IV-Chef Knill: „Nächster Finanzminister muss nein sagen“
Von Marina Delcheva
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Österreich befindet sich das zweite Jahr in der Rezession, alles ist düster. Aber fangen wir ausnahmsweise mit etwas Positivem an. Wo läuft es denn gut?
Georg Knill
Es gibt zum Glück Unternehmen, die trotz aller Herausforderungen gut positioniert sind – im Bereich der Dekarbonisierung etwa. Es gibt zahlreiche Green-Tech-Unternehmen, die sehr erfolgreich sind. Das sind Lichtblicke. Aber: Der Saldo ist leider negativ. Der produzierende Sektor befindet sich sogar das dritte Jahr in einer Rezession. Und der Ausblick ist nicht gut. Das WIFO rechnet im kommenden Jahr mit einem Prozent Wachstum. Aber nur, wenn die deutsche Wirtschaft wieder anspringt und der Konsum steigt. Bei beidem bin ich skeptisch. Wir haben seit 2019 einen realen Wohlstandsverlust.
Sie haben die hohen Lohnabschlüsse – neben den Energiekosten – für den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit verantwortlich gemacht. Sind wirklich höhere Löhne das Problem?
Knill
Die Lohn-Stück-Kosten haben derzeit den größten Anteil am Verlust internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Bedingt durch die hohe Inflation sind die Lohnabschlüsse deutlich höher ausgefallen als in Deutschland. Wir konnten die hohen Abschlüsse aber nicht durch Produktivitätszugewinne kompensieren, wie das in der Vergangenheit der Fall war.
Die deutsche Industrie ist in einer viel tieferen Krise. Obwohl die Löhne weniger stark gestiegen sind.
Knill
Deutschland hat eine Reihe struktureller Probleme und leidet unter höheren Energiekosten als vor der Krise. Die Export-Nachfrage ist schwächer. Und – das trifft uns alle in Europa – die Kosten für Bürokratie sind zu hoch. Allein in meinem Unternehmen sind von 450 Mitarbeitern 28 Personen mit Compliance-Themen beschäftigt. Es kommt immer etwas dazu, nie etwas weg. Das bezahlt mir kein Kunde, und der gesellschaftliche Mehrwert ist überschaubar.
Die neue EU-Kommission ist mit dem Versprechen angetreten, Bürokratie wieder abzubauen.
Knill
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits in ihrer letzten Amtsperiode versprochen, ein Viertel der Berichtspflichten für Unternehmen zu streichen. Aber erstens habe ich Zweifel, und zweitens ist das noch immer zu wenig. Ich halte die Vorschläge des ehemaligen deutschen Finanzministers Christian Lindner für sinnvoller – ein Moratorium für neue Gesetze, Vorschriften hinsichtlich deren Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit prüfen, Gesetze zeitlich zu begrenzen und dann zu evaluieren. Aus dem Green Deal sind Hunderte Gesetze entstanden, die für uns Unternehmer bindend sind.
Kann man bestimmte Ziele, etwa bis 2050 EU-weit klimaneutral zu sein, ohne entsprechende Gesetze überhaupt erreichen?
Knill
Wir unterstützen den Green Deal und bekennen uns klar zum Pariser Klimaabkommen. Österreich ist aber hier einen Sonderweg gegangen und will schon 2040 klimaneutral sein. Wir wollen in vielen Bereichen Musterschüler sein, sind es aber nicht und können es uns auch nicht leisten.
Die metallverarbeitende Industrie wird heuer in Österreich in Summe 8500 Jobs abbauen. Ist das schon der Beginn der Deindustrialisierung?
Knill
Wir haben konjunkturelle und strukturelle Probleme. Im Automotiv-Bereich haben wir definitiv strukturelle Probleme. VW ist ein Paradebeispiel: Volkswagen und Toyota machen gleich viel Umsatz. VW braucht dafür aber doppelt so viele Mitarbeiter. Die strukturellen Probleme wurden auch politisch herbeigeführt – durch die Verbrenner-Debatte, die E-Mobilitätsdiskussion – und sie wurde schlecht begleitet. China hat seine Batterietechnologie massiv gefördert und perfektioniert und geht jetzt in den europäischen Markt hinein. Die europäischen Hersteller waren nicht in der Lage, kostenmäßig mitzuhalten. Wir sind in einer Rezession, und wir verlieren als Exportland gerade an Marktanteil am Weltmarkt.
Musterschüler?
"Wir wollen in vielen Bereichen Musterschüler sein, sind es aber nicht und können es uns auch nicht leisten", sagt Georg Knill.
