Höhenflug bei Privatkonkursen
Das Insolvenzrechtsänderungsgesetz (IRÄG 2017) ist eine – auf den ersten Blick – unscheinbare Notiz. Eine Novelle der Insolvenzordnung mit wenigen Passagen. Legistischer Minimalaufwand. Aber diese Vier-Wort-Komposition hat es in sich. Das IRÄG ist am 1. November 2017 in Kraft getreten. Es hat eine Erleichterung für private Schuldner gebracht. Denn es wurde die (zuvor) erforderliche Mindestquote von zehn Prozent getilgt und das Abschöpfungsverfahren von sieben auf fünf Jahre reduziert. Der Alpenländische Kreditorenverband zieht Bilanz aus einem Jahr, zeigt die seismografischen Auswirkungen der Konkursnovelle und unterlegt diese mit eruptiven Daten.
Hans Musser, Geschäftsführer des AKV: „Durch den Entfall der zehnprozentigen Mindestquote haben erwartungsgemäß vor allem zwei Personengruppen das neue Insolvenzrecht in den vergangenen zwölf Monaten verstärkt in Anspruch genommen: Das sind einkommensschwache Personen mit keinem Einkommen oder mit nur geringfügig pfändbaren Bezugsteilen sowie vormalige Unternehmer mit beträchtlichen Verbindlichkeiten aus einer früheren gescheiterten Selbstständigkeit.“
Konkursanstieg bis 135 Prozent
In den ersten beiden Monaten, also im November und Dezember 2017, ist der Anstieg der Privatinsolvenzen noch moderat und hinter den Erwartungen und Prognosen gelegen. Der Grund der Zurückhaltung lag darin, dass noch offene rechtliche Fragen zur neuen Rechtslage geklärt werden mussten. Das erledigte der Oberste Gerichtshof im Eilzugstempo. Und danach gerieten die Privatinsolvenzen auf die Hochgeschwindigkeitsstrecke. Bereits im Jänner 2018 stieg die Zahl der eingebrachten Privatkonkursfälle um 66,79 Prozent (gegenüber dem Vergleichsmonat im Vorjahr). Aber so richtig explodierten die Wachstumsraten im April (plus 134,87 Prozent) und im Mai (plus 103,96 Prozent). Im Oktober dieses Jahres lag die Steigerungsrate zwar nur noch bei 18,23 Prozent. Über das ganze Jahr gerechnet liegen die angemeldeten Konkursverfahren aber bei plus 52,57 Prozent (siehe Tabelle).
195 Personen melden pro Woche Konkurs an
Im Zeitraum vom 1. November 2017 bis 31. Oktober 2018 wurden insgesamt 10.114 Privatkonkursverfahren eröffnet. Eingeführt wurde die Möglichkeit, dass auch Private einen Konkurs anmelden können, im Jahr 1995. „Es ist einmalig, dass in einem Beobachtungs-zeitraum von einem Jahr mehr als 10.000 Personen ein Schuldenregulierungsverfahren beantragt haben.“ 2015 waren es 8.881 Personen. Und von 2016 (8.014) auf 2017 (6.827) war die Zahl der Insolvenzanträge rückläufig. Durchschnittlich haben in diesem Jahr also 195 Personen pro Woche einen Privatkonkurs beantragt.
Schulden nach Wohnsitz
Die Häufigkeit einer Schuldnersituation hängt stark von der Adresse ab. Den höchsten Zuwachs bei der Einbringung von Insolvenzanträgen hatte das Burgenland (plus 150 Prozent auf 230 Insolvenzfälle), die Steiermark (plus 86,25 Prozent auf 989 Fälle) und Niederösterreich (plus 80,53 Prozent auf 1.549 Fälle). Wobei zu erwähnen ist, dass die Insolvenzverfahren in diesen Bundesländern zuvor sehr niedrig lagen. Die meisten Fälle gibt es – aufgrund der Bevölkerungsdichte – naturgemäß in Wien, mit 3.430 Insolvenzanträgen und einem Plus von 29,77 Prozent. Die niedrigste Steigerungsrate verzeichnete Salzburg (plus 24,52 Prozent auf 462 Insolvenzen).
Gesamtpassiva von 1,6 Milliarden Euro
Da vor allem gescheiterte Unternehmer von den gemilderten Insolvenzregelungen Gebrauch gemacht haben, ist auch die Zahl der Gesamtpassiva beträchtlich gestiegen. In dieser Zeit sind die Passiva auf 1,599 Milliarden Euro angewachsen. Zum Vergleich: Zwischen Jänner 2017 und Oktober 2017 lagen die Passiva bei 597,1 Millionen Euro. „Die Gesamtverbindlich-keiten von circa 1,6 Milliarden Euro sind ein gigantischer und noch nie erreichter Wert seit Einführung des Privatkonkurses im Jahr 1995“, attestiert Hans Musser.
Allein beim größten Privatinsolvenzfall wurden Forderungen in der Höhe von 95 Millionen Euro schlagend. Der zweitgrößte Privatkonkurs brachte Verbindlichkeiten von 40 Millionen Euro zutage. Pro Insolvenzverfahren hat sich die Durchschnittsverschuldung um 49,46 Prozent auf 166.800 Euro erhöht. Im Jahr davor lag diese Verschuldung noch bei 111.600 Euro. Die Latte dabei legen vor allem männliche Schuldner hoch: sie kommen auf eine Durchschnittsverschuldung von 207.900 Euro, während weibliche Schuldner auf 94.100 Euro kommen.
