Klimakrise: Ist ein Ende in Sicht – oder nicht?
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Christina Hiptmayr: Wir schaffen das nie!
Vielleicht ist es der Nebel, der sich seit Wochen hartnäckig über die Stadt stülpt. Vielleicht ist es eine Welt im permanenten Krisenmodus, die sich aufs Gemüt schlägt. Vielleicht ist es auch nur der typische Jahresend-Blues. Eines jedoch ist gewiss: Mein Vertrauen in die Menschheit, die Klimakrise noch in den Griff zu bekommen, tendiert gegen Null.
Dabei dachte ich, heuer endlich eine Zeitenwende zu beobachten. Schließlich treten die schon lange vorhergesagten Folgen des Klimawandels immer häufiger und mit immer gravierenderen Schäden tatsächlich ein. Mit verstärkter Frequenz und Eindringlichkeit prasseln die Hiobsbotschaften auf die Menschen herab. Gletscherschmelze, verdorrende Felder, sturmverwüstete Wälder, überflutete Siedlungen – die Bilder und Berichte von einer zunehmend klimagestressten Welt werden immer verstörender. Und nicht nur jene aus weit entfernten Ländern, sondern auch solche direkt vor unserer Haustür. Der Neusiedler See, mangels Niederschlags am Verdunsten, hat sich seit seinem medienwirksamen Auftritt im Sommer nicht wieder erholt. Der benachbarte Zicksee ist bereits komplett verschwunden. Die Bilder von den tonnenweise verendeten Fischen haben sich eingeprägt. Die Landwirtschaft klagte – nicht nur im Seewinkel – über Trockenheit, Hitze und Hagel. Das österreichische Erntejahr 2022 lässt sich mit „enorme Schäden, geringe Erträge“ zusammenfassen. Die Klimakrise ist – deutlich sichtbar – angekommen.
Das, so dachte ich, müsste doch selbst dem größten Ignoranten die Augen öffnen. Zumal die Notwendigkeit, den weltweiten CO2-Ausstoß zu begrenzen, seit Jahrzehnten bekannt ist. Ich höre schon die Frage: Was kann denn das kleine Österreich da tun? Nun, endlich seinen Teil beitragen! Doch wir schleudern Treibhausgase in die Atmosphäre, als wäre nichts. Laut Berechnungen des Umweltbundesamtes sind die heimischen CO2-Emissionen 2021 gegenüber dem Jahr davor um rund 4,8 Prozent gestiegen. Wenn Österreich bis 2040 Klimaneutralität erreichen will, müssten sie jedoch jährlich um mindestens sieben Prozent nach unten gehen.
Die Regierung, so sollte man meinen, müsste doch alle Hebel in Bewegung setzen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Stattdessen gab sie kürzlich bekannt, dass das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, mit dem unter anderem per Jahresbeginn der Einbau von Gasheizungen in Neubauten untersagt werden sollte, fürs Erste verschoben ist. Der Ausstieg aus der fossilen Wärmeversorgung ist freilich eine ganz zentrale Maßnahme, um den heimischen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Daraus wird nun nichts. Nicht zuletzt deshalb, weil die Wirtschaftskammer von Anfang an gegen die geplanten Regelungen Sturm lief. Ähnliches gilt für das Klimaschutzgesetz, das seit geraumer Zeit Gegenstand „politischer Verhandlung“ zwischen den Regierungsparteien ist. Dass die ÖVP das Gesetz nicht will, ist hinlänglich bekannt.
Schon erstaunlich, wie kurzsichtig hier die so genannte Wirtschaftspartei sowie die vorgebliche Interessenvertretung der Unternehmen sind. Die Experten des Rechnungshofs, nicht gerade als linksgrün-versiffte Aktivisten bekannt, haben errechnet, dass die Kosten durch Klimaschäden in Österreich derzeit bei rund einer Milliarde Euro jährlich liegen. Wenn die Temperaturen stark steigen, wird sich dieser Betrag auf über acht Milliarden erhöhen. Und weil Österreich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die – wohlgemerkt verbindlichen – Klimaziele der EU für 2030 verfehlen wird, drohen Kompensationszahlungen für den Ankauf von Emissionszertifikaten von über neun Milliarden Euro. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass das Geld anderweitig deutlich besser investiert wäre.
Das Ziel des Pariser Klimagipfels, die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen, wird wohl krachend verfehlt. Zurzeit laufen wir global auf durchschnittlich drei Grad zu, was für Österreich fünf bis sechs Grad plus bedeuten würde. Die Folgen? Eine so stark zunehmende Häufigkeit von Extremereignissen wie Dürren, Überschwemmungen, Bränden, Krankheiten und Hitzewellen, dass an ein komfortables Leben mit einer stabilen Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser kaum noch zu denken ist. Dann werden nicht nur Klimaflüchtlinge aus Afrika, sondern auch aus Italien und Spanien vor unserer Türe stehen – weil Südeuropa buchstäblich verwüstet sein wird.
Auch wenn ich jetzt Gefahr laufe, mich hier als Untergangsprophetin zu entlarven: In einem Land, in dem sich der Volkszorn bereits entfacht, wenn so gelinde Maßnahmen wie etwa Tempo 100 auf Autobahnen auch nur angedacht werden, besteht wohl kaum Hoffnung, dass tiefgreifende Schritte, die unseren Konsum und Verkehr grundsätzlich hinterfragen, durchführbar sind. Einen ernsthaften Klimaschutz in absehbarer Zukunft sehe ich unter diesen Umständen nicht.
Der Mensch neigt eben zu Bequemlichkeit, Eigennutz, Besitzstandswahrung. Der Österreicher möglicherweise ganz besonders. Dieser Befund ist Ihnen zu defätistisch? Dann lesen Sie weiter bei Kollegin Dzugan. Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.
