Klimawandel: Wie die Landwirtschaft der Erderwärmung trotzt
Die Winzer: Willi und Vincent Bründlmayer
Weingut Bründlmayer, Langenlois, Niederösterreich
"Heuer ist ein extremes Jahr", sagt Willi Bründlmayer und blickt einem Reh nach, das sich zwischen den Weinstöcken aus dem Staub macht. Für den Winzer ist der Klimawandel eine Tatsache -wiewohl er nach Lektüre des Buchs "Was auf dem Spiel steht" des Kulturhistorikers Philipp Blom eher von einer "Klimakatastrophe" sprechen würde.
Eigentlich weiß Bründlmayer schon seit Mitte der 1980er-Jahre Bescheid. Ein US-Klimaforscher, zu Gast bei einer Weinverkostung, erzählte von seinen Computermodellen. Bründlmayer bat ihn um eine Prognose für Langenlois. "Alles, was er vorhergesagt hat, ist tatsächlich eingetroffen", erzählt der Weinbauer. Dass die Durchschnittstemperatur um ein Grad steigen würde, dass es längere Trockenphasen und extremere Niederschläge geben wird - all das ist mittlerweile längst empirisch bestätigt.
An der Weinbauschule Krems wird seit Mitte der 1960er-Jahre die sogenannte Blühzeitkurve erhoben. Während damals die durchschnittliche Blütezeit der Weinstöcke zwischen Mitte und Ende Juni lag, verschob sie sich ab Beginn der 1990er-Jahre auf Anfang bis Mitte Juni - das Messgerät des Winzers ist der Rebstock. "Trotzdem gibt es noch immer Kollegen, welche die Situation ignorieren", sagt Bründlmayer. "Wir aber konnten rechtzeitig auf sie reagieren."
Hier sind ein paar Beispiele: Etwa 20 Hektar Weingarten werden durch Netze vor Hagel geschützt. Das stört zwar das ästhetische Empfinden des Winzers, erhält aber im Katastrophenfall zumindest einen Teil der Ernte. Um die Trauben seiner besten Lagen vor allzu großem Stress zu schützen, hat Willi Bründlmayer - zusammen mit Kollegen - bereits Ende der 1980er-Jahre eine Tröpfchenbewässerung installieren lassen. "Würden wir das nicht machen, würden viele Terrassen unkultiviert bleiben", so Sohn Vincent. Die Trauben für den gefeierten Riesling vom Heiligenstein wären auch heuer ohne Bewässerung schon in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Weinbauern im Kamptal haben im gesamten Gebiet Wetterstationen verteilt. Die gesammelten Daten werden elektronisch übertragen und sind für alle beteiligten Winzer zugänglich. So kann recht kleinräumig auf die Bedürfnisse im Weingarten eingegangen werden: Welche Lage hatte die wenigsten Niederschläge und sollte deshalb dringend bewässert werden? Wo hat es so viel geregnet, dass man jetzt besser darauf verzichten sollte, mit dem Traktor in den Weingarten zu fahren, weil man sonst den Boden extrem verdichten würde? In einer Branche, die derart stark von äußeren Einflüssen geprägt ist, wird möglichst wenig dem Zufall überlassen. Denn eine Traube, die unter Stress steht, reagiert - im wörtlichen Sinne - mit Verbitterung und baut Gerbstoffe auf.
Einem Teil ihrer Weinstöcke lassen die Bründlmayers die sogenannte Lyra-Erziehung angedeihen. Dabei werden die Reben so geteilt, dass über dem Stamm zwei y-förmig auseinanderstrebende Laubwände formiert werden. Die Blätter schützen die Trauben vor aggressivem Sonnenlicht. Dieses in Bordeaux entwickelte Erziehungssystem hat allerdings seinen Preis. Man benötigt die doppelte Menge an Unterstützungsmaterial (Pfähle, Drähte) als bei den in Österreich üblichen Hochkulturen. Und der Arbeitsaufwand beträgt ein Vielfaches. Denn die Laubwände müssen zwei-bis dreimal jährlich händisch entflochten werden, um den freien Luftraum in der Mitte des Stockes wiederherzustellen.
