Hollywood rechnet mit der Geschichte des amerikanischen Rassismus ab
Man kann die Jahreszeit am Kinoprogramm erkennen. In den Wochen vor der Übergabe der Golden Globes und Oscars wird eine ganz bestimmte Art des Kinos plötzlich wieder großgeschrieben, die sich zwischen März und November traditionell rar macht: der amerikanische Debattenfilm das kommerzielle Lichtspiel als Bildungsgut und moralischer Testfall. Denn als höchst preiswürdig erkennen die Globes- und Oscar-Gremien in der Regel nur jene Werke an, die entweder von staatstragendem Ernst oder dem Willen zur ideologischen Irritation getragen werden. Ehe Anfang Februar der mit Abstand beste Film dieser Kategorie, Kathryn Bigelows Zero Dark Thirty, das nervenzerreißende Protokoll der Jagd nach Osama bin Laden, auch in Österreich an den Start gehen wird, kommen dieser Tage zwei bemerkenswerte Arbeiten zur afroamerikanischen Emanzipationsgeschichte ins Kino, die den Tatbestand der Diskursfreudigkeit geradezu paradigmatisch erfüllen und dabei nicht gegensätzlicher angelegt sein könnten: Quentin Tarantinos Black-Power-Western Django Unchained (ab 18.1.) und Steven Spielbergs Polithistorie Lincoln (ab 25.1.).
Während Tarantino die politischen Diskussionsbeiträge, die sein Film zu bieten hat, gewohnt frivol ins Blutfreibad verlegt, positioniert Spielberg, auch nicht ganz unabsehbar, sein Porträt des späten Abraham Lincoln sehr klassisch, in seiner Konzentration auf die Machtspiele zwischen Senat und Repräsentantenhaus durchaus mutig an. Die in Aussicht gestellten Preise entsprechen diesen Vorgaben exakt: Lincoln wurde in sieben Golden-Globe- und stolzen zwölf Oscar-Kategorien nominiert, Django Unchained je fünfmal.
Nun weist Lincoln zwar eine auf den ersten Blick konventionelle, doch sehr präzise Form auf, die ihrem Sujet perfekt passt. Die brutalen Schlammschlachten, das Hauen und Stechen des tobenden amerikanischen Bürgerkriegs rückt Spielberg anfangs kaum länger als eine Minute ins Bild (und spielt dabei auf seinen Kriegsfilm Saving Private Ryan an), der Rest ist Sprache, Streitkultur und Schauspiel ein Psychokrieg. Seine Spannung bezieht der Film aus den Details des politischen Tauziehens um den 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der Sklaverei und Zwangsarbeit unter Strafe stellte. Das Gelingen eines derart stark mit theatralischen Mitteln spielenden Films hängt entscheidend von der Güte des Ensembles ab; um diese muss man sich, angesichts der Mitwirkung von Koryphäen wie Tommy Lee Jones, Sally Field, John Hawkes und David Strathairn, allerdings keine Sorgen machen.
Idealer Held
In dem britischen Charakterdarsteller Daniel Day-Lewis hat Spielberg seinen idealen Helden gefunden: einen intellektuellen, streng methodisch agierenden Künstler, der seine Figur nuancenreich ausleuchtet und ihr nach dem Gesetzbuch des Weniger-ist-mehr zu Leibe rückt. Day-Lewis Lincoln ist ein introvertierter, aber rückhaltlos für die Abschaffung der Sklaverei kämpfender Republikaner. Einer allzu heroischen Deutung dieser Figur gehen Day-Lewis, Spielberg und Drehbuchautor Tony Kushner beherzt aus dem Weg. Ich halte Lincoln nicht für einen übernatürlich guten Menschen, sagt Kushner im Gespräch mit profil (siehe auch Interview): Er hatte Fehler, wie alle anderen auch. Aber Lincoln war darüber hinaus einer der größten Autoren, Politiker und Humanisten und wenn man den Quellen traut auch ein höchst liebenswerter Mensch. Er war wohl kompliziert, erschien oft distanziert und seltsam, aber Daniel lässt all das ja in seine Darstellung mit einfließen. Wir verfolgten am Ende nur ein Ziel: größtmögliche Genauigkeit.
