Kampf um jeden Hektoliter
Von Kevin Yang
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Hopfen, Malz, Hefe und Wasser sind die Zutaten, die in einer kleinen Industrieanlage in der Wiener Donaustadt verarbeitet werden. In der Halle entsteht Märzenbier, die beliebteste Biersorte Österreichs. Was vor einigen Jahren für Geschäftsführer Roland Schalken als Hobby mit einem 20-Liter-Tank begann, hat sich heute zu einem Kleinbetrieb entwickelt. Die Tanks fassen mittlerweile 500 Liter, und das dreiköpfige Team füllt gerade die neueste Charge in Flaschen ab.
Die gleichnamige Schalken Brauerei ist eine Kleinbrauerei, wie sie inzwischen vielfach in Österreich vorzufinden ist. Das eigene Bier nach der eigenen Vision des Braumeisters zu brauen, ist das Ideal vieler dieser Brauereien. Roland Schalken ist eigentlich studierter Jazzpianist, die Braukunst erlernte er autodidaktisch – dem freien Gewerbe des Braumeisters sei gedankt. Die Herstellung des Gerstensaftes sei zwar ein romantisches Handwerk, doch Schalken gesteht: „Bierbrauen ist leichter, als Bier zu verkaufen.“
Die Bierversorgung ist in Österreich hart umkämpft. Der Branchenverband zählt landesweit 347 Braustätten, wovon etwa 90 Prozent in die Kategorie der Kleinbrauereien fallen. Fast zehn Millionen Hektoliter (ein Hektoliter entspricht 200 Krügerln) wurden im Vorjahr in Österreich gebraut, 1000 davon in der Industriehalle in Wien-Donaustadt. Kleinbrauereien wie Schalken oder der Kessel im lokalen Wirtshaus machen lediglich etwa ein Prozent des heimischen Brauvolumens aus. Wer im Biermarkt mitspielen will, muss im knallharten Geschäft um Marktanteile als industrielle Großbrauerei mitmischen.
Österreichweit teilen sich fünf Marken (Gösser, Zipfer, Puntigamer, Stiegl und Ottakringer) den Großteil des Marktes auf, drei davon fallen unter einen Dachkonzern, die Brau Union. Zwar brachte der Craftbeer-Trend der letzten Jahre heimischen Kleinbrauereien einen Auftrieb, doch dominiert nach wie vor das klassische Märzenbier mit zwei Drittel aller produzierten Sorten den Geschmack der heimischen Konsumenten.
Treue Trinker
„Österreich ist leider ein erzkonservatives Land, was Bier anbelangt. Wir haben damals mit einem Kölsch angefangen, aber so ein Bier zahlt letztlich nicht die Miete“, sagt Anna Schalken-Haider, Marketing-Chefin der Schalken-Brauerei. Zwar versuchen sich kleine Braustätten durch ausgefallene Biersorten zu differenzieren, in einem kleinen Markt wie Österreich sei es aber schwierig, Spezialbiere rentabel zu produzieren. Um als Brauerei profitabel zu wirtschaften, sei man daher gezwungen, die Nachfrage nach dem klassischen Lagerbier zu bedienen. Für kleine Marken wie Schalken besteht die Herausforderung darin, dass sie mit Märzen im direkten Wettbewerb mit Großbrauereien stehen. Dazu kommt: Der gemeine Österreicher bleibt meist einer Biermarke treu.
Die Verwurzelung zu Biermarken ist oft eine über Generationen gefestigte.
„Bier zu verkaufen, ist kein Selbstläufer“, sagt auch Hubert Stöhr, Geschäftsführer der Brauerei Schloss Eggenberg im Salzkammergut und Obmann im Verein der unabhängigen Privatbrauereien. Mit einem Marktanteil von etwa einem Prozent gehört die Traditionsbrauerei zu den mittelgroßen Playern der Branche. Etwa 200.000 Flaschen einer neuen Biersorte muss seine Brauerei verkaufen, um das Produkt langfristig rentabel zu halten. Mit einem Spezialbier ist das in Österreich schwer umzusetzen. Auch die Schloss Eggenberg Brauerei setzt deswegen auf das Märzenbier als Zugpferd, das rund die Hälfte ihrer Produktion ausmacht.
Der österreichische Biermarkt besteht aus vielen Marken, die mit dem Märzen ein sehr ähnliches Produkt herstellen. Um sich vom Mitbewerb zu unterscheiden, müsse man sich neben dem Brauhandwerk auch auf das Marketing verstehen. Es gehe um Identität und Regionalität, so Stöhr: „Die Verwurzelung zu Biermarken ist oft eine über Generationen gefestigte.“
Brauer-Paar
Anna Schalken-Haider und Roland Schalken führen die gleichnamige Brauerei in Wien-Donaustadt.
