Wo und wie bestellt man eigentlich einen Grenzzaun?
Einkaufsliste für Grenzsicherung: 2.706.000 Lfm. Maschengeflecht 1.082.400 Stk. Gittermatten (alternativ) 1.353.000 Stk. Pfosten 2.706.000 Lfm. Natodraht x Tore für Fußgänger (Anz. dzt. unbekannt) x Tore für Fahrzeuge (Anz. dzt. unbekannt) Diverses: Beleuchtung, Markierungen, Überwachungskameras, etc. (Anz. dzt. unbekannt)
Dieser Tage ist viel von Zäunen die Rede. „Grenzzäunen“ im Konkreten. Wiewohl. Der Begriff ist ein Pleonasmus. Zäune ziehen immer Grenzen. „Ein Zaun ist eine Form der Einfriedung, die dazu bestimmt ist, ein Grundstück ganz oder teilweise zu umschließen und nach außen abzuschirmen, um unbefugtes Betreten oder Verlassen oder sonstige störende Einwirkungen abzuwehren“, definiert etwa das Online-Lexikon Wikipedia.
Sei’s drum.
Grenzzäune also. Man mag sie nur nicht so gerne so nennen. Von „festen, technischen Sperren mehrere Kilometer rechts und links des Grenzübergangs“ sprach Innenministerin Johanna Mikl-Leitner anlässlich ihres Besuches im steirischen Spielfeld vergangenen Dienstag. Bundeskanzler Werner Faymann erkennt in der Beschreibung ein „Türl mit Seitenteilen“. Warum nicht beim Namen nennen? „Natürlich geht es auch um einen Zaun“, präzisierte Mikl-Leitner wenig später. Der Applaus der FPÖ – von Heinz-Christian Strache abwärts bekanntermaßen große Freunde von Grenzzäunen – war ihr damit sicher. Der neue oberösterreichische FP-Sicherheitslandesrat Elmar Podgorschek, kaum angelobt, fiel vorvergangenes Wochenende nicht etwa mit einem neuen, durchdachten Konzept auf, um den Zustrom der Flüchtlinge menschenwürdig und mit geordneten Abläufen zu begegnen, sondern – erraten – mit der Forderung nach dem Bau von Grenzzäunen. Damit müsse am Besten sofort begonnen werden. „Denn immerhin dauert es ja auch eine gewisse Zeit, bis Österreich die Grenzen – immerhin über 2500 Kilometer zu den Nachbarländern – mittels Zäunen sichern kann. Die Realisierung dauert mit Sicherheit Wochen, wenn nicht sogar Monate“, stellte Podgorschek mit einer gewissen Weitsicht fest.
Wo sollen die Zäune errichtet werden? Und was kostet das alles?
Doch wo bekommt man die Zäune eigentlich her? In den heimischen Baumärkten wird man mit einem solchen Begehr wohl nur irritierte Blicke ernten. Wie lange dauert es tatsächlich, bis sie aufgestellt sind? Was braucht es dazu? Die eingangs von profil entworfene Einkaufsliste für eine Totaleinzäunung Österreichs ist ein – nicht ganz ernst gemeinter – Annäherungswert. Wo sollen die Zäune errichtet werden? Und was kostet das alles?
Fragen, die man im Innenministerium derzeit weder beantworten kann noch will. Man würde gegebenenfalls wohl die Bundesbeschaffungsgesellschaft (BBG) beauftragen, lässt man wissen.
Anruf bei der BBG: „Grenzzäune haben wir nicht im Portfolio“, sagt Uwe Flach, Bereichsleiter für Marketing und Beratung. Gemäß Bundesvergabegesetz kümmert sich die BBG seit dem Jahr 2001 möglichst budgetschonend um die Einkaufsaktivitäten der öffentlichen Verwaltung. Also Bund, Länder und Gemeinden – aber auch nachgeordnete Unternehmen und Institutionen wie Bundesforste, Asfinag, Universitäten oder Krankenanstalten. Sie ist der Einkäufer der öffentlichen Hand. Weil die benötigten Güter und Dienstleistungen nicht einzeln sondern gebündelt erworben werden, gibt’s Mengenrabatt. Im Durchschnitt sind damit Preisnachlässe in Höhe von 20 Prozent erzielbar. Üblicherweise haben es die Einkäufer der BBG mit recht unspektakulären Dingen zu tun. Büromaterial, Computer, Fahrzeuge, Energieversorgung. Hin und wieder gibt es jedoch auch herausforderndere Aufträge. Wie etwa vor ein paar Jahren, als Hunderte elektronische Fußfesseln beschafft werden mussten.
Kilometerlange Grenzzäune, so viel kann man sagen, fallen ebenfalls unter die Kategorie „herausfordernd“. „Wir müssten zuerst eine Marktanalyse machen. Welche Struktur hat der Anbietermarkt? Wer sind die Anbieter? Zu welchen Konditionen können sie liefern?“, erklärt Flach. Das kann dauern. Dazu brauche man detaillierte Informationen, was genau in welcher Menge benötigt werde. „Wir haben vom Innenministerium jedoch weder Informationen bekommen, noch liegt eine Anfrage vor“, so Flach. Dazu kommt: Aufträge mit einem Volumen von über 100.000 Euro müssen öffentlich ausgeschrieben werden. Aber auch dafür braucht es eine genaue Spezifikation der gewünschten Güter, um Bieter einladen und ein vordefiniertes Auswahlverfahren durchführen zu können.
