Infineon-Chefin Herlitschka: "Brauchen eine Steuerquote von 40 Prozent"
Von Clara Peterlik
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Wettbewerbsfähigkeit ist für Sie ein zentrales Thema. Was drängt da am meisten – und welche Regierung könnte das aus Ihrer Sicht am ehesten umsetzen?
Sabine Herlitschka
Ich bin ein Faktenmensch, und das IMD-Ranking zur Wettbewerbsfähigkeit hat Österreich jüngst auf Platz 26 positioniert. Vor vier Jahren lagen wir noch auf Platz 16. Das heißt, wir haben dringenden Handlungsbedarf. Die letzte Regierung hat Etliches erreicht und ist Reformen angegangen, wie die Abschaffung der kalten Progression. Auch die Investitionsprämie war eine gute Sache. Drei Milliarden Investitionsprämie haben dazu geführt, dass 240.000 Anträge gestellt worden sind und damit Investitionen von 23 Milliarden ausgelöst wurden. Das war gerade nach der Pandemie wichtig, wo alles heruntergefahren worden ist. Ein weiteres Beispiel ist die Umsetzung des sogenannten European Chips Act in Österreich, das hat kein anderes Land in Europa so gemacht. Aber in Summe fallen wir seit Jahren zurück – das heißt, es ist jetzt viel zu tun, in Österreich und auf europäischer Ebene.
Ich würde gerne noch einmal beim zweiten Teil der Frage einhaken, nämlich: Welcher Regierung trauen Sie das zu? Der Unternehmer und Chef der oberösterreichischen Industriellenvereinigung (IV), Stefan Pierer, hat sich sehr deutlich dafür ausgesprochen, dass „die zwei stimmenstärksten Parteien eine Regierung bilden“. Wie sehen Sie das?
Herlitschka
Ich werde mich dazu nicht äußern. Es muss eine Regierung sein, die sich ernsthaft vornimmt, die großen Themen anzugehen und an einer guten Zukunft für Österreich zu arbeiten. Eine Koalition, die sich in großen Reformen nicht gegenseitig blockiert. Und es ist dringend. Unsere Wettbewerbsfähigkeit muss sich rasch verbessern, und wir brauchen eine Steuerquote von 40 Prozent.
Das steht etwa in den Wirtschaftsprogrammen von FPÖ und ÖVP. Das überschneidet sich ja auch in vielen Teilen. IV-Chef Georg Knill meinte im Wahlkampf, es gebe eine große Deckungsgleichheit. Sehen Sie die auch?
Herlitschka
Die Koalitionspartner müssen natürlich inhaltlich gemeinsam in eine Richtung ziehen. Wir müssen uns dabei an der Zukunft orientieren. Mit Mut, Optimismus. In die Vergangenheit zu schauen, vieles zurückzudrehen, kann es nicht sein. Es wird nicht besser, wenn wir das Land in die Vergangenheit zurückbeamen.
Es heißt auch, die Industriellenvereinigung habe beim FPÖ-Wirtschaftsprogramm teilweise mitgeschrieben. Sehen Sie rein im Programm Punkte, die für Sie wichtig sind?
Herlitschka
Bitte um Verständnis, dass ich nicht auf einzelne Programme eingehe. Was für mich als Kriterium wichtig ist, ist, dass es um Zukunftsorientierung geht, dass man den Mut aufbringt und die Kraft, nötige Reformen durchzusetzen und umzusetzen. Wir brauchen eine Bildungsreform, die wirklich diesen Namen verdient, müssen Lohnnebenkosten senken und die Steuerquote auf 40 Prozent reduzieren. Ich bleibe dabei: In jeder Partei gibt es Ansätze dazu, aber es braucht einen gemeinsamen Willen, das auch anzugehen. Wir als Infineon haben uns als Konzern ein strukturelles Sparprogramm verordnet. Bei der steirischen Magna, bei AVL, Fronius, AT&S und etlichen anderen wird derzeit auch gespart. Durch hohe Energiekosten, hohe Bürokratie, eine hohe Steuerquote und hohe Lohnabschlüsse sind die Lohnstückkosten in Österreich durch die Decke gegangen. Das bringt uns alle unter großen Druck.
Ich bleibe dabei: In jeder Partei gibt es Ansätze dazu, aber es braucht einen gemeinsamen Willen, das auch anzugehen.
