Impfspenden: Wie Österreich Impfdosen an arme Länder verschenkt
Eine Million Corona-Impfdosen an den Iran. Eine halbe Million an Bosnien-Herzegowina. Eine Viertelmillion an die Ukraine. 50.000 Dosen an das mittelamerikanische Costa Rica.
Österreich spendet Impfstoff. Und das nicht zu knapp. Bisher gingen laut Außenministerium knapp zwei Millionen Dosen an ärmere Staaten in aller Welt (zum Vergleich: Mehr als vier Millionen lagern derzeit in Österreich). Anfang November beispielsweise reiste ÖVP-Außenminister Michael Linhart nach Zentralasien. Nun bekommen auch dortige Staaten ein Stück der österreichischen Großzügigkeit ab. Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan erhalten bald jeweils 150.000 Dosen AstraZeneca-Impfstoff, wie bei Linharts Auslandsreise verkündet wurde.
Unklare Kriterien, unklare Länderauswahl
Aber unter welchen Kriterien erfolgen die Spenden? Wer genau wählt die Empfänger aus - und wie? Das sind wichtige und diffizile Fragen. Denn Impfstoffe sind heikle Güter, die leicht verderben können. Je nach Präparat halten sie höchstens sechs Monate. Rechtliche und bürokratische Bedingungen müssen mit den Empfängerländern ebenso geklärt werden wie mit dem jeweiligen Hersteller des Impfstoffs. Des Weiteren muss sichergestellt sein, dass im Empfängerland die Verteilung der Dosen klappt, also die nötige Infrastruktur zur Verfügung steht. Und zu alledem ist der Bedarf von Land zu Land stark unterschiedlich: Manche suchen händeringend nach Dosen; andere haben im Moment genug.
Fazit, es braucht viel Expertise, um Impfstoffspenden richtig zu managen. Von der Frage, auf welchen Grundlagen Entscheidungen für Spenden basieren, hängt letztlich ab, ob die Vakzine Leben retten oder ungenutzt im Sondermüll landen. Eben das fürchtet beispielsweise die Regierung in Deutschland. Im Oktober warnte das Berliner Gesundheitsministerium, dass aufgrund bürokratischer, logistischer und rechtlicher Probleme die Gefahr bestehe, "große Mengen an wertvollen Impfstoffen wegwerfen zu müssen".
Berlin warnt, man müsse Impfstoffe „wegwerfen“
Fest steht jedenfalls: Impfspenden - wenn sie tatsächlich bei den armen Menschen ankommen - sind eine hochnotwendige Sache. Global betrachtet herrscht nämlich eine haarsträubende Ungleichheit. Während in Staaten wie Österreich bereits der dritte Stich gesetzt wird, sind in vielen ärmeren Ländern selbst Risikopatienten und Gesundheitsmitarbeiter noch weit vom ersten Stich entfernt. In der EU liegt die Rate der vollständig Geimpften bei knapp 68 Prozent der Bevölkerung; in Afrika sind es drei. Besonders schlimm ist die Situation in einer Gruppe von 47 Staaten von Afghanistan bis Uganda, die von der Weltbank als Niedrigeinkommensstaaten klassifiziert werden. Hier liegt die Rate jener, die lediglich die erste Impfung bekommen haben, bei gerade einmal 1,9 Prozent.
Weil Impfspenden eine notwendige und zugleich komplizierte Angelegenheit sind, wurde im April 2020 eine eigene internationale Initiative gegründet, die sich der Aufgabe annimmt: Covax ("Covid-19 Vaccines Global Access"), unter der Ägide der UN-Weltgesundheitsorganisation. Die Funktionsweise: Reiche Länder können Impfdosen an Covax spenden; danach wird an 92 unterschiedliche arme Staaten weiterverteilt. Bei Covax sitzen Profis, die Bedarf und Bedingungen einzelner Länder genau kennen. Dank dieses Fachwissens können sie etwa verhindern, dass Staaten mehr bekommen, als sie gerade verimpfen können.