Zapfhahn-Zuschlag
Wo der stille Kampf um Marktanteile deutlich wird, zeigt sich an der Schank des Wirts. Der Lebensmittelhandel ist zwar insgesamt der bedeutendste Vertriebskanal, die Gastronomie ist jedoch der wichtigste Abnehmer von Fassbier. Generell gilt in der Branche: Je kleiner die Brauerei, desto höher ist der Verkaufsanteil über die Schank. Den Sprung in die landesweiten Supermarktregale schaffen nur wenige Kleinbrauereien. „Viele kleine und mittelgroße Brauereien haben vielfach nicht den Maschinenpark, um den Handel mit allen gewünschten Gebindeformen zu beliefern. Daher setzen sie auf das, was sie regional mit Fassbier oder Glasflaschen beliefern können“, sagt Florian Berger, Geschäftsführer des Verbands der Brauereien Österreichs.
Die Brauwirtschaft und die Gastwirtschaft arbeiten Hand in Hand. Gastronomen werden regelrecht von Brauereivertretern umworben. „Als Brauerei muss ich mich extra anstrengen, um im Gastronomiebetrieb Sichtbarkeit zu erreichen, wie mit der Positionierung meiner Marke in der Getränkekarte“, so der Branchenvertreter. Wer einen Abnahmevertrag mit einer etablierten Biermarke abschließt, wird von der Brauerei rundum mit Schankanlage, Gläsern und Bierdeckeln versorgt. Je größer die Brauerei ist, umso größer werden auch die Leistungen, die geboten werden können: vom gesponserten Mobiliar für den Gastgarten bis hin zu Krediten für die Finanzierung des Lokals. Wie hoch die Angebote sind, behalten die Brauereien für sich. Brancheninsider berichten profil von Summen zwischen 20.000 und 50.000 Euro für einen mittelgroßen Betrieb – abhängig vom Verhandlungsgeschick.
Im Gegenzug beziehen die Wirte das Bier der Brauerei zu einer vereinbarten Laufzeit und einer vereinbarten Abnahmemenge in Hektolitern. Solange das Bier fließt, profitiert der Wirt von den sogenannten Vorleistungen; die Brauerei sichert sich die garantierte Abnahme ihres Produkts ab und darf mit ihrem Logo den Zapfhahn des Wirtshauses zieren.
Für kleinere Brauereien wie die Schalken sind solche Leistungen für Gasthäuser nur begrenzt finanzierbar. Während die Donaustädter Bierbrauer gerade einmal eine Schankanlage zur Verfügung stellen können, sind größere Mitbewerber in der Lage, ganze Lokale vorzufinanzieren. „Da können wir nicht mitziehen“, sagt Schalken und warnt: „Als Wirt ist man dann über viele Jahre an eine Brauerei gebunden.“ Und schenkt er nicht die vertraglich vereinbarte Mindestmenge aus, droht ihm eine Abschlagszahlung oder die Verlängerung des Abnahmevertrags, bis die Quoten erfüllt worden sind.
Branche in Schieflage
Die immensen Investitionssummen, die die Brauwirtschaft bereit ist, der Gastronomie zur Verfügung zu stellen, verdeutlichen die zentrale Bedeutung des Zapfhahns in Wirtshäusern als Vertriebskanal. Kleinere Brauereien stehen vor erheblichen Herausforderungen: Ihnen fehlen oft die finanziellen Mittel, um im Wettbieten gegen die Großbrauereien zu bestehen, was es ihnen erschwert, konkurrenzfähig zu bleiben. „Wenn wir uns Karten von Lokalen anschauen und sehen, dass sie von einem Händler der Brau Union beliefert werden, dann weiß man im Vorhinein: Das kann man vergessen“, sagt Marketing-Chefin Schalken-Haider. Diese Dynamik erschwere es kleineren Marktteilnehmern, in der hart umkämpften Gastronomie Fuß zu fassen.
Die Brau Union AG ist Österreichs größter Player am Biermarkt. Die Aktiengesellschaft entstand im Jahr 1998 aus der Fusion der Österreichischen Brau AG und der Steirerbrau und ist seit 2003 Teil des Amsterdamer Heineken-Konzerns. Zu ihrem Portfolio gehören bekannte österreichische Marken wie Gösser, Zipfer, Puntigamer und Wieselburger, die zusammen mehr als die Hälfte des heimischen Markts dominieren. Von den im Jahr 2022 erwirtschafteten 1,4 Milliarden Euro Branchenumsatz entfielen allein 850 Millionen Euro auf die Marken der Brau Union. Der Marktführer ist bei den Mitbewerbern als auch am Stammtisch umstritten und sieht sich zunehmender Kritik ausgesetzt. Insbesondere wird dem im Hintergrund agierenden Heineken-Konzern vorgeworfen, nicht auf lokale Bedürfnisse der Brauereibranche einzugehen und dadurch die Vielfalt der heimischen Bierkultur zu gefährden. Für zusätzlichen Aufruhr sorgte die kürzliche Ankündigung der Brau Union, die Produktionsstätte des Villacher Biers nach Graz zu verlagern, was Kritiker als Etikettenschwindel anprangern, da Konsumenten ein Bier aus Kärnten erwarten würden.
