Wie ein Klimazoll die europäische Industrie retten soll
Von Clara Peterlik
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Es ist gerade en vogue, politische Konflikte über Zölle auszutragen. Die USA kündigten horrende Zölle auf chinesischen Stahl, Solarzellen, Halbleiter und andere Waren an. China rächt sich und überlegt, Verbrennerautos mit größeren Motoren mit 25 Prozent zu bezollen. Und zuletzt zog auch die EU-Kommission nach und hat einen Importzoll von bis zu 40 Prozent auf chinesische E-Autos angekündigt. Fast lautlos wird hingegen neben diesem Schlagabtausch an einem anderen Zoll gearbeitet, der die Industriepolitik grundlegend verändert. Es geht weniger um den ökonomischen und geopolitischen Wettstreit zweier Nationen als um den Versuch, Europas Wirtschaft sauberer zu machen, ohne die Industrie zu ruinieren.
Dieser neue Klimazoll betrifft Zement, elektrischen Strom, Düngemittel, Eisen, Stahl, Aluminium und Wasserstoff aus Drittländern. Offiziell heißt er „Climate Border Adjustment Mechanism“, kurz CBAM, und ist ein CO2-Grenzausgleich. Der Zoll ist Teil des Green Deals und der nächste Schritt, um die Klimaziele in Richtung CO2-Neutralität zu erreichen. Die Idee dahinter: In der EU gelten strengere Klima- und Umweltauflagen. Energieintensive Unternehmen müssen für ihre Treibhausgasemissionen CO2-Zertifikate bezahlen. Die neue Ausgleichszahlung soll verhindern, dass EU-Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren oder ihre Produktion in Länder mit weniger strengen Klimaauflagen verlagern. Und sie soll Nicht-EU-Länder ermutigen, ihre Emissionen zu senken. Denn wer seinen Stahl, sein Zement oder Aluminium klimaneutral oder energieeffizient produziert, wird nicht bezollt. Aber wie funktioniert das in der Realität? Profitieren heimische Konzerne wirklich davon? Und wie reagieren andere Länder darauf?
„Sind nicht die Einzigen, die das gerade testen.“
In Ranshofen in Oberösterreich wird schon gerechnet. Jedes Jahr kommen 80.000 Tonnen Aluminium per Bahn in den Ortsteil von Braunau am Inn. Sie kommen als große Blöcke an, werden gemeinsam mit Aluminiumschrott aus der Umgebung verarbeitet und verlassen die Stätte als Bleche und Platten. Für Aluminium aus Drittländern wird bald ein Zoll fällig, für dasselbe Produkt aus den EU-Ländern nicht. Seit einigen Monaten läuft die Testphase, ab 2026 wird es ernst.
Der erste Abgabetermin war etwas holprig. „Es gab technische Probleme, die Server waren überlastet, aber es hat letztlich funktioniert“, erzählt die Finanzchefin des heimischen Aluminiumriesen AMAG, Claudia Trampitsch. Das Finanzministerium drückt es diplomatisch aus: „Jedes neue System stellt zu Beginn eine große Herausforderung technischer und administrativer Natur für die Betroffenen dar.“ Sonst sei der bürokratische Aufwand überschaubar, die Lieferanten hätten die benötigten Daten geliefert, sagt Trampitsch vom Unternehmen mit Produktionsstandorten in Österreich, Deutschland und Kanada pragmatisch. „Wir sind ja nicht die Einzigen, die das gerade benötigen.“
Da sie am Anfang der Wertschöpfungskette seien, war es kein großes Problem. Die oberösterreichische Firma habe rund zehn Lieferanten, vor allem aus Island, Norwegen und dem arabischen Raum. Auch aus China? „Nein, derzeit nicht.“ Und werden sie mehr Aluminium aus der EU importieren, damit sie sich den Zoll ersparen? „Es ist nicht ausreichend Ware da in unserem Segment."
