kika/Leiner: Was wurde unter den Teppich gekehrt?
„Richtig besch… läuft es gerade bei uns! Hoppala, das darf ich ja gar nicht sagen!“ Christian Fiala sagt es trotzdem. „Was soll‘s, sollen sie mich kündigen!“ Galgenhumor hilft. Fiala ist 62 und Betriebsrat bei der mittlerweile insolventen Möbelhandelskette kika/Leiner, in der Filiale Wien Nord im 22. Gemeindebezirk. Ende Juli ist hier Schluss. Es ist Mittwochabend, in wenigen Minuten wird hier die Betriebsversammlung mit rund 50 Angestellten des Standorts beginnen. Arbeiterkammer und Betriebsrat werden die Angestellten der „Leiner und kika Möbelhandels GmbH“ offiziell über das eröffnete Insolvenzverfahren, die geplanten Kündigungen, Entgeltfortzahlungen und ihre Rechte im laufenden Verfahren informieren. Die Filiale wird im Zuge des am 13. Juni eröffneten Insolvenzverfahrens geschlossen und Christian Fiala verliert, wie rund 1300 weitere Angestellte der Möbelkette, seinen Job.
profil wühlte sich in den vergangenen Tagen durch Bilanzen, sprach mit Beteiligten, Gläubigern und Branchenkennern, um etwas Ordnung in die größte Firmenpleite der vergangenen zehn Jahre zu bringen. Die Vorkommnisse rund um den Verkauf der Möbelhandelssparte einerseits und der Kika-Leiner-Immobilien anderseits werfen immer mehr Fragen auf, aber der Reihe nach:
Warum hat René Benkos Signa kika/Leiner verkauft?
Schon beim Kauf durch die Signa Gruppe des Innsbrucker Investors René Benko war das Möbelgeschäft defizitär. Im Juni 2018 übernahm Signa die gesamte, angeschlagene Möbelhandelssparte von kika und Leiner, mit dem Versprechen, das Unternehmen zu sanieren und zu altem Glanz zu führen. Der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Strache Strache (FPÖ) jubelten über „5000 gerettete Arbeitsplätze“ und eine „österreichische Lösung“. Es kam dann doch anders. Über die Jahre summierte sich der Verlust. Laut noch unveröffentlichter Bilanz für das Geschäftsjahr 2022/21 soll der Bilanzverlust der „Leiner und kika Möbelhandels GmbH“ 130,72 Millionen Euro betragen haben, wie der „Kurier“ zuerst berichtete. Die Verbindlichkeiten schlagen sich mit 200 Millionen Euro zu Buche.
Wohl auch deshalb soll der kika/Leiner-Verkauf bei Signa schon seit 2022 Thema gewesen sein. Im Vorjahr wurden bereits drei Immobilienstandorte an den Investor Klemens Hallmann verkauft. Am 31. Mai wurden die kika/Leiner-Immobilien an die Supernova-Gruppe des Fachmarkt-Unternehmers Frank Albert veräußert. Wie hoch der Verkaufspreis tatsächlich war, ist nicht bekannt. Aus dem Signa-Umfeld ist von 400 bis 500 Millionen Euro zu hören. Nach Kreditrückzahlungen an Raiffeisen und etwaigen getätigten Investitionen soll unterm Strich ein Gewinn von fast 300 Millionen Euro übriggeblieben sein. Aus dem Umfeld der Käuferin Supernova ist wiederum zu hören, dass der Immobilien-Kauf nur 200 Millionen gekostet habe. Wie für die gesamte Immobilienbranche sollen die steigenden Zinsen und die Flaute am Immobilienmarkt auch für Signa ein Ärgernis gewesen sein und den finanziellen Druck auf die Gruppe erhöht haben.
Das operative Geschäft von kika/Leiner ging wiederum an den scheuen, steirischen Unternehmer Hermann Wieser – um drei Euro. Mit dieser Summe soll übrigens Signa gegenüber dem Käufer haften. Zwei Wochen später meldete Wieser Insolvenz an, mit der Begründung, dass man „retten wolle, was noch zu retten ist“. 23 Filialen werden zugesperrt, für den Erhalt der restlichen 17 soll Wieser 30 Millionen Euro zuschießen. Die neue Vermieterin, die Supernova, stundet Mieten und schießt ebenfalls Kapital zu, sodass am Ende „ein hoher dreistelliger Millionenbetrag“ für die Sanierung zur Verfügung stehen soll, wie kika/Leiner-Sprecher Michael Slamnig am Mittwoch vor Journalisten sagte.
Hätte man früher Insolvenz anmelden müssen?
„Das ist eine Frage, der wir jetzt im Verfahren sehr genau nachgehen werden“, sagte Insolvenzverwalter Volker Leitner bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in St. Pölten, dem Firmensitz von kika/Leiner. Das Verfahren wird nicht öffentlich geführt, und normalerweise sind Pressekonferenzen bei Firmeninsolvenzen unüblich. Aber diese Pleite samt vorangegangenem Verkauf sorgt seit Tagen für Aufruhr. Laut Signa sollen seit 2018 rund 140 Millionen Euro an Zuschüssen, etwa Sanierungsbeiträge und Stundungen, an kika/Leiner geflossen sein. Allerdings wurden die vormals zwei getrennten operativen Einheiten kika und Leiner 2022 rückwirkend auf den Bilanzstichtag 2021 zu einer Gesellschaft zusammengelegt. Wolfgang Peschorn, der Chef der Finanzprokuratur, die als Anwältin des Bundes fungiert, fand das „auffällig“. Er mutmaßte im ORF, dass man das getan haben könnte, damit eine der Gesellschaften überhaupt noch bilanzieren kann. Die Bilanz wurde übrigens vom Wirtschaftsprüfer KPMG testiert. Auf profil-Nachfrage will man dort zur Causa „nichts sagen“. Vonseiten der Signa heißt es zum Vorwurf: „Das Management hat jederzeit korrekt gehandelt. Mutmaßungen über eine allfällige Insolvenzverschleppung entbehren jeder Grundlage.“
Wieso zahlt kika/Leiner Miete an kika/Leiner?