Wie handhabt das nun Österreichs türkis-grüne Regierung? Spenden aus Österreich gehen nur zu ungefähr einem Drittel an Covax, wie aus schriftlichen Stellungnahmen des Außenministeriums - hauptverantwortlich für die Spenden - gegenüber profil hervorgeht. Konkret wurde bisher rund eine Million Dosen der Marke Johnson &Johnson via Covax gespendet. Der große Rest? Bisher zwei Drittel der Spenden gingen den bilateralen Weg. Heißt, bei knapp zwei Millionen Dosen (ausschließlich AstraZeneca) suchte sich Österreichs Regierung eigenmächtig aus, welches Land Empfänger ist, und wickelte die Spenden selbstständig ab.
Österreich will seinen eigenen Weg gehen
Gegenbeispiel Deutschland. Dort ist das Verhältnis genau andersrum. Laut deutschem Außenamt flossen bisher fast zwei Drittel der deutschen Impfspenden - knapp zwölf Millionen Dosen - über Covax. Nur etwas mehr als ein Drittel nahm den bilateralen Weg.
Warum setzt die heimische Regierung bei diesem heiklen Thema nicht stärker auf Covax statt auf Bilateralismus? "Die Priorisierung von Covax" decke sich nicht immer mit jener Österreichs, so das Außenministerium. "Österreich unterstützt bedürftige Länder bilateral, wenn diese sich mit konkreten Ersuchen an uns wenden oder aber, wie unsere Nachbarn, aufgrund der geographischen Lage ein besonderes Augenmerk verdienen." Anders gesagt, Österreichs Regierung will ein Stück weit eigene Wege gehen, unabhängig von Vorgaben der Covax-Experten.
Größer Empfänger Iran, zweitgrößer Bosnien-Herzegowina
Das führt zur Frage, welche Staaten Spenden aus Österreich auf bilateraler Basis beziehen-und warum ausgerechnet sie? Blickt man auf die Länder, die Dosen aus Wien bekommen haben, dann fällt auf: Es gibt kein Muster. Es könnte sich ja beispielsweise ausschließlich um Länder der näheren Umgebung handeln oder etwa um traditionelle Schwerpunktländer österreichischer Entwicklungszusammenarbeit. Doch beides ist nicht der Fall; stattdessen tut sich eine bunte Mischung auf: Impfspenden aus Österreich gingen bisher beispielsweise an den Iran (größter Empfänger mit einer Million Dosen), an Bosnien-Herzegowina (zweitgrößter mit einer halben Million),den Libanon, Costa Rica, Georgien, Vietnam und die Staaten Zentralasiens.
Das Außenministerium begründet auf profil-Anfrage eher allgemein, warum man sich für diese Länder entschieden hat. Grundsätzlich kämen "alle Länder mit einer niedrigen Durchimpfungsrate" für Spenden aus Österreich infrage, heißt es. "Besonders im Vordergrund" stehen "die Staaten des Westbalkans und der europäischen Nachbarschaft" sowie "humanitäre Krisengebiete wie die Region um Afghanistan"-daher etwa Spenden an Zentralasien.
Aus dem Gesundheitsministerium unter Wolfgang Mückstein (Grüne), das ebenfalls in die Impfspenden involviert ist, heißt es außerdem: Empfängerstaaten würden "nach entwicklungs-,nachbarschafts-und gesundheitspolitischen Kriterien" ausgewählt. "Wesentliche Faktoren sind Durchimpfungsraten, die faktische Verwertbarkeit unserer Spenden im Empfängerland (Logistik etc.),dringender Bedarf aufgrund von aktuellen Geschehnissen (z. B. humanitäre Krisen) sowie strategische Partnerschaften mit Ländern, die die genannten Kriterien erfüllen."
Viele Gründe also. Und dennoch erschließt sich die Auswahl der Empfängerländer nicht. Warum beispielsweise bekommt Costa Rica großzügig Impfdosen von Österreich? Laut der Statistik-Plattform "Our World In Data" liegt die dortige Rate der vollständig Geimpften bei knapp 60 Prozent - nur fünf Prozentpunkte hinter Österreich. Oder: Warum ausgerechnet das weit entfernte Vietnam? Weder liegt Vietnam nahe an Österreich noch nahe an Afghanistan. Vietnams Rate der vollständigen Geimpften beträgt 37,1 Prozent, immerhin deutlich mehr als in EU-Staaten wie Rumänien und Bulgarien.