Wie viel Klimazoll die AMAG genau zahlen muss, weiß sie noch nicht. Der wird sich an dem Preis für -Zertifikate in der EU orientieren. Derzeit liegt er bei rund 70 Euro, Tendenz steigend. Bisher stellte die EU einen Teil der Zertifikate gratis aus. Das wird auslaufen, und der Klimazoll wird ausgerollt. Als große Entlastung wird der Grenzausgleich aber nicht wahrgenommen. Schließlich zahlt das Unternehmen dann den Klimazoll auf die Vorprodukte und die -Zertifikate (ETS) für die Produktion in Europa. Der Großteil der Waren wird exportiert. „Da ist es nicht einfach, wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Trampitsch. „Die Intention ist gut, es ist aber keine große Hilfe bei der drohenden Deindustrialisierung.“ Sie könne nicht nachvollziehen, warum der Zoll nur auf Vorprodukte gelte, nicht aber auf fertige Ware, wie etwa Pkw. Das wäre sehr kompliziert, heißt es dazu von Experten. Es gebe aber Pläne, künftig noch mehr Produkte zu bezollen.
Auch in Linz wird schon gerechnet. Wer, wenn nicht der größte Stahlproduzent des Landes, profitiert von einer Regelung, die die Unternehmen in Europa unterstützen soll? Tatsächlich sagt Vorstandsmitglied Hubert Zajicek im Rahmen der Bilanzpressekonferenz: „Das ist ein sehr wichtiges Instrument für uns, damit wir auf einem „level playing field“ (unter gleichen Wettbewerbsbedingungen) operieren können.“ Ihn beschäftigt – ähnlich wie Trampitsch –, wie mit Exporten umgegangen wird. „Damit wir uns außerhalb Europas gut behaupten können.“
Wer sich verbessert, muss nicht mehr zahlen
Um ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen: 2022 importierten EU-Länder Waren im Wert von 104,3 Milliarden Euro, die bald unter die CBAM-Regelung fallen werden. In Österreich trifft der Klimazoll vor allem Unternehmen, die Eisen und Stahl importieren, heißt es aus dem Finanzministerium. Derzeit rechnen Unternehmen mit Standardwerten, wie viel Klimazoll sie in Zukunft bezahlen müssten. In wenigen Monaten brauchen sie konkrete Werte für alle Waren, je nach Land und Produktionsbedingungen. Claudia Trampitsch von der AMAG bereitet das detaillierte Berichten keine Sorgenfalten. Ihre Lieferanten zeigen sich kooperativ. „Ein absolut unrealistisches Szenario“, so nennt das hingegen die Wirtschaftskammer. Das aber einen wichtigen Zweck erfüllt.
Wenn sich Länder verbessern oder ähnliche Klimaabgaben einführen, zahlen sie auch weniger beim EU-Klimazoll. „Langfristig könnte so ein ‚Klimaklub‘ entstehen“, sagt Ökonomin Elisabeth Christen. Sie leitet am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) ein Projekt zu diesem Thema. In einer Studie berechnete sie die Effekte: Klima und Wettbewerb werden geschützt, aber auch moderate Wohlstandsverluste werden durch das neue Zollsystem verursacht, lautet das Fazit. Höhere CO2-Preise senken das Realeinkommen in der EU um 34,6 Milliarden Dollar (-0,23 Prozent) und in Österreich um 765,1 Millionen Dollar (-0,18 Prozent). Die Emissionen in der EU werden dadurch um über 45 Prozent gesenkt, weltweit sind es allerdings nur vier Prozent. Weitaus wirkungsvoller wäre es daher, wenn mehr Industrienationen außerhalb der EU mitmachen.
Der Anreiz für andere Staaten ist jedenfalls klar. Wenn sie eine ähnliche Abgabe einheben, bleiben die Einnahmen bei ihnen, nicht bei den EU-Staaten. In der Industrie mutmaßt man aber, dass einige Staaten eine Co2-Steuer einführen könnten, damit sie nicht unter das CBAM-Regime fallen, und mit Förderungen die abgeführte Steuer wieder rückvergüten. Das sei durchaus möglich, sagt Ökonomin Christen. Schließlich sei es den Staaten selbst überlassen, wie sie mit ihren Budgets umgehen. In der EU sei auch lange Ähnliches passiert, die EU habe auch energieintensiven Unternehmen jahrelang gratis CO2-Zertifikate ausgestellt.