Und manchmal muss man umdenken und sich von alten Gewohnheiten trennen: "Müller-Thurgau und Frühroten Veltliner haben wir gerodet und durch andere Sorten ersetzt. Die standen zwar in unseren kühlsten Lagen, aber selbst dort ist es für diese zu warm", erzählt Sohn Vincent. Dafür ist mittlerweile der Rotweinanteil bei den Bründlmayers mit mehr als 25 Prozent für die Region untypisch hoch. So werden etwa mit Merlot und Cabernet Franc am Fuße des Heiligensteins spätreifende Sorten angebaut. "Das wäre vor 30 Jahren in Langenlois nicht möglich gewesen", sagt Willi Bründlmayer.
Eigentlich sehen sich die beiden Winzer derzeit als Klimagewinner. Ihre wichtigsten Sorten, Grüner Veltliner und Riesling, gedeihen unter den aktuell herrschenden Bedingungen prächtig. "Aber man müsste auf 'Stopp' drücken können", sagt Bründlmayer Senior. "Denn wenn es mit der Erderwärmung in diesem Tempo weitergeht, werden massive Probleme auf uns alle zukommen."
Der Förster: Thomas Lengger Reidlingberg
Wang, Niederösterreich
"Schauen Sie, neue Buchen", sagt Thomas Lengger. Der Förster deutet vom Forstweg in den Wald, und stapft sogleich mit weit ausholenden Schritten in das Unterholz hinein, um die Neuankömmlinge zu begutachten. "Buchen, Kiefern, Lärchen, Eichen", sagt Lengger. "Der Wald schaut heute anders aus als früher."
Der Reidlingberg, ein idyllisch-bewaldeter Hügel im niederösterreichischen Mostviertel, im Besitz der Österreichischen Bundesforste (ÖBf). Lengger ist hier Revierleiter, 26, ein Bergbauernkind aus der Steiermark mit schweren Wanderschuhen und einem Jeep, der oben auf dem Forstweg parkt. In diesem Job erlebt Lengger an vorderster Front, wie sich der Klimawandel auf den Wald auswirkt.
Die Veränderung ist massiv. Sie zeigt sich etwa in der Zusammensetzung der Baumsorten, nicht nur am Reidlingberg. Früher war die Fichte "das Nonplusultra in den Wäldern", sagt Lengger. Viele von ihnen bestanden weitgehend aus Fichten. Forstwirte nennen den Nadelbaum bis heute Österreichs "Brotbaum", weil er schnell wächst und das Holz vielseitig einsetzbar ist.
Auch heute noch schießen zwar rund um Lengger hauptsächlich Fichten in die Höhe, kerzengerade wie Säulen in einem antiken Tempel. Aber sie verlieren an Bedeutung. Zwischendrin machen sich andere Baumarten breit. "Wo viel Licht ist, gedeiht gern der Ahorn", erklärt der Förster. "Und im Schatten wachsen Tannen."
Bei den Fichten hingegen sei es ungefähr seit der Jahrtausendwende zu immer mehr Problemen gekommen. Sie brauchen mehr Feuchtigkeit und Kühle als andere Bäume; ihr hoher, gerader Wuchs macht sie anfällig für Sturmschäden. Keine guten Voraussetzungen in Zeiten des Klimawandels. "Der Wald ist trockener als früher", sagt Lengger. Aus Trockenheit und Sturmschäden ergeben sich Folgeprobleme - etwa der Borkenkäfer, der über geschwächte Bäume herfällt. Gegen diesen wird etwa mit Käferfallen vorgegangen, die im Wald aufgestellt werden. All das erhöht Kosten und Aufwand für die Erhaltung der Fichtenwälder in Österreich enorm.
Die Fichte gedieh ursprünglich in höheren Lagen - vor rund zwei Jahrhunderten jedoch wurde sie auch im flacheren Osten Österreichs wegen ihrer Vorteile im großen Stil angesetzt. Sie verdrängte die ursprünglichen Laubwälder. Und gedieh prächtig, ehe sich das Klima zu verändern begann.
