Bei der insolventen KTM sind derzeit die Sanierer mit dem Sparstift unterwegs. Der Standort in Mattighofen soll dabei deutlich verkleinert werden und noch mehr Produktion ins billigere EU-Ausland wandern. Das legen interne Unterlagen nahe.
Leere Werkshallen sind hier ungewöhnlich. Und so ziemlich das Schlimmste, was einem Industriebetrieb passieren kann. Wenn die Produktionsbänder stillstehen. Wenn die Kantine zu Mittag leer bleibt. Wenn statt des Summens der Maschinen und des Getuschels der Mitarbeiter nichts als Stille herrscht, die nur ab und zu von hallenden Schritten durchbrochen wird. Schritte, die man im Vollbetrieb gar nicht hören würde. Aber jetzt ist das KTM-Werk in Mattighofen leer. Fast alle Mitarbeiter sitzen zu Hause und warten.
Vier Fünftel der Belegschaft wurden in Kurzarbeit geschickt, nach Hause. Die Arbeitszeit wurde für die Monate Jänner und Februar auf 30 Stunden pro Woche reduziert und die Produktion eingestellt, damit sich die übervollen Lager wieder leeren. Im März soll hier wieder produziert werden, voraussichtlich aber deutlich weniger als bisher. Die insolvente KTM wechselt vom Zweischicht- in den Einschichtbetrieb. Was am Ende der Sanierungsperiode von KTM hier noch übrig bleibt, ist derzeit offen. Die Zeichen stehen aber auf Redimensionierung und Verlagerung ins günstigere EU-Ausland.
Rückblende: Am 29. November des Vorjahres musste der heimische Motorradhersteller, die KTM AG, Insolvenz anmelden. Der Schuldenberg beträgt rund drei Milliarden Euro. Rund 1600 Gläubiger sind betroffen. Wie hoch deren Forderungen genau sind, wird erst kommende Woche endgültig feststehen, die Anmeldefrist für die Gläubigerforderungen läuft noch. Laut dem zweiten Bericht des Sanierungsverwalters, den profil einsehen konnte, sollen Ende 2024 rund 265.000 unverkaufte Motorräder auf Lager gelegen sein. Das ist ein gesamter Jahresumsatz im Wert von rund einer Milliarde Euro.
391 Mitarbeiter verlieren im Zuge der Sanierung ihren Job. Rechnet man jene hinzu, die im Lauf des Vorjahres schon zur Kündigung angemeldet wurden, hat die KTM AG, eine Tochter der Pierer Mobility, fast 1000 Mitarbeiter an den Standorten im oberösterreichischen Mattighofen, in Munderfing und in den ausländischen Niederlassungen abgebaut.
Sparen und verlagern
Während die Mitarbeiter zu Hause sitzen, waren in den letzten Wochen die Sanierungsverwalter und die Berater von Boston Consulting mit dem Sparstift unterwegs. Die Agenda: Wo und wie viele Millionen Euro kann man einsparen, um die Kosten bei KTM zu senken?
Der einstige Leitbetrieb von Stefan Pierer wird noch mehr bluten, und am Ende des Sanierungsprozesses wird hier in Mattighofen auch deutlich weniger von KTM übrig bleiben als vor der Pleite. Der Befund der Sanierungsverwalter und Unternehmensberater: Der Standort ist zu teuer. Die Personalkosten sind zu hoch – sie sind in den vergangenen drei Jahren um ein Viertel gestiegen –, die Materialkosten sind massiv gestiegen. Lieferverträge sollten neu verhandelt werden und Zulieferer aus günstigeren Ländern als Österreich gesucht werden. So sollen schon in wenigen Jahren zwischen 60 und 70 Millionen Euro jährlich eingespart werden. Für die zahlreichen KTM-Zulieferer in Österreich sind das freilich keine guten Nachrichten.
Das Herzstück der Gruppe war die Forschungs- und Entwicklungsabteilung – durch Ingenieurskunst made in Austria zum größten Motorraderzeuger Europas. 193 Millionen Euro ließ sich KTM ihre Forschung und Entwicklung zuletzt kosten. Zu viel, meinen die Sanierungsexperten. Sie empfehlen nun sowohl bei der Fertigung als auch bei der Entwicklung deutlich weniger made in Austria und mehr made irgendwo anders.
