Mastercard-Chef: „Niemand arbeitet an der Abschaffung des Bargelds“
Von Marina Delcheva
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Wie viel Bargeld haben Sie bei sich?
Brönner
30 Euro in der Handyhülle. Als Notgroschen, falls irgendwo nur Bargeld akzeptiert wird. Aber ich zahle so gut wie nie in bar.
Und was haben Sie das letzte Mal in bar gekauft?
Brönner
Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung mehr.
In Österreich gab es im Vorjahr eine sehr intensive Debatte über Bargeld und dessen vermeintliche Abschaffung. Können Sie diese Ängste nachvollziehen?
Brönner
Die Intensität und Emotionalität haben mich schon überrascht. Die Debatte war sehr aufgeladen und zugespitzt. Niemand – weder der Gesetzgeber noch die Privatwirtschaft – arbeitet an einer Abschaffung des Bargelds. Rund 60 Prozent der Transaktionen an den Geschäftskassen finden in bar statt. Wir haben im EU-Vergleich ein sehr dichtes Bankomatennetzwerk. Trotz des Anstiegs der Kartenzahlungen kommen wir in absehbarer Zeit in kein Szenario, in dem Bargeld keine Rolle mehr spielt. Da ist viel Panikmache dabei.
Die Europäische Zentralbank (EZB) testet gerade den digitalen Euro als Antwort auf Kryptowährungen und andere digitale Währungen wie den chinesischen E-Yuan. Vonseiten der Banken und Kreditkartenanbieter kam Kritik. Warum?
Brönner
Wir begrüßen grundsätzlich die Ziele der EU, stärker in die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs zu investieren. Es gibt aber durchaus noch offene Fragen zur Ausgestaltung, zu Vergütungsmechaniken und vielem mehr. Seitens der Konsumentinnen und Konsumenten höre ich am häufigsten die Frage, was durch den digitalen Euro ermöglicht werden soll, das heute nicht ohnehin schon angeboten wird. Es gibt hier aber mitunter auch Ängste, die nicht faktisch begründet sind, wie beispielsweise, dass der digitale Euro die eben thematisierte Abschaffung des Bargelds befördern solle.
Niemand – weder der Gesetzgeber noch die Privatwirtschaft – arbeitet an einer Abschaffung des Bargelds.
Die EZB verspricht zumindest eine kostenlose und anonyme Nutzung. Fürchtet man in der Branche auch Konkurrenz für die eigenen Produkte?
Brönner
Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass ein faires Chancen-umfeld gewahrt wird. Wir haben kein Problem mit Konkurrenz. Ich bin nur vorsichtig bei Lösungen, die aus dem staatsnahen Bereich subventioniert werden und eben den freien und fairen Wettbewerb durcheinanderbringen.
Bringt sich Mastercard eigentlich schon in Stellung als Netzwerkanbieter für den digitalen Euro?
Brönner
Wir arbeiten jetzt schon international mit vielen Zentralbanken zusammen. Beim digitalen Euro gibt es derzeit aber keine konkreten Pläne, das zu tun. Bereitschaft – ja.
Wo zahlt man in Österreich am häufigsten mit Karte und wo bar?
Brönner
In der Gastronomie wird noch sehr oft in bar bezahlt. Beim Einkaufen und Tanken kommt öfter die Karte zum Einsatz. Grundsätzlich sehen wir ein Stadt-Land-Gefälle bei der Kartennutzung und eine Alters- und Bildungskorrelation. Also im ländlichen Raum kommt mehr Bargeld zum Einsatz. Die urbane, höher gebildete Bevölkerungsschicht nutzt häufiger die Kartenzahlung. Auch Jüngere haben eine höhere Kartenaffinität.
Vor ein paar Jahren gab es bei Mastercard in Deutschland ein massives Leck von Kundendaten, das für viel Unmut und Verunsicherung gesorgt hat. Wie viele Hackerangriffe müssen Sie eigentlich in der Regel abwehren?
Brönner
Datensicherheit ist in der Tat ein großes Thema bei uns. 125 Milliarden Transaktionen gehen jährlich weltweit über unser Netzwerk. Genaue Zahlen kommunizieren wir nicht, aber wir müssen pro Jahr Angriffe im dreistelligen Millionenbereich auf unser Netzwerk abwenden. Glücklicherweise gelingt uns das auch ganz gut.
Woher kommen die Angriffe? Gibt es Regionen, die auffällig sind? Verzeichnen Sie auch institutionelle Hackerangriffe, also etwa von staatlichen Stellen?
Brönner
Es ist nicht nur so, dass wir als Netzwerk angegriffen werden. Das fängt häufig beim Konsumenten an, der mit verschiedensten Tricks zur Datenweitergabe hinters Licht geführt wird. Banken müssen auch viele Angriffe abwenden. Wir merken bei uns eine Zunahme durch Angriffe von generativer KI auf unsere Netzwerke, also automatisierte Anfragen. Ob das alles privat oder auch staatlich gesteuert ist, kann ich nicht beurteilen.
