Ins Bodenlose: Streit um geplantes Betriebsbaugebiet in Sierning
Ein Ort, dem die Pulsatilla vulgaris als Wahrzeichen gilt, kann kein schlechter sein. Die "gewöhnliche Kuhschelle" ist vom Aussterben bedroht. Doch nirgendwo in Oberösterreich kommt sie so häufig vor wie in Sierning. Es ist eine beschauliche, von Landwirtschaft geprägte Gemeinde. 9348 Einwohner, ein Renaissanceschloss, eine katholische Pfarrkirche, reges Vereinsleben. Zu überregionaler Bekanntheit gelangte Sierning als Heimatgemeinde des ehemaligen Vizekanzlers und ÖVP-Chefs Wilhelm Molterer, der sich seinerseits mit den Worten "Es reicht" in die Annalen der österreichischen Innenpolitik einschrieb, damit im Jahr 2008 Neuwahlen ausrief und verlor.
Doch das Idyll ist getrübt. Durch die Gemeinde geht ein Riss. Entzündet hat sich der Konflikt an einem geplanten Betriebsbaugebiet. Der Fall steht exemplarisch für das Spannungsfeld Wirtschaft und Umwelt. Zwischen dem Wunsch nach Schaffung von Arbeitsplätzen und der Generierung von Steuereinnahmen auf der einen und der zunehmenden Sensibilisierung der Bevölkerung in Sachen Bodenschonung und Naturschutz auf der anderen Seite.
Auslöser sind die Expansionsbestrebungen der Oswald Kienbacher GmbH. Der Kunststoffproduzent und Automobilzulieferer platzt an seinem derzeitigen Standort in Pfarrkirchen bei Bad Hall aus allen Nähten. Deshalb will man die Produktion mit rund 100 Mitarbeitern nach Sierning verlagern. Flächenbedarf: fünf Hektar.
Im Dezember vergangenen Jahres wurde im Gemeinderat mit den Stimmen der SPÖ, der Grünen und Teilen der ÖVP die Einleitung des Widmungsverfahrens von insgesamt 26 Hektar neuer Betriebsbaugebietsfläche an der Sierninger Westumfahrung beschlossen. Dort, wo sich heute Wiesen, Felder und Äcker aneinanderreihen, sollen sich künftig neben Kienbacher weitere Gewerbebetriebe ansiedeln. "Das war eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Wir haben nur durch Zufall erst rund zwei Monate später davon erfahren", sagt der Unternehmer Peter Mayrhofer, der als Anrainer unmittelbar betroffen ist. Diesem Projekt sei keine strategische Planung vorausgegangen. Den Bedenken der Bevölkerung die erhöhte Verkehrs- und Lärmbelästigung, die Zerstörung eines Naherholungsgebietes und die unwiderrufliche Versiegelung von Agrarflächen betreffend sei kein Gehör geschenkt worden. "Man kann fast von einer anlassbezogenen Durchsetzung von Einzelinteressen sprechen", moniert Mayrhofer.
Die Bürgerinitiative ist uns mit ihren Aktivitäten zuvorgekommen.
"Wir wollten die Bevölkerung nach Einlangen der Stellungnahmen des Landes Oberösterreich informieren. Aber die Bürgerinitiative ist uns mit ihren Aktivitäten zuvorgekommen", sagt SP-Bürgermeister Manfred Kalchmair. Über 1100 Unterschriften hat diese – unter Mayrhofers Federführung – gegen das Projekt gesammelt.
Die inzwischen eingetroffenen Stellungnahmen der mit der Prüfung befassten Abteilungen des Amts der oberösterreichischen Landesregierung sind durchaus kritisch. Und scheinen die Sorge der Bürgerinitiative zu untermauern. Die Planung widerspreche dem Grundsatz, dass "großflächige neue Betriebsstandorte in der Region abgestimmt entwickelt werden sollen, damit eine zielgerichtete, flächenschonende und raumverträgliche Standortentwicklung Platz greifen kann", heißt es in einem profil vorliegenden Schreiben. Bei den Flächen handle es sich um intensiv genutzte landwirtschaftliche Böden mit dem höchsten Bodenfunktionsgrad. Aus agrarfachlicher Sicht könne der geplanten Widmung daher "nicht zugestimmt werden". Auch aus schutzwasserwirtschaftlicher Sicht sei diese "vorerst abzulehnen".
"Im bestehenden Betriebsbaugebiet gibt es noch freie, bereits gewidmete Flächen. Für den weiteren Ausbau ist mindestens ein weiterer Bauer gewillt, sein Grundstück im Tausch gegen andere Flächen abzutreten. Dass hier nicht einmal aufrichtig über Alternativen nachgedacht wird, ist skandalös", sagt Mayrhofer. Man habe durchaus auch andere Standorte geprüft, meint indes der expansionswillige Unternehmer Oswald Kienbacher. Für die Anforderungen seines Unternehmens seien diese jedoch nicht geeignet. "Entweder sind die Flächen zu klein, die Grundeigentümer nicht verkaufswillig oder sie haben völlig überzogene Preisvorstellungen. Andere Standorte wiederum kamen aufgrund ihrer topografischen Beschaffenheit nicht infrage."
Sierning hat seit Jahren das Problem, dass Betriebe in die Umlandgemeinden absiedeln.
Bürgermeister Kalchmair will am – mittlerweile abgespeckten – Projekt festhalten: "Sierning hat seit Jahren das Problem, dass Betriebe in die Umlandgemeinden absiedeln. In den vergangenen 30 Jahren haben wir bis zu 500 Arbeitsplätze verloren." Gutachten betreffend Verkehr und Wasser seien derzeit in Arbeit, man werde natürlich alle Auflagen einhalten. "Ich hoffe, in der nächsten Zeit dem Gemeinderat einen Vorschlag zur Beschlussfassung vorlegen zu können", so Kalchmair.
Das letzte Wort ist wohl noch nicht gesprochen. Dem Vernehmen nach soll auch Wilhelm Molterer, dessen Liegenschaft sich in der Nähe befindet, von dem Projekt nicht rasend begeistert sein. Eine entsprechende profil-Anfrage ließ der ehemalige Vizekanzler unbeantwortet.