Landwirtschaft: Das schmutzige Geschäft mit der Massentierhaltung
Man könnte meinen, es sei Ostern. Dort, inmitten Berlins, direkt am Brandenburger Tor, und nur wenige Schritte vom Regierungsviertel entfernt. Im noblen Hotel Adlon Kempinski dreht sich seit Sonntag alles um Eier. Weiße. Braune. Goldene. Nur die bunten fehlen. Keine Konferenz der Osterhasen also. Vielmehr lädt die International Egg Commission zu ihrer jährlichen „Global Leadership Conference“.
Das Programm ist dicht getaktet. Die Teilnehmer diskutieren über Vermarktungsstrategien, Bedrohungen wie die Vogelgrippe, die Auswirkungen des Eikonsums auf die menschliche Gesundheit, das richtige Futter für Hühner oder die modernste Technologie für die Weiterverarbeitung von Eigelb. Währenddessen werden die Gattinnen auf Sightseeing-Tour durch die deutsche Hauptstadt geschickt – die Rollenverteilung in dieser Branche scheint noch recht traditionell. Höhepunkt der Veranstaltung ist die Auszeichnung mit dem „Golden Egg Award“, der für herausragendes Marketing – die Organisatoren mühen sich mit Wortwitz und sprechen von „Eggsellence“ – verliehen wird.
Branche im Umbruch
Das ist eindeutig kein Frühschoppen für ein paar Hendlbauern. Stallgeruch haftet hier garantiert niemandem an. Es trifft sich das Who’s Who der internationalen Eierindustrie. Vorstände und Manager der weltgrößten Produzenten. Delegationen aus 75 Ländern – von Argentinien und China, den USA und Vietnam, bis hin zu Zimbabwe – finden sich ein. Die österreichischen Teilnehmer werden sich wohl vor allem für einen Vortrag interessieren: „Die europäische Eierindustrie im Wandel“.
Die Branche ist im Umbruch, keine Frage. Und das schon seit Jahren. Konsumenten legen immer mehr wert auf biologische und regionale Lebensmittel. Sie sind kritisch und hinterfragen Produktionsbedingungen. Gleichzeitig hat die EU den Tierschutz in der Nutztierhaltung verschärft. Auf Druck der Bürger und Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Einerseits.
Andererseits finanzieren und subventionieren EU-Staaten und internationale Finanzorganisationen Tierfabriken außerhalb der Grenzen der Union. Mit öffentlichen Geldern in Millionenhöhe. In Anlagen, die in der EU aufgrund der relativ hohen Tierschutzstandards verboten wären, wohlgemerkt. Deren Produkte landen auch in den Märkten der EU-Mitgliedsstaaten. Zu konkurrenzlosen Preisen. Die Verlierer? Heimische Landwirte, deren Wettbewerbsfähigkeit geschwächt wird. Konsumenten, die nicht wissen, was sie konsumieren. Millionen Nutztiere in Haltesystemen, die in der EU als tierschutzwidrig eingestuft werden.
Eine paradoxe Situation.
Sie betrifft nicht nur Legehennenhalter, sondern auch Geflügelproduzenten und Schweinezüchter. Doch am Beispiel der Eier lässt sich das absurde System besonders gut nachzeichnen.
Nur noch österreichische Eier im Handel
Österreich stieg 2009 als erstes Land aus der Käfighaltung von Hühnern aus (vereinzelte Betriebe dürfen noch bis Ende 2019 ihre Tiere in sogenannten ausgestalteten Käfigen halten). Seit 2012 ist Käfighaltung EU-weit verboten. Die heimischen Hühnerhalter füttern ihre Vögel mit gentechnikfreiem, zertifizierten Donausoja, auf das andernorts übliche Schnabelkürzen wird verzichtet. Im Lebensmittelhandel sind nur noch österreichische Eier erhältlich. Überprüfbar ist das anhand der Eier-Datenbank, in der Herkunft und Qualität jedes einzelnen Eis genau dokumentiert ist. Ein aufgestempelter Code verrät die Details. „Wir haben viel erreicht“, kann Michael Wurzer von der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Österreichischen Geflügelproduzenten (ZAG) einen gewissen Stolz nicht verhehlen. Seine Vorgänger hätten noch dafür gekämpft, die Käfige zu behalten.