"Das Thema Klimawandel beschäftigt uns täglich", sagt Rudolf Freidhager, Vorstandschef der Bundesforste. Das Jahr 2014 gilt als das letzte in Österreich, das in forstwirtschaftlicher Hinsicht einigermaßen regulär ausfiel. Seither beträgt die Menge des schadhaften Holzes jährlich jeweils 50 bis 60 Prozent der gesamten Ernte. "Es hat zwar immer schon Wetterextreme wie Dürre, Regen und Sturm gegeben, aber nie zuvor in einem derart hohen Ausmaß." Die Bundesforste sehen sich deshalb mit steigenden Kosten konfrontiert. Beispielsweise schlägt sich die Erhaltung von Forstwegen aufgrund häufigerer Überschwemmungen teurer zu Buche. Oder, noch gravierender: Das Budget für Schädlingsbekämpfung musste in den vergangenen Jahren um rund ein Viertel erhöht werden. Derartige Veränderungen laufen rasant ab, sagt Freidhager. Beispiel: "Als ich in den 70er-Jahren studiert habe, habe ich noch gelernt: Wenn der Wald auf mehr als 1000 Meter Seehöhe liegt, ist der Borkenkäfer kein Thema. Heute finden wir das Insekt sogar noch auf 1600 Meter Höhe."
Die Bundesforste kämpfen gegen die Klimaveränderung mit einem Bündel an Maßnahmen. Beispielsweise werden vermehrt trockenheitsresistente Bäume angepflanzt, etwa die Douglasie, ein Nadelgehölz nordamerikanischen Ursprungs. Außerdem setzt man statt auf Aufforstung vermehrt auf die sogenannte "Naturverjüngung": Das bedeutet, dass nicht gezielt Bäume angepflanzt werden - man lässt stattdessen jene sprießen, die von alleine entstehen. Der solcherart wachsende Wald kann sich besser seiner Umwelt anpassen. Freilich: Häufig hat der Mensch keine andere Wahl als einzugreifen. Im Gebirge etwa spielen die sogenannten "Schutzwälder" eine bedeutende Rolle. Sie bewahren darunter liegenden Siedlungen vor Muren und Lawinen - und bei ihnen muss auf die Baumzusammensetzung genau Bedacht genommen werden.
Stürme, Trockenheit, Borkenkäfer. "Derzeit müssen wir auf immer neue Probleme reagieren ", sagt Förster Lengger am Reidlingberg. Gerade hat er einen neuen Baumtrieb am Waldboden entdeckt, so klein, dass er kaum als Baum zu erkennen ist. Lengger hockt sich hin und zupft an der Pflanze herum. Eine junge Fichte, sagt er. Trotz aller Probleme wachsen auch sie noch hier. "Dieser kleine Baum hat einen langen Weg zum Erfolg vor sich."
Der Bautechniker: Helmut Schöberl
Gebäude der Technischen Universität, Wien-Mariahilf
Es ist ein Hochhaus von der eher unscheinbaren Sorte. Das Gebäude der Technischen Universität Wien (TU) aus den 1970er-Jahren liegt in einem Innenhof in Wien-Mariahilf. Elf Stockwerke, 700 Personen arbeiten hier. Graue Fensterreihen, schräges Dach. Trotz zentraler Lage zwischen Naschmarkt und Museums-Quartier fällt der Bau kaum auf.
Blickt man jedoch ins Innere, stellt man fest: Das Gebäude spielt alle Stücke. Im Jahr 2014 wurde es nach umfassender Sanierung wiedereröffnet -als erstes Plusenergie-Hochhaus der Welt. Das bedeutet, in dem Gebäude wird mehr Energie erzeugt als verbraucht. Es funktioniert, wenn man so will, wie ein kleines Kraftwerk.
"Es ist ein Pionierprojekt", freut sich Helmut Schöberl. Der 49-jährige Bauphysiker von der Firma Schöberl und Pöll GmbH in Wien entwickelte das Energiekonzept für das Gebäude. "Angesichts des Klimawandels müssen wir neu darüber nachdenken, wie wir bauen." In Zeiten steigender Temperaturen gilt es vor allem, Gebäude ausreichend zu kühlen - ohne dass dabei allzu viel Energie verbraucht wird, was dem Klima noch mehr schaden würde. Eine Herausforderung, denn gerade die Kühlung zählt zu den größten Energiefressern in Gebäuden.
