Lavanttaler Lithium für Saudi-Arabien
Von Julian Kern
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Es ist einer der größten Schätze der Republik: Mehr als 700.000 Tonnen lithiumhaltiges Gestein sollen unter der Kärntner Koralpe schlummern. Und obwohl das Vorkommen seit mehr als 30 Jahren bekannt ist, liegt es dort noch immer. Bergen möchte es das australische Unternehmen European Lithium, das seit 2011 im Besitz der Schürfrechte ist. Während sich der Abbaubeginn in den letzten Jahren mehrfach verschoben hat, wurde heuer Anfang des Jahres beschlossen, dass die Weiterverarbeitung des Gesteins zu batteriefähigem Lithium in Saudi-Arabien statt- finden soll. Wann es so weit sein könnte, ist aus heutiger Sicht aber nicht absehbar. Noch gilt es, die Behördenwege zu Ende zu gehen und das dafür benötigte Kleingeld an der US-Technologiebörse NASDAQ aufzutreiben. Aber von Anfang an.
Das aktuelle Projekt begann vor mittlerweile zwölf Jahren: Damals erwarb das Unternehmen ECM Lithium AT GmbH Schürfrechte für insgesamt elf Grubenmaße von der privaten Kärntner Montanindustrie (KMI). Kolportierte 10,5 Millionen Euro sind dafür geflossen. Die Stollen selbst existieren bereits seit den 1980er-Jahren. Damals hat der Staat Österreich einen Versuchsbergbau begonnen. Zwar wurde lithiumhaltiges Gestein gefunden, ein Abbau erschien den Verantwortlichen aber unwirtschaftlich. Lithium war anderswo günstiger zu bekommen, und die Nachfrage nach dem Mineral war bei Weitem nicht so groß wie heute.
European Lithium witterte das Geschäft – und schlug zu. Seit das Unternehmen die Schürfrechte in Kärnten besitzt, hat sich die globale Untertage-Lithiumproduktion fast vervierfacht – doch European Lithium hat bis heute noch kein Gramm Lithiumkarbonat zur Gewinnung beigetragen.
Ambitionierte Ansagen
2016 soll der Lithiumabbau starten, hieß es kurz nach dem Rechtekauf. Der Termin wurde immer wieder verschoben, aktuell ist von 2025 die Rede. Zwar wurden auch heuer weitere Schürfrechte erworben, doch „Anträge um Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplans oder Bewilligung einer Bergbauanlage liegen keine vor“, heißt es seitens der Montanbehörde gegenüber profil.
„Wenn es nach uns geht, würden wir die Vorbereitungen zum kommerziellen Abbau lieber früher als später einleiten“, meint CEO Dietrich Wanke. Im Sommer hat European Lithium ein UVP-Feststellungsverfahren eingeleitet. Eigentlich sei ein solches nicht notwendig, denn „der oberirdische Flächenbedarf für den Lithiumabbau beziehungsweise die Konzentrierung des erzhaltigen Gesteins auf der Koralpe liegt unter zehn Hektar“, sagt Wanke. Mit dem Feststellungsverfahren soll Wind aus den Segeln etwaiger Projektgegner genommen, Verzögerungen verhindert werden.
Dass das Projekt nicht vom Fleck kommt, sei laut Stefan Müller allein mit der Dauer von Behördenwegen nicht zu erklären. Er war von 2017 bis 2020 Non-Executive Director des australischen Unternehmens. Sein Ausstieg hat auch mit den Entwicklungen im Unternehmen zu tun. „Es handelte sich um das aussichtsreichste Lithiumprojekt in ganz Europa. Relativ schnell war dann auch klar, dass das Unternehmen aus verschiedenen Gründen europäischer werden sollte“, sagt der ehemalige Direktor. Hürden, die einem solchen Unterfangen gegenüberstehen, seien leichter zu bewältigen, wenn es sich um ein heimisches Unternehmen handle – „sei dies im direkten Kontakt mit Entscheidungsträgern oder anderen Industrievertretern, allein schon durch die gemeinsame Sprache und die Mentalität der Leute vor Ort“. Geplant war also, die heimische Tochtergesellschaft von European Lithium in eine Aktiengesellschaft mit Firmensitz in Wolfsberg umzuwandeln. Passiert ist das aber nie.
