Köche stellen Ultimatum, Hotel schließt
Der Abschied kam ebenso prompt wie überraschend – und er war allem Anschein nach durchaus schmerzhaft. „Es fällt uns nicht leicht Worte für die kommenden Zeilen zu finden. Zu groß ist die Traurigkeit und die Fassungslosigkeit über die Geschehnisse der letzten Tage“, schrieb die Hoteliersfamilie Feistl im Juli an ihre teils schon sehr langjährigen Gäste – und kündigte die sofortige Schließung ihres Betriebs an. Am 5. August 1922 hatte das Alpenhotel Gösing im niederösterreichischen Ötscherland eröffnet, seit 10. Juli 2022 hält es geschlossen. Zwangsweise. Dem traditionsreichen Hotel waren die Köche davongelaufen.
Das fünfköpfige Küchenteam aus Ungarn hatte zuvor weniger Überstunden, zwei zusätzliche Köche und mehr Lohn gefordert oder sie legen die Arbeit nieder – Hotelbesitzer Anton Feistl ging nicht darauf ein, das Küchenpersonal kündigte geschlossen. Seither und bis auf Weiteres ist das Alpenhotel zu.
Das kleine Drama in Gösing an der Mariazellerbahn fügt sich in ein großes Narrativ ein. Es handelt von gesellschaftlichem Wandel, einem neuen Selbstverständnis der arbeitenden Klasse, von Fachkräftemangel, Inflation, Energie- und Klimakrise.
1. Verhandlungsstark
Die Lage im Alpenhotel Gösing hatte sich nicht von heute auf morgen zugespitzt. Im Vorjahr hatte zunächst der Küchenchef den Betrieb nach zehn Jahren verlassen, um zurück nach Kärnten zu ziehen. Die Hotelleitung suchte daraufhin lange wie vergeblich nach Ersatz, ehe sie schließlich fünf ungarische Köche verpflichten konnte. Im heurigen Winter hätten diese dann erste Forderungen nach höheren Löhnen gestellt, erzählt Feistl. „Denen sind wir auch nachgekommen.“ Einige Wochen später folgte das „Ultimatum“.
profil hat im Rahmen dieser Recherche auch ehemalige Beschäftigte des Hotels kontaktiert. Ein langjähriger Mitarbeiter des Hotels, der nun eben auch seinen Job verloren hat, bestätigt den Ablauf der Ereignisse im Haus. Es sei bereits in den letzten Jahren schwierig gewesen Personal zu finden, erzählt er. Bereits vor Juli habe es mit dem Küchenteam vermehrt Konflikte über die Arbeitszeit gegeben.
Der Arbeitsmarkt für Köche, Kellner und Küchengehilfen ist im Umbruch. Landauf, landab suchen Gasthäuser und Hotels nach Personal. Die Verhandlungsmacht der Beschäftigten ist so gut wie lange nicht mehr. „Wenn das Angebot nicht passt, wird die Nachfrage gering sein“, sagt Berend Tusch, Vorsitzender im Fachbereich Tourismus in der Gewerkschaft VIDA. Das Beispiel Gösing sei drastisch, es komme mittlerweile aber öfter vor als früher, dass Belegschaften gemeinsam klare Forderungen aufstellen. „Denn der Motor in der Gastronomie stottert“, sagt Tusch.
Vereinzelt werde in der Branche tatsächlich besser bezahlt als früher, aber der Großteil der Unternehmen zahle weiterhin den Kollektivvertrag und Überstundenpauschalen. „Das schaut im ersten Moment gut aus, aber wenn man genauer hinschaut, ist es oft eine Mogelpackung.“
Die Gastronomie hatte vor der Pandemie keinen guten Ruf als Arbeitgeber, durch die Kündigungen zu Beginn des ersten Lockdowns noch weniger. Das sei bei ihnen aber nicht der Fall gewesen, erklärt Anton Feistl vom Alpenhotel. „Ein Großteil der Mitarbeiter ist seit fast zehn Jahren bei uns.“ Das Hotel habe in der Pandemie niemanden gekündigt, sondern in Kurzarbeit geschickt. Die Köche hätten im Vergleich zum Kollektivvertrag 20 bis 60 Prozent mehr verdient.