Nullprozentige Tilgung ist nur Theorie
Wie bisher muss der Schuldner den Insolvenzgläubigern im Rahmen eines Zahlungsplans eine Mindest-Quote anbieten, die seiner Einkommenslage in den folgenden fünf Jahren entspricht. Neu ist jedoch die ergänzende Bestimmung, dass ein Schuldner, der in diesem Zeitraum voraussichtlich kein pfändbares Einkommen erzielt bzw. das voraussichtliche Einkommen das Existenzminimum nur geringfügig überschreitet, keine Zahlungen anzubieten braucht. „Diese rein rechtstheoretische Möglichkeit eines nullprozentigen Zahlungsplans ist jedoch im ersten Jahr der Privatkonkursnovelle reine Theorie geblieben. Weiterhin bieten in fast allen Verfahren Schuldner im Rahmen eines vorgelagerten Zahlungsplans den Gläubigern eine Quote an, welche auch bei einem nicht pfändbaren Einkommen zumindest den monatlichen Treuhändervergütungen in einem möglichen Abschöpfungsverfahren entsprechen, weil diese bei Ablehnung des Zahlungsplans jedenfalls zu entrichten wären“, sagt Hans Musser.
Einzahlungsrückgang bei Treuhandkonten
Weiterhin stimmen die Gläubiger in fast allen Verfahren über einen Zahlungsplan ab. Und im Falle einer Annahme des Plans sind die Verbindlichkeiten bei Einhaltung der Zahlungen bereinigt. Lehnen aber die Gläubiger einen Zahlungsplan ab, kommt es zu einem auf fünf Jahre verkürzten Abschöpfungsverfahren, in welchem ein Treuhänder die pfändbaren Bezugsteile einhebt und an die Gläubiger verteilt. In diesem Abschöpfungsverfahren gibt es nicht mehr die zehnprozentige Mindestquote, sodass Schuldner nach Ablauf der fünf Jahre in der Regel eine Restschuldbefreiung erlangen.
Diese Erleichterungen gelten auch für Abschöpfungsverfahren, die vor dem 1. November 2017 eingeleitet wurden. Dies führte dazu, dass viele Schuldner insbesondere freiwillige Zahlungen zur Erlangung der ursprünglichen Mindestquote einstellten. „Der AKV EUROPA, als einer der von den Gerichten eingesetzten Treuhänder, musste bereits im Jahr 2017 einen Rückgang der Einzahlungen auf die Treuhandkonten um etwa 15 Prozent wahrnehmen“, sagt Hans Musser. Im Jahr 2018 seien die Eingänge auf den Treuhandkonten weiter zurückgegangen, sodass sich die vom AKV EUROPA geäußerten Befürchtungen, dass die neue Rechtslage zu Quotensenkungen in einem Abschöpfungsverfahren führen werde, bewahrheitet haben.
67,2 Prozent mit Zahlungsplan
Nicht geändert hat sich der Umstand, dass der Zahlungsplan weiterhin das primäre Entschuldungsinstrumentarium geblieben ist. Von 10.114 Verfahren sind schon 5.814 Verfahren abgeschlossen. Seit Einführung des IRÄG 2017 hat man sich in 67,2 Prozent der Fälle auf ein Verfahren mit einem Zahlungsplan geeinigt. Vor dessen Inkrafttreten haben rund 70 Prozent der Verfahren mit Zahlungsplänen geendet. Wie wird es aber weitergehen? „Nach unserer Einschätzung wird der Ansturm auf die Insolvenzgerichte in den nächsten Monaten abflachen, jedoch werden zukünftig durch den erleichterten Zugang zu einer Restschuldbefreiung mehr Schuldner als vor dem IRÄG 2017 Schuldenregulierungsverfahren beantragen“, sagt Musser.
Monat | Anzahl | Monat | Anzahl | +/- % | |
Nov 2016 | 699 | Nov 2017 | 790 | + 13,01 | |
Dez 2016 | 548 | Dez 2017 | 726 | + 32,48 | |
Jan 2017 | 533 | Jan 2018 | 889 | + 66,79 | |
Feb 2017 | 598 | Feb 2018 | 903 | + 51,00 | |
März 2017 | 530 | März 2018 | 987 | + 86,22 | |
April 2017 | 390 | April 2018 | 916 | + 134,87 | |
Mai 2017 | 429 | Mai 2018 | 875 | + 103,96 | |
Juni 2017 | 466 | Juni 2018 | 905 | + 94,20 | |
Juli 2017 | 655 | Juli 2018 | 829 | + 26,56 | |
August 2017 | 567 | August 2018 | 745 | + 31,39 | |
September 2017 | 534 | September 2018 | 745 | + 39,51 | |
Oktober 2017 | 680 | Oktober 2018 | 804 | + 18,23 | Summe | 6.629 | Summe | 10 114 | + 52,57 |
Quelle: AKV
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