„Das ist ehrlich gesagt unsere größte Sorge, dass wir hier massiv zusammengestutzt werden und die ganze Produktion noch mehr ins Ausland wandert“, erzählt ein Mitarbeiter, der nur anonym mit profil spricht. „Wir produzieren jetzt schon ungefähr die Hälfte der Motorräder in Indien und in China.“ In Zukunft könnten es deutlich mehr werden. Die Serienfertigung der Motorradklasse 990cc, die bisher in Mattighofen durchgeführt wurde, könnte ebenfalls nach Indien wandern, zum dortigen Joint-Venture-Partner Bajaj. Um Kosten zu sparen. Ein Sprecher von KTM sagt dazu auf Nachfrage: „Die von der BCG (Boston Consulting Group, Anm.) aufgezeigten Maßnahmen liefern eine Entscheidungsgrundlage für das Management, welche Maßnahmen in ihrer Kombination geeignet sind, die KTM nachhaltig wieder auf Spur zu bekommen.“
Dem Vernehmen nach braucht KTM über eine halbe Milliarde Euro, allein um die gesetzlich vorgeschriebene Mindestquote von 30 Prozent der Gläubigerforderungen zu erfüllen. Auf Nachfrage bei KTM heißt es dazu: Kein Kommentar. Ohne frisches Geld von Investoren in zumindest dreistelliger Höhe wird das aber nicht gelingen. Bis Mitte Jänner sammeln die Sanierungsverwalter verbindliche Angebote. Die Investmentbank Citibank wurde mit einem Investorensuchprozess beauftragt.
Angebote aus Asien
Zwei Angebote liegen bereits auf dem Tisch – und hier kommen Pierers Partner in Indien und China ins Spiel, die mit der wankenden KTM durchaus ein gutes Geschäft machen könnten. Bajaj Auto gehört zu Indiens größten Autobauern und hält durchgerechnet 37,4 Prozent an der Pierer Mobility AG, der Konzernmutter von KTM. 300 Millionen Euro an kurzfristig verfügbarem Kapital sollen die Inder schon Anfang Dezember angeboten haben. Das geht aus dem Sanierungsbericht hervor.
Die CF Moto aus China ist wiederum seit 2018 über ein gemeinsames Joint Venture globaler Partner von Pierer Mobility. CF Moto ist dabei für den Vertrieb von KTM-Motorrädern in China zuständig und Pierer Mobility für die Distribution der CF-Moto-Maschinen in Europa. Nun wollen die Chinesen offenbar die Mehrheit an der Pierer Mobility AG – und damit an KTM – erwerben und bieten zusammen mit anderen Investoren zwischen 350 und 700 Millionen Euro. Welchen Anteil sie genau anstreben, ist nicht bekannt.
Dass die womöglich rettenden Millionen aus Indien oder China kommen könnten und dass damit eine für den Standort schmerzhafte Produktionsverlagerung in diese Länder folgen könnte, empfinden viele bei KTM als Demütigung. Galten doch beide Länder vor Kurzem noch als billigere Werkbank. Jetzt könnte das Geld aus Asien über Zerschlagung oder Fortbestand entscheiden, wenn im Investorenprozess kein besseres Angebot auf dem Tisch landet.
In Gläubigerkreisen wird derzeit gefordert, dass sich auch KTM-Gründer Stefan Pierer finanziell an der Sanierung beteiligt.
Pierer soll zahlen
Für den 27. Jänner hat die KTM-Mutter Pierer Mobility eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen. Bis dahin sollten möglichst alle Investorenangebote auf dem Tisch liegen. Die Zeit drängt jedenfalls, und das Cash im Konzern ist knapp. Die Liquidität reicht laut den Sanierungsverwaltern bis Ende des Monats, zumindest. „Bis dahin erwartet sich der Sanierungsverwalter konkrete Angebote von Interessenten, um die Gesellschaft weiterführen zu können“, sagt ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage. Und: „Ich kann bestätigen, dass Anteile an einer Immobiliengesellschaft von der KTM an die Pierer Konzerngesellschaft mbH verkauft wurden und der KTM AG daher Mittel von rund EUR 35 Millionen zugeflossen sind.“ Wegen des Produktionsstopps bis März erwirtschaftet das Unternehmen de facto keine eigene Wertschöpfung. All das geht auch auf Kosten der Insolvenzmasse.
In Gläubigerkreisen, darunter sind viele Banken, wird derzeit relativ laut gefordert, dass sich Stefan Pierer auch mit seinem Privatvermögen an der Rettung von KTM beteiligen solle. Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ führte ihn 2023 noch mit einem geschätzten Vermögen von 1,6 Milliarden Euro als siebtreichsten Österreicher. Wobei ein nicht unwesentlicher Teil dieses Vermögens in Unternehmenswerten steckt. In der kommenden Hauptversammlung wird deshalb wohl auch sein persönlicher Beitrag zur Rettung von KTM behandelt werden.
Pierer nannte die Sanierung der KTM einen „kurzen Boxenstopp“, der notwendig sei, um das Unternehmen wieder auf die Spur zu bringen. Ende Februar müssen die Gläubiger über den Sanierungsplan entscheiden. Dann wird sich zeigen, ob und wie stark KTM aus der Box wieder herausfahren kann.