Vermögen
Engelhorn: „Ich will nicht zu dieser Reichensuppe gehören“
Millionenerbin Marlene Engelhorn im Interview: Sie freut sich, wenn sie ihr Vermögen verteilt hat. Ihre Familie nimmt ihr das nicht übel.
Von Eva Linsinger, Clara Peterlik und Wolfgang Paterno
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Sie sind eine öffentliche Person. Werden Sie auf der Straße um Geld gebeten?
Engelhorn
Ich fahre mit dem Fahrrad, da ist es nicht leicht, mich anzusprechen. Wenn, dann sprechen mich Menschen in der Regel an, um mir Anerkennung und Dank auszusprechen.
Sie haben angekündigt, Sie werden sich zurückziehen, wenn Ihr Vermögen verteilt ist.
Engelhorn
Meine Person ist ein Vehikel, um viel Aufmerksamkeit für das Thema zu bekommen. Wenn die Medienöffentlichkeit und die Politik nicht in der Lage sind, eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit ohne eine Millionenerbin zu führen, dann haben wir ein großes Problem. Man redet nicht mit Menschen, die einfach arbeiten, darüber, ob sie ihr Steuersystem gut finden. Bei Vermögen ist das anders. Menschen, die strukturelle Macht haben, werden von den Medien anders behandelt. Ich erzähle nichts über mich, ich erzähle nur Dinge, die sich auf das reichste Prozent umlegen lassen. Meine Person dient als Beispiel. Ich werde diese Rolle auch wieder abgeben müssen.
Wann wird das sein?
Engelhorn
Das weiß ich nicht genau. Wenn das Geld rückverteilt ist, dann muss ich mich sowieso in meiner Positionierung verändern, weil ich nicht mehr die Ressourcen habe, meine Zeit in Medienarbeit zu investieren. Dann muss ich mich durch ein Erwerbseinkommen erhalten, statt durch Vermögen.
Sie wollen 25 Millionen Euro verteilen. Kann eine derartige Geste Ersatz für Politik sein?
Engelhorn
Ich wäre am liebsten besteuert worden, mit Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer, progressiver Kapitalertragssteuer – falls ich mir einbilden würde, am Finanzmarkt investieren zu müssen. Ungleichheit fällt nicht vom Himmel, sie kommt durch politische Entscheidungen. Diese Entscheidungen können viel mehr bewirken als ich. Mein Anliegen war, dass ich die Macht, die mir durch mein Erbe zur Verfügung steht, an den Guten Rat abtrete. Rich kids wie ich, die keine Transparenz und Demokratie wollen, können sich die Projekte aussuchen, die sie wollen, und buttern ihre Kohle rein. Bei solchen Summen ist das aber nicht mehr Privatsache, sondern eine öffentliche Frage, also die Aufgabe der Politik.
Sie kritisieren die Macht, die Geld verleiht. Ihnen verleiht es die Macht, einen Guten Rat aufzusetzen. Das ist doch auch Macht?
Engelhorn
Genau, und ich sollte diese Macht gar nicht haben. Denn Menschen wie ich haben diese Macht nur, weil sie reingeboren wurden. Das erinnert an ein feudales System.
Sie verteilen Ihr Vermögen in einem Superwahljahr. Erhoffen Sie sich politischen Einfluss?
Engelhorn
Das ist mehr dem Zufall geschuldet. Die Tatsache, dass so viel Medienöffentlichkeit entstand, belegt aber, dass es ein hohes öffentliches Interesse an Verteilungs- und Vermögensfragen gibt. Dass wir einmal den Status quo hinterfragen: Warum besteuern wir alles, außer Vermögen?
Haben Sie nachgedacht, Ihr Vermögen direkt dem Finanzamt oder einer Hilfsorganisation zu überweisen?
Engelhorn
Nein, denn das ändert strukturell nichts. Wenn ich meine Millionen loswerden will, kann ich sie einfach ausgeben oder an Organisationen spenden, die ich besonders toll finde. Aber wer sagt, dass ich die richtigen Organisationen auswähle? Nur weil ich Geld habe, bin ich nicht gescheiter als andere. Wir leben in der privaten Gemeinwohlvision der Überreichen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die derzeitige Polykrise ist die Entscheidung derer, die dauernd sagen, sie retten die Welt. Wenn der Finanzminister will, lässt er ein Gesetz entwerfen und holt sich Geld von allen, ob nun Erb:in oder Eigentümer:in eines Großkonzerns. All diese reichen Leute müssten dann brav einzahlen in das System, von dem sie profitieren. Das wäre ein Mindestmaß an Respekt. Sorry, ich werde wütend.
Wie viel von Ihrem Vermögen wollen Sie denn weggeben – 90 Prozent oder mehr?
Engelhorn
Das ist ein dummer Eiertanz, den ich jetzt mit Ihnen machen muss. Fakt ist, dass ich bereits im Jänner, zum offiziellen Start des Guter-Rat-Projekts, gesagt habe, dass nahezu mein gesamtes Vermögen an die Gesellschaft zurückgeht. Fakt ist auch, dass ich nicht die genaue Summe meines Erbes nennen möchte, weil dies Rückschlüsse auf die finanzielle Situation meiner Familie zuließe – und das öffentlich zu machen, steht mir nicht zu, denn meine Familie will nicht an die Öffentlichkeit. Fair enough.
Sind sie sauer auf Sie?
