"Kleinanleger zu verarschen, ist das Dümmste"
profil: Herr Beckermann, was macht ein Anlegerschützer?
Beckermann: Da ist zunächst einmal viel Beratung dabei. Wir haben Anfragen von Leuten, die Probleme mit ihren Investments haben-ob sie bei einer Hauptversammlung sind, ob sie ihre Dividenden ausgezahlt bekommen, ob sie bei einer Kapitalerhöhung mitmachen können, bei Bitcoins geschützt sind und so weiter. Die andere Seite ist der eigentliche Anlegerschutz, da geht es dann um rechtliche Fragen. Wir fordern hier den Schutz des Staates gegenüber unsachgemäßem Verhalten ein.
profil: Anlegerschutz: Da hat sich in Österreich in den vergangenen Jahren einiges bewegt, wenn auch nicht annähernd genug.
Beckermann: Richtig. Die Weltbank gibt ein Ranking des Investitionsklimas heraus. Ich bin kein Freund von Rankings, aber wenn man sich den Teil Minderheitenschutz anschaut, ist da schon viel Wahres dran. Da liegt Österreich auf Rang 37, hinter der Mongolei und Sri Lanka.
„Transparenz würde der ÖBAG guttun.“ - Florian Beckermann, Anlegerschützer
profil: Das Ranking ist nicht unumstritten, aber für Österreich trifft die Befundaufnahme wohl zu. Wo hakt es aus Ihrer Sicht?
Beckermann: Da könnte ich Stunden reden. In Österreich werden Regeln immer wieder nur halbherzig umgesetzt. Denken Sie an die Bilanzprüfstelle. Wir haben acht Jahre gebraucht, bis diese Institution eingerichtet wurde. Acht Jahre! Oder das Thema Gesellschafterausschluss, das den IVA sehr beschäftigt. In der Causa Bank Austria zieht sich das Verfahren dazu seit elf Jahren, Austrian Airlines abgeschlossen erst nach sieben Jahren! Da muss man sich schon fragen, ob der Rechtsschutz hier funktioniert, wie er soll.
profil: Der IVA schickt Vertreter zu Hauptversammlungen, um dort im Namen von Kleinanlegern aufzutreten.
Beckermann: Im Kern geht es darum, kritische Fragen zu stellen und auf unsachgemäße Informationen hinzuweisen. Wilhelm Rasinger (Anm.: Beckermanns Vorgänger, er starb 2020) hat da wirklich etwas a ufgebaut. Ich trete in riesige Fußstapfen. Man vergisst das gerne, aber Kleinanleger sind das Rückenmark des Kapitalmarkts. Das sind Leute, für die eine Aktiengesellschaft eigentlich gemacht wurde. Sie stellen langfristig und nachhaltig Eigenkapital zur Verfügung. Die zu verarschen, ist das Dümmste, was man machen kann.
profil: Es ist allerdings auch vergleichsweise einfach, Kleinanleger zu verarschen.
Beckermann: Weil sie nicht immer über alle Informationen verfügen, dafür vielleicht auch nicht die Zeit haben. Es steckt halt viel Arbeit dahinter. Es ist aber auch einiges besser geworden in den letzten Jahren.
profil: Wie finanziert sich der IVA?
Beckermann: Wir haben als Verein viele Mitglieder. Zusätzlich werden wir gerne als Stimmrechtsvertreter gebucht. Die Unternehmen müssen in Covid-Zeiten zur HV jeweils vier unabhängige Stimmrechtsvertreter bestellen, da sind wir im Wettbewerb mit Notaren und Rechtsanwälten. Wir haben 2020 an 93 Prozent aller Hauptversammlungen teilgenommen und so etwa 40 Prozent aller Aktionäre in Österreich vertreten. Dafür bekommen wir von den Gesellschaften einen Aufwandsersatz. So läppert sich etwas zusammen, nicht viel, aber doch. Wir können Büro und Sekretärin finanzieren. Ich arbeite im Wesentlichen pro bono. Mal schauen, wie lange ich mir das leisten kann.
profil: Aktienhandel ist neuerdings aufregend und wild, gerade für junge Menschen irgendwie auch ein Spiel. Wir haben jüngst von einer Studie berichtet, wonach Smartphones zum Zocken verleiten.
