Grasser: Die Buwog-Anklageschrift lässt viele Fragen unbeantwortet
Da wird’s eng. 16 Beschuldigte, noch einmal so viele Verteidiger (eher mehr), Sachverständige, Staatsanwälte, Schöffen, Richterin, Schreibkräfte, jede Menge Publikum. Der altehrwürdige große Schwurgerichtssaal im Landesgericht für Strafsachen Wien ist zwar sehr geräumig – so geräumig aber auch wieder nicht. Es könnte gut sein, dass für die Dauer des Prozesses ein adäquateres Ausweichquartier außerhalb des Grauen Hauses bezogen werden muss.
Das wird eng – für die Beschuldigten, aber auch für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Im Falle rechtskräftiger Verurteilungen könnten die Betroffenen Haftstrafen von bis zu zehn Jahren gewärtigen; im Falle von Freisprüchen aber hätten die Ankläger erheblichen Erklärungsbedarf. Schließlich haben sie bis heute fast sieben Jahre ge- und dabei erhebliche Ressourcen verbraucht, um die Anklageschrift auf den Weg zu bringen. Da wie dort geht es bei diesem Verfahren vor allem um eines: Glaubwürdigkeit.
Seit Donnerstag vergangener Woche ist es also offiziell: Die WKStA will zwei Geschäftsfälle aus der Ära Schwarz-Blau vor Gericht bringen: die Privatisierung der Bundeswohnbaugesellschaften (Buwog) 2004 sowie ein Immobiliengeschäft des Finanzministeriums (Terminal Tower) in Linz 2006. In beiden Fällen soll ein Grüppchen um den damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser (2000 bis 2007) die Hand aufgehalten und im Wege eines Geflechts aus Briefkästen und Konten in Zypern, den USA, Liechtenstein und der Schweiz insgesamt rund zehn Millionen an verdeckten Provisionen kassiert haben – was Grasser, dem rund 2,5 Millionen Euro „Bestechungsgeld“ zugerechnet werden, seit jeher mit aller Entschlossenheit bestreitet. Mit ihm angeklagt: die „Lobbyisten“ und einstmaligen Geschäftspartner Grassers, Peter Hochegger und Walter Meischberger (KHGs Trauzeuge), der Immobilienunternehmer Ernst Karl Plech, die früheren Immofinanz-Manager Karl Petrikovics und Christian Thornton, der Ex-Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank (RLB) Oberösterreich, Ludwig Scharinger, der amtierende RLB-Vorstandsdirektor Georg Starzer, dazu mehrere aktive und ehemalige Führungskräfte des Baukonzerns Porr, ein Salzburger Jurist, ein Schweizer Vermögensberater sowie jener Mann, dessen Aussagen 2009 gegenüber profil (Nr. 41/09 und 42/09) und der Justiz überhaupt erst den Anstoß für letztlich fast sieben Jahre teils ziemlicher holpriger Ermittlungsarbeit gegeben hatten: Michael Ramprecht, einst Grassers enger Vertrauter und Mitarbeiter in dessen Kabinett. Ramprecht hatte den Buwog-Deal in einem ausführlichen profil-Interview Anfang Oktober 2009 (Nr. 41/09 und 42/09) als „abgekartetes Spiel“ bezeichnet.
825 Seiten umfassende Anklage
Die Betroffenen werden sich – abgestuft – für mehrere vermutete Delikte verantworten müssen, sei es als Anstifter oder als Täter: Untreue, Bestechung, Bestechlichkeit, Beweismittelfälschung und (in einem Fall) Geldwäscherei. Die 825 Seiten umfassende Anklage ist allerdings nicht rechtskräftig. Die Beschuldigten werden diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beeinspruchen, mit einem Prozessbeginn vor 2017 ist eher nicht zu rechnen.
