Struktur des Erdkerns.

Hitzestau: Eine Erkundung der Welt der Geothermie

Unter der Erde ist es sehr heiß. Damit müsste sich doch jede Menge CO2-neutrale Energie gewinnen lassen, die es im Kampf gegen die Klimakrise dringend braucht.

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Wer kennt ihn nicht, den Querschnitt der Erde, wie er in jedem Geografie-Schulbuch abgebildet ist? Der Planet ist zwar ein blauer, aber nur von außen. Nicht weit unter der Oberfläche wird es rot. Und Richtung Erdkern immer röter.

Der Planet ist heiß. Sehr heiß. In Zahlen ausgedrückt: 99 Prozent des Globus – wenn man sein Volumen betrachtet, also den gesamten Ball – sind heißer als 1000 Grad Celsius. Vom verbliebenen Prozent sind immer noch 90 Prozent heißer als 100 Grad. Bohrt man beispielsweise in Österreich unter die Erde (je nach der Bodenbeschaffenheit ist es von Land zu Land leicht unterschiedlich), dann wird es alle 100 Meter um drei Grad wärmer.

Da müsste sich doch jede Menge Energie gewinnen lassen. Energie aus dem Untergrund, aus der Hitze der Erde. Energie, die klimafreundlich ist, weil zu ihrer Erzeugung keine fossilen Brennstoffe verheizt werden müssen. Energie, die es dringend braucht – zum Heizen und Kühlen von Häusern, für die Industrie, zur Fortbewegung –, wenn die Weltgesellschaft die Erderwärmung im Zaum halten und die Klimakatastrophe noch abwenden will.

Was bisher in der Energiebranche eher als Nischenthema galt, gewinnt gerade stark an Bedeutung: die Geothermie, also Erdwärme. In den Konzepten und Debatten rund um die Energiewende – die Umstellung von der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas hin zur Erneuerbaren Energiegewinnung etwa aus Windkraft, Sonnenkraft und Biomasse – wird der Stellenwert der Geothermie ständig größer. 

Vor allem in den Bereichen Heizen, Kühlen und Warmwasser (das sind Sektoren, in die in Österreich rund 37 Prozent der gesamten Energie fließen) wird der Geothermie großes Potenzial zugeschrieben. „Bis zum Jahr 2050 könnte ein Viertel der europäischen Bevölkerung ihre Arbeitsstätten, Häuser und Wohnungen klimafreundlich mit Erdwärme heizen oder kühlen“, sagt Gregor Götzl, Geothermie-Experte von der Wiener Geologischen Bundesanstalt. Momentan sind es nur rund zwei Prozent. Hier schlummern also gewaltige Chancen für Ökologisierung. 

In gewisser Weise gibt es die Geothermie bereits seit Jahrtausenden. Schon die alten Römer betrieben ihre Thermalbäder mit Erdwärme; in Zentralfrankreich geht ein geothermisches Nahwärmenetz, das die Kirche, Wohnhäuser und Fellgerbereien beheizte, auf das 14. Jahrhundert zurück. Doch die hohe Zeit der Geothermie könnte noch bevorstehen.

Auch in Österreich. Derzeit liefert die Geothermie laut dem heimischen Dachverband der Erneuerbaren Energien zwar nur 2,5 Prozent der österreichischen Wärme. Doch manche Gebiete – etwa das oberösterreichische Hausruckviertel, die östliche Steiermark und insbesondere die Gegend um Wien – gelten als besonders geeignet. „Wir bemerken ein stark wachsendes Interesse an Geothermie seit einigen Jahren“, sagt Peter Seifert, Chef des Verbands Geothermie Österreich.  

Ob bei Betriebsbesitzern, städtischen Immobilienentwicklern oder klassischen Hausbauern auf dem Land – ein stärkeres Bewusstsein für die Klimakrise in Verbindung mit hohen und stark schwankenden Energiepreisen bei fossilen Brennstoffen sorgt für steigendes Interesse.