Kann es aber auch sein, dass die Güter, die die heimische und deutsche Industrie produzieren, einfach nicht mehr so stark nachgefragt werden?
Knill
Unsere Produkte sind nach wie vor weltweit führend und ausgezeichnet in der Qualität. Was nicht mehr passt, ist das Preisverhältnis. Unsere Kunden im Ausland sind nicht gewillt, so viel Geld für unsere guten Produkte zu bezahlen.
Es geht nicht allen Ländern in der EU schlecht: Spanien zieht gerade beim Wirtschaftswachstum davon, in den osteuropäischen Ländern wächst der Wohlstand. Was machen diese Länder besser?
Knill
In Spanien und Kroatien ist der Tourismus sehr stark. Ja, in Osteuropa läuft es gut. Aber den Industrienationen geht es nicht so gut. Wir haben auch einen relativ starken Tourismus, aber 25 Prozent der Wertschöpfung kommen aus dem Industriesektor. Spanien hat auch die Inflation anders bekämpft, in den Strommarkt eingegriffen, das war auch aufgrund ihrer geografischen Lage leichter möglich. Und gerade in Österreich hat der Dienstleistungssektor stark an der Inflationsschraube gedreht, worunter wir jetzt alle leiden.
Was muss denn in Österreich passieren?
Knill
Die Lohnnebenkosten müssen sinken. Wir brauchen Mechanismen, um Energie sicherzustellen und leistbar zu halten. Und wir müssen etliche Berichtspflichten auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragen. Das würde konjunkturelle Impulse schaffen. Der Fiskalrat rechnet mit einem Budgetdefizit von 4,1 Prozent nächstes Jahr – das muss die zukünftige Regierung ernst nehmen und Maßnahmen setzen. Wir haben kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem.
Wo soll man denn sparen?
Knill
Die wichtigste Aufgabe einer neuen Finanzministerin oder eines neuen Finanzministers wird sein, nein zu sagen. Größter Budgetposten sind mit 30 Milliarden Euro die Pensionen. Das reale Pensionsantrittsalter liegt bei knapp 61 Jahren, vier Jahre unter dem gesetzlichen. Jedes zusätzliche Jahr würde den Steuerzahlern 2,7 Milliarden Euro bringen. Vor der Pandemie haben wir rund sechs Milliarden Euro für Förderungen ausgegeben, jetzt sind es fast zwölf. Wir brauchen heute keine Förderung mehr für die Einspeisung von PV-Strom – wir können damit nichts anfangen, weil die Netze überlastet sind. Wir müssen aber noch viel etwa in Windenergie und in Energiespeicher investieren. Der Klimabonus ist eine Gießkanne. Das Klimaticket war vermutlich die teuerste Klimamaßnahme dieser Regierung – mehrere Tausende Euro für jede Tonne CO2, die eingespart wird. Im Emissionshandel kostet die Tonne CO2 60 bis 100 Euro. Das Pendel muss wieder in Richtung Pragmatismus schwingen.
Die wichtigste Aufgabe einer neuen Finanzministerin oder eines neuen Finanzministers wird sein, nein zu sagen.
Auch die Unternehmen haben in den letzten Jahren viel Geld vom Staat bekommen: Energiezuschüsse, Forschungsprämien …
Knill
Die Forschungsprämie dürfen wir uns nicht madigmachen lassen! Sie liegt konstant bei 14 Prozent, und sie ist auch der Grund, warum sich Unternehmen hier ansiedeln und forschen. Die Strompreiskompensation beispielsweise galt leider nur für 2022 und war quasi eine Kompensation dafür, dass energieintensive Betriebe den CO2-Preis doppelt bezahlt haben.
Oberösterreichs IV-Chef Stefan Pierer hat sich im Wahlkampf offen für eine schwarz-blaue Koalition ausgesprochen. Hätten Sie das auch lieber?
Knill
Wir sind eine überparteiliche Organisation und nur unseren Mitgliedern und dem Wirtschaftsstandort verpflichtet. Wir haben uns ausschließlich über den Inhalt der Wahlprogramme geäußert, nie über Regierungskonstellationen. Und daran halte ich mich weiter.
Ab Jänner will die Ukraine kein russisches Gas mehr durchleiten. Ist die energieintensive Industrie für einen Transitstopp gewappnet?
Knill
Kurzfristig, bis Mitte 2025, wäre ein Transitstopp kein Problem, weil sowohl Transitkapazitäten vorhanden sind als auch die Gasspeicher voll sind. Fraglich ist aber, wie schnell die Alternativen erschlossen werden können. Der WAG-Loop (Ausbau der Gaspipeline West-Austria in Richtung Deutschland, Anm.) wird erst 2027 fertig. Italien ist heute ein wichtiger Gaslieferant. Wir dürfen nicht wieder nur auf eine Gasquelle setzen.
