Martin Kocher: „Man darf einzelne Wahlergebnisse nicht überinterpretieren"
Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher über die Kritik an der Gießkanne, warum wir so schwer aus der Krise kommen und ein dunkelrotes Salzburg.
Hand aufs Herz: Wie oft musste sich der Ökonom Kocher wegen des Ministers Kocher in den vergangenen vier Jahren auf die Zunge beißen?
Kocher
Es gab einige wenige Entscheidungen, die wir aus einer Notwendigkeit heraus getroffen haben, wo ich als Ökonom vielleicht andere Instrumente gewählt hätte. Ich bin aber deshalb Mitglied dieser Bundesregierung geworden, weil ich das Regierungsprogramm gut gefunden habe. Den angesprochenen Widerspruch gab es sehr selten.
Wollen Sie uns verraten, wann es ihn gab?
Kocher
Es gibt immer wieder einzelne Entscheidungen, wo man diskutieren kann, ob andere Instrumente besser wären. Das hatte aber nie politische Gründe, sondern es ging um Fragen der Umsetzbarkeit.
Wie war das bei den Anti-Teuerungsmaßnahmen, die zuerst sehr breit an alle Bevölkerungsschichten gingen, oder bei der Stromkostenbremse, die nicht den individuellen Stromverbrauch, sondern den österreichweiten Durchschnitt berücksichtigt?
Kocher
Die Strompreisbremse basiert auf einem Vorschlag des WIFO, der aus rein praktischen Gründen angepasst wurde. Sonst hätte die Umsetzung länger gedauert. Grundsätzlich war die Idee, ein Kontingent für Haushalte freizustellen und die Nutzung von zusätzlichen Einheiten voll zu bezahlen, ähnlich wie in anderen EU-Ländern. Und wir haben uns bewusst gegen gewisse Maßnahmen entschieden, zum Beispiel generelle Mehrwertsteuersenkungen bei Lebensmitteln oder beim Treibstoff. Das wäre auch aus Sicht vieler Ökonominnen und Ökonomen die Gießkanne zum Quadrat gewesen.
Ihr Nachfolger beim IHS und sein Gegenüber beim WIFO müssen kommende Woche die Konjunkturprognose ein zweites Mal nach unten korrigieren. Wieso kommen wir aus dieser Krise so schwer heraus?
Kocher
Das Jahr 2024 wird um vieles besser als 2023. Aber doch weniger gut, als noch vor ein paar Monaten erhofft. Wir sehen, dass die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank das tun, was sie sollen, nämlich die Inflation zu drücken. Das passiert im langjährigen Vergleich sogar recht rasch, aber eben auf Kosten wirtschaftlicher Dynamik. Gleichzeitig sehen wir, dass unsere wichtigen Exportländer besonders zu kämpfen haben, vor allem Deutschland. Wenn die Weltwirtschaft nicht läuft, dann leidet ein Exportland wie Österreich stärker darunter.
Die Regierung hat kürzlich ein 2,2 Milliarden Euro schweres Wohnbaupaket geschnürt, um der Baubranche konjunkturell unter die Arme zu greifen. Es gab von den Sozialpartnern Lob, aber es wurde auch kritisiert, dass die Maßnahme vielleicht zu breit wirke oder dazu führe, dass die hohen Immobilienpreise nicht sinken.
Kocher
Das Paket hat drei Zielsetzungen. Es soll erstens treffsicher sein, und viele Maßnahmen sind sehr zielgerichtet. Die zweite Zielsetzung steht manchmal mit der Treffsicherheit in Konflikt, nämlich wie schnell die Maßnahme umgesetzt werden kann und wie schnell sie wirkt. Angesichts der Auftragslage gibt es Unternehmen im Hochbau, die wirklich in Schwierigkeiten kommen. Deshalb war es wichtig, rasch etwas zu tun. Und der dritte Zielsetzungsaspekt war, dass die Preise auch mittelfristig nicht so stark steigen. Eine Baulücke von zwei bis drei Jahren würde dazu führen, dass wir zu wenig Wohnbau hätten und damit die Mieten und Immobilienpreise stark steigen. Ich glaube, uns ist insgesamt eine gute Abwägung zwischen diesen drei Zielen gelungen.
"Wohnbau ist zu einem Gutteil Landessache, und die Länder handhaben das durchaus unterschiedlich. Die Wählerinnen und Wähler in den Ländern haben durch Wahlen eine Möglichkeit, hier auch Kontrolle auszuüben", meint der Wirtschaftsminister.
