Manipulationen bei TV-Gewinnshows: Ermittlungen gegen Ex-Vienna-Präsident Dvoracek
Die Moderatorin gab ihr Bestes: "Ein zusammengesetztes Hauptwort, das mit 'haus' endet? Ist doch ganz leicht!" Krankenhaus? Gartenhaus? Stiegenhaus? Alles falsch. Keiner der Anrufer konnte die Frage beantworten. Um auf die gültigen Lösungen wie Kehlsteinhaus, Torfhaus oder Eierkühlhaus zu kommen, muss man schon zu den ganz Schlauen gehören.
Vom Glück verfolgt
So wie Andrea Kiemberger (Name von der Redaktion geändert). Die Gesundheitsberaterin aus Oberösterreich schien vom Glück verfolgt. Sie räumte bei Quizshows im Fernsehen fett ab. Insgesamt 67.287 Euro. Innerhalb von fünf Monaten in den Jahren 2009 und 2010.
Erstaunliche 70 Mal wurde sie in diesem Zeitraum ins Studio durchgestellt und konnte die richtigen Antworten auf Fragen wie die obige geben. So lukrierte sie monatlich im Schnitt 13.400 Euro.
Ex-Vienna-Präsident im Fokus
Nun beschäftigt Kiembergers Glückssträhne die Justiz. Doch die Oberösterreicherin ist nur Nebendarstellerin in einem Großverfahren mit mehreren Dutzend Beschuldigten. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht Herbert Dvoracek, der einer breiteren Öffentlichkeit als Ex-Präsident des Traditions-Fußballclubs Vienna (2009 bis August 2014) bekannt ist. Das Interesse der Staatsanwaltschaft Wien gilt jedoch seiner früheren Tätigkeit als Gründer und Geschäftsführer der Mass Response Service GmbH (MRS). Seit 2009 führt die Behörde ihre Erhebungen durch. Doch die Ermittlungen werfen ein etwas seltsames Licht auf die Arbeit der Justiz, bei dem - einmal mehr - auch der Blogger Marcus Oswald eine Rolle spielt.
Dvoraceks Mass Response war mit so genannten Call-in-Shows dick im Geschäft. Dabei handelt es sich um jene Art von Sendungen, in denen sich Moderatoren stundenlang den Mund fusselig reden, um Zuschauer für 70 Cent pro Anruf zur Teilnahme zu bewegen. Wie am Fließband produzierte die MRS, gemeinsam mit Partnern, die Shows im Media Quarter Marx (Foto). Geliefert wurde europaweit, Großabnehmer in Österreich war ATV.
IT-Unternehmer Dvoracek steht im Verdacht, die Gewinnspiele manipuliert zu haben. Die Staatsanwaltschaft zeiht ihn des schweren gewerbsmäßigen Betrugs und der Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung.
Geständige Scheingewinner
Dass bei diesen Shows nicht alles astrein ablief, liegt nahe. Im Frühjahr 2013 legte Alfred G., ehemaliger Geschäftsführer der Marx Media Vienna GmbH, ein umfassendes Geständnis ab und schilderte, wie abgezockt worden sei. Man habe Scheingewinner eingesetzt, die - unter Umgehung des EDV-Systems, welches Anrufer der Hotline zufällig auswählen sollte - in die Sendung geschaltet wurden. Von ihren Gewinnen durften sie nur einen Bruchteil behalten. Den Rest hätten sie an die Produktionsverantwortlichen rückleiten müssen. Die Aussagen wurden von Mitarbeitern bestätigt, die Scheingewinner sind geständig. Zur Anklageerhebung kam es nicht.
In die mittlerweile fünf Jahre andauernden Ermittlungen hat die Behörde einiges an Ressourcen gesteckt. Gutachter Gerhard Altenberger verfasste einen ellenlangen Zwischenbericht. Dutzende Personen wurden einvernommen. Dabei scheint die Staatsanwaltschaft nach dem Prinzip "Gießkanne" vorzugehen: So ziemlich jeder, der auch nur am Rande in diese Shows involviert war, wird als Beschuldigter geführt. Von Managern über Sendungsproduzenten und Kameraleuten, bis hin zu Studenten, die sich als Kabelträger ein bisschen was dazuverdienten.
Mit überschaubaren Ergebnissen: Dvoracek konnte man bisher nicht ans Zeug flicken. "Bis heute ist in den Akten kein begründeter Verdacht gegen meinen Mandanten ausformuliert", meint sein Anwalt, Otto Dietrich.
Dvoracek-Akten im Altpapier
So blieb es lange Zeit recht still um diesen Fall. Bis der Blogger Marcus Oswald zwischen März und August dieses Jahres hunderte Seiten Akten aus den Altpapiercontainern des Justizgebäudes Wien-Josefstadt zog (profil berichtete). In diesem Konvolut befanden sich auch zwei Dokumente, die Herbert Dvoracek als Hauptbeschuldigten anführen. profil hatte Gelegenheit, Einsicht in den Fund zu nehmen.