Engelhorn
Nein, überhaupt nicht. Die sind der Ansicht: Marlene, red über deines, nicht über unseres, und schau, dass wir da nicht mit reingezogen werden. Ich kann daher – aus Respekt gegenüber meiner Familie – nicht genau verraten, wie hoch mein Vermögen ist. Aber ich werde beinahe 100 Prozent abgeben.
In einem Interview mit dem „Spiegel“ erzählten Sie, ein Vermögensberater riet Ihnen, das Geld auszugeben, weil Sie ja noch viel mehr von Ihren Eltern erben werden. Wird es einen zweiten Guten Rat geben?
Engelhorn
Ich hoffe, dass es bis dahin gescheite Erbschaftssteuern gibt, weil die Menschen sagen: „Egal ob Engelhorn oder Mateschitz, es reicht uns. Wir besteuern das Vermögen, um Armut abzuschaffen und die Klimakrise zu bekämpfen.“ Ich wünsche mir, dass ich besteuert werde und gar nicht in die Versuchung komme, einen zweiten Guten Rat aufzusetzen. Obwohl der sehr gut funktioniert, auch als Beispiel für demokratische Prozesse. Wir sind im 21. Jahrhundert – aber die Demokratie dümpelt im 20. Jahrhundert herum.
Sie haben angekündigt, dass Sie nach Ende des Guten Rates einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen. Haben Sie eine Vorstellung, was Sie machen werden?
Engelhorn
Nein, und darüber zu spekulieren, hilft nicht weiter. Aber ich finde es entzückend, dass sich so viele Medien Sorgen machen, ob die Engelhorn das Erwerbsleben packen wird. Wenn mein Vermögen rückverteilt ist, muss ich mein Leben ja irgendwie finanzieren. Und ich betrachte das als meinen Aufstieg in die 99 Prozent derjenigen, die arbeiten und Steuern zahlen. Da will ich dazugehören. Nicht zu dieser Reichensuppe, die nicht verstanden hat, dass es nicht in Ordnung ist, in die Macht hineingeboren zu sein.
Was hat Sie politisiert?
Engelhorn
Es gab nicht das eine entscheidende Erlebnis. Wichtig war sicher, dass ich an einer öffentlichen Universität war und nicht an einer dieser privaten Unis in England. Wer als Kind im Überreichtum aufwächst, hält Vermögen für ganz normal. Erst durch Kontakt mit anderen Menschen erkennt man die eigenen Privilegien. Bei mir hat sicher die Ankündigung, dass ich so viel Geld erbe, den Prozess beschleunigt. Da konnte ich mich nicht mehr in der Komfortzone verstecken.
Wo liegt Ihr Geld eigentlich derzeit?
Engelhorn
Auf einem Festgeld-Konto, einer Art Sparkonto. Das ist die einzige Art, die ich zum Anlegen für vertretbar halte. Denn würde ich Aktien kaufen, würde das bedeuten, dass andere Menschen irgendwo hackeln, und das Management entscheidet, dass der Profit an die Aktionär:innen geht. Ich will aber mit meinem Geld etwas Gutes machen.
Einer Ihrer Freunde hat Sie einmal als Klassenfeindin bezeichnet.
Engelhorn
Das war ein ganz wichtiges Gespräch. Er hat mir den Spiegel vorgehalten und gesagt, dass ich aus meinem Käfig ausbrechen will – aber der Käfig aus Gold ist. Ich habe Macht.
Einer Ihrer Kernsätze lautet, dass Superreiche eine Gefahr für die Demokratie sind. Ab welchem Vermögen ist man eine Gefahr für die Demokratie?
Engelhorn
Wichtige Frage, kann ich aber nicht beantworten. Irgendwann verleiht Reichtum Einfluss und Zugang zu Netzwerken. Ab dem Moment wird es gefährlich, wenn aus Überreichtum Einfluss auf politische Entscheidungen entsteht. Ich persönlich bezeichne das reichste oberste ein Prozent als überreich, andere ziehen andere Grenzen, etwa zehn Millionen Euro. Die Debatte über die Grenze wäre aber wichtig: Es gibt eine definierte Armutsgrenze – man müsste auch eine Reichtumsgrenze definieren.
Sollten Einkommen und Vermögen offengelegt werden?
Engelhorn
Vermögens- und Erbschaftssteuern wurden durch politische Untätigkeit abgeschafft. Leider. Mittlerweile ist die Verteilungsdebatte zwar klein, aber nicht mehr aus dem Diskurs wegzudenken. Transparente Einkommens- und Vermögensdatenbanken fände ich sehr wichtig. Es ist relevant, wem die Welt gehört. Gerade bei Vermögen gibt es derzeit leider kaum valide Daten. Das erschwert die Debatte. Aber grundsätzlich ist klar: Wir brauchen Erbschaftssteuern – wie genau die gestaltet werden, welche Freigrenzen es braucht, das müssen wir diskutieren. Mir gehen Millionärssteuer-Forderungen von Grünen und SPÖ nicht weit genug, weil sie die Ungleichheit nicht einmal auf dem derzeitigen Level einfrieren. Sie bremsen sie bestenfalls ab. Aber das reicht nicht.
Reizt es Sie, in die Politik zu gehen?
Engelhorn
Nee, ich habe so schon eine große Klappe, das reicht. Im Ernst: Es gibt genug weiße vermögende privilegierte Menschen in der Politik. Demokratie muss diverser werden.
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Stand:
Eva Linsinger
Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.
Wolfgang Paterno
ist seit 2005 profil-Redakteur.