Wohnen
"Wohnbau ist zu einem Gutteil Landessache, und die Länder handhaben das durchaus unterschiedlich. Die Wählerinnen und Wähler in den Ländern haben durch Wahlen eine Möglichkeit, hier auch Kontrolle auszuüben", meint der Minister.
Wir haben in Österreich auch eine Wohnbauförderung auf Länderebene. Diese ist aber vielerorts in Kreisverkehre und wohl weniger in Wohnraum geflossen. Braucht es da konkretere Vorgaben für die Verwendung dieser Mittel und eine Kontrolle seitens des Bundes?
Kocher
Wohnbau ist zu einem Gutteil Landessache, und die Länder handhaben das durchaus unterschiedlich. Die Wählerinnen und Wähler in den Ländern haben durch Wahlen eine Möglichkeit, hier auch Kontrolle auszuüben.
In Ihrer Heimatgemeinde Altenmarkt im Pongau hat die ÖVP am Sonntag die absolute Mehrheit verloren. Die Stadt Salzburg, eine der reichsten Städte Österreichs, hat mehrheitlich rot bis dunkelrot gewählt. Wie erklären Sie sich hier den Siegeszug der linken Parteien?
Kocher
Man darf einzelne Wahlen, die gerade auf regionaler Ebene sehr stark auf Persönlichkeiten zugeschnitten sind, nicht überinterpretieren, was etwa deren Bedeutung auf Bundesebene angeht. Wenn wir uns das ganze Land Salzburg anschauen, dann sind die Mehrheitsverhältnisse relativ stabil geblieben.
Im Moment sehe ich keinen Grund für weitere Konjunkturmaßnahmen, die über das hinausgehen, was es schon gibt.
Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher.
zur Frage, ob die Industrie weitere Fördermaßnahmen braucht.
Das zweite Sorgenkind ist die Industrie, dort stieg die Arbeitslosigkeit zuletzt für den Sektor ungewohnt stark. Die Auftragslage ist vielerorts nicht gut. Braucht es da weitere staatliche Unterstützungsmaßnahmen?
Kocher
Die Arbeitslosigkeit steigt zwar, aber relativ verhalten. Das liegt daran, dass viele Betriebe versuchen, Personal so lange zu halten, wie es nur möglich ist. Die Betriebe wissen nämlich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jetzt gekündigt werden, beim nächsten Aufschwung nur schwer zu finden sein werden. Wir kommen in eine Phase der demografischen Entwicklung, in der viele Pensionierungen anstehen und gleichzeitig kleinere Geburtenjahrgänge auf dem Arbeitsmarkt nachkommen. Die Auftragslage hängt sehr stark von den einzelnen Branchen ab und von der Exportorientierung der einzelnen Unternehmen. Im Moment sehe ich keinen Grund für weitere Konjunkturmaßnahmen, die über das hinausgehen, was es schon gibt. Die Investitionsprämie etwa, die 2021 eingeführt wurde, wirkt in der Umsetzung noch immer nach. Die öffentliche Hand kann nicht alle Risiken von Konjunkturschwankungen ausgleichen.
Von jenen Menschen, die um das Jahr 2015 nach Österreich geflüchtet sind, hatte gerade einmal die Hälfte nach fünf Jahren einen Job. Bei den Ukrainerinnen sind laut AMS nur 17.400 vollversichert. Woran scheitert die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt?
Kocher
Die Integration ist ein Kraftakt, denn die betroffenen Menschen weisen oftmals kaum die notwendigen Qualifikationen und Sprachkenntnisse auf. Für eine Arbeitsmarktintegration dieser Zielgruppe haben sich gesamtheitliche Maßnahmen bewährt, die Deutschunterricht, Qualifizierung und Integrationsmaßnahmen wie Wertekurse zusammenführen. Wir investieren dafür 2024 und in den Folgejahren mit 75 Millionen Euro mehr als je zuvor. Vertriebene aus der Ukraine weisen andere Herausforderungen auf
Auf EU-Ebene war eigentlich schon ein Lieferkettengesetz ausverhandelt, das jetzt auf Eis liegt. Auch Sie hatten Einwände dagegen. Warum?