Ärzte ohne Grenzen: „nicht zielführend“
Betreffend Vietnam begründet Außenminister Linhart die Impfspende laut Ministeriums-Website unter anderen damit, dass "wir kommendes Jahr das fünfzigjährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Vietnam feiern". Da drängt sich - bei Vietnam wie bei anderen Ländern - doch der Verdacht auf, dass Österreich seine Impfstoffe mehr oder weniger nach Gutsherrenart verteilt.
Dieses Vorgehen ist "nicht zielführend", kritisiert Marcus Bachmann von der Österreich-Filiale von "Ärzte ohne Grenzen". "Es ist weder effektiv noch effizient und stellt nicht sicher, dass diejenigen Impfstoffe erhalten, die sie am notwendigsten brauchen". Notwendig seien vielmehr Vergaben "an multilaterale Verteilungsmechanismen wie etwa Covax oder die Afrikanische Union". Überdies, so Bachmann, sei das derzeitige Ausmaß der Spenden auch "nicht ausreichend".
Willkürlich wirkt nicht nur die Auswahl der Länder, sondern ebenso die Art der Entscheidungsfindung in Österreich. Eine Austro-Spende wird nicht etwa im heimischen Parlament beschlossen - obwohl immerhin österreichisches Steuergeld für die Anschaffung der Vakzine eingesetzt wurde. Auch im Ministerrat, dem wöchentlichen Treffen der Regierung, waren die bisherigen Impfspenden niemals Thema. Stattdessen machen sich die verantwortlichen Minister schlicht untereinander aus, wohin Dosen gespendet werden. Aus der Stellungnahme des Außenministeriums: "Die Auswahl der Länder sowie die Abwicklung der Lieferungen erfolgen in enger Abstimmung des Bundesministeriums für Europäische und internationale Angelegenheiten mit dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz sowie mit dem Bundesministerium für Inneres."
Bei Impfspenden in Deutschland herrscht ebenfalls Intransparenz
Gedeckt ist die Vorgangsweise durch ein neues Gesetz betreffend die "Verfügung über Bundesvermögen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie",das Ende 2020 in Kraft trat und es den Ministern ermöglicht, eigenmächtig zu entscheiden. Öffentlich einsehbare Kriterienkataloge? Nachvollziehbare Auswahlprozederes? Expertenkommissionen? Allesamt Fehlanzeige.
Übrigens läuft die Beschlussfassung in Deutschland fast ebenso undurchsichtig wie in Österreich, wie die Anfrage ans Berliner Außenamt ergibt. Auch beim Nachbarn wurden lediglich zwei besonders große Spenden - an die Ukraine und an das afrikanische Namibia -im vergangenen Juli im Kabinett beschlossen, Deutschlands Pendant zum Ministerrat. Den Rest schnapsten sich die Ministerien untereinander aus, genauso wie in Österreich.
Immerhin, im Fall Österreichs schaffte es die Causa Impfspenden kürzlich doch noch erstmals in den Ministerrat. In einem Antrag vom 10. November machten Linhart und Mückstein auf das Problem der globalen Ungleichverteilung von Impfdosen aufmerksam. ("Der globale Bedarf an Impfstoffen wird auf absehbare Zeit nicht gedeckt sein.") Es folgt ein Bekenntnis zu forcierter Spendentätigkeit: "Wir planen, einen Großteil der national entbehrlichen Covid-19-Impfstoffe unentgeltlich an Länder weiterzugeben, für die dies gesundheits-,entwicklungs-und außenpolitische Gründe nahelegen." Kommendes Jahr, gab das Gesundheitsministerium zeitgleich bekannt, werde das Spendenprogramm in viel größerem Stil anlaufen, als es bisher der Fall ist.
Dann hoffentlich unter transparenteren Bedingungen.