„Abgesandelt“ oder nicht?
Stand heute ist ein internationaler Klimaklub nicht realistisch. Allerdings ein wichtiger politischer Schritt, um die Produktion in der EU zu unterstützen und Carbon Leakage (die Verlagerung von emissionsintensiver Industrie in Drittstaaten) zu verhindern. Hinter dem Zollprojekt steckt bei allen Ländern die Sorge um die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Und wie ist es um diese in Österreich nun bestellt? Ist der Standort abgesandelt, wie es der frühere Chef der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl einmal formulierte, oder nicht?
Gabriel Felbermayr, der Chef des WIFO, forscht seit Jahren zum Thema Klimazölle und tauscht sich regelmäßig mit der europäischen Politik dazu aus. Für ihn ist CBAM bestenfalls ein erster Schritt. „Die Exportseite fehlt.“ Aus seiner Sicht schwächelt die heimische Wettbewerbsfähigkeit aber schon länger. In einem Vortrag in seinem Institut analysierte er: „Seit 2010 ist in Österreichs Wirtschaft der Wurm drin. Wir wachsen im Trend deutlich langsamer als der ohnehin wenig dynamische Rest Europas, wir haben eine höhere Inflationsrate, und die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist nur mit einem immer schwächeren Euro zu halten.“ Er machte das an einem Index fest, und zwar dem der Gütermarktglobalisierung. Hier schwächelt Österreich seit 2010. Daher appelliert er an die nächste Bundesregierung, strukturelle Probleme wirklich anzugehen.
China kooperiert
Ware von einem Land ins andere zu bringen, ist das Kerngeschäft des Transport- und Logistikunternehmens DB Schenker. Je weniger Hindernisse, desto besser. Die neue CBAM-Regelung sorgt deshalb für Unruhe: Mehr Aufwand, möglicherweise weniger Importe, und das ist schlecht für das Geschäft.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkennen anhand der Zollnummern, ob die Produkte unter CBAM-Regelungen fallen oder nicht. Für die korrekten Angaben zu den Emissionswerten sind die Kunden selbst verantwortlich. Bei DB Schenker habe man die Angestellten aber geschult und biete auch Hilfe für betroffene Firmen an. In Ausnahmefällen müssen sie bei Lieferanten nachfragen, wie schmutzig oder sauber das Produkt hergestellt wurde. Etwa wenn ein Unternehmen aus einem Drittland Waren nach Österreich importiert. „Dann liegt die gesamte Berichtspflicht bei uns, das kommt aber selten vor.“ Der Zoll wird ab einem Wert von 150 Euro fällig, da könnten auch Privatpersonen darunterfallen. „Aber wie wird das kontrolliert werden?“, fragt sich Thomas Reindl von DB Schenker.
Die Kommunikation mit den Drittländern laufe gut an. „China kooperiert. Sie wissen, dass sie die Anforderungen erfüllen müssen, um weiterhin Zugang zum wichtigen europäischen Markt zu haben“, sagt Florian Heidfogel, Chef der Zollsparte Österreich von DB Schenker. Bei indischen Lieferanten sei es komplizierter.
Afrikanische Länder fürchten Auswirkungen
Einige sehr arme afrikanische Staaten, die vor allem Rohstoffe exportieren, befürchten herbe Verluste durch den Klimazoll. Zimbabwe liefert 87 Prozent seiner Eisen- und Stahlexporte in die EU, Mosambik 74 Prozent seiner Aluminiumausfuhren. Eine Studie der London School of Economics und der African Climate Foundation ergab, dass der Zoll afrikanische Länder 25 Milliarden Euro kostet.