Müller macht dafür vor allem die Struktur im australischen Unternehmen verantwortlich: „Kurz vor der Umsetzung ist das Vorhaben von den Australiern rund um den Hauptverantwortlichen Tony Sage wieder gestoppt worden, weil klar war, dass das die Machtverhältnisse im Konzern verändert hätte. In einem Aufsichtsrat in Österreich ist Macht anders verteilt als in Australien, wo der Chairman quasi unein- geschränkt Hoheit über sein Unternehmen hat. Reduzieren wollte man diese Entscheidungshoheit im Zuge einer Europäisierung dann doch nicht“, sagt Müller. Für den ehemaligen Direktor Grund genug, das Unternehmen zu verlassen. Die aktuelle Führung rund um Wanke sieht das hingegen anders, das Unternehmen sei längst europäisch: „Mit der ECM Lithium AT GmbH hat European Lithium weiterhin ein eigenständiges Tochterunternehmen in Österreich“, lässt dieser wissen.
Saudi-Arabien statt St. Paul
Dass ein so großes Projekt grundsätzlich seine Zeit braucht, bestätigt auch Franz Sinabell, Ökonom am österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). „Um so eine Lagerstätte für einen modernen Ausbau zu entwickeln, braucht man zehn bis 15 Jahre. Außerdem haben wir in Europa klar definierte Verfügungsrechte, wie den Naturschutz, Wegerechte, Lärmschutz und viele weitere. Das sind Rechte der Bevölkerung, und jemand, der eine solche Lagerstätte in Betrieb nehmen möchte, muss diesen Rechnung tragen“, sagt der Wirtschaftsforscher. Die Ankündigung von European Lithium Anfang des Jahres 2023, Österreich in puncto Weiterverarbeitung den Rücken zu kehren, sei aus betriebswirtschaftlicher Sicht schon nachzuvollziehen. Zu stark sind laut Sinabell die Energiepreise in der EU im Zuge des Ukraine-Krieges gestiegen. Durch den Transport nach Saudi-Arabien spare man laut Angaben des Unternehmens vor allem bei den laufenden operativen Kosten inklusive der Ausgaben für Energie, bei den Kapitalkosten und aufgrund der deutlich niedrigeren Besteuerung. Und nicht zuletzt spart man sich die 350 Millionen Euro, die für den Bau einer Lithiumaufbereitungsanlage geplant waren. Ein Schritt, den Ex-Direktor Müller kritisiert: „Damit macht man sich vor Ort keine Freunde, denn mit dem Minenbetrieb haben Sie nur eine relativ geringe Wertschöpfung, der Abbau ist hochgradig automatisiert, die Jobs in der Mine sind keine hoch bezahlten Expertenjobs. Die Wertschöpfung entsteht hauptsächlich bei der komplexen Weiterverarbeitung.“
Übernehmen wird diese Weiterverarbeitung das saudi-arabische Unternehmen Obeikan. Das schmerzt die regionale Politik. Denn noch 2018 berichtete der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) in einer Presseaussendung von „einem Zukunftsprojekt, das in den Startlöchern steht“, und über Abbaupläne, mit denen „im Idealfall über 1000 Arbeitsplätze geschaffen werden könnten“. Das Projekt rein auf die entstehenden Arbeitsplätze zu beschränken, möchte Wanke so nicht stehen lassen. „Die Zahl der geplanten Arbeitsplätze belief sich vormals auf circa 400 und beträgt jetzt etwa 200. In den vergangenen Jahren hat European Lithium zahlreiche Aufträge an regionale beziehungsweise österreichische Dienstleister, beispielsweise in den Bereichen Geologie, Vermessung, Transport und Erdbau, vergeben.“ Außerdem habe die Region von Ausgaben, die im Rahmen sämtlicher Geschäftsreisen in die lokale Gastronomie und Hotellerie geflossen sind, profitiert.
Dort zeigt man sich dennoch enttäuscht. Landeshauptmann Kaiser, dem keine aktualisierten Zahlen bezüglich Arbeitsplätze kommuniziert wurden, nimmt die Entscheidung, dass kein Werk in der Region entstehen soll, zur Kenntnis. Günther Vallant (SPÖ), Bürgermeister der Marktgemeinde Frantschach-St. Gertraud, auf deren Gebiet sich der Stolleneingang befindet, ortet eine vertane Chance. „Für die Region hätte sich eine nachhaltige Produktion angeboten, also den Rohstoff vor Ort zu gewinnen, in batteriefähiges Lithium umzuwandeln und dann vielleicht auch in einen Cluster einzubinden. Geografisch liegen wir dafür nicht so schlecht, mit der Automobilindustrie in Graz. Hier die Batterien für europäische Autos zu bauen, das wäre ein mutiger Schritt gewesen“, meint er.