Stimmt es, dass einige Industriebetriebe jetzt mit slowakischen und ungarischen Energieversorgern Gespräche führen, doch noch irgendwie russisches Pipeline-Gas durchzuleiten?
Knill
Ja, Österreich, aber auch unsere Nachbarländer sind noch stark von russischem Gas abhängig. Und natürlich wollen diese Länder die Durchleitung weiter ermöglichen oder suchen Alternativen aus Aserbaidschan über Russland und die Ukraine.
Die US-Wahl ist geschlagen. Wen hätten Sie gern im Weißen Haus gesehen?
Knill
Aus europäischer Sicht wäre Kamala Harris besser gewesen. Die Zolldiskussion, die Trump hier vorantreibt, würde Nachteile für Europa bringen. Auch die Diskussion um die Ukraine macht mir Sorgen. Wir dürfen in Europa nicht naiv sein und zum Reibebaum zwischen den USA und China werden. Wir müssen vor allem in Sicherheitsfragen souveräner werden. Wir sehen gerade, wie labil die geopolitische Lage ist, wie fragil Partnerschaften sind und wie stark der nationale Egoismus zunimmt. Wir brauchen neue Verbündete, da denke ich etwa an das Freihandelsabkommen mit Südamerika, Mercosur.
Chlorhüher
"Sehen Sie in den Supermarktregalen chlorverseuchtes Essen und schlechtere Lebensmittel?" Knill wenig von der Kritik am einem Freihandelsabkommen mit Südamerika, Mercosur.
Mercosur ist bei keiner Parlamentspartei, außer vielleicht bei den NEOS, populär.
Knill
Das ist dieses Klein-Klein-Denken, von dem wir zu viel haben.
Es gibt nicht mehr so viele Weltregionen, die Demokratie noch hochhalten. Rohstoffe für die Energiewende sind auch ein Thema, hier sind wir zu stark von China abhängig. Wir brauchen Alternativen, und die gibt es auch in Südamerika. Und dann möchte ich an das Freihandelsab-kommen mit Kanada erinnern, Ceta. Vor Jahren haben Medien und Handelskonzerne alle möglichen Sorgen verbreitet, die schlicht falsch waren. Oder sehen Sie in den Supermarktregalen chlorverseuchtes Essen und schlechtere Lebensmittel?
Proil
Wegen der Zolldebatte drängen jetzt wieder mehr chinesische Firmen auf den EU-Markt und suchen neue Lieferpartner. Haben sie auch bei Ihnen angeklopft?
Knill
Das einzig Gute an dieser Zolldiskussion – und ich lehne solche Zölle grundsätzlich ab – ist, dass wir wieder über gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer sprechen. Wenn China in Europa verkaufen möchte, dann ist es nur fair, wenn sie auch hier investieren. China bleibt ein wichtiger Handelspartner für Europa. Es kämpft aber mit massiven Herausforderungen: wenig Wachstum, eine alternde Gesellschaft, steigende Jugendarbeitslosigkeit. Sie haben Überkapazitäten im Land aufgebaut und versuchen diese durch geförderte Exporte abzubauen. Das ist wettbewerbsverzerrend, und Europa ist hier zu Recht aufgestanden und hat gesagt: Das geht nicht.
Glauben Sie, dass chinesische Autobauer ein Stück weit die Lieferausfälle durch die deutschen Autobauer kompensieren werden?
Knill
Viele Investoren sind jetzt auf Road Show durch ganz Europa und schauen sich an, wo die besten Standorte für ihre Projekte sind. Ungarn ist der Hotspot für Elektromobilität geworden.
Nachdem es China jahrelang hofiert hat.
Knill
Ja, mit Förderungen aus EU-Mitteln. Das sind die einzigen Zuckerl, die Ungarn zu verteilen hat. Aber es gibt einen Standortwettbewerb und es stellt sich die Frage, ob Österreich mithalten kann.
Zur Person:
Georg Knill, 51, ist seit 2020 Präsident der Industriellenvereinigung. Gemeinsam mit seinem Bruder Christian Knill leitet er die Knill-Gruppe mit Sitz in Weiz. Das Unternehmen hat weltweit 2500 Mitarbeiter und ist in der Batterie-, Kabel-, Draht- und Glasfaser-industrie tätig. Der Betrieb ist seit rund 300 Jahren in Familienbesitz und soll 1712 als Klingenschmiede Mosdorfer gegründet worden sein. Der Gruppenumsatz betrug zuletzt 483 Millionen Euro.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".