Für den Ökonomen Carlos Lopes aus Guinea-Bissau von der African Climate Foundation wäre es daher wichtig gewesen, darauf einzugehen: „Der Zoll könnte bestehende Ungleichheit in Afrika weiter verschärfen“, schreibt er in der Studie. Es habe Überlegungen gegeben, spezielle Maßnahmen für Niedrigeinkommensländer zu schaffen, um diese etwa auch beim Umstieg auf klimafreundlichere Industrien zu unterstützen. Letztlich seien sie aber nicht gekommen, kritisiert er. Für Ökonomin Christen vom WIFO ist das ein springender Punkt. „Finanzielle Unterstützung bei der Transformation von Entwicklungsländern wäre extrem wichtig. Auch weil China in Afrika sehr aktiv ist.“
Aktion und Reaktion
Seit Kurzem ist aber noch eine Front im internationalen Ringen um Zölle eröffnet. Und sie hat nichts weniger als das Potenzial, einen beinharten, globalen Handelskrieg vom Zaun zu brechen. Und am Ende könnte Europa zwischen den beiden Machtblöcken China und den USA wirtschaftspolitisch zerrieben werden. Die US-amerikanische Finanzministerin Janet Yellen forderte die EU kürzlich auf , bei den Zöllen auf grüne Technologien nachzuziehen und ebenso wie die USA Zölle auf E-Autos, Solarpanels oder Windradturbinen aus China einzuheben. China fördert massiv seine Produktion für erneuerbare Technologien und Erzeugnisse, die Europa für die Energiewende braucht. Damit können chinesische Hersteller ihre Güter zu Dumpingpreisen auf den Weltmärkten verkaufen und untergraben den Wettbewerb in den USA und der EU – so der Vorwurf. „In der Vergangenheit hat die EU oft mit den USA mitgezogen, da die Aussicht auf etwa viel billigen chinesischen Stahl, der wegen der Strafzölle statt in die USA nach Europa kommt, abschreckte“, sagt Harald Oberhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien.
Tatsächlich traf die EU-Kommission in der Vorwoche eine Entscheidung, die nichts mit Klimaschutz, sondern vor allem mit Protektionismus zu tun hat: Chinesische E-Autos der Marke BYD werden mit einem Importzoll von 17,4, jene der Marke Geely mit 20 und jene von SAIC sogar mit 38,1 Prozent belastet. „Die Entscheidung der EU-Kommission für Zölle auf E-Autos beruht im Gegensatz zu den USA auf der Feststellung von handelsrechtlich widrigen Subventionen durch die chinesische Regierung. Von einer Reaktion Chinas ist dennoch auszugehen.“
Und diese ließ nicht lange auf sich warten. Die nächste Schlacht im internationalen Zollkrieg wird auf dem Rücken europäischer Schweine ausgetragen. Als Antwort auf die europäischen E-Auto-Zölle leitet China ein Antidumpingverfahren gegen Schweinefleisch aus der EU ein – dieses sei zu billig und eine Bedrohung für chinesische Schweinebauern. Das Antidumpingverfahren könnte man aber auch als sanfte Drohung in Richtung EU deuten und als Einladung, vielleicht doch noch einmal über die neuen Zölle für E-Autos zu verhandeln.
Und wird der Klimazoll auch als Provokation gesehen? Reiht er sich auch ein in das Kräftemessen durch Zölle? „CBAM ist WTO-konform, viele Staaten werden das aber nicht so sehen. Wie sie reagieren, wird sich noch zeigen“, sagt Ökonom Oberhofer. Seine Kollegin Elisabeth Christen sieht die EU hier in einem Balanceakt. „Es sollte nicht als protektionistisches Instrument wahrgenommen werden, sondern als Anreiz, dass diese Länder eine Co2-Bepreisung einführen. Je transparenter und klarer das kommuniziert wird, umso besser.“ Im internationalen Zollstreit steht es derzeit jedenfalls E-Auto gegen Schweinshaxe.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.