Obwohl: Ganz so streng wird das auch wieder nicht gesehen. Im Sommer beauftragte das Innenministerium ein niederösterreichisches Unternehmen mit der Lieferung von 700 Wohncontainern für Asylwerber. Kostenpunkt: sieben Millionen Euro (Anmerkung: In einer früheren Fassung wurde der Kostenpunkt fälschlicherweise mit zwölf Millionen Euro beziffert). Ausschreibung gab es keine. Ministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck erklärte dies damals mit der Dringlichkeit, die eine möglichst rasche Auslieferung notwendig gemacht und keine Zeit für einen Ausschreibungsprozess gelassen habe.
Der kleinteilig strukturierte Markt der österreichischen Zaunhersteller widmet sich vorwiegend der Umzingelung heimischer Gärten.
Während die BBG – wiewohl jederzeit bereit, mit der Recherche zu beginnen, wie Uwe Flach versichert – noch im Dunkeln tappt, hat sich profil schon einmal umgehört.
Der kleinteilig strukturierte Markt der österreichischen Zaunhersteller widmet sich vorwiegend der Umzingelung heimischer Gärten. Jene, die auch halbwegs adäquate Hochsicherheitszäune im Programm haben, bitten darum, ihren Namen nicht zu nennen. Es scheint nicht wahnsinnig prestigeträchtig zu sein, Grenzsperren zu errichten. Und Hochsicherheitszäune in rauen Mengen könne man mittelfristig ohnehin nicht liefern, so der Tenor.
Etwas auskunftsfreudiger ist Helmut Ortler. Der 43-Jährige ist Geschäftsführer von Geo-Alpinbau, ein auf schwieriges Terrain spezialisiertes Bauunternehmen mit Sitz in Mils bei Imst. Sein Tagesgeschäft: Felssicherungen, Lawinenverbauungen, Aussichtsplattformen, Speicherteiche. Kurz alles, wo andere Baufirmen aufgrund unwegsamen Geländes an ihre Grenzen stoßen. Im Frühjahr sorgte Ortler mit dafür, dass das Areal um den G7-Gipfel im bayerischen Schloss Elmau zum weiträumigen Hochsicherheitstrakt wurde. Geo-Alpin lieferte und errichtete einen Spezialzaun, dem eine monatelange Entwicklungsphase vorangegangen war. „Wir haben sechs unterschiedlich ausgestaltete Muster aufgebaut, die von der Polizei erprobt wurden“, erzählt Ortler. 20 Mann, top trainiert, rannten gegen den drei Meter hohen Zaun an, versuchten ihn zu überwinden. Der Versuch misslang gründlich; und Ortler war im Geschäft. Der 7,7 Kilometer lange Zaun schützte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und ihre sechs Staatsgäste wie US-Präsident Barack Obama vor gewaltbereiten Demonstranten.
Dabei war das Teil eine recht schlanke Konstruktion: Zwischen Stangen, die nur mit Erdanker, ohne Betonfundament, positioniert wurden, wurde dicker Maschendraht eingehängt, wie er sonst Autofahrer vor Steinschlag schützt. Lange Stahlseile, durch Kopf- und Fußteil gezogen, sorgten für eine gewisse Stabilität. „Versucht man jedoch diesen Zaun zu besteigen, schwankt er stark hin und her. Da muss man schon Spitzensportler sein, um drüberzukommen“, erklärt Ortler. Auch das österreichische Innenministerium fand Gefallen an dem Zaun. Beim im Juni stattgefundenen Bilderberg-Treffen in Telfs kam er auf einer Länge von 1,4 Kilometern ebenfalls zum Einsatz.
Doch lässt sich der Zaun auch auf einer längeren Distanz aufstellen? Über die gesamte Länge der Staatsgrenze mit Slowenien etwa? Immerhin 330 Kilometer.
Oder kann man sogar ganz Österreich mit seinen Außengrenzen von exakt 2706 Kilometern (ohne Bodensee), wie von FP-Landesrat Podgorschek gefordert, komplett einzäunen? „Möglich ist alles“, meint Ortler. „Das ist lediglich eine Zeit- und Geldfrage.“ Auf rund 100.000 Euro pro Kilometer kommt der Geo-Alpin-Zaun. Eine Partie von sechs Mann braucht etwa eine Woche um ihn auf dieser Länge aufzustellen. Das wären dann 33 Millionen Euro, um sich gegen Slowenien abzuschirmen. Für ganz Österreich: rund 270 Millionen.
