Chicago hat seit Langem ein großes Problem mit Waffengewalt. Weshalb wird die Klage jetzt eingebracht – und warum nur gegen Glock und nicht auch gegen andere Hersteller?
Gatewood
Sie haben Recht, Chicago hat eine lange Historie der Gewalt. Die Klage ist ein Schritt in die richtige Richtung, Hersteller zur Verantwortung zu ziehen. 1100 sichergestellte illegale Maschinenpistolen zeigen, dass es ein Problem gibt – Punkt eins. Punkt zwei: Wir arbeiten daran, Gewalt in der Stadt und in unserem Land einzudämmen. Nicht nur, indem wir auf lokaler und regionaler Ebene investieren, sondern auch durch Zusammenarbeit mit der Polizei. Den Hersteller zur Verantwortung zu ziehen, weil seine Waffen leicht modifizierbar sind, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wir ziehen aber auch jene Leute zur Verantwortung, die schießen. Die wichtigere Frage als „Warum jetzt?“ ist: „Warum nicht jetzt?“ Wir erleben ein Anwachsen der Waffengewalt in unserem Land. Wir wollen, dass das ein Beispiel für andere ist, die denselben Schaden erleiden.
Glauben Sie wirklich, dass Glock die Straßen von Chicago deutlich gefährlicher macht?
Gatewood
Ja. Aus einigen Gründen: durch das Design der Waffe, das diese leicht modifizierbar macht; durch das Wissen, das Glock in Bezug auf die leichte Modifizierbarkeit hat – und durch die Bedrohung, der unsere Gesetzeshüter dadurch ausgesetzt sind. Unsere Polizisten tragen ebenfalls Glocks, wenn sie auf die Straße gehen. Aber sie treten gegen modifizierte Glocks an, was sie in Gefahr bringt.
Welche Auswirkungen haben die umgebauten Glocks? Wie viele Vorfälle hat es damit gegeben?
Gatewood
Wir sind die Stadt Nummer eins in den USA in Bezug auf Massenschießereien. Wir vermuten, dass es erst vor ein paar Tagen wieder einen Vorfall mit einer Maschinenpistole mit einem Glock-„Switch“ gegeben hat. Die Klage ist einer der ersten Schritte in die richtige Richtung. Wir machen aber nicht nur auf den Hersteller aufmerksam, wir sehen auch, dass uns die Bundesregierung unterstützt mit Blick auf Opfer und Überlebende dieser Verbrechen – und wir ziehen auch die Täter zur Verantwortung.
Glock drückt nicht auf den Abzug und stellt auch nicht den „Switch“ – also den für die Modifikation notwendigen Zusatzteil – her. Warum sollte Glock haftbar sein?
Gatewood
Wir wissen, dass Waffen von Glock leicht modifizierbar sind und dass Glock das weiß. Wir haben eine explosionsartige Ausbreitung dieser modifizierten Glocks in unserem Land erlebt. Jeder, der ein Video dieser modifizierten Glocks sieht, erkennt, welchen Schaden sie verursachen können. Man sieht das Blutbad, das sie anrichten können. Wäre ich Glock, würde ich mir diesen Schaden ansehen. Das Leid, das verursacht wird. Die Gefahr, der die Bürger ausgesetzt sind. Wir müssen dafür sorgen, dass Glock aufhört, Profit über öffentliche Sicherheit und Schmerz zu stellen. Obwohl Glock den „Switch“ nicht selbst herstellt, weiß das Unternehmen genug darüber. In unserer Klage gibt es ein Foto von einem „Switch“, auf dem sogar das Glock-Logo zu sehen ist. Auch wenn sie ihn nicht selbst produzieren, ist es allgemein bekannt, dass der „Switch“ direkt auf ihre Waffe passt und diese in eine Maschinenpistole verwandelt. Es wäre dumm von uns zu glauben, dass Glock das nicht bewusst ist.
Falls Chicago gewinnt – mit wie viel Geld aus Strafen, Schadenersatz und anderen Zahlungen rechnen sie dann?
Gatewood
Über finanzielle Abhilfe hinaus versuchen wir mit der Klage, die Verbreitung dieser illegalen Maschinenpistolen in den Straßen von Chicago und anderer Städte des Landes zu stoppen.