Die Anklageschrift liegt profil vollständig vor. Und sie lässt auf ein langes Verfahren schließen. Die WKStA will nicht weniger als 166 teils sehr prominente Zeugen laden, darunter den Industriellen (und früheren SPÖ-Finanzminister) Hannes Androsch, die Banker Gerhard Randa (einst Bank Austria, heute Sberbank), Guido Schmidt-Chiari (einst CA) und Julius Meinl, den früheren Linzer SPÖ-Bürgermeister Franz Dobusch, dessen Nachfolger Klaus Luger, Ex-Immofinanz-Chef Eduard Zehetner, Ex-Wienerberger-Chef Erhard Schaschl, ÖVP-Finanzstaatssekretär a. D. Alfred Finz sowie Ex-ÖIAG-Vorstand Peter Michaelis. Auffallend: Grassers Schwiegermutter Marina Giori-Lhota steht ebenso wenig auf der Zeugenliste wie Ehefrau Fiona. Dagegen soll der Wiener Rechtsanwalt Johannes Patzak geladen werden, der allerdings vor einem Jahr verstarb. Und das ist längst nicht die einzige Unschärfe in diesem Fall.
Die in dem Konvolut vorgebrachten Verdachtsmomente sind einerseits nicht neu und wiegen andererseits schwer. Es wird Aufgabe des Gerichts sein, die Beweise – vorwiegend Indizien – zu würdigen. Bis zu allfälligen rechtskräftigen Urteilen (die angesichts des schieren Umfangs des Verfahrens möglicherweise erst 2020 ergehen könnten) gilt für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung.
Die WKStA geht nunmehr davon aus, dass Grasser, Meischberger, Plech und Hochegger in zeitlicher Nähe zu KHGs Amtsantritt als Minister im Jahr 2000 einen gemeinsamen „Tatplan“ ausheckten – mit dem einzigen Ziel, „bei den anstehenden Verkaufsprozessen, Privatisierungen oder Auftragsvergaben der Republik Österreich Geld von Bietern und anderen Interessenten zu fordern, sich versprechen zu lassen und anzunehmen. Auf Basis der letztlichen Entscheidungsbefugnis Mag. Karl-Heinz Grassers und der dadurch für potentielle Bieter und Interessenten entstehenden Drucksituation wollten sie derart ohne aufwändige Arbeit zu vergleichsweise viel Geld kommen.“ Die Genannten haben das in der Vergangenheit immer wieder bestritten. Laut Staatsanwaltschaft sollte Grasser jedenfalls im Hintergrund bleiben und „selbst nicht in Kontakt zu Bietern, Interessenten etc. treten, jedoch die jeweiligen Amtsgeschäfte parteilich im Sinne Zahlungswilliger entscheiden und dafür Sorge tragen, dass solche parteilichen Entscheidungen auch tatsächlich getroffen werden konnten“.
Genau das soll auch geschehen sein. So etwa bei dem von Grasser verantworteten Buwog-Verkauf 2004 an ein Konsortium aus Immofinanz, Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, Oberösterreichische und Wiener Städtische Versicherung – in dessen Gefolge Grasser, Meischberger, Hochegger und Plech in Summe 9,91 Millionen Euro an „Provisionen“ zugegangen sein sollen; so auch bei der Einmietung der oberösterreichischen Finanzämter und Zollbehörden in den von Porr und Raiffeisen Oberösterreich errichteten Linzer Terminal Tower 2006, bei dem weitere 200.000 Euro geflossen sein sollen.
"Gezielte Einflussnahmen auf den Verfahrensablauf"
„Gemäß dem beschriebenen Tatplan sorgte Mag. Karl-Heinz Grasser bei beiden Projekten durch gezielte Einflussnahmen auf den Verfahrensablauf dafür, dass er nach Zusage der von ihm geforderten Bestechungszahlungen die gewünschte parteiliche Entscheidung treffen konnte. Tatplangemäß stellten Ing. Walter Meischberger, KR Ernst Plech und Dr. Peter Hochegger jeweils die Kontakte zu zahlungswilligen Interessenten her, dienten als Sprachrohre von … Grasser und kümmerten sich um die Weiterleitung benötigter Informationen sowie in der Folge um die Abwicklung der Geldflüsse.“
Bei der Skizzierung dieses „Tatplans“ stützen sich die Ankläger im Wesentlichen auf belastende Aussagen des früheren Kabinettschefs von FPÖ-Infrastrukturminister a. D. Michael Schmid, Willibald Berner. Dieser hatte bei einer Einvernahme 2009 von einem Treffen mit Hochegger im Jahr 2000 berichtet, in dessen Verlauf Hochegger das unmoralische Angebot gemacht haben soll, fortan gemeinsam an diversen Privatisierungsprojekten mitzunaschen. Berner lehnte nach eigener Darstellung ab. Hochegger bestreitet, das jemals auch nur angedeutet zu haben.