Die Geschäftspraktiken des Braukonzerns schlagen seit Jahren in der Öffentlichkeit Wellen, wodurch die Wettbewerbshüter auf den Plan gerufen worden sind. Erst 2020 konstatierte die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) „mögliche wettbewerbliche Bedenken“ zur Einverleibung der Vorarlberger Fohrenburger Brauerei in die Brau Union. Zwei Jahre später folgten Hausdurchsuchungen durch die Kartellbehörde in der Linzer Zentrale des Konzerns. Der Verdacht: Verstöße gegen das Missbrauchs- und Kartellverbot. Der Konzern soll Vertragspartner dazu gedrängt haben, ihre Produkte exklusiv zu beziehen und damit andere Mitbewerber vom Wettbewerb ausgeschlossen haben. Die BWB beantragte daher eine Geldbuße beim zuständigen Kartellgericht, dem Braukonzern droht eine Strafe in Höhe von zehn Prozent seines Jahresumsatzes.
Gegenüber profil beteuert die Brau Union, dass es sich bei den Bedenken der BWB um ein „grundlegendes Missverständnis“ handle. Der Braukonzern verweist darauf, dass die Verträge mit seinen Abnehmern „branchenüblich“ seien und es allen seinen Vertragspartnern freistünde, ihre Lieferanten selbst auszuwählen. Dem anstehenden Kartellverfahren blicke man optimistisch entgegen, um die Vorwürfe aufklären zu können.
Schlossherr
Hubert Stöhr ist Geschäftsführer der Brauerei Schloss Eggenberg im Salzkammergut.
„Konzernfreier“ Widerstand
Gegen die Dominanz des Braukonzerns formiert sich währenddessen bei den Mitbewerbern Widerstand. 2021 gründeten zehn Brauereien den Verein der unabhängigen Privatbrauereien, heute zählt der Verbund 47 Mitglieder, die als ein Gegengewicht zu internationalen Bierkonzernen wie der Brau Union auftreten wollen. Die Privatbrauereien sehen die Konsumenten dahingehend getäuscht, dass hinter vermeintlich heimischen Biermarken letztlich internationale Konzerne stünden. „Uns geht es darum, Transparenz zu schaffen, über die Marktsituation am Biermarkt in Österreich und die Eigentümerstruktur hinter gewissen Marken aufzuklären“, sagt Vereinsobmann Hubert Stöhr.
Fest steht, dass die Brau Union trotz des niederländischen Konzerns im Hintergrund zur heimischen Wertschöpfung beiträgt. Ihre Brauereien produzieren Bier, schaffen Arbeitsplätze und zahlen Steuern in Österreich. Dennoch möchte die Initiative der Privatbrauereien die gesamte Wertschöpfung im Land behalten. „Alle unsere Eigentümergesellschafter müssen in Österreich sein, und damit sorgen wir auch dafür, dass die Gewinnwertschöpfung zu 100 Prozent in Österreich stattfindet“, erklärt Stöhr. Üblicherweise würden die Gewinne bei international tätigen Unternehmen wie dem Heineken-Konzern in die Muttergesellschaft ins Ausland fließen. Die Privatbrauereien setzen sich daher dafür ein, dass wirtschaftlicher Erfolg und damit verbundene Gewinne im Land bleiben.
In der Wiener Donaustadt setzen die Kleinbrauer Schalken jedenfalls auf Authentizität. Der Biermarkt ist hart umkämpft, und als kleiner Mitbewerber stoße man oft an eine unüberwindbare Decke. Aber die Branche verändere sich, wodurch sich auch für die kleinen Braustätten eine neue Nische auftue. Dass die Abnahmeverträge von großen Brauereien diese einseitig begünstige, lasse bei vielen Wirten ein Umdenken stattfinden. „So ein Vertrag ist nur auf den ersten Blick lukrativ. Letztendlich zahlst du den Kredit über den Bierabsatz zurück“, sagt Braumeister Schalken. Er beobachte zunehmend, dass Gastronomen, die jahrelang einen Vertrag mit der Brau Union hatten, jetzt bewusst auf kleinere Brauereien zugehen. Im Sinne einer vielfältigen Brauereienlandschaft eine gute Nachricht.
Wohl bekomm’s!
Kevin Yang
seit November 2024 im profil Digitalressort.