Die in Schieflage geratene Signa ist nur die Spitze des Eisbergs einer Branche, die immer tiefer in die Krise schlittert. Die Insolvenzen in der Bauwirtschaft steigen heuer massiv. Ob die Immobilienblase platzt oder Wohnraum noch unleistbarer wird.
Im Juni wurden sie fertiggestellt: 127 Eigentumswohnungen mit 50 bis 113 Quadratmeter Wohnfläche. Jede davon mit Balkon, Dachterrasse oder Eigengarten. Nur vier Monate später lancierte die Immobiliengesellschaft Buwog die Erfolgsmeldung: Alle Einheiten des Wohnbauprojekts „Haller“ in Wien Simmering konnten verkauft werden. Sie gehören zu jenen 600 neuen Wohnungen, welche die Buwog heuer auf den Markt gebracht hat. Solch frohe Botschaften kommuniziert man naturgemäß gerne. Geht es jedoch um die Widrigkeiten, welche die Branche derzeit beutelt, gibt man sich eher zugeknöpft. Schon zu Jahresbeginn hatte die Buwog angekündigt, dass man die für 2023 geplanten Baustarts nicht einhalten werde. Um wie viele und welche Projekte es sich dabei konkret handelte, wird nicht verraten. „Die aktuellen Umstände veranlassen viele Bauträger – darunter auch die Buwog – geplante Baustarts bis auf Weiteres zu verschieben“, heißt es aus dem Konzern. „Viele Bauträger – darunter auch die Buwog – konnten nicht alle Projekte wie geplant abwickeln.“ In Zeiten wie diesen bleibt man gerne etwas vage. Andere Immobilienunternehmen, wie etwa Soravia oder B647, antworten freilich gleich gar nicht auf entsprechende Presseanfragen.
Aktuell beherrschen die Kalamitäten bei Österreichs wohl berühmtestem Immobilienentwickler – René Benko und der von ihm gegründeten Signa-Gruppe – die Schlagzeilen. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. So ziemlich die gesamte Branche ächzt unter den stetig gestiegenen Zinsen, hohen Material- und Baukosten sowie verschärften Kreditvergabebedingungen. Ein Cocktail, der wohl noch das eine oder andere Unternehmen ins Straucheln bringen wird. Die Insolvenzen in der Bauwirtschaft sind heuer massiv in die Höhe geschossen, vor allem bei den Immobilienentwicklern und Bauträgern. Doch was bedeutet das für die Wohnbautätigkeit in Österreich? Und wie werden sich die Immobilienpreise entwickeln?
Sorgenkind Bauwirtschaft
„Unser Sorgenkind ist definitiv die Bauwirtschaft“, sagt Karl-Heinz Götze, Leiter Insolvenz beim Kreditschutzverband von 1870 (KSV). Laut KSV wurden heuer 667 Insolvenzen im Baugewerbe gemeldet und damit um 16 Prozent mehr als noch vor einem Jahr – Tendenz steigend. Seziert man diese Zahlen nach Art der Insolvenzen und der betroffenen Firmen, zeigt sich vor allem im Hochbau, wo auch der Wohnbau eingerechnet ist, ein sehr düsteres Bild: Dort sind die Insolvenzen in den ersten neun Monaten des Jahres um ein Drittel höher als im gesamten Jahr 2022. Im Bereich „Erschließen von Grundstücken und Immobilienentwickler“ sind es sogar um 70 Prozent mehr. „Und im Bereich Kauf, Verkauf und Vermietung von Grundstücken haben sich die Zahlen in den ersten drei Quartalen sogar verdoppelt“, erklärt Götze.
Höhere Kreditzinsen und damit geringere Renditen bei Bauvorhaben; deutlich höhere Baukosten als noch vor Kriegsbeginn; Inflation und strengere Regeln bei der Kreditvergabe. Es ist eine toxische Mischung, die bis Jahresende noch einigen Bauträgern zum Verhängnis werden könnte. Die Hypothekenfinanzierung, also die Immobilienfinanzierung über Bankkredite, ist heuer laut KSV um die Hälfte rückläufig.
Auch die Banken lesen aus ihren Daten einen Einbruch der Wohnbautätigkeit heraus: „Wir beobachten aufgrund der Zinswende und der verschärften Vergaberichtlinien für Wohnbaukredite einen deutlichen Rückgang bei der Vergabe von Wohnkrediten an Konsumentinnen und Konsumenten und in diesem Bausegment eine Reduktion der Auftragsbestände“, sagt eine Sprecherin von Raiffeisen Wien-Niederösterreich. Je nach Ausmaß des Engagements in diesem Bereich gebe es unterschiedliche Betroffenheiten. „Stark betroffen sind hier vor allem die mittelständischen Bauunternehmen“, heißt es seitens der Bank.
Die Erste Group verzeichnet ebenfalls einen deutlichen Rückgang von Wohnbaukrediten seit dem zweiten Quartal 2022. „Auch wenn die Immobilientransaktionen gesunken sind, ist zu erwarten, dass sich die Bautätigkeiten zukünftig verstärkt auf Sanierungen fokussieren werden“, heißt es seitens der Erste Group.