Und wie funktioniert so eine Anlage? Das zeigt ein Besuch im Garten der Geologischen Bundesanstalt in Wien-Landstraße, wo im Jahr 2019 zu Forschungszwecken eine sogenannte Erdwärmesonde installiert wurde. Es handelt sich um eine von mehreren Arten der Geothermie, eine ziemlich gängige, wie sie häufig zum Heizen und Kühlen von Bürogebäuden und Einfamilienhäusern verwendet wird.

Aus einem Kanaldeckel im Gras lugen zwei in Beton gefasste Kunststoffrohre. In 80 Meter Tiefe sind sie u-förmig miteinander verbunden. Durch diese Rohre wird eine Flüssigkeit geleitet, Wasser mit Frostschutzmittel. In der Tiefe erhitzt sich das Gemisch wegen der Wärme des umliegenden Gesteins und Grundwassers. Dann macht es die Kurve, wird wieder hinaufgepumpt. Oben kommt die Wärme dann – zusätzlich erhitzt durch eine elektrische Wärmepumpe – etwa einer Heizung zugute. Wieder abgekühlt, geht die Flüssigkeit erneut nach unten, um sich neuerlich zu erwärmen. Sie fließt also ständig im Kreis, ohne das Rohrsystem zu verlassen: ein geschlossener Kreislauf.

Drei solcher Löcher, also drei Erdwärmesonden, „können ein durchschnittlich isoliertes Einfamilienhaus beheizen“, erklärt Experte Götzl. Die Kosten für die Errichtung einer derartigen Anlage fallen mit insgesamt knapp 15.000 Euro zwar hoch aus, etwa im Vergleich zu einer Gastherme.

Allerdings ist die gewonnene Energie billig; zudem ist die Anlage klimafreundlich, wartungsarm und hält Jahrzehnte. Und der Immobilienbesitzer ist unabhängig von großen Versorgungsnetzen, genauso wie von Preisexzessen bei fossilen Energien – etwa 
infolge von Konflikten, so wie derzeit zwischen Russland und der Ukraine.

Geothermie muss aber nicht nur Hausbauer interessieren. Auf eine Anwendung im weit größeren Stil hofft die Wien Energie, der städtische Energieversorger, der das Fernwärmenetz der Hauptstadt betreibt. Dieses ist mit mehr als 400.000 Anschlüssen eines der längsten Europas; Geothermie jedoch spielt darin bisher fast keine Rolle. Nun soll sich Wiens Fernwärme bis zum Jahr 2040 zu 28 Prozent aus Erdwärme speisen. „Geothermie wird bei der Fernwärme enorm wichtig“, sagt Michael Strebl, Geschäftsführer der Wien Energie.

Zu diesem Zweck führte das Unternehmen viel beachtete Experimente durch. In den vergangenen Jahren kurvten Lkw mit breiten Reifen durch die Stadt, die unten eine Art Rüttelvorrichtung montiert hatten. Die Bewegung dieser Apparate schickte Schallwellen in den Untergrund. 

Solcherart wurde ein dreidimensionales Bild des Wiener Untergrunds erstellt – um zu erkennen, wo sich unterirdische Heißwasservorkommen befinden.

Die Art von Geothermie, die für die Fernwärme notwendig ist, unterscheidet sich deutlich von Erdwärmesonden wie in der Geologischen Bundesanstalt. Bei Letzteren bohrt man einige Dutzend Meter tief, bei Fernwärme-Geothermie sind es einige Tausend. 

Während sich Erdwärmesonden fast überall installieren lassen, muss man nach Geothermie, die sich für Fernwärme eignet, sorgfältig suchen. Für sie braucht es unterirdisches Heißwasser mit hohen Temperaturen, das es zunächst aufzuspüren gilt. Eben diese Suche war in Wien im vergangenen Dezember dank des 3D-Seismik-Verfahrens erstmals von Erfolg gekrönt. Bei einem Test am nordöstlichen Stadtrand stieß man in drei Kilometer Tiefe auf bis zu 100 Grad heißes Wasser im Gestein, das sogenannte „Aderklaaer Konglomerat“.