Am 14. Mai dieses Jahres ordnete die Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung bei Andrea Kiemberger an. Sicherzustellen seien: "Unterlagen und Aufzeichnungen, die mit Gewinnen bei Call-in-TV-Sendungen in Zusammenhang stehen, insbesondere Überweisungsbelege, Gewinnerbriefe, Kalendereinträge. Korrespondenz im Zusammenhang mit TV-Gewinnspielen, Daten der Computer, Speichermedien oder Smartphones". Für den Zeitraum vor der Übernahme der Produktion durch die MRS habe man die Einschaltung von Scheingewinnern bereits nachweisen können, heißt es in dem Dokument. Allerdings: "Bei der Auswertung der bei der MRS sichergestellten Gewinnerdaten (...) wurden weiters grobe Auffälligkeiten ab September 2009 bis zur Einstellung dieses Sendeformats festgestellt, die ebenfalls auf die Einschaltung von Scheingewinnern schließen lassen: Der zeitliche Verlauf der Gewinnauszahlungen und die geografische Erfassung (...) zeigt, dass 83 Prozent des insgesamt in diesem Zeitraum ausgespielten Gewinnbetrags von wenigen Gewinnern eingenommen wurden, deren Wohnorte in einer auffälligen Konzentration im Raum Kitzbühel lag, während es nahezu keine Gewinner im übrigen bundesweiten Sendegebiet gab."
Kiemberger lebt zwar nicht in Tirol, aber von ihrem Konto seien Überweisungen an andere mutmaßliche Scheingewinner durchgeführt worden, "die im Zusammenhang mit gemeinsamen Rückleitungen der scheinbar gewonnenen Beträge im Zusammenhang stehen dürften".
Dvoracek beteuert, von den Vorgängen nichts gewusst zu haben: "Andernfalls hätte ich das sofort gestoppt." Anwalt Dietrich ergänzt: "Die Unregelmäßigkeiten fanden nachweislich in Zeiträumen statt, als die MRS gar nicht selbst produzierte, sondern sich Zulieferer bediente."
"Ich weiß, das schaut nicht gut aus"
Am 5. Juni verfasste die Staatsanwaltschaft erneut ein Schreiben - ein Rechtshilfeersuchen an die Amsterdamer Kollegen. Ein niederländischer Staatsbürger, der einst Geschäftsführer der MRS war, möge als Zeuge einvernommen werden. In diesem Fall geht es um den Verdacht der Untreue. Verantwortliche der MRS sollen "die Zahlung von Geldbeträgen, die der MRS aus einer vertraglichen Beziehung mit der in München ansässigen SNT Multiconnect GmbH zustanden, an unberechtigte Dritte veranlasst haben". Genanntes Unternehmen stellt Mehrwertnummern bereit und verteilt die Erlöse aus den Anrufentgelten nach einem bestimmten Schlüssel. In den Jahren 2003 bis 2006 flossen Zahlungen in Höhe von 713.000 Euro an zwei Firmen in Dvoraceks Einflussbereich. Bei einer handelt es sich um eine Grundstücksverwertungsgesellschaft. "Ich weiß, das schaut nicht gut aus", meint Dvoracek. Er habe damals für einen Partner Erotikdienste angeboten, das habe jedoch der Unternehmenspolitik seiner MRS-Mitgesellschafter widersprochen. Deshalb habe er dieses Format über die beiden anderen Unternehmen abgewickelt. "Ich hatte einen Vertrag und konnte nicht mehr zurück", so Dvoracek.
Aufregung in der Staatsanwaltschaft
profil gedachte bereits vor Wochen, diesen Fall zu publizieren. Doch eine entsprechende Anfrage verursachte in der Staatsanwaltschaft helle Aufregung. Die Causa sei Verschlusssache, hieß es. Was aber pikanterweise irgendjemanden in der Behörde nicht daran gehindert hatte, die brisanten Akten ungeschreddert im Müll zu entsorgen. Die Staatsanwaltschaft bat, die Geschichte zurückzuhalten. Es stünden Verhaftungen bevor, die durch eine Berichterstattung gefährdet wären.
Vorvergangene Woche kam es tatsächlich zu drei Festnahmen, wie Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien bestätigt. In Deutschland wurden zwei Manager ehemaliger MRS-Partnerunternehmen verhaftet. Dort kommt es jetzt zu einem sogenannten Übernahmeverfahren. Die deutschen Behörden haben zu entscheiden, ob die Verdächtigen nach Österreich ausgeliefert werden. In Wien wurde ein Beschuldigter aus Dvoraceks engstem Umfeld festgenommen. Er sitzt nun in U-Haft.
Wie es für Dvoracek weitergeht, ist offen. Er weiß nur eines: "In diesem Geschäftsfeld werde ich mich mein ganzes Leben nicht mehr betätigen."