Im Gegensatz zu Spielberg, der den Befreiungskampf der schwarzen Amerikaner aus strikt weißer Perspektive beleuchtet, geht Tarantino gewagter (und in wenigstens dieser Hinsicht auch konsequenter) vor: Django Unchained verfügt über einen charismatischen schwarzen Titelhelden (Jamie Foxx), der in dem exzentrischen Kopfgeldjäger Christoph Waltz auf seinen Befreier trifft. Aber Tarantino liebt die Filmoberflächen mehr als die Subtexte, die sich in ihnen finden ließen; gegen den gewöhnungsbedürftigen Spaß, den er auch Themen wie Folter, Nazi-Terror und Rassismus abzwingt, ist grundsätzlich nur eines einzuwenden: Er ist nicht schon relevant, nur weil dabei filmhistorisches Treibgut mit politischer Realität verklammert wird. Aber so arbeitet Tarantino: Er wählt eine Form, die ihn erregt, und füllt sie anschließend mit Bedeutung aber er passt dabei gut auf, das richtige Mischverhältnis hinzukriegen; auf vier Fünftel Sex- und Splatter-Spaß kommt bei ihm ein Fünftel Diskurswert.
Liebeserklärungen an Vintage
Tarantinos Filme sind Liebeserklärungen an den Vintage-Stoff der 1960er- und 1970er-Jahre, an Blaxploitation, Italo-Western und Horror-Trash. Aber er verändert und aktualisiert sein Material auch, sprayt den Lack des Autorenfilms, die persönliche Signatur des globalen Regie-Superstars über die industriellen Formen. Und er verbeißt sich in Details: in alte Vorspann-Typografien, antiquierte Musikproduktionstechniken und Kameramoden von anno dazumal. Django Unchained startet daher in den weiten Felsenlandschaften des Euro-Western, mit einem italoesk geschmetterten Titelsong, mit blutroter Schrift und nervösen Zooms. Eine Gruppe schwarzer Sklaven in Ketten taumelt ins Bild, somewhere in Texas, 1858. Waltz tritt zum zweiten Mal als eloquenter Tarantino-Frontmann auf, anders als in Inglourious Basterds aber nicht als charismatischer Unmensch, sondern als nicht eben zart besaiteter Querkopf und Freidenker, der weiße Mörder und Sklaventreiber zur Strecke bringt. Er macht den schwarzen Django zu seinem Partner und reitet mit ihm von einem Massaker zum nächsten. Denn im amerikanischen Süden kurz vor dem Bürgerkrieg ist ein freier Nigger eine Provokation.
Tarantinos Retromania ist eng an einen seit Reservoir Dogs manifesten Sadismus gebunden. Mit jener Unbefangenheit, für die Tarantino berüchtigt ist, hat er in seinem neuen Film nicht nur Körperteile zur Detonation gebracht und literweise Blut verspritzen lassen, sondern die Geschichte der Sklaverei unlängst auch noch mit dem Holocaust verglichen. Das war übrigens nicht provokant gemeint, es sollte nur darauf hinweisen, wie ernst es ihm mit seinem Gewalt-Slapstick ist. Tatsächlich kann Tarantino Antirassismus nur als Rachegeschichte, als Gegengewaltmaßnahme denken. Nach den überraschenden Volten des ersten Teils ermüdet Django Unchained im zweiten merklich, stürzt in die breite Komödie und die Formlosigkeit ab. Das Politische bleibt, so originell diese Inszenierung sein mag, bloß eine strategische Geste, ein Phantasma. Aus den Gemetzeln, die Django Unchained orchestriert, ist wenig Erkenntnis zu gewinnen. So wird die Fiktion vom historischen Ende des amerikanischen Rassismus nur um eine bizarre Fußnote reicher.
Steven Spielbergs Lincoln ist am 22. Jänner als profil-Premiere in der Wiener Urania zu sehen.
Ein ziemlich seltsamer kleiner Film
Der New Yorker Dramatiker Tony Kushner über politisches Actionkino, seine Arbeit an Lincoln und einen Besuch im Weißen Haus.
profil: Sie thematisieren als Lincoln-Autor jene Ereignisse, die 1865 zum Verbot der Sklaverei in den Vereinigten Staaten führten. Auch Quentin Tarantino behandelt in seinem neuen Film Versklavung und Rassismus. Woher rührt die aktuelle Hochkonjunktur dieses Themas in Hollywood?
Kushner: Rassismus ist eine der zentralen Fragen der US-Geschichte und nicht mehr nur bei uns: Das Problem ist mit den gewaltigen Migrationsbewegungen ja auch in Europa angekommen. In den USA spielten ethnische Debatten bei der Wiederwahl Obamas eine gewaltige Rolle. Insofern war es unvermeidlich, dass sich die Filmindustrie mit diesem Thema befasst. Zudem wütete der Bürgerkrieg vor genau 150 Jahren. Und 2009 feierte man Lincolns 200. Geburtstag.
profil: An großen Hollywood-Produktionen mischen eine Menge Leute mit, gern auch solche, die fertige Drehbücher substanziell umschreiben. Ist der Film noch nah an dem Buch, das Sie geschrieben haben?