Beckermann: Da machen auch viele Ältere mit. Ich kann die Leute nur warnen. Den Aktienhandel als Spiel zu sehen, ist hochgefährlich. GameStop? Das ist eine Blase mit Ansage.
profil: Sind wir nicht alle ein bisschen gierig?
Beckermann: Schnelles Geld ohne Arbeit? Natürlich ist das verlockend, aber am Ende stehen die Leute bei mir und sagen: "Beckermann, warum hat uns niemand gewarnt?"
profil: Haben Sie gerade Wirecard gesagt?
Beckermann: Gerade dieser Fall zeigt, wie wichtig Whistleblower und Journalisten sind. Ich weiß ja, wie es in Ihrer Branche zugeht. Die kritische Berichterstattung der "Financial Times" führte zu harscher Anwaltspost. Ähnliche Reaktionen liest man ja auch von René Benko.
profil: Von Benko hatten wir schon Anwaltspost. Von Novomatic auch. Ist aber derselbe Anwalt.
Beckermann: Eine aktuelle Umfrage von uns ergab: Die Rolle von Journalisten gehört gestärkt und auch jene der Wirtschaftsprüfer. In den Niederlanden gibt es eine Redepflicht des Wirtschaftsprüfers gegenüber der HV. Das ist jedenfalls ein gutes Korrektiv. Die Wirecard-Prüfer von EY bekommen jetzt zu Recht weltweit Druck. Wir bereiten gerade die HV der Telekom Austria vor. Die beschäftigen auch EY. Und sie haben die Staatsholding ÖBAG und die Politik, das wird eine spannende Hauptversammlung.
profil: ÖBAG-Aufsichtsratschef Helmut Kern hat Alleinvorstand Thomas Schmid gelobt. Tolle Arbeit und so, ungeachtet aller Vorkommnisse. Schmid sitzt im Aufsichtsrat der Telekom, der OMV und der Verbund AG. Wie gut ist er?
Beckermann: Also grundsätzlich sei es der Regierung zugestanden, dass man jemanden in die ÖBAG setzt, dem man vertraut. Schmid hat auch frischen Wind reingebracht und die ÖBAG professionalisiert. So viel zum Positiven. Auf der anderen Seite hatte Schmid als Alleinvorstand immer ein Thema mit dem Vieraugenprinzip, wohl ein Geburtsfehler der ÖBAG. Die vielen juristischen Auseinandersetzungen, in die er persönlich verwickelt ist, schaffen jetzt allerdings wirklich ein Problem. Ein Vorstand muss frei von fremden Interessen und zum Wohle der Gesellschaft entscheiden. Kann Schmid das noch? Er täte vielen einen Gefallen, wenn er so bald wie möglich zurücktritt. Je schneller der Aufsichtsrat für eine Nachfolge sorgt, desto besser für die ÖBAG und ihre Gesellschaften. Wenn der Aufsichtsrat das nicht erkennt, dann handelt er wahrscheinlich nicht zum Wohle der Gesellschaft.
profil: Im "Ibiza"-Ausschuss hat Helmut Kern die Ausschreibung des ÖBAG-Alleinvorstands als professionell verteidigt. Die Schmid-Chats legen anderes nahe.
Beckermann: Diplomatisch gesagt: Kerns Auftritt war verwunderlich. Als börsennotiertes Unternehmen hätte die ÖBAG eine sehr schwierige Hauptversammlung vor sich, bei der man nicht wüsste, wer am Ende noch einen Job hat. Aber da sind wir leider nicht. Die Transparenz eines börsennotierten Unternehmens würde der ÖBAG guttun und eine Causa Thomas Schmid für die Zukunft ausschließen.
Florian Beckermann, 44
Der Deutsche lebt seit 15 Jahren in Wien, im Februar dieses Jahres übernahm er die Leitung des IVA, für den er seit einiger Zeit tätig ist (Stellvertreter sind die Wiener Rechtsanwältin Verena Brauner und Ehrenpräsident Michael Knap). Der diplomierte Volkswirt und Jurist arbeitet hauptberuflich im Immobiliengeschäft und hier eng mit der Großkanzlei Wolf Theiss zusammen. Er hat Erfahrung im Bankgeschäft, eine Börsenhändlerlizenz der Wiener Börse und unterrichtet an der IMC Fachhochschule Krems. Anlegerschutz, das hat er im Interview mehrfach betont, sei ihm ein ernstes Anliegen und nicht bloß ein Zeitvertreib.