In Brasilien testet Mastercard das Bezahlen mittels biometrischer Daten. Also ein Kilo Tomaten wird mittels Fingerabdrucks an der Kassa bezahlt. Soll das auch in der EU möglich sein?
Brönner
Es geht um das sogenannte Biometric Checkout. Das haben wir in Brasilien mit einem Handelsunternehmen getestet. Nach der Datenschutzrichtlinie wäre so etwas auch in der EU denkbar, weil es einer aktiven Konsumentenentscheidung bedarf. Wir sind aber noch in der frühen Testphase und haben momentan keine Pläne, das nach Europa zu bringen. Der Kunde kann sich dort einmalig registrieren und seine Bezahldaten und biometrischen Merkmale zur Verifizierung sicher hinterlegen. Dann brauche ich bei diesem einen Händler nichts mehr mitzubringen – keine Karte, kein Bargeld – und kann mittels dieser biometrischen Verifizierung den Kauf vornehmen.
Das klingt ein bisschen nach Dystopie und einem gläsernen Menschen.
Brönner
Ich kann nachvollziehen, dass man das so sieht, aber das ist nicht der Fall. Erstens erfordert das alles die ausdrückliche Entscheidung und Zustimmung des Kunden. Zweitens findet keine Datenweitergabe statt, die über die datenminierenden Anforderungen einer klassischen Kartenzahlung hinausgeht. Der Händler sieht, wie bei einer klassischen Kartenzahlung, auch weiterhin grundsätzlich nur seinen Warenkorb, also Äpfel, Milch und Waschmittel um zwölf Euro, erhält aber keine Informationen des Kunden. Er meldet dann an das Kartennetzwerk nur den Gesamtbetrag, und wir stellen eine Verknüpfung zur Bank her, auf deren Konto das Geld liegt. Der Händler bekommt keine Information über Namen, Geschlecht, Alter, Kaufverhalten … Wir als Kartennetzwerk kennen den Konsumenten auch nicht, wir sehen nur eine Karte einer unserer Partnerbanken. Wer der Kunde genau ist, wie sein Kontostand ist etc., das weiß nur die Bank. Für die Transaktion ist die Übermittlung all dieser Informationen aber nicht wichtig und findet daher auch nicht statt. Es wird lediglich eine Bestätigung zurückgespielt, die dem Händler die Zahlung garantiert. Beim Biometric Checkout ist es das Gleiche. Die Daten werden in einer Cloud sicher verwahrt und sind für den Händler nicht einsehbar. Wir sehen eindeutig einen Trend zu mehr Bequemlichkeit und Abbau von Hemmnissen beim Bezahlen.
Unter Beschuss
"Genaue Zahlen kommunizieren wir nicht, aber wir müssen pro Jahr Angriffe im dreistelligen Millionenbereich auf unser Netzwerk abwenden", erklärt Michael Brönner, Geschäftsführer von Mastercard Österreich im profil-Interview.
Mit Blick auf Jugendschutz und Finanzbildung ist das aber nicht nur positiv, Stichwort TikTok-Trend Klarna-Schulden. Läuft man da nicht Gefahr, dass sich etwa junge Menschen mit Impulskäufen überschulden, die sie ganz bequem und ohne Hemmnisse online bezahlen?
Brönner
Ich kann die Sorge nachvollziehen. Ein Mehrwert der Kartenzahlung ist, dass mein gesamtes Kaufverhalten für mich transparent ist, ich kann in meiner Banking-App jeden Einkauf nachvollziehen und mein Budget kalkulieren. Wir brauchen aber noch mehr Aufklärung und Finanzbildung. Es ist schon richtig: Je geringer der Schmerz der Bezahlung, desto wichtiger ist die Überlegung, ob ich mir die Ausgabe wirklich leisten kann.
Mit Wirex betreiben Sie eine Plattform für Kryptowährungen. Wer nutzt das, und was bezahlt man denn mit Lira oder Ethereum?
Brönner
Wir lassen keine Kryptowährungen in unserem Netzwerk zu und betreiben keine eigene Handelsplattform für Kryptowährungen. Es gibt aber einige Partner, die eine Bezahlung mit Krypto „indirekt“ anbieten, indem bei einem Bezahlvorgang in Echtzeit zunächst Kryptogeld verkauft und in Euro umgetauscht wird, welches dann über unser Netzwerk zur Bezahlung an der Ladenkassa genutzt wird. Das ist eher ein Nischenthema für Enthusiasten. Und ich persönlich sehe Kryptogeld auch weniger als Bezahlmethode im Alltag, sondern eher als Geldanlage, bei der man auf Wertsteigerungen hofft.
Investieren Sie persönlich in Krypto?
Brönner
Ich persönlich habe es als sehr, sehr kleinen Bestandteil meines Investment-Mixes, vor allem aus Interesse und weil ich den Markt im Blick behalten will. Aber das soll jetzt bitte keinesfalls eine Investitionsempfehlung sein!
Die Finanzmarktaufsicht hat kