Deglobalisierung, Demografie und Dekarbonisierung – diese drei Ds sorgen in den nächsten Jahren dafür, dass die Inflation nur schwer sinkt. Dass sich die Teuerung vorerst hält, hat in ein paar Bereichen aber auch ihr Gutes.
Eine „Goldlöckchen“-Wirtschaft, da wollen wir wieder hin. In der Welt der Ökonomie beschreibt das Goldlöckchen-Szenario die perfekte Mitte. Die Wirtschaft wächst, aber nicht zu schnell. Die Inflation ist niedrig, irgendwo um die 1,5 bis zwei Prozent. Die Zinsen sind nicht zu hoch, und Firmen und Haushalte können relativ günstig Kredite aufnehmen. Von diesem Szenario sind wir aber noch weit entfernt. Derzeit beschäftigen uns noch die ökonomischen Folgen des Bad-Hair-Szenarios. Die Inflation ist heute deutlich niedriger als vor einem Jahr, aber noch immer weit entfernt von den magischen zwei Prozent, die die Europäische Zentralbank als Idealwert festgelegt hat – insbesondere in Österreich. Die heimische Wirtschaft verharrt in der Rezession. Und die Energiepreise sind noch immer höher als vor dem Krieg, und sie könnten uns – so ehrlich muss man sein – auch wieder um die Ohren fliegen.
Das ist kein einfaches Umfeld für geldpolitische Entscheidungen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat vergangene Woche den Leitzins nach Langem wieder um 25 Basispunkte auf 4,25 Prozent gesenkt. Für Kreditnehmer sind das gute Nachrichten, für Sparer weniger. Der Zinsschritt nach unten gerade jetzt ist aber dennoch bemerkenswert – und nicht unumstritten. Denn die Inflation im Euroraum betrug im Mai laut einer Schnellschätzung von Eurostat 2,6 Prozent. Sie liegt damit leicht über dem magischen Zielwert von zwei Prozent und ist gegenüber dem Vormonat April auch noch mal ganz leicht gestiegen. In Österreich betrug die Teuerung zuletzt laut Schnellschätzung der Statistik Austria 3,3 Prozent.
Dass es die EZB nicht so ganz genau mit ihrem eigenen Inflationsziel nimmt, hat gute Gründe: Erstens stimmt zumindest die Richtung, die Teuerungsraten sinken. Zweitens ist die Inflation gekommen, um zu bleiben. Und dafür gibt es eine Reihe von Gründen, denen die Währungshüter in Frankfurt mit ihren geldpolitischen Instrumenten nicht viel entgegensetzen können. Oder in den Worten der Ökonomin und EcoAustria-Direktorin Monika Köppl-Turyna: „Die neue Realität sieht so aus, dass es schwierig wird, die zwei Prozent Inflation zu erreichen.“
Deglobalisierung – das Ende des freien Handels
„China war lange Jahre ein inflationsdämpfender Faktor“, sagt Sebastian Koch, der am Institut für Höhere Studien (IHS) zum Thema Inflation forscht. Das Zeitalter der Globalisierung war billig. Handelshemmnisse wie Zölle wurden abgebaut, günstig produzierte Ware wurde über den gesamten Erdball verschifft. Vor allem der Globale Norden profitierte im Übermaß vom Import dieser Konsumgüter – und zwar alle Einkommensschichten.
Diese Ära scheint vorerst vorbei zu sein. Sie wird gerade von einer Zeit steigender Zölle, Handelshemmnisse und massiver Subventionen abgelöst. Zwischen China und den USA tobt ein Handelskrieg. Die EU führt neue Zölle für E-Auto-Importe aus China ein, weil der Weltmarkt „von billigen chinesischen E-Autos“ überschwemmt wird und die eigene Industrie massiv unter Druck setzt. In China ist jedenfalls mit Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen. Am Ende wird es für alle vor allem teurer.
"Die neue Realität sieht so aus, dass es schwierig wird, die zwei Prozent Inflation zu erreichen", sagt EcoAustria-Direktorin Monika Köppl-Turyna.
„Ich bin wirklich besorgt, dass hier vieles in die falsche Richtung gehen könnte“, sagt Atanas Pekanov, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Tatsächlich bereiten der Subventionslauf und das erneute Hochfahren von Handelshemmnissen vielen Ökonomen Kopfzerbrechen. Für die Verbraucherpreise bedeuten der zunehmende Protektionismus und die geopolitischen Spannungen nämlich, dass sie vorerst steigen. Strafzölle, staatlich finanzierte Subventionen, auch das notwendige Zurückholen von Produktionsstätten nach Europa – all das treibt die Preise und damit die Inflation in die Höhe.
Demografie – wir werden älter
Die Demografie wird in den kommenden Jahrzehnten zu einer großen Herausforderung für ganz Europa. Und sie könnte zu einem hartnäckigen, schleichenden Inflationstreiber werden. Die geburtenstarken Baby-Boomer-Jahrgänge gehen nach und nach in Pension, und auf dem Arbeitsmarkt entsteht eine Lücke, die nachfolgende, geburtenärmere Generationen nicht schließen können. Laut Statistik Austria steigt die Zahl der über 65-Jährigen in Österreich von derzeit knapp mehr als 1,7 Millionen auf 2,6 Millionen Menschen 2050. Die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung, der Menschen zwischen 20 und 65 Jahren, wird voraussichtlich leicht sinken – von 5,5 auf 5,2 Millionen Menschen.
„Das wird ohne weitreichende Reformen, etwa im Pensionssystem, inflationstreibende Effekte haben“, meint Ökonomin Köppl-Turyna. Wie hoch die Inflationseffekte sein könnten, darüber sind Forscher uneins. Das WIFO geht in einer Studie zu den Effekten der alternden Bevölkerung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung vom Jahr 2019 von bis zu drei Prozentpunkten aus. „Der Druck auf die Löhne steigt jedenfalls“, meint Köppl-Turyna. Wenn dem Arbeitsmarkt weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, sind diese automatisch in einer besseren Verhandlungsposition um höhere Löhne, und damit steigt auch die Inflation. Hinzu kommt, dass die Gruppe der Menschen, die konsumieren und Geld ausgeben, aber eben altersbedingt kein Einkommen erwirtschaften, steigen wird. Ebenso die Ausgaben für Pensionen, Pflege und die medizinische Versorgung.
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Richtungswechsel
"Ich bin wirklich besorgt, dass hier vieles in die falsche Richtung gehen könnte", meint WIFO-Ökonom Atanas Pekanov.
Dekarbonisierung – Climateflation versus Greenflation
Die Misere auf den Gasmärkten begann schon 2021, nur hat das damals niemand so richtig bemerkt. In jenem Sommer passierte nämlich etwas Ungewöhnliches: Der staatliche russische Gaslieferant Gazprom hat nicht wie sonst zu dieser Jahreszeit üblich seine Gasspeicher in den EU-Ländern für den bevorstehenden Winter befüllt. Im Herbst 2021 drosselte Russland auch noch die Lieferungen nach Deutschland über die beiden Pipelines Jamal und Transgas. Damals wurde der Schritt noch mit technischen Problemen seitens Gazprom argumentiert. Heute könnte man das getrost als Vorbereitung auf den Krieg gegen die Ukraine deuten.
2022 eskalierte die Situation, es kam kaum noch russisches Gas nach Europa, und die Gas- und Strompreise an den Börsen explodierten. Und mit ihnen die Inflation. In Österreich erreichte die Teuerung Ende 2022, Anfang 2023 um die zwölf Prozent. Was Greta Thunberg und die Fridays for Future begonnen haben, hat Wladimir Putin so richtig angeheizt. Die Energiepreisexplosion hat zu einem Boom bei der Installation von erneuerbarer Energie geführt. Allein heuer wurden laut E-Control in den ersten drei Monaten 500 Megawatt an zusätzlicher PV-Leistung montiert. Der Bestand hat sich seit 2022 fast verdoppelt.
Langfristig senkt das nicht nur die CO2-Emissionen, es verringert die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten. Oder in den Worten des Ökonomen Koch: „Wenn die Strompreise davongaloppieren, kann das einem immer größeren Teil der Bevölkerung egal sein, weil er seinen Strom auf dem Dach selbst produziert.“
"Wenn die Strompreise davongaloppieren, kann das einem immer größeren Teil der Bevölkerung egal sein, weil er seinen Strom auf dem Dach selbst produziert", meint IHS-Ökonom Sebastian Koch.
Aber: „Kurzfristig wird der Green Deal, also die Dekarbonisierung der Wirtschaft, kleine, temporär inflationstreibende Effekte haben. Wir rechnen hier mit Effekten in den nächsten drei bis vier Jahren“, sagt Pekanov vom WIFO. Der CO2-Preis, der nach und nach ausgerollt wird, macht fossile Energie für den Endkunden teurer. Der große Hunger nach Rohstoffen wie zum Beispiel Kupfer oder Kobalt, die wir für
grüne Technologien wie E-Batterien und Solarpanele brauchen, verteuert diese Rohstoffe. Aus dem EU-Budget und den Staatshaushalten fließen Milliarden an Subventionen in den Umbau der Energieinfrastruktur. Unternehmen nehmen sehr viel Geld in die Hand, um ihre Produktion klimafreundlicher zu machen. All das treibt die Preise und die Inflation an.
Ein zweites Aber: Langfristig wird Energie dadurch sehr wohl billiger. Und nichts zu tun, käme uns noch viel teurer. Welche Auswirkungen eine zu hohe Abhängigkeit von einem einzigen Energielieferanten haben kann, hat der Krieg gegen die Ukraine und Russlands Erpressung per Gashahn gezeigt. Dürren, Überschwemmungen und Extremwetterereignisse führen zu massiven Ernteausfällen und hohen Lebensmittelpreisen. Weil in Spanien aufgrund von Dürre die Olivenernte im Vorjahr dermaßen mager ausfiel, stieg der Olivenölpreis am gesamten Weltmarkt massiv. Spanien bescherte das kurzerhand einen Sprung der Teuerungsrate um ein paar Kommastellen – allein wegen Olivenöl. Die EZB hat die Effekte von Dürren auf die Lebensmittelpreis-Inflation mit einem Prozentpunkt bis zum Jahr 2035 beziffert. Hitze senkt zudem die Arbeitsproduktivität, und Klimaschäden sind richtig teuer – und ebenfalls inflationstreibend.
Und dann gibt es bei der Inflation ein österreichisches Spezifikum: den Index. Mieten, kommunale Dienste, der Handyvertrag, einzelne Versicherungsleistungen – alles Mögliche wird hierzulande automatisch an die Inflation angepasst. In vielen anderen EU-Ländern passiert das nicht. Der Mechanismus nimmt zwar den Druck, Verträge immer wieder neu verhandeln zu müssen. „Das führt aber dazu, dass bei uns die Inflation einfach langsamer zurückgeht als anderswo“, erklärt Koch.
Für die Währungshüter in der EZB und in den anderen europäischen Notenbanken heißt all das, flexibel zu bleiben und auf Goldlöckchen-Zeiten zu warten.