Aber Achtung: Dabei handelt es sich lediglich um die Kosten für den Zaun. Und der ist nur Grundausstattung. Das Teil muss ja auch bewacht werden. Im bayerischen Elmau sicherten Tausende Polizisten im Schichtdienst ein Gebiet von viereinhalb Quadratkilometern. Will man möglichst hermetisch abriegeln, braucht es etwa auch einen Unterkriechschutz der mindestens 40 Zentimeter ins Erdreich ragen sollte. Dazu Überwachungskameras, Bewegungsmelder, Stacheldraht. Tore, um Fußgänger und Fahrzeuge passieren lassen zu können. Der unüberwindbare Zaun existiert nicht. Es lässt sich bloß sein Widerstandswert erhöhen. Ein Vergleichswert, angegeben in Minuten, die eine mechanische Schutzeinrichtung einem gewaltsamen Angriff Widerstand entgegensetzt.
Doch eine solche Aufrüstung kostet. Ungarn etwa hatte für seinen 175 Kilometer langen Zaun zu Serbien ursprünglich 21 Millionen Euro budgetiert. Tatsächlich beliefen sich die Kosten auf 94 Millionen (über 530.000 Euro pro Kilometer). Dafür gab es einen vier Meter hohen Maschendrahtzaun mit Betonfundament, Stahlgestänge, Natodraht (eine perfide Weiterentwicklung des Stacheldrahts mit messerscharfen Klingen) an der Spitze und am Fuß.
Letzteres begehrte auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Doch schon die Ungarn hatten mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen. Der deutsche Drahtgroßhändler Mutanox, der unter unter anderen auch die Justizanstalten Josefstadt und Favoriten mit Natodraht ausstattete, verweigerte die Lieferung.
Einer der größten Hersteller Europas ist das spanische Unternehmen European Security Fencing (ESF). Sein für Grenzanlagen beliebtestes Modell die „Concertina 22“. Die Zahl steht für die Länge der Klingen in Millimetern. Zwischen vier und fünf Euro pro Laufmeter sind dafür hinzublättern. Die tägliche Produktionskapazität des Unternehmens liegt bei zehn Laufkilometern. Ginge es nach Strache könnten die Spanier die Maschinen wohl schon mal anwerfen.
Menschen, die auf ihrer Flucht bereits Tausende Kilometer hinter sich gebracht haben, werden sich davon nicht aufhalten lassen und ein paar Schritte weiter gehen.
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid wurde für seine „absurde Rechnung“ verhöhnt, als er die Kosten für einen Grenzzaun rund um Österreich mit 13,5 Milliarden Euro bezifferte. Doch Schmid hatte mit der Luxusvariante kalkuliert: Doppelstahlzäune von sechs Metern Höhe, mehrere Zaunreihen, Natodraht an der Oberkante, Wachtürme, Scheinwerfer, Bewegungsmelder, Stolperdrähte, Infrarotkameras. Genauso, wie sie um die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Afrika gebaut wurden. Über 100 Millionen Euro haben Spanien und die EU in den Ausbau dieser 20 Kilometer langen Anlage gebuttert. Ergibt einen Kilometerpreis von über fünf Millionen Euro.
Stellt sich noch die Frage, wo der Grenzzaun eigentlich aufgestellt werden soll? Direkt an der Grenzlinie, oder weiter im Landesinneren. An der Grenze zu Slowenien gilt eine Bauverbotszone von einem Meter. Über Ausnahmen kann im Einvernehmen mit der Grenzkommission (untersteht dem Wissenschaftsministerium) entschieden werden. „Wir wurden diesbezüglich nicht kontaktiert“, sagt Sprecher Volker Hollenstein. Dazu kommt: sollte der Zaun auf Grundstücken privater Eigentümer errichtet werden, müssten diese entschädigt werden. Auf Eigentümer mit denen kein Konsens herzustellen sei, würden wohl Enteignungsverfahren zukommen, vermutet der Grazer Rechtsanwalt Alexander Singer.
Aber noch ist ja gar nicht definiert, wie lang der von Mikl-Leitner geplante Grenzzaun tatsächlich werden soll. Zuletzt war von gerade einmal fünf Kilometern die Rede. Da stellt sich wohl sogar für Zaunbefürworter die Sinnfrage. Menschen, die auf ihrer Flucht bereits Tausende Kilometer hinter sich gebracht haben, werden sich davon nicht aufhalten lassen und ein paar Schritte weiter gehen. Damit wird das Problem nur verlagert. Die Tourismusorte an der nur wenige Kilometer weiter westlich liegenden südsteirischen Weinstraße werden auch nicht viel Freude haben, wenn sich die Migrationsströme dorthin bewegen. Richtung Osten bildet die Mur die natürliche Grenze. Aber glaubt jemand ernsthaft, Flüchtlinge, die ihr Leben im Mittelmeer auf kleinen Schlauchbooten riskiert haben, würden sich von einem 80 Meter breiten Fluss abhalten lassen?
Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, subsummierte die noch wenig konkreten Pläne vergangene Woche im Interview mit profil online so: „Eine Sperre kostet viel Geld und ist wirkungslos, außer, dass die Menschen rundherum laufen werden. Ein Zaun ist nur dann eine wirksame, wenn auch menschenrechtlich skandalöse Maßnahme, wenn er mit Waffengewalt verteidigt wird.“