2. Ein neues Selbstbewusstsein
Die Köche in Gösing forderten einerseits mehr Lohn, andererseits aber auch mehr Freizeit und weniger Arbeitsdruck. Sie wollten keine bezahlten Überstunden mehr machen und weniger am Wochenende arbeiten.
Ihre Forderungen spiegeln den Zeitgeist wider, die Arbeitswelt ändert sich gesamthaft. Quer durch die Branchen ist die Work-Life-Balance längst ein bestimmendes Thema. Gerade junge Leute hinterfragen selbstbewusst die Sinnhaftigkeit von aufreibenden Arbeitswochen. „In der Gastronomie und im Tourismus halten viele Arbeitgeber aber an einem rückständigen Modell fest“, sagt Gewerkschafter Berend Tusch. Beim Ausreizen der Arbeitszeiten sei gerade der Tourismus immer vorn dabei gewesen und hätte viel Flexibilität von den Mitarbeitern verlangt. Grundsätzlich müssten Beschäftigte den Dienstplan zwei Wochen im Voraus erhalten. Das werde aber oft nicht eingehalten, sagt Tusch.
Die zweite Forderung der Köche betraf die Arbeitsdichte: zu viel Arbeit für zu wenige Menschen, viel Flexibilität und immer wieder Löcher im Dienstplan. In Branchen mit hohem Personalmangel, wie etwa der Gastronomie und der Pflege, entsteht so ein Kreislauf, der die Beschäftigten belastet. Das ergab der österreichische Arbeitsklimaindex vom IFES-Institut und der Arbeiterkammer Oberösterreich. „Dann kommt am Samstag um sieben Uhr früh die Nachricht ‚Kannst du bitte heute einspringen?‘“, erzählt der IFES-Geschäftsführer Reinhard Raml. Das sei Gift für die Zufriedenheit.
3. Der Tourismus im Wandel
Anfang des 20. Jahrhunderts entstand das Alpenhotel zunächst als Unterkunft für Ingenieure beim Bau der Mariazellerbahn. Kurgäste, Pilger und Ausflügler folgten, 1922 wurde der reguläre Hotelbetrieb aufgenommen. Vor 14 Jahren stieg die Familie Feistl ein.
Anton Feistl ist kein gelernter Hotelier. In den 1960er-Jahren hatte er den Werbemittelverteiler Feibra gegründet, den er im Lauf der Jahrzehnte zum größten Anbieter der Branche machte. 2005 zog er sich aus der Geschäftsführung zurück, feibra war da schon eine Tochter der Österreichischen Post AG. Mit einem Teil des feibra-Verkaufserlöses kaufte Feistl das Hotel. „Das war die Erfüllung eines Traums.“
Glanz und Gloria der Sommerfrischler sind lange verblasst. Der Tourismus hat sich verändert, Menschen verreisen spontaner und kürzer und wenn möglich weiter weg. Durch die Pandemie ging das nur begrenzt, da wurde Urlaub in Österreich wieder interessanter. Doch eine Erhebung des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) über die erste Hälfte der Sommersaison zeigt, dass vor allem die Destinationen an Seen und die Thermengegenden davon profitierten. In Niederösterreich verbrachten hingegen weniger Gäste aus Österreich ihren Urlaub als vor der Pandemie, im Mostviertel war der Rückgang noch größer.