Bei Infineon läuft ein Sparprogramm, es wird jetzt auch viel über ein Sparprogramm für das Bundesbudget geredet. Gibt es da einen Bereich, wo Sie sagen, da könnten wir sparen?
Herlitschka
Jeder würde sich wünschen, die eine Stellschraube zu haben, oder? Das wäre echt praktisch. Ich glaube allerdings, wir sind an einem Punkt, wo es sehr komplex geworden ist. Wir müssen unser Steuersystem als Ganzes betrachten und die Frage stellen: Was wollen wir erreichen?
Und das ist damit eine sehr politische Entscheidung. In welche Richtung sollte da aus Ihrer Sicht mehr gesteuert werden?
Herlitschka
Es braucht einen Anreiz Richtung Vollzeitbeschäftigung. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern höhere Lohnabschlüsse und arbeiten weniger. Diese Rechnung geht sich im globalen Wettbewerb nicht aus. Wir sehen auch als Industriellenvereinigung in vielen Bereichen die Gefahr, dass die österreichischen Produkte zu teuer werden. Und das hängt mit beiden Dingen zusammen. Einerseits mit den Kosten, aber auch mit dem Thema Arbeitszeit. Wir müssen die Teilzeitquote senken, die in Österreich sehr hoch ist. Dafür braucht es Rahmenbedingungen, wie vor allem den Ausbau der Kinderbetreuung, ganztägig, ganzjährig und hochqualitativ.
Aber eine Option wäre auch, die Lohnnebenkosten zu senken und dafür Vermögen zu besteuern als Ausgleich?
Herlitschka
Es ist ein Fakt, dass Österreich eine sehr hohe Steuerquote hat. Wir sind bei 43,5 Prozent. Österreich hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem, das bestätigen die Experten. Es ist also eine Frage der Effizienz. Wir haben ein teures Bildungswesen, wir stecken viel Geld in das Gesundheitssystem, wir haben aber nicht die entsprechend guten Ergebnisse in den diversen Benchmarks. Also das heißt, wir haben ein Effizienzproblem, das Geld kommt nicht dort an, wo es ankommen sollte.
Wechseln wir in die Chipbranche. Im letzten Interview mit profil gab es einen großen Boom, große Euphorie. Das ist jetzt, ein Jahr später, anders. Wo steht die Branche jetzt?
Herlitschka
An der mittel- und langfristigen Schlüsselrolle der Chipindustrie hat sich nichts geändert. Aber sie reagiert schnell und intensiv auf Konjunkturzyklen. Man braucht in dieser Industrie gute Nerven und muss strategisch Stärken aufbauen. Ich gebe Ihnen das Beispiel, das ich am besten kenne. Infineon ist etwa Weltmarktführer bei der Leistungselektronik. In rund 50 Prozent aller Serverfarmen sind es unsere Energiesparchips, die das große Potenzial der Energieeffizienz erschließen. Wir reden gern über künstliche Intelligenz und die gewaltigen Investitionen in China und den USA. Aber diese großen KI-Unternehmen brauchen alle Datenzentren, und die brauchen Strom, viel Strom. Ich meine, wir gehen in ein neues Paradigma, wo man weniger darüber spricht, wie viel Energie mehr muss ich erzeugen, sondern wie effizient kann ich die Energie nutzen. Und da ist Infineon Weltmarktführer. Irland hat enorm viele Datenzentren, und sie sind für 17 Prozent des gesamten Stromverbrauchs des Landes verantwortlich. In den nächsten vier Jahren wird dieser Energieverbrauch auf 32 Prozent steigen, das kann man nicht so einfach zusätzlich produzieren. Man muss über den Hebel Energieeffizienz arbeiten.
Sabine Herlitschka
"Wir kennen in unserer Branche Zyklen des Auf- und Abschwungs. In dem Fall wird dies noch verstärkt dadurch, dass sich die Nachfrage weltweit abgekühlt hat und gleichzeitig nach der Pandemie viele Kunden auf Lager gekauft haben."
Wie sehen Sie da das Potenzial?
Herlitschka
Enorm. Und da kommen noch echte Technologiesprünge. Die Arbeit an neuen, noch energieeffizienteren Halbleitermaterialien ist einer unserer Forschungsschwerpunkte.
Zurück zur Ursprungsfrage. Innerhalb von wenigen Monaten ging es vom Boom zum Sparkurs. Vom Fachkräftemangel zum Personalabbau. Was ist passiert?