Trotzdem wird in der Klage unter anderem eine Strafe von 10.000 Dollar gefordert – für jeden einzelnen Tag, an dem die potenziellen Verstöße fortgesetzt werden, und für jeden einzelnen Verstoß. Es geht also auch um einen beträchtlichen Geldbetrag – neben dem Umstand, dass in der Klage ein Verbot gefordert wird, die modifizierbaren Waffen auf dem zivilen Markt zu verkaufen.
Gatewood
Ja.
Kriminellen automatische Waffen wegzunehmen, während man ihnen halbautomatische (Anm.: zum Beispiel unmodifizierte Glock-Pistolen) belässt, wirkt bestenfalls wie ein Teillösung. Sollte der Zugang zu Schusswaffen generell stärker beschränkt werden?
Gatewood
Es wirkt wie eine Teillösung, weil es nur ein Teil von dem ist, was wir tun, um die Verbreitung von Waffen auf unseren Straßen zu stoppen. Wir ziehen alle gleichsam zur Verantwortung. Die Klage ist ein großer Schritt beim Versuch, die Verbreitung dieser speziellen Maschinenpistolen zu verhindern. Aber wir hören deshalb nicht mit unserer anderen Arbeit auf. Wir haben zwanzig Initiativen zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit gestartet – mit einem Fokus auf Waffengewalt, mit einem Fokus darauf, in Menschen zu investieren. Gleichzeitig ziehen wir aber auch Menschen zur Verantwortung. Die Klage ist nicht der einzige Teil unserer Arbeit, die Stadt sicherer zu machen und ein Beispiel für andere Städte in unserem Land zu geben.
Was genau macht Chicago, um die Wurzel vieler Formen von Kriminalität und Waffengewalt zu beseitigen – unter anderem soziales Ungleichgewicht, Arbeitslosigkeit, fehlende Zukunftsaussichten für Jugendliche?
Gatewood
Im Dezember haben wir einen Plan für kommunale Sicherheit vorgelegt, der die Wurzel des Problems bekämpften soll. Wir haben uns angesehen, wo die gewalttätigsten Gegenden der Stadt sind – und wo das höchste Level an De-Investitionen stattgefunden hat. In Chicago hat es zum Beispiel fünfzig Schulschließungen gegeben. Wir haben uns die De-Investitionen angesehen und einen Plan vorgelegt, der das Problem adressiert. Wir betrachten das Sicherheitsthema gesamthaft auf Basis verschiedener Faktoren: Bildung, Gesundheit, wirtschaftliche Chancen, Wohnen, Polizeiarbeit, kommunale Gewaltprävention. Wir sehen uns als Partner der Bevölkerung, die will, dass die Gewalt ein Ende hat und dass in die Bevölkerung investiert wird. Wir wissen, dass, wenn man in Menschen investiert, die Gewalt sinkt. Wir gehen das Problem gesamthaft an. Wenn wir die Wurzel des Problems nicht bekämpfen, führen wir dieses Gespräch in zehn Jahren wieder. Wir wollen die Wurzel des Problems angehen, Waffenhersteller zur Verantwortung ziehen und Menschen, die Gewalt verursachen, zur Verantwortung ziehen – um alle Ursachen des Problems auf einmal zu bekämpfen.
1996 verwendete die rechtspopulistische FPÖ den Slogan: „Wien darf nicht Chicago werden!“ Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen mit der aus Österreich stammenden Waffenfirma Glock – was halten Sie davon?
Gatewood
Es gibt viele unterschiedliche Meinungen über Chicago. Die Realität ist: Chicago ist eine starke Stadt. Chicago ist eine Stadt, die jene zur Verantwortung zieht, die Leid verursachen – und die gleichzeitig in Menschen investiert.