Kocher
Es war aus meiner Sicht in der vorgeschlagenen Form nicht umsetzbar. Wir wollen alle, dass es keine Kinderarbeit mehr gibt, dass es keine Zwangsarbeit in Unternehmen gibt oder Umweltzerstörung durch die Produktion. Die Frage ist, ob eine konkrete Richtlinie diese Ziele erfüllt. Und zwar so, dass es für die betroffenen Unternehmen verkraftbar ist. Wir haben uns schon im EU-Ministerrat 2023 enthalten und unsere Bedenken vorgebracht. Und die sind noch immer nicht ausgeräumt. Im Übrigen hat sich bei der Abstimmung vor einigen Wochen fast die Hälfte der EU-Länder enthalten oder dagegen gestimmt.
Wir haben eine relativ hohe Steuerquote. Braucht es eine Senkung der Lohnnebenkosten?
Kocher
Wir haben eine hohe Steuerquote, aber dafür auch gute öffentliche Leistungen. Wir haben im Lauf dieser Legislaturperiode relativ viel im Bereich der Einkommensteuer gemacht – die ökosoziale Steuerreform, die Abschaffung der kalten Progression, die Abschaffung des Dienstnehmerbeitrags zur Pensionsversicherung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über dem Regelpensionsalter. Wo noch etwas mehr passieren müsste, wäre bei den Lohnnebenkosten. Wir haben diese um 0,5 Prozentpunkte gesenkt, wo es möglich war. Ich glaube, es wäre gut, einen Automatismus zu haben, der über die nächsten Jahre jedes Jahr in einem verträglichen Ausmaß die Lohnnebenkosten, sagen wir um 0,5 Prozentpunkte, reduziert. Und zwar ohne Leistungen zu kürzen. Das hat auch den Vorteil, dass man das aus dem laufenden Budget finanzieren kann. Pro Jahr würde das 800 Millionen Euro kosten.
Martin Kocher ist noch immer kein Parteimitglied der ÖVP. Und er strebt auch keinen Listenplatz für die Nationalratswahl an. Ob er nach der Wahl wieder Minister werden will? Kommt darauf an, aber warum nicht?
Nationalratswahl 2024
Martin Kocher ist noch immer kein Parteimitglied der ÖVP. Und er strebt auch keinen Listenplatz für die Nationalratswahl an. Ob er nach der Wahl wieder Minister werden will? Kommt darauf an, aber warum nicht?
Was halten Sie von Vermögensteuern und Erbschaftsteuern? Die SPÖ hat ja ein entsprechendes Modell vorgestellt.
Kocher
Die Diskussion ist sehr verkürzt. Wir haben ja schon Vermögensteuern, etwa in Form einer Grundsteuer und relativ hohe Vermögenzuwachssteuern. Ich bin gerne bereit, über eine Steuerstrukturreform zu reden, aber das tut die SPÖ nicht. Es geht darum, hier oder dort etwas zusätzlich zu besteuern. Der Großteil der Vermögen liegt außerdem nicht einfach auf der Bank. Er ist in Unternehmensanteilen veranlagt, in Stiftungen, die auch in Unternehmen investieren. Das ist auch einer der Gründe, warum wir in Österreich eine so hohe Investitionsquote haben, sowohl öffentlich, aber auch privat. Dieses Kapital schafft wiederum Arbeitsplätze. Wir müssen aufpassen, dass solche Debatten dem Standort nicht schaden.
Und wenn man die Steuern auf Erwerbseinkommen senkt und dafür Erbschaften besteuert?
Kocher
Im Moment sollte unser Fokus darauf liegen, die Lohnnebenkosten zu senken, und hierzu haben wir ja einen Vorschlag gemacht.
Stehen Sie nach der Wahl wieder für einen Ministerposten zur Verfügung, wenn es die Regierungskonstellation erlaubt?
Kocher
Wir müssen einmal abwarten, wie die Wahl ausgeht. Ich sehe es als großes Privileg, Minister sein zu dürfen. Aber es hängt davon ab, wie das nächste Regierungsprogramm aussieht und ob ich als parteifreier Minister gefragt werde. Ich habe es für mich nicht ausgeschlossen, aber es gibt noch viele Wenns.
Sie sind also in der Zwischenzeit nicht der ÖVP beigetreten?
Kocher
Nein.
Würden Sie sich für einen ÖVP-Listenplatz aufstellen lassen?
Kocher
Das kann ich für diese Wahl ausschließen.
Zur Person
Martin Kocher, 50, ist seit 2021 Bundesminister für Arbeit und seit 2022 auch für Wirtschaft. Der habilitierte Ökonom war von 2016 bis 2021 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) und ist derzeit als Hochschulprofessor an der Universität Wien karenziert.