Ganz vereinfacht gesagt: Der Möbelhändler kika/Leiner ist Mieter der Immobiliengesellschaften von kika und Leiner. Und beide Unternehmensteile gehörten bis zum Verkauf am 31. Mai zur Signa Gruppe. Diese Konstruktion, also die Trennung der Immobilien vom operativen Geschäft, bestand übrigens schon vor dem Kauf durch Signa. Wie viel Miete aber die eine Unternehmenseinheit der anderen bezahlt hat, ob die Höhe angemessen und gerechtfertigt war, etwaige Mieterhöhungen – all das wird jetzt ebenfalls im Zuge des Verfahrens ganz genau unter die Lupe genommen. Laut unveröffentlichter Bilanz 2022 belaufen sich die Aufwendungen für Mieten und Raumaufwand auf 56 Millionen Euro. Außerdem verbuchte die kika Immobilien GmbH – als Vermieterin – für das Geschäftsjahr 2021 einen Jahresgewinn von 7,8 Millionen Euro, bei der Leiner Immobilien GmbH waren es 5,2 Millionen Euro.
Was kostet die Pleite den Steuerzahler?
Die endgültige Rechnung dieser Insolvenz wird erst mit Ende des laufenden, nicht öffentlichen Insolvenzverfahrens gestellt. Für den Steuerzahler wird es, das ist jetzt schon klar, teuer. Wie profil erfuhr, belaufen sich die Dienstnehmeransprüche laut Insolvenzantrag auf 58 Millionen Euro. Diese werden großteils aus dem Insolvenzentgeltfonds (IEF) bedient, der sich aus Arbeitgeberbeiträgen speist. Hinzu kommen rund 42 Millionen Euro an Steuerforderungen des Fiskus gegenüber der „Leiner und kika Möbelhandels GmbH“. Die Summe ergibt sich aus laufenden Forderungen und aus Corona-Steuerstundungen von 5,2 Millionen Euro, die während der Pandemie gewährt wurden. Gut möglich, dass der Staat nun auf über 33 Millionen an Steuereinnahmen verzichten muss. Denn die Mindest-Gläubigerquote bei solchen Verfahren beträgt 20 Prozent, und es ist offen, ob man aus der Verwertung der verbliebenen Vermögensbestände mehr für die Gläubiger herausholen kann.
Steuerstundungen für Unternehmen, besonders in Krisenzeiten, sind nicht unüblich. Für Diskussionen sorgt allerdings, dass diese Stundungen in Millionenhöhe ohne zusätzliche Besicherung, zum Beispiel durch eine Eintragung ins Grundbuch oder eine Bürgschaft der Gesellschafter, gewährt wurden. Das Finanzministerium sagt auf Anfrage dazu: „Es sollte ermöglicht werden, Anträge schnell und unbürokratisch zu bearbeiten, um den von der Pandemie betroffenen Unternehmen die erforderliche Hilfestellung zu bieten. Unter diesen Umständen erschien das Abverlangen von zusätzlichen Sicherheitsleistungen als nicht zweckmäßig und ist daher im COVID-19-Ratenzahlungsmodell nicht vorgesehen.“
Außerdem haben Lieferanten Ansprüche auf 40 Millionen Euro gegenüber dem insolventen Unternehmen geltend gemacht, die aber meist versichert sind und somit nicht auf Kosten der Steuerzahler gehen.
Wer ist Hermann Wieser?
Der neue Eigentümer des operativen und nunmehr insolventen kika/Leiner-Möbelhandels ist scheu. Er gibt keine Interviews, es gibt keine offiziellen Pressefotos, und die wenigen Statements werden über eine Wiener PR-Agentur ausgeschickt. Im Haus ist er aber kein Unbekannter. Er war Manager bei XXXLutz und wechselte später zu kika und Leiner. Für die Pleite macht er übrigens „Management-Fehler, explodierende und nicht an die Rahmenbedingungen angepasste Kosten“ sowie eine „falsche Marketingstrategie“ verantwortlich. Für die verbliebenen rund 2.000 Mitarbeiter von kika/Leiner bleibt zu hoffen, dass sein Liquiditätsplan tatsächlich retten kann „was zu retten ist“.
Was sagt Signa dazu?
Auf profil-Anfrage sagt ein Signa-Sprecher, man habe das Möbelgeschäft 2018 „in kritischem Zustand“ von der südafrikanischen Steinhoff-Gruppe übernommen. Über die Jahre seien 140 Millionen Euro an Sanierungsbeiträge und Vermieterzuschüsse bereitgestellt worden und „ein Dutzend“ Filialen generalsaniert worden. Auch die Mieten seien seit der Übernahme nicht verändert worden und seien „fremdüblich“.