedlich sind und die Grünen fürs Klima stehen, überrascht jetzt nicht.
Eine Maßnahme, die ebenfalls viel bringen würde, wäre Tempo 100. Wieso haben Sie sich nicht vehementer dafür eingesetzt?
Gewessler
Die Wissenschaft sagt uns sehr deutlich, dass das eine sinnvolle Maßnahme ist. Mehr Verkehrssicherheit, weniger Sprit- oder Stromverbrauch und damit auch mehr Klimaschutz. Aber wir haben in diesem Land vier Parteien, die explizit und aus voller Überzeugung Nein sagen. Das sind die ÖVP, die Sozialdemokratie, die Freiheitlichen und die NEOS. Ich sehe, dass ich für diese Maßnahme derzeit keine Mehrheit kriege, und halte es für vernünftiger, meine politische Energie dorthin leiten, wo ich etwas umsetzen kann.
Themenwechsel: Die OMV hat letzthin gewarnt, dass Gazprom die Gaslieferungen sehr bald einstellen könnte. Ende Dezember stammten 98 Prozent des Gases aus Russland. Warum gelingt es noch immer nicht, zwei Jahren nach Kriegsbeginn in der Ukraine, diese Abhängigkeit zu reduzieren?
Gewessler
Was wir hier sehen, ist ein Marktversagen. Wir haben in den letzten Jahren eine Vielzahl von Maßnahmen gesetzt, um die Energieversorgungsunternehmen zu unterstützen, den Ausstieg voranzutreiben. Das hat eine Zeit lang gut funktioniert, und die Anteile an russischem Gas sind runtergegangen. Aber seit Ende letzten Jahres sehen wir wieder einen Anstieg. Ich werde das nicht rechtfertigen oder schönreden. Das ist zu viel, und da müssen wir raus. Deswegen habe ich jetzt ein Gesetz vorgeschlagen mit einer Verpflichtung zur Gasdiversifizierung für Energieversorger. Es gibt die Mengen auf dem europäischen Markt, man muss sie nur kaufen. Das Gesetz liegt vor. Das ist jetzt die Nagelprobe für alle, die sagen, wir wollen raus aus russischem Gas.
Gemeinsam mit der ÖVP haben wir in den letzten Jahren eine Vielzahl von Gesetzen beschlossen, wo man jetzt sehen kann: Sie wirken.
Gibt es schon Gegenwind?
Gewessler
Wir haben viele Energieversorger, die im mehrheitlichen Eigentum von Bundesländern stehen. Und als ich mein Gesetz zur Gasdiversifizierung vorgeschlagen habe, war Wien das erste Bundesland, das gesagt hat: Bitte vielleicht doch nicht so schnell.
Eigentlich müsste Ihnen so ein Gaslieferstopp seitens Russland ja entgegenkommen.
Gewessler
Nein, auf die leichte Schulter möchte ich das nicht nehmen. Wladimir Putin hat uns 2022 schon einmal mit Gaslieferungen erpresst und die Preise angetrieben. Wir spüren die Nachwirkungen immer noch. Gas wird von ihm als Waffe eingesetzt. Die letzten Ankündigungen der OMV sind ein Weckruf für alle, um in der Diversifizierung weiterzukommen. Die Landes-Energieversorger können damit anfangen.
Tun sie das Ihrer Kenntnis nach?
Gewessler
Offensichtlich noch nicht genug, das zeigen uns die Zahlen. Deswegen ja auch mein Gesetzesvorschlag. Wenn der Markt versagt, dann muss der Staat eingreifen.
Sprechen wir noch kurz über den Herbst und die Nationalratswahlen: Werden die Grünen Teil der nächsten Regierung sein?
Gewessler
Ich werde alles dafür tun, damit das gelingt. Der Klimaschutz ist die größte Herausforderung, vor der wir stehen. Und es wäre wirklich vermessen, zu glauben, man hat das in einer Legislaturperiode gelöst. Ganz im Gegenteil, da haben wir noch viel zu tun. Da habe ich noch viel zu tun. Auch national ist es eine Richtungswahl: Geht dieses Land weiter in eine gute Zukunft oder werden die Putin-Freunde von der FPÖ noch mehr Einfluss in diesem Land haben?
Die Umfragen sprechen sehr dafür.
Gewessler
Deswegen werde ich in den nächsten Wochen und Monaten um jede einzelne Stimme rennen.
Und wenn es nicht reicht? Werden Sie dann Oppositionspolitikerin?
Gewessler
Ich habe immer gesagt, ich sehe mich nicht nur für eine Legislaturperiode in der Politik. Ich bin vor fünf Jahren als Quereinsteigerin gekommen und stehe jetzt hier als überzeugte Grüne. Ich werde auch in den nächsten fünf Jahren all meine Kraft für die wichtige Arbeit, die die Grünen machen, einsetzen. Wo auch immer ich das gut machen kann.
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Stand:
Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.
Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.