Herlitschka
Auf der einen Seite ist es natürlich ein Thema der Nachfrage. Wir kennen in unserer Branche Zyklen des Auf- und Abschwungs. In dem Fall wird dies noch verstärkt dadurch, dass sich die Nachfrage weltweit abgekühlt hat und gleichzeitig nach der Pandemie viele Kunden auf Lager gekauft haben. Dazu kommen die Faktoren, die wir zuerst besprochen haben: höhere Energiekosten, Bürokratiekosten und auch hohe Lohnabschlüsse.
Wenn Sie sagen, es sei eine Phase, werden die nächsten Ergebnisse dann wieder besser ausschauen?
Herlitschka
Im Moment können wir dazu noch nichts sagen. Wir geben Mitte November unsere Quartalszahlen und den Jahresabschluss bekannt.
Ich meine, wir tragen auch eine Verantwortung, gerade den jüngeren Menschen gegenüber, dass wir uns nicht noch mehr hineinjammern.
Vor ein paar Monaten meinten Sie zum Green Deal: „Gut gemeint, schlecht gemacht.“ Wie sehen Sie jetzt die Pläne der zweiten Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen?
Herlitschka
Die Richtungsänderung mit Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit sehe ich positiv, allerdings muss das auch umgesetzt werden. Es braucht klare Schritte, wie man Wettbewerbsfähigkeit in Kombination mit dem Green Deal konkret stärken wird. Das war ja ursprünglich das Ziel. Der Green Deal Industrial Plan, der Europas Industrie für das Zeitalter der Klimaneutralität rüsten soll, sieht Etliches vor. Darunter ist der Net Zero Industry Act, der vor allem saubere Energietechnologien unterstützt, vielversprechend. Das ist gut und muss jetzt tatkräftig umgesetzt werden. Aber gleichzeitig wurde ein Lieferkettengesetz (Anm.: das Gesetz soll einen rechtlichen Rahmen schaffen, um den Schutz der Umwelt, Menschen- und Kinderrechte entlang globaler Lieferketten zu verbessern) beschlossen, das in der Zielsetzung gut, aber in einer Form aufgesetzt ist, sodass es einen enormen bürokratischen Aufwand bringt und für europäische Unternehmen echte Wettbewerbsnachteile bedeutet. Das werden andere nutzen.
Aber wie könnte aus Ihrer Sicht Europa wieder erfolgreicher sein?
Herlitschka
Als Europa werden wir mit dem Green Deal erfolgreich sein, wenn er einen Rahmen schafft, mit dem Unternehmen, die Innovationen im Sinne der grünen Transformation umsetzen, und damit auch wirklich Vorteile erzielen können. Der Inflation Reduction Act in den Vereinigten Staaten ist eine erfolgreiche Referenz. Ein relativ einfacher Rahmen, der finanzielle Anreize enthält, um den Übergang der USA zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu beschleunigen.
Wieso gerade der?
Herlitschka
Weil er ein Stimulationsprogramm ist, um grüne Transformation und mehr Nachhaltigkeit voranzutreiben, aber auch Investitionen in den USA zu befördern, und weil er eben mittels Anreizen arbeitet. Sehr einfache Instrumente, auch Steuermechanismen, die das Verhalten lenken.
In der Wirtschaft spielt auch die Stimmung eine wesentliche Rolle. Rein statistisch blickt der Großteil der Österreicherinnen und Österreicher derzeit eher wenig optimistisch in die Zukunft. Wie ist das bei Ihnen?
Herlitschka
Natürlich waren die letzten Jahre anspruchsvoll für uns. Wir sind aber eine der Generationen, die sehr gute Möglichkeiten haben, um darauf gute Antworten zu finden. Ich meine, wir tragen auch eine Verantwortung, gerade den jüngeren Menschen gegenüber, dass wir uns nicht noch mehr hineinjammern. Wie geht man große Aufgaben an? Indem man ein Ziel formuliert, einen Plan macht und dann schaut, wie man dorthin kommt. Und zwar mit Mut und Zuversicht. Und am Weg muss man nachjustieren, mehr oder weniger, aber so ist das Leben nun einmal. Die ganze Entwicklung von Infineon in Österreich ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben vor 54 Jahren als kleine Produktion begonnen. 24 Frauen, die Bauteile montiert haben für die damals neuen Farbfernseher. Das war eine billige Produktion. Und heute sind wir das forschungsstärkste Unternehmen Österreichs, mit einer der technologisch führenden Chipproduktionen in einem global erfolgreichen Konzern.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.