Das hat auch Hotelbesitzer Feistl gespürt, die Formel der letzten Monate lautete: „Exorbitant gestiegene Kosten treffen auf fünf Prozent weniger Gäste.“ Er findet zwar, dass Kellner und Köche generell nicht zu viel, sondern zu wenig verdienen, aber „man kann nicht wesentlich über dem Kollektivvertrag zahlen, denn dann geht die Rechnung nicht auf“. Für Berend Tusch greift dieses Argument zu kurz. Lange bevor die Inflationsrate anstieg, hat er schon diesen Satz gehört: „Wenn Betriebe mit diesem Argument kommen, hat das mehr mit ihrem Geschäftsmodell zu tun.“
Auch für die Ökonomin Anna Burton vom WIFO zieht dieses Argument nicht, weil die Preiserhöhungen durchaus weitergegeben wurden. Diesen Sommer waren viele Gäste durch aufgeschobene Urlaube bereit, mehr zu zahlen als normalerweise. Und sie haben tatsächlich um einiges mehr bezahlt: In der Gastronomie und im Tourismus sind die Preise in den letzten Jahren überproportional stark gestiegen, wie die Grafik für die Beherbergung zeigt. „Die Preise sind so rasant gestiegen, dass die Kunden, die schon im Winter und Frühjahr gebucht haben, viel weniger gezahlt haben als die, die erst im Sommer gebucht haben“, sagt Burton. Der Preisanstieg fiel hierzulande auch höher aus als in Deutschland, Frankreich oder Italien.
4. Abgewandert und ausgedünnt
In der Gastronomie Arbeitskräfte zu finden, ist derzeit eine komplizierte Angelegenheit. Köchinnen und Köche im Bezirk Scheibbs zu finden, nur noch mehr. Im gesamten Gebiet kommen 36 Kochstellen auf 17 Arbeitssuchende. Insgesamt liegt die Arbeitslosenquote in dieser Region bei gerade einmal 2,5 Prozent. Ökonominnen und Ökonomen sprechen da von einer Vollbeschäftigung.
Diese niedrige Arbeitslosenquote verursacht aber auch die Mostviertler Demografie. Im Bezirk Scheibbs ist die Bevölkerung in den letzten zehn Jahren leicht gewachsen, aber nur in der Alterskohorte 60 plus. Vor allem der Süden der Region, in dem das Alpenhotel liegt, kämpft mit Abwanderung. In dessen Heimatgemeinde, Puchenstuben, wohnen um drei Prozent weniger Menschen als noch vor zehn Jahren.
In ganz Österreich erreichen derzeit die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer das Pensionsalter. Die Jahrgänge aus den frühen 2000ern, die derzeit auf den Arbeitsmarkt kommen, sind schütter im Vergleich. Im Tourismus und in der Gastronomie werde oftmals beklagt, dass weniger Arbeitskräfte aus Osteuropa kämen. Das stimme so nicht ganz, entgegnete AMS-Chef Johannes Kopf im profil-Gespräch im Sommer. In der Corona-Zeit sei allerdings der Zuwachs an neuen Arbeitskräften deutlich geringer gewesen als davor. Ein Grund dafür ist nicht nur ein steigendes Lohnniveau in osteuropäischen Ländern, sondern, ähnlich wie in Scheibbs und in Puchenstuben, die Demografie.
Gut 30 Kilometer entfernt in Mariazell betreibt Lieselotte Sailer das Aktivhotel Weißer Hirsch. Anderer Bezirk, anderes Bundesland, ähnliche Probleme. Es gebe kaum Personal in der Region, der Großteil komme aus Ungarn und der Slowakei. Umso schwieriger sei es da, einen größeren Betrieb mit Hoteldirektor zu leiten, wie es im Alpenhotel der Fall war. „Ich kann einspringen, wenn es knapp wird“, sagt Sailer, das mache derzeit einen Unterschied.
5. Kühle Aussichten
Das Alpenhotel Gösing bleibt ein bis zwei Jahre zugesperrt. Dann wollen Anton Feistl senior und junior das Haus mit neuen Ideen und Visionen wiedereröffnen. Das klingt schön, er fügt aber auch hinzu: „In einer negativen Entwicklung früher zu öffnen, bringt nichts. Wir warten, bis sich die Wirtschaftslage erholt.“ Der Winter schaut tatsächlich nicht so erfreulich aus: hohe Kosten für den laufenden Betrieb, vielleicht ein Aufwallen der Pandemie und damit einhergehende Restriktionen. Er geht davon aus, dass er bei Weitem nicht der Einzige sein wird, der die Türen zumindest zeitweilig schließt.