Um so eine Lagerstätte für einen modernen Ausbau zu entwickeln, braucht man zehn bis 15 Jahre. Außerdem haben wir in Europa klar definierte Verfügungsrechte, wie den Naturschutz, Wegerechte, Lärmschutz und viele weitere. Das sind Rechte der Bevölkerung, und jemand, der eine solche Lagerstätte in Betrieb nehmen möchte, muss diesen Rechnung tragen.
Lithium für 350.000 E-Autos
profil hat nachgefragt, wie viele Elektroautos mit dem Lithium von der Koralpe produziert werden könnten. Auf ihrer Website schreibt European Lithium von jährlichen Abbaumengen zwischen 600.000 und 800.000 Tonnen Gestein. „Das würde zwischen 7000 und 11.000 Tonnen Lithiumkarbonat pro Jahr entsprechen“, sagt Jochen Kolb, Professor für Geochemie und Lagerstättenkunde am Karlsruher Institut für Technologie. „Eine Jahresproduktion von 7000 Tonnen reicht für 350.000 durchschnittliche Elektroautos“, kalkuliert der Rohstoffexperte.
Obwohl dieses Lithiumkarbonat in Saudi-Arabien und nicht in Österreich produziert werden und die Betriebsansiedelung in Kärnten kleiner als geplant ausfallen soll, stimmt das WIFO-Ökonom Sinabell nicht nur negativ. Er schließt nicht aus, dass sich irgendwann eine Industrie der Weiterverarbeitung im Lavanttal an die Mine anschließen könnte. Etwa, „wenn die Produktionsmethoden sich verbessern und Europa sein im Green Deal anvisiertes Ziel, höherwertige Produkte hergestellt durch klimafreundliche Prozesse, erreicht“.
Börsengang und BMW-Deal
Damit hingegen European Lithium sein anvisiertes Ziel, nämlich möglichst rasch Lithium abzubauen, erreicht, wird noch Geld benötigt. Einen Großteil möchte sich das Unternehmen an der US-Technologiebörse NASDAQ sichern. Das soll in etwa so ablaufen: European Lithium AT Limited soll in ein SPAC (ein Unternehmen, das zum alleinigen Zweck gegründet wird, in weiterer Folge ein oder mehrere andere Unternehmen aufzukaufen; Anm.) an der NASDAQ eingebracht werden. Dieses SPAC namens Sizzle soll mit der Österreichtochter von European Lithium fusionieren, 159 Millionen Dollar in den Deal miteinbringen und anschließend „Critical Metals“ heißen. Zum Börsengang geht European Lithium von einer Marktkapitalisierung von 972 Millionen Dollar aus, nach Abschluss des Listings „wird European Lithium Stammaktien von Critical Metals im Wert von 750 Millionen US-Dollar erhalten“, teilte das Unternehmen im November mit.
Wann der Börsengang erfolgen wird, konnte European Lithium auf profil-Nachfrage nicht sagen. „Wir haben das sogenannte F-4 Registration Statement Ende 2022 bei der U.S. Securities and Exchange Commission eingereicht. Am 9. November 2023 haben wir die fünfte Abänderung dieses Statements übermittelt. Wir erfüllen unsere Hausaufgaben. Der Prozess zur NASDAQ-Notierung schreitet voran, das konkrete Datum liegt jedoch nicht in unseren Händen“, antwortet Wanke.
Weitere 15 Millionen US-Dollar sollen vom deutschen Autohersteller BMW kommen. Das wurde im Rahmen einer Absichtserklärung im August 2022 beschlossen. European Lithium soll das Geld im Voraus erhalten, BMW später – wenn Lithium abgebaut und verarbeitet wird – als Kunde für die Dauer von fünf Jahren einen Abschlag von zehn Prozent auf den Spotmarktpreis erhalten. Ob aus der Absichtserklärung mittlerweile ein Vertrag wurde, der als Voraussetzung für die Vorauszahlung gilt, wollte BMW nicht preisgeben. Druck hat man in puncto Zeitplan beim BMW-Deal allerdings nicht. Denn anders als bisher kommuniziert, müsse ein Lithium-Lieferbeginn nicht 2025 beginnen, schreibt European Lithium: „Das Startdatum kann nach Vereinbarung nach vorne oder hinten verschoben werden.“ Das Geld aus dem Deal soll jedenfalls noch nicht geflossen sein, bestätigt ein Insider, der sowohl die handelnden Akteure im Rohstoffeinkauf bei BMW als auch die Projektwerber auf der Koralpe kennt, gegenüber profil.
Wann im Lavanttal Lithium abgebaut werden wird, lässt sich somit aus heutiger Sicht kaum seriös beantworten.
Julian Kern
ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.