„Glock zur Verantwortung ziehen“
Vor vier Jahrzehnten starteten Pistolen aus dem Hause Glock ihren Siegeszug um die Welt. Heute nutzen zahlreiche Armeen und Polizeieinheiten den so begehrten wie umstrittenen Exportschlager aus Deutsch-Wagram in Niederösterreich. Und auch im Zivilbereich erfreuen sich die handlichen Waffen großer Beliebtheit. Doch nun deutet sich ausgerechnet auf dem wichtigsten Absatzmarkt – den USA – ein ernstes Problem an. Die Stadt Chicago hat Mitte März beim Bezirksgericht von Cook County im Bundesstaat Illinois eine Klage gegen die US-Tochter von Glock eingebracht (die Glock, Inc. im Bundesstaat Georgia gehört zu fünfzig Prozent der österreichischen Glock GmbH, wird aber zur Gänze in deren Konzernkreis einbezogen). Und einiges deutet darauf hin, dass sich Glock in den Vereinigten Staaten auf noch mehr Ungemach einstellen muss.
„Wir denken, das ist erst der Anfang eines breiteren Versuchs, Glock für seine Rolle bei der Verbreitung verbotener Maschinenpistolen in Chicago und quer durch die Vereinigten Staaten zur Verantwortung zu ziehen“, sagt Eric Tirschwell, Executive Director von „Everytown Law“, einer Organisation, die sich gegen Schusswaffen-Gewalt einsetzt. Der Rechtsexperte hat an der Klage der Stadt Chicago mitgearbeitet. Glock wisse, dass die vom Unternehmen produzierten Pistolen durch eine einfach durchzuführende Modifikation „auf einzigartige Weise anfällig dafür sind, von Kriminellen in illegale Maschinenpistolen verwandelt zu werden“, sagt Tirschwell im Gespräch mit profil. Technisch geht es dabei um einen sogenannten „Switch“ – also einen Schalter – der hinten an der Waffe angebracht wird und einen Teil des Auslösemechanismus so überbrückt, dass die Waffe in hohem Tempo feuert, solange der Abzug gedrückt bleibt und Patronen im Magazin sind. Aus der eigentlich halbautomatischen Pistole wird damit eine vollautomatische Waffe, die – so der Vorwurf – im zivilen Bereich in den USA jedoch verboten sei.
„Schalter“ aus dem 3D-Drucker
Glock stellt zwar diese „Schalter“ nicht selbst her. Das Unternehmen habe sich aber entschlossen, das Design der Waffen nicht entscheidend zu verändern, um den Umbau zu verhindern, lautet der Kernvorwurf. In der Klage geht Chicago davon aus, dass eine solche technische Veränderung ohne allzu große Probleme möglich wäre. Chicago wirft Glock nun vor, dies nicht zu tun, da Glock so mehr Waffen verkaufe.
Laut Klage könnten Kriminelle bereits für 20 bis 25 US-Dollar einen derartigen „Switch“ kaufen. Die Schalter würden teilweise mit dem 3D-Drucker hergestellt – auf Basis von im Internet abrufbaren Vorlagen. Der Einbau dauere nur ein paar Minuten. Auch dafür gebe es Anleitungen im Internet. „Wir sehen einen Tatort nach dem anderen, auf dem Dutzende Patronenhülsen sichergestellt werden“, sagt Tirschwell. Es sei fast unmöglich, eine derartige Waffe unter Kontrolle zu behalten, wenn sie vollautomatisch feuere. Das erhöht laut Klage auch das Risiko für unbeteiligte Dritte.
10.000 Dollar Strafe pro Tag
Die Klage zielt hauptsächlich darauf ab, den Verkauf leicht modifizierbarer Glock-Pistolen an Zivilisten zu untersagen. Darüber hinaus verlangt Chicago aber auch Schadenersatz und die Verhängung finanzieller Strafen, die sich – im Fall von fortgesetzten Verstößen – auf 10.000 US-Dollar pro Tag belaufen können. Tirschwell wagt zum jetzigen Zeitpunkt keine Schätzung, welches finanzielle Volumen hier zusammenkommen könnte: Das werde sich im Laufe des Gerichtsverfahrens zeigen.
Sollte Chicago Erfolg haben, dürfte allerdings noch deutlich mehr auf Glock zukommen. Die Generalstaatsanwälte von zwölf US-Bundesstaaten und Washington D.C. haben die US-Tochter der Waffenfirma per Brief aufgefordert, Dokumente und Unterlagen zu sichern, um diese gegebenenfalls später vorlegen zu können. Glock ließ eine Anfrage von profil bis Redaktionsschluss unbeantwortet.