Franziska Dzugan: Wir schaffen das!
Zugegeben fällt es mir oft schwer, nicht in den Pessimismus meiner Kollegin einzustimmen. Die Nachrichten, die dank multipler Krisen täglich auf uns einprasseln, sind zermürbend. Ukrainekrieg, Energie-Engpässe, Erderhitzung – man kann das alles nicht mehr hören. Was freilich schnell vergisst, wer mitten im Schlamassel steckt: Krisen bergen immer Chancen. Man kann sich irgendwie herauswursteln oder gar auferstehen wie Phönix aus der Asche. Mein Optimismus hat Grenzen; es wird wohl auf die erste Variante hinauslaufen.
Erste Hinweise darauf gibt es bereits. Noch gehen die weltweiten CO2-Emissionen nicht zurück, aber: 24 Staaten haben es geschafft, ihre Treibhausgase seit 2008 signifikant zurückzuschrauben, darunter hauptsächlich europäische Industrienationen wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. Außerdem fand die Internationale Energieagentur (IEA) kürzlich die wohl einzige positive Folge des Überfalls Russlands auf die Ukraine: Der Krieg hat den Ausbau erneuerbarer Energiequellen enorm beschleunigt. Strom aus Wind, Sonne und Wasserkraft wird sich bis 2027 weltweit fast verdoppeln und Kohle endlich als größten Stromproduzenten ablösen. „Die Welt wird in den nächsten fünf Jahren so viel erneuerbare Energien ausbauen wie in den 20 Jahren zuvor“, sagte IEA-Direktor Fatih Birol Anfang Dezember. Damit bleibe das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, erreichbar.
Aussagen wie diese machen ebenso Hoffnung wie ein Blick nach Brasilien. Dort hat Präsident Jair Bolsonaro, in dessen Amtszeit die Kettensäge den Amazonas-Regenwald regierte, die Wiederwahl verloren. Weitere vier Jahre unter Bolsonaro hätten möglicherweise so viel tropisches Grün zerstört, dass das gesamte Gebiet zu versteppen gedroht hätte. Nachfolger Lula da Silva will Schluss machen mit der Abholzung, wie er bei der UN-Klimakonferenz in Ägypten ankündigte: „Es gibt keine Klimasicherheit in der Welt ohne ein geschütztes Amazonasgebiet. Wir werden tun, was auch immer erforderlich ist, um die Waldzerstörung bis 2030 auf null zu senken.“ Ein weiterer Lichtblick: Mit Indonesien und der Demokratischen Republik Kongo schloss Lula eine Umweltallianz zum Schutz der als CO2-Speicher global bedeutsamen Regenwälder. Die drei Staaten beherbergen zusammen mehr als die Hälfte der weltweiten Dschungelflächen.
Wieviel die Welt – allen voran die Wissenschaft – zustande bringt, wenn es brennt, hat die Coronakrise eindrucksvoll gezeigt. Weniger als ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie bekamen die ersten Menschen den neu entwickelten Impfstoff gegen Covid-19. Heuer waren Lockdowns, Kontaktverbote und Ausgangssperren deshalb nur noch dunkle Erinnerungen. Beim Klima geht freilich alles viel zu langsam. Der Grund: Die Industrieländer sind immer noch am wenigsten von Dürren, Fluten und Hitzewellen betroffen, der Druck zu handeln ist offenbar noch nicht groß genug.
Ein Umdenken ist jedoch spürbar, auch hierzulande. Während ÖVP, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung seit zwei Jahren ein potentes Klimaschutzgesetz verhindern, setzen sich immer mehr Unternehmer vehement dafür ein. Nicht nur die Fridays for Future-Jugend protestiert, sondern auch die CEOs for Future. “Niemand wird künftig in Länder investieren, die die Klimaziele nicht erreichen”, sagte der Industrielle Manfred Stanek kürzlich im Tauwetter-Podcast. Er ist Vorstand des international tätigen Verpackungskonzerns Greiner Packing und engagiert sich im Verein CEOs for Future, der aktuell regen Zulauf erfährt. Die Rechnung ist einfach: Wer jetzt auf Nachhaltigkeit setzt, anstatt sie als lästige Nebensache abzutun, ist vorne dabei. Wer in fossilen Technologien verharrt, hat keine Zukunft.
Was mich noch zuversichtlich stimmt? Das Vernichtungsverbot von Neuwaren, das Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) im November angekündigt hat. Greenpeace zufolge sind in Österreich im Vorjahr 4,6 Millionen Kilo ungetragener Kleidung und 120.000 Elektrogeräte im Müll gelandet, hauptsächlich weil sie online bestellt und zurückgeschickt worden waren. Mit dieser wahnwitzigen Verschwendung soll es im nächsten Jahr vorbei sein. Ebenfalls ein Pluspunkt fürs Klima: Der Ansturm auf das im Herbst 2021 eingeführte Klimaticket und der ambitionierte Ausbau des Schienennetzes, das im Klimabudget des kommenden Jahres den weitaus größten Posten einnimmt. Rückständige Straßenbauprojekte wie der Lobautunnel stehen auf der Kippe – weil Bürgerinnen und Aktivisten unermüdlich um jeden Zentimeter Natur kämpfen.
Zugegeben, es läuft zäh und viel zu langsam. Aber mit Lobau-Besetzerin Lena Schilling, Klimaaktivistin Greta Thunberg und ihren Mitstreiterinnen wächst eine Generation heran, die weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Nicht zuletzt deshalb bin ich zuversichtlich: Wir werden diese Krise meistern.