Im Lauf des heurigen Jahres werde man nun über den Bau erster Geothermie-Anlagen entscheiden, sagt Wien-Energie-Chef Strebl. Bis zum Jahr 2025 hat Wien Energie knapp 1,3 Milliarden Euro für Klimaschutzinvestitionen bereitgestellt, die unter anderem in den Geothermie-Ausbau fließen werden. 

Solch hohe Summen wird es brauchen. Denn die Geothermie hat, vor allem bei großen Tiefen, einen Nachteil: enorme Errichtungskosten. Ein Loch mit einigen Kilometer Tiefe zu bohren, kostet Millionen Euro. Und da muss zuvor die aufwendige Suche nach Heißwasser bereits erfolgt sein. 

Ein junges Kleinunternehmen aus Wien glaubt, eine teilweise Lösung für dieses Kostenproblem gefunden zu haben. Die Greenwell Energy GmbH wurde im Jahr 2018 von einer Marketingexpertin, einem Erdölingenieur und einem Umwelttechniker gegründet. Die beiden Letzteren hatten zuvor bei der OMV und dem US-Konzern Halliburton gearbeitet.

Das Geschäftsmodell von Greenwell: Man rüstet aufgelassene Ölbohrlöcher, die nichts mehr abwerfen, auf Geothermie um. Danach vermietet Greenwell die Anlagen an landwirtschaftliche Betriebe, die damit Gewächshäuser beheizen. Rund um Wien und in Oberösterreich gebe es rund 850 Bohrlöcher, erklärt Greenwell-Gründer Robert Philipp, „und ungefähr jedes dritte eignet sich für geothermische Anwendungen“.

Der große Vorteil daran ist die Kostenersparnis. Die Bohrlöcher existieren bereits ebenso wie umfangreiche Daten aus der Ölindustrie, die bei jedem Loch Aufschluss über die Temperatur unter der Erde geben. „Es ergibt doch keinen Sinn, Bohrlöcher zuzuschütten, die teures Geld gekostet haben“, sagt Philipp, „wenn sie uns heute CO2-freie Energie liefern können.“

In den kommenden zehn bis 15 Jahren will Greenwell rund 1000 Anlagen installieren. Doch der Weg ist lang. Bislang wurde erst ein einziges Bohrloch von Greenwell auf Geothermie umgerüstet, und das nicht in Österreich, sondern im tschechischen Dorf Hrušky nahe der österreichischen Grenze.

Warum Tschechien? Es hängt mit Haftungen zusammen. Im Gegensatz zu Tschechien haftet laut österreichischer Rechtslage weiterhin der jeweilige Ölkonzern für ein Bohrloch, selbst wenn es längst anderen Zwecken dient. „Natürlich wollen Ölkonzerne in Österreich nicht für Projekte haften, die gar nicht ihre sind“, sagt Philipp. Die Haftungsfrage ist nur eine von vielen rechtlichen Hindernissen auf dem Weg zu mehr Geothermie. 

Überhaupt sind die Hürden zahlreich. Soll man die Klimaziele erreichen, müsste sich der Geothermie-Markt in Österreich ungefähr verzehnfachen. Dazu fehlen momentan nicht nur geeignete Gesetze, sondern auch bürokratische und behördliche Voraussetzungen, einschlägig ausgebildete Fachkräfte und ein passendes System an Förderungen.

Ein Beispiel: Wenn ein Hausbesitzer eine Geothermie-Anlage errichten will, muss er gleich drei Dienstleister finden: da wäre ein Installateur mit Geothermie-Erfahrung, ein Bohrunternehmen und ein geologisches Büro, das ein Gutachten für die Wasserrechtsbehörde erstellt.

„Zu viel Aufwand“, sagt Gregor Götzl von der Geologischen Bundesanstalt. „Für mehr Geothermie braucht es unter anderem Dienstleister, die All-in-one-Lösungen anbieten, also sämtliche Schritte für den Hausbesitzer übernehmen.“ 

Da bleiben also noch einige tiefe Löcher zu bohren.