Die Fälle Buwog und Terminal Tower waren über Jahre Gegenstand extensiver medialer Berichterstattung, so auch in profil. Die Rekonstruktion der Vorgänge würde den Umfang dieser Ausgabe sprengen. Es gilt aber längst als gesichert, dass da wie dort Bemerkenswertes geschah. Belegt ist zum Beispiel, dass Walter Meischberger die Immofinanz (via Peter Hochegger) unmittelbar vor dem finalen Buwog-Zuschlag am 11. Juni 2004 mit einem entscheidenden „Tipp“ zur Angebotshöhe des letztlich unterlegenen Mitbewerbers CA Immo versorgte – was dazu führte, dass das Konsortium am Ende gerade einmal eine Million Euro mehr bot als die CA Immo. Woher Meischberger den Tipp hatte, konnte oder wollte er nicht sagen. Grasser bestreitet vehement, die Quelle gewesen zu sein. Belegt ist auch, dass die Immofinanz später auf Basis von Scheinrechnungen 9,91 Millionen an den Peter Hochegger zugerechneten Briefkasten Astropolis Investments Consulting Limited in Zypern überwies. „Die geforderten Bestechungszahlungen sollten über die zum Zwecke der Verschleierung geschaffenen, möglichst weitverzweigten Strukturen zwischen Mag. Karl-Heinz Grasser, Ing. Walter Meischberger, KR Ernst Plech und Dr. Peter Hochegger aufgeteilt werden“, schreibt die Staatsanwaltschaft. Die Genannten haben das stets in Abrede gestellt.
Hochegger behielt jedenfalls rund 2,2 Millionen Euro ein und leitete den Rest, 7,7 Millionen Euro, auf drei Bankkonten beim damaligen Liechtensteiner Ableger der Hypo Vorarlberg geführten Konten weiter, die alle von Walter Meischberger eingerichtet worden waren. Bei einem Konto (Nummer 400.815, besser bekannt als „Konto Walter“) soll niemand anderer als KHG der wirtschaftliche Berechtigte gewesen sein, wenn auch verdeckt. Grasser und Meischberger bestreiten das jedoch. Die Justiz geht davon aus, dass Grasser zwischen Jänner 2006 und November 2007 in Summe 2,5 Millionen Euro (2,44 Millionen Euro aus dem Buwog-Geschäft und weitere 56.980 Euro aus dem „Terminal Tower“-Komplex) via „Konto Walter“ kassierte. Dass dieses Konto von Meischberger bereits 2001, also Jahre vorher, eingerichtet worden war, erklärt die Anklagebehörde nun ebenfalls mit dem „Tatplan“: „Wenngleich dieses Konto für die Abwicklung von Bestechungszahlungen für Mag. Karl-Heinz Grasser dienen sollte, wurde es vorerst von Ing. Walter Meischberger für seinen eigenen Zahlungsverkehr verwendet, weil eine Schließung wegen nicht erfolgter Benutzung bis zum Eingang der Jahre später erwarteten Bestechungszahlungen vermieden werden sollte.“
Querverbindungen
Dieses Konto ist letztlich der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Affäre. Obwohl auch sieben Jahre nach der Einleitung der Ermittlungen nicht bewiesen werden kann, dass es Grasser gehörte, stellt die Justiz Querverbindungen her. So zum Beispiel die auffallende zeitliche Nähe zwischen späteren Barabhebungen in Liechtenstein (durch Meischberger respektive den vertrauten Banker Christoph W.) und Einzahlungen auf Grassers österreichische Konten durch KHG selbst. „Es zeigt sich …, dass nach den erfolgten Barbehebungen vom Konto ,400.815‘ im Abstand von bloß einigen Tagen Einzahlungen auf den österreichischen Privatkonten Mag. Karl-Heinz Grassers erfolgten.“ Tatsächlich gelang es Grasser im Verlauf der Ermittlungen nicht, diese Einzahlungen zur Gänze zu plausibilisieren. Den behördlichen Recherchen zufolge soll Meischberger das Geld mittels „Werttransport“ mehrfach von Liechtenstein nach Wien beordert und Grasser hier bar „überbracht“ haben. Ein weiteres Indiz: Auf einem dem Konto 400.815 zugeordneten Wertpapierdepot wurden zwischen 2006 und 2008 Aktien mehrerer börsennotierter Gesellschaften ge- und wieder verkauft, zu welchen Grasser irgendwann ein berufliches Naheverhältnis hatte: Magna, C-Quadrat, Meinl International Power.