Im Inneren des TU-Gebäudes wird Energie erzeugt, beispielsweise durch Solarpanele an der Fassade und durch Nutzung der Wärme, welche die Computer-Server abstrahlen. "Aber diese Energieerzeugung ist gar nicht so sehr das Besondere", sagt Schöberl. Die entscheidendere Frage lautet: Wie gelingt es, derart wenig Energie zu verbrauchen, dass man mit der bisschen erzeugten auskommt? Und genau hier, im niedrigen Verbrauch, liegen die Raffinessen des TU-Gebäudes.
Von den laufenden Computern über das brennende Licht bis zum fahrenden Aufzug: In diesem Haus wird rund zehn Mal weniger Energie verbraucht als in einem gewöhnlichen von vergleichbarer Dimension. Um derart hohe Einsparungen zu erzielen, arbeiteten sich Schöberl und sein Team im Zuge der Sanierung minutiös durch alles, was im Gebäude Energie benötigt. "Das reicht von der großen Kältemaschine im Keller bis zum kleinen Bewegungsmelder am Gang, der dafür sorgt, dass das Licht angeht", sagt Schöberl. Insgesamt klopfte das Team 9300 unterschiedliche Energieverbrauchsstellen im Gebäude ab. Und überlegte bei jeder, wie man deren Verbrauch optimieren könnte.
In Sachen Kühlung beispielsweise befasste sich Schöberl zunächst gar nicht mit der unmittelbaren Kühlung selbst, sondern mit anderen Fragen: Wie könnte man dafür sorgen, dass gar nicht erst zu viel Wärme ins Gebäude reinkommt -und auch drinnen wenig entsteht? Er entwickelte zu diesem Zweck "viele kleine Low-Tech-Lösungen". Beispiel: Die Jalousien sind nicht, wie üblich, außen vor den Fenstern angebracht, sondern zwischen Glasscheiben eingeklemmt. Dadurch kann man sie auch hinunterlassen, wenn draußen starker Wind weht. Die Wärme bleibt fern.
Oder, etwas raffinierter: Abends öffnet sich automatisch ein Gangfenster je Stockwerk. Eine spezielle Sogwirkung sorgt dafür, dass kühle Nachtluft durch den ganzen Stock strömt, bis zu einem Schacht, durch den sie wieder entweicht. "Das ergibt eine Wahnsinns-Kühlung", sagt Schöberl, "und kostet fast nichts, es braucht nur einen kleinen Motor zum Öffnen des Fensters."
Anschließend fährt Schöberl mit dem Lift in den Keller. Durch eine Metalltür betritt er einen Raum, in dem Maschinen dröhnen. Hier steht eine klassische Kältemaschine, welche das Gebäude auf konventionelle Weise kühlt - also ziemlich energieintensiv. Allerdings: Bei dieser Maschine wurden nicht nur zahlreiche Bauteile optimiert, sodass sie sparsamer funktioniert, beispielsweise sind die Rohre dicker als üblich. Diese Kühlung kommt auch erst zum Einsatz, wenn sämtliche andere Methoden - Jalousien, Luftzug und vieles andere - ausgeschöpft sind. "Wenn die Kältemaschine anläuft, haben wir schon 90 Prozent der Hitze, die unter normalen Bedingungen entstanden wäre, weggespart." Wenn heutzutage Gebäude errichtet werden, sagt Schöberl, würden die dahinterstehenden Techniker häufig über viele Arbeitsschritte nicht mehr nachdenken. "Sie verwenden diese oder jene Leitung, sie bauen diesen oder jenen Sensor ein. Vielleicht verschwendet das unnötig Energie. Aber man hat es eben immer schon so gemacht und kennt es nicht anders."
Was es also brauche, möchte man ein Projekt wie das TU-Haus realisieren, sei ein frischer Blick auf die Dinge. "Diesen Blick zu bekommen, haben mir oft die Gespräche geholfen, die ich zu Hause mit meinen Kindern geführt habe. Sie stellen die einfachen Fragen, die zugleich schwierig sind. Sie interessieren sich zum Beispiel nicht dafür, wie man ein Haus kühlen kann. Sondern sie fragen: Warum gibt es überhaupt Wärme?" Nachsatz: "Und dadurch geht mir plötzlich ein Licht auf."