Wirtschaft

Kritik an EU-Gremium: Einfallstor für Lobbyisten?

Nach internationalen NGOs nimmt nun auch die Arbeiterkammer einen internen Ausschuss der EU-Kommission ins Visier. Dieser soll eigentlich für Kontrolle sorgen, verfügt laut einer aktuellen Studie jedoch über mehr Macht, als der europäischen Gesetzgebung guttut.

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Lieferkettengesetz, faire Löhne, „Green-Deal“ – auf EU-Ebene werden Gesetzesvorhaben diskutiert, die weitreichende Auswirkungen haben können, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftspolitisch und für die Umwelt. Was wäre jedoch, wenn irgendwo im komplexen Brüsseler Institutionengeflecht ein kaum bekanntes Gremium existiert, das schon am Beginn von Entscheidungsprozessen mithilft, Unternehmensinteressen tendenziell stärker zur Geltung zu bringen? Ein Gremium, das noch dazu ein potenzielles Ziel für industrienahe Lobbyisten darstellt?

Im Vorjahr erhoben mehrere internationale NGOs schwere Vorwürfe in Bezug auf das – bei der EU-Kommission angesiedelte – „Regulatory Scrutiny Board“ (RSB). Dieser „Ausschuss für Regulierungskontrolle“, wie er auf Deutsch genannt wird, soll demnach mitgeholfen haben, ein weitreichendes Gesetz, dem zufolge Unternehmen Verantwortung für ihre globalen Lieferketten übernehmen sollen, zu verwässern – profil berichtete zuletzt ausführlich über dieses sogenannte Lieferkettengesetz. Das RSB, dem aktuell sechs Expertinnen und Experten angehören, sei in diesem Zusammenhang auch Ziel von Industrie-Lobbying gewesen. In Österreich schließt sich nun die Arbeiterkammer (AK) der Kritik am RSB an. Eine Studie im Auftrag der AK und des Vereins „LobbyControl“ gelangt – kurz gesagt – zur Einschätzung, dass der Einfluss des Gremiums deutlich beschnitten werden sollte.

Weitreichende Einspruchsmöglichkeit

Formell kommt dem RSB im europäischen Gesetzwerdungsprozess eigentlich nur eine eher technisch anmutende Aufgabe zu: Will die EU-Kommission Gesetzesvorschläge auf den Weg bringen, muss sie dazu auch eine Folgenabschätzung ausarbeiten. Der Ausschuss unterstützt die Kommissionsmitarbeiter dabei durch Besprechungen im Vorfeld und gibt später eine Stellungnahme ab.

Was auf den ersten Blick mäßig spannend wirkt, kann weitreichende Konsequenzen haben: Bei einer negativen Stellungnahme muss die Kommission ihre Folgenabschätzung überarbeiten und erneut vorlegen. Bei einer zweiten negativen Stellungnahme durch das RSB benötigt es eine formelle Entscheidung auf höchster Kommissionsebene, ob das Gesetzesvorhaben überhaupt weiterverfolgt wird.

Expertin: „De facto ein Veto“

Brigitte Pircher von der Linnaeus University im schwedischen Växjö forscht zum Thema EU-Institutionen und hat sich im Auftrag von AK und „LobbyControl“ eingehend mit dem RSB beschäftigt. In ihrer Studie, die profil vorliegt, gelangt die österreichische Wissenschaftlerin zu der Einschätzung, dass dem Ausschuss durch die Möglichkeit einer zweiten negativen Stellungnahme de facto ein Veto zukomme. Der Vorgang kann zumindest zu deutlichen Verzögerungen führen. „Die Rolle des RSB ist hier zu stark“, sagt Pircher im Gespräch mit profil. Es handle sich um nicht gewählte Vertreter, die – ohne demokratische Rechenschaftspflicht – hinter verschlossenen Türen handeln würden. Sie empfiehlt, die Kompetenzen des RSB diesbezüglich deutlich zu reduzieren.

Der EU-Rat, in dem die Vertreter der Mitgliedsstaaten sitzen, und das Europäische Parlament könnten Gesetzesvorschläge der Kommission in der Folge zwar noch in jede Richtung verändern, sagt AK-Experte Frank Ey: „Aber das RSB kann über seine Vetomacht darauf einwirken, dass gesellschaftspolitisch wichtige Passagen vorher weggestrichen werden. Parlament und Rat erfahren gar nicht, wie die ursprünglichen Vorschläge ausgesehen haben.“ Der Ausschuss orientiere sich grundsätzlich sehr an wirtschaftlichen Aspekten und bringe diese nicht in Balance mit gesellschaftspolitischen Auswirkungen.

„Mangelnde Transparenz“

Muss man fürchten, dass das RSB ein Einfallstor für Lobbyisten und sonstige Interessen darstellt? „Absolut“, sagt Pircher. Die tatsächliche Beeinflussung sei mangels Transparenz schwer abzuschätzen. Die Expertin fordert deshalb einen besseren Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Ausschusses.

In einer Stellungnahme zum Thema „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, hielt das RSB im Jahr 2021 übrigens fest, es gäbe nur eingeschränkte Nachweise für die Einkommensdiskriminierung von Frauen. Eine überraschende Einschätzung – und Wasser auf die Mühlen der Kritiker.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.