Im September/Oktober 2009 schließlich – kurz zuvor waren erste Hinweise zu Unregelmäßigkeiten beim Buwog-Deal öffentlich geworden (Hochegger und Meischberger hatten ihre steuerfreien Provisionen daraufhin selbst angezeigt) – sollen Grasser, Meischberger und Plech begonnen haben, Spuren zu verwischen. So sollen damals mehrere teils rückdatierte Verträge angefertigt und Aussagen abgestimmt worden sein, und zwar unter Einbindung eines nunmehr ebenfalls beschuldigten Salzburger Juristen. An einer Sitzung im Oktober 2009 nahm obendrein Wolfgang Brandstetter teil, damals Rechtsberater von Karl Petrikovics, heute Justizminister. Dazu heißt es in der Anklageschrift etwa: „Am 05.10.2009 kam es schließlich … zu einer rund vierstündigen Besprechung, an der Mag. Karl-Heinz Grasser, Ing. Walter Meischberger, KR Ernst Plech, Dr. Wolfgang Brandstetter und Dr. (Anm.: der beschuldigte Jurist) selbst teilnahmen … Dabei wurde vor allem besprochen, wie man die geleisteten Zahlungen im Rahmen des Verkaufs der Bundeswohnbaugesellschaften anders darstellen bzw. gar rechtfertigen könnte. Klar war aufgrund der Selbstanzeige nur, dass Ing. Walter Meischberger auch die Verantwortung für die Anteile von Mag. Karl-Heinz Grasser und KR Ernst Plech übernehmen musste … . Dr. Wolfgang Brandstetter nahm insbesondere zu strafrechtlichen Auslegungsfragen Stellung und sollte das Aussageverhalten von MMag. Dr. Karl Petrikovics dahingehend abstimmen, dass dieser Ing. Walter Meischberger nicht kennen würde und es zwischen beiden keine Kontakte gegeben hätte. … In der Conclusio kamen die Besprechungsteilnehmer überein, dass man insbesondere die geringe Differenz der Bietsummen beim Verkauf der Bundeswohnbaugesellschaften so darstellen sollte, dass sich wohl ein Mitarbeiter ,beim Bier verredet‘ hätte.“
Dass Brandstetter dabei den Bogen rechtlicher Beratung überspannt hätte, ist durch nichts belegt und wird auch von der WKStA nicht behauptet. Der Minister ist auch nicht als Zeuge vorgesehen.
„Grundsätzlich ist zu den von dieser Anklageschrift erfassten strafbaren Handlungen auszuführen, dass die Angeklagten die … angelasteten Taten leugneten, wobei sie ihre Verantwortungen teilweise innerhalb ein und derselben Vernehmung abänderten und dem jeweiligen Kenntnisstand der Ermittlungsbehörden anpassten“, schreiben die Staatsanwälte Gerald Denk und Alexander Marchart abschließend. „Insgesamt werden die Angeklagten im Anbetracht der ihnen in dieser Anklageschrift zur Last gelegten strafbaren Handlungen durch die geschilderten Abläufe in ihrer Gesamtheit belastet, sodass ihre leugnenden und abschwächenden Angaben als bloße Schutzbehauptungen anzusehen sind.“
Wie schon gesagt: Wirklich bewiesen ist damit nichts. Unter der Annahme, dass nicht einer der Beschuldigten im Verlauf des Prozesses ein verwertbares Geständnis ablegt, wird das Gericht auf Basis von Indizien zu urteilen haben. Und das kann so oder so ausgehen.