Kushner: Ja, er ist sogar erstaunlich nahe an dem, was ich geliefert hatte. Ich hatte mich lange und intensiv über alle Details mit Daniel Day-Lewis und Steven Spielberg ausgetauscht. Als Daniel zugesagt hatte, Lincoln zu spielen, blieb ein ganzes Jahr Zeit, ehe wir drehten. Wir hatten also die Chance, endlose Vorbereitungsgespräche zu führen.
profil: War Ihre Zusammenarbeit mit Regisseur und Star derart eng, dass Sie auch am Dreh selbst teilnahmen?
Kushner: Ich war jeden Tag am Set. Das war schon bei Munich so. Steven hatte mich damals gebeten, dabei zu sein und das wollten wir auch im Fall von Lincoln nicht anders machen.
profil: Das klingt, als wären Sie Spielbergs linke und rechte Hand zugleich gewesen.
Kushner: Ja, aber die eigentlich enge Verbindung am Set fand dann zwischen Daniel und Steven statt. Ich sprach während der Dreharbeiten nicht mehr mit Daniel, diese Entscheidung hatten wir vorab getroffen. Meine Kommunikation lief nur noch über Steven.
profil: Ihr Drehbuch mutet für Hollywood-Verhältnisse sehr intellektuell, auch sprachintensiv an. Denken Sie, ein solches Buch wäre mit einem weniger mächtigen Regisseur in Produktion gegangen?
Kushner: Nein. Ich glaube, dass niemand anderer als Spielberg diesen Film realisieren hätte können. Lincoln ist ein ziemlich seltsamer kleiner Film geworden, jedenfalls keine biografische Arbeit, weil wir nur einen sehr kleinen Teil der Präsidentschaft Lincolns abdecken.
profil: Nun handelt Lincoln vor allem von historisch-politischen Details und strategischen Manövern im Repräsentantenhaus. Viel äußere Action ist da nicht drin.
Kushner: Ich finde schon, dass der Film eine Art von Action zeigt, nur eben eine sehr spezielle: nämlich die Hochspannung einer auf Messers Schneide stehenden Wahl. Wir wollten einen Film über den politischen Lincoln machen, nicht so sehr einen über den Staatsmann, den glänzenden Autor oder den moralischen Visionär Lincoln und nicht eine in erster Linie psychologische Studie, sondern eben eine politische.
profil: Derzeit sind Sie mit Lincoln viel auf Reisen. Sie veranstalten Vorpremieren, Uni-Vorträge und exklusive Screenings.
Kushner: Ja, vor ein paar Tagen erst zeigten wir unseren Film dem Senat. Davor waren wir im Weißen Haus, um dem Präsidenten persönlich Lincoln vorzuführen.
profil: Wie fand Obama den Film denn?
Kushner: Er mochte ihn offenbar sehr. Wir hatten nach der Präsentation ein Dinner mit ihm, konnten mit ihm lange über Lincoln diskutieren. Inzwischen hat Obama den Film schon ein zweites Mal gesehen.
profil: Sie analysieren immer wieder auch öffentlich die politische Weltlage. Insbesondere kritisierten Sie Israels Rolle im Nahostkonflikt mehrmals scharf. Wie sehen Sie die Situation derzeit?
Kushner: Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich dieser Konflikt diplomatisch lösen lässt. Aber die Situation ist trostlos, und ich habe große Sorge sowohl um die Palästinenser als auch um Israel. Ich glaube dennoch weiterhin an die Möglichkeit einer Zweistaatenlösung, die ich immer noch für die beste Option hielte. Das Problem ist, dass es mittlerweile eigentlich drei Seiten sind, die da aufeinanderprallen, nämlich die Hamas, die Palästinensische Autonomiebehörde und Israel. Aber die USA, die EU und Russland können eine Menge Macht in diesem Konflikt ausüben und die Kontrahenten an einen Verhandlungstisch bringen. Und dahin müssen wir. Andernfalls wird es eine gegenseitige Zerstörungswelle geben, die zur weltweiten Katastrophe anwachsen könnte. Leider muss bezweifelt werden, dass den gegenwärtigen Führungskräften an einem dauerhaften Friedensabkommen wirklich liegt. Manche Machthaber im Nahen Osten scheinen mehr Interesse an der Erhaltung von Chaos und Gewalt zu haben.
Zur Person
Tony Kushner, 56, schreibt seit 1982 Theaterstücke, für Angels in America erhielt er 1993 den Pulitzerpreis. Drehbücher verfasst er nur sporadisch. Der geborene New Yorker Tony Kushner kennt Wien übrigens bestens sein Bruder arbeitet als Solohornist bei den Symphonikern. Mitte Februar wird das Volkstheater Kushners jüngstes Stück, Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, auf die Bühne bringen.