Einbruch bei Baubewilligungen
In der Praxis führt das dazu, dass in ganz Österreich weniger gebaut wird. „Wir sehen, dass die Baubewilligungen allein im ersten Halbjahr um 30 Prozent eingebrochen sind“, sagt Michael Klien vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Für 2024 rechnet der Experte zwar nicht mehr mit weiteren dramatischen Einbrüchen, aber auch mit keinem Aufschwung. Oder anders gesagt: „Das ist ein historischer Tiefstand. So niedrig wie jetzt war die Bautätigkeit in den vergangenen 20 Jahren nicht mehr“, meint Klien. Die Zinsen werden wohl nicht mehr in dem Tempo der vergangenen zwei Jahre steigen, sie sinken aber auch nicht mehr so schnell. Und auch die Baukosten – also das, was Baufirmen für Stahl, Beton, Holz, Personal zahlen müssen – pendeln sich jetzt auf einem deutlich höheren Niveau als vor dem Ukraine-Krieg ein.
„Während die Branche einzelne Verschlechterungen der Rahmenbedingungen in der Vergangenheit immer gut abfedern konnte, kommt derzeit vieles zusammen“, sagt Sebastian Beiglböck, Geschäftsführer der Vereinigung österreichischer Projektentwickler der Immobilienbranche (VÖPE). „Wir sehen die Gefahr, dass in zwei bis drei Jahren maßgeblich Wohnraum fehlt, weil derzeit kaum noch Projekte eingereicht werden. Dadurch werden die Preise schnell wieder steigen“, so der Interessenvertreter. „Sollten sich die derzeitigen, für die Branche ungünstigen Rahmenbedingungen nicht ändern, rechnen wir mit einem deutlichen Rückgang bei der Realisierung neuer Projekte im Wohnungsmarkt in Österreich“, ergänzt Andreas Köttl, Vorstand des Immobilienentwicklers Value One.
Preise bleiben hoch
„Dass der Boom bei den Immobilienentwicklern vorbei ist und die Blase platzt – dem würde ich nicht widersprechen“, sagt WIFO-Ökonom Klien. Dass deswegen die Immobilienpreise und die Mieten sinken, erwarten Experten aber nicht. Laut der EU-Statistikbehörde Eurostat sind die Immobilienpreise in Österreich im ersten Halbjahr 2023 gerade einmal um magere 0,3 Prozent gegenüber dem Jahr davor gesunken. Das ist allerdings der Durchschnittswert für alle Immobilien in ganz Österreich, also auch für Gewerbeimmobilien. Ein Blick in die Tiefe offenbart ein differenzierteres Bild: Die Preise für Wohnungen in Mehrparteienhäuser sind im ersten Halbjahr um 1,6 Prozent gesunken. Jene von Einfamilienhäusern wiederum um 0,9 Prozent gestiegen. Das zeigen Auswertungen des Maklernetzwerks RE/MAX. Und: Während die Wohnungspreise in Wien (minus 3,6 Prozent) und im Burgenland (minus 10,9) gesunken sind, sind sie in Salzburg (plus 4,3) und in Tirol (plus 3,2) heuer noch mal gestiegen.
Denn auch wenn weniger Wohnungen und Häuser gebaut und verkauft werden, weil das jetzt für Haushalte und Firmen schlicht zu teuer ist, bleibt die Nachfrage nach Wohnraum hoch – vor allem in den Städten. „Die schwache Bautätigkeit, die sich jetzt abzeichnet, ist eine Gefahr für die Leistbarkeit von Wohnraum für die nächsten Jahre.“ Und dagegen könne auch das von der Regierung beschlossene Milliardenpaket für die Sanierung von Bestandsgebäuden wenig ausrichten. Laut Klien seien jetzt die Bundesländer mit der Wohnbauförderung gefragt. Diese wurde in den kommenden Jahren zurückgefahren, weil Kredite besonders billig waren. „Günstige Landesdarlehen wären hier eine sinnvolle Maßnahme.“
Tatsächlich entwickelte sich aber der geförderte Wohnbau je nach Bundesland ganz unterschiedlich. In Tirol beispielsweise brach dieser von 1960 Wohnungen im Jahr 2021 auf hochgerechnet rund 1550 Wohnungen im laufenden Jahr – also um über 20 Prozent – ein. „Das steigende Kostengefüge hat dazu geführt, dass Bauvorhaben neu ausgeschrieben werden mussten und somit etwas später zur Umsetzung gelangt sind“, sagt Maximilian Brandhuber vom Amt der Tiroler Landesregierung.
Ins selbe Horn stößt man in Niederösterreich: „Da die Material- und Baukosten derzeit weit über den gewünschten leistbaren Anforderungen liegen, würden sich extrem hohe Mieten ergeben“, sagt Wohnbaulandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister. In Wien sei vor allem der private Wohnbau betroffen. „Im geförderten Bereich haben wir uns auf einem Niveau von in etwa 5500 bis 6000 Fertigstellungen pro Jahr eingependelt und werden diesen Wert – trotz der bekannt schwierigen Umstände – auch halten. Rund 8000 geförderte Wohnungen sind aktuell in Bau und weitere 9000 in Planung“, heißt es aus dem Büro des Wiener Wohnbauressorts von Kathrin Gaál.
Der Verband der Gemeinnützigen Bauvereinigungen sieht das etwas anders. Österreichweit verzeichnet man bei den Neubauprojekten bereits 2023 einen deutlichen Rückgang von acht Prozent im zehnjährigen Mittel. Etliche Gemeinnützige haben ihre Planungstätigkeiten für 2024 überhaupt eingestellt, heißt es gegenüber profil.
Bis zum Jahr 2026 wird die Bevölkerung Österreichs laut Prognose der Statistik Austria um 106.000 Personen wachsen. All diese Menschen brauchen Wohnraum. Ob dieser geschaffen werden kann, ist zumindest aus heutiger Sicht fraglich.