Die Vorreiterrolle bringt die Legehennnenhalter jedoch unter enormen Druck. Nach Abzug der Produktionskosten blieben den Bauern pro verkauftem Ei durchschnittlich nur 0,3 Cent, rechnet die Landwirtschaftskammer vor.
2013 veröffentlichte ein NGO-Bündnis – bestehend aus der Humane Society International (HSI), Vier Pfoten und Compassion in World Farming – einen Bericht, demzufolge Hunderte Millionen Euro an öffentlichen Geldern in Nutztierbetriebe außerhalb der EU flössen. In Länder, in denen Tierschutz ein Fremdwort ist. Es sind hochmoderne, auf Effizienz getrimmte Tierfabriken. Allein die Europäische Bank für Wiederaufbau (EBRD) soll für solche Projekte Investitionsmittel in Höhe von über 200 Millionen Euro zu Verfügung gestellt haben. Die zur Weltbank zählende International Finance Corporation (IFC) – die EU-Staaten halten einen Anteil von rund 30 Prozent – gewährt Privatunternehmen Investitionskapital für große industrielle Tierhalteanlagen. Exportkreditagenturen mehrerer EU-Staaten versichern Ausfuhren für die Errichtung von Käfigsystemen, die in der Heimat längst verboten sind. Dabei übernimmt die öffentliche Hand das Ausfallrisiko.
So erhielt etwa das chinesische Unternehmen Muyuan 2014 von der IFC 20 Millionen Dollar, um mit neuen Anlagen die Produktionskapazität auf jährlich 1,5 Millionen Schweine auszuweiten. Die Tiere werden in dauernder Kastenstandhaltung vegetieren. Die gibt es zwar in Europa auch noch, jedoch nur mehr für etwa 20 Wochen pro Jahr.
Einer der größten Schweinefleischproduzenten der Ukraine wurde 2014 von IFC und EBRD mit insgesamt 55 Millionen Euro Investitionskapital versorgt. Zwei der vier neu geplanten Anlagen werden nicht einmal die ohnehin schwachen Mindeststandards der EU-Richtlinien erfüllen.
Der ukrainische Geflügelproduzent MHP wiederum erhielt 2012 in Summe 50 Millionen Dollar von der IFC, um eine Mastanlage mit einer Kapazität von 111 Millionen Hühnern pro Jahr zu errichten. Das ist das Eineinhalbfache der gesamten österreichischen Produktion. Zudem bürgen EU-Staaten – vor allem die Niederlande – für Exportkredite in Höhe von 189 Millionen Dollar.
Ukrainische Eier-Riesen
Dann wären da noch die beiden ukrainischen Eierproduzenten Avangard und Ovostar. Ersterer errichtete in den vergangenen Jahren mit Unterstützung durch deutsche Exportkreditgarantien Käfiganlagen für über sieben Millionen Legehennen. Die deutsche Bundesregierung bürgt für über 26 Millionen Euro. Auch Ovostar expandiert und kauft seine Anlagen bei deutschen Käfigbauern, die sich ihr Ausfallsrisiko ebenfalls großzügig vom Staat absichern lassen. Beide Unternehmen exportieren mittlerweile in die EU.
Sie spielen in einer Liga, in der die heimischen Hendlbauern nur staunend zuschauen können. Ovostar hält aktuell einen Bestand von 4,6 Millionen Hühnern, Avangard kommt sogar auf knapp 19 Millionen. Zum Vergleich: in ganz Österreich gibt es rund sechs Millionen Legehennen. Im Durchschnitt hält ein Betrieb 3000 Tiere.
Die Produkte dieser ausländischen Tierfabriken landen auch auf heimischen Tellern. So ist etwa die Ukraine inzwischen drittgrößter Exporteur von Geflügelfleisch in die EU. Schätzungen zufolge wird der heimische Fleischkonsum nur zur Hälfte mit österreichischer Ware bestritten. Der Rest? Viel Fleisch wird über verarbeitete Produkte verzehrt. In Form von Fleischfüllungen in Tortellini, Fertigsugo oder der Schinken auf der Tiefkühlpizza. Je billiger ein Produkt, desto minderer die Qualität des Fleisches und dubioser die Herkunft.
Das gilt auch für Eier. Auch wenn in den heimischen Supermärkten keine Frischeier aus Drittstaaten zu finden sind, in verarbeiteter Form sehr wohl. „Eipulver und Flüssigei sind Billigprodukte, die auf den Weltmärkten verschoben werden“, erklärt Wurzer. Die Lebensmittelindustrie – Convenience-Food-Produzenten, Großbäckereien und -konditoreien – greift da gerne zu. Mit Frischeiern wird hier längst nicht mehr gearbeitet. In mehr als 900 in den Supermärkten angebotenen Lebensmitteln sind Eier enthalten. In Nudeln, Kuchen, Mayonnaise, Keksen, Backwaren oder auch Fertigsuppen. Laut einer Erhebung der Landwirtschaftskammer stammen 60 Prozent der verarbeiteten Eier aus illegaler Käfighaltung. Auch in Hotellerie, Gastronomie und Kantinen paniert man die Schnitzel oft mit importierten Flüssigei oder bäckt Kuchen und Torten mit Eipulver. Weil billiger und zeitsparend.
Vergleichsweise hohe Herstellungskosten
„Über kurz oder lang wird das dazu führen, dass unsere Hühnerhalter aufgeben müssen“, fürchtet Wurzer. Österreichs einziger Eipulverproduzent Eivita verwendet ausschließlich heimische, gentechnikfrei erzeugte Eier. Aber wir konkurrieren mit Käfigware aus der Ukraine, den USA, China, Argentinien“, sagt Geschäftsführer Andreas Hütter. Seit 2013 produziert Eivita im steirischen Gnas jährlich rund 1500 Tonnen Eipulver. Die Herstellungskosten belaufen sich auf acht Euro pro Kilogramm Trockenei. Doppelt so viel wie etwa in der Ukraine. Für die Lebensmittelindustrie ein Liebhaberprodukt. Zu Hütters Abnehmern zählen etwa der Backmischungserzeuger Backaldrin und die Süßwarenfabrik Manner.
ZAG, Landwirtschaftskammer und Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter fordern eine EU-weite Kennzeichnungspflicht für alle Eiprodukte und importierte Nahrungsmittel, in denen Eier enthalten sind. „Die Konsumenten sollen wissen, was sie essen“, meint Wurzer.
HSI und Vier Pfoten gehen noch weiter: Sie wollen Tierwohl und Mindeststandards in der Tierhaltung als Kriterium für die Vergabe von Investitionskapital und Exportkreditgarantien verbindlich verankern. „Es ist absolut unverständlich, dass die EU-Staaten zwar positive Standards beschließen, sie aber nicht in die Welt hinaustragen“, sagt HSI-Sprecher Nicolas Entrup.
So werden derzeit die „Common Approaches“ der OECD, an denen sich auch die Österreichische Kontrollbank (OeKB) orientiert, überarbeitet. Sie legen die Kriterien für die Vergabe von Exportkrediten fest. Österreich und Deutschland hätten sich dafür eingesetzt, zukünftig auch den Tierschutz zu berücksichtigen, erzählt OeKB-Sprecher Peter Gumpinger. Ob sie Gehör gefunden haben, wird frühestens Ende des Jahres klar sein. Dann soll es zur Beschlussfassung kommen.
Auch bei der Weltbank und der gerade erst gegründeten Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) wird derzeit um ein Gerüst verhandelt. Aus dem zuständigen Finanzministerium heißt es jedoch: „Einige EU-Länder sprechen sich zwar für die Einhaltung von Tierschutzkriterien aus, aber sie sind nur eine Minderheit in diesen Organisationen.“ Eine tatsächliche Einführung wird als unrealistisch eingeschätzt.
Einen Teilerfolg konnte das NGO-Bündnis jedoch erzielen: Die EBRD entschied sich als erste internationale Finanzinstitution weltweit, den Aspekt des Tierwohls in ihrer Investmentpraxis zu berücksichtigen. Seit November 2014 müssen alle Projekte, die von ihr Kapital erhalten und die Nutztierhalteanlagen betreffen, EU-Normen erfüllen. Doch die bereits finanzierten Anlagen laufen auf Hochtouren. Und machen den heimischen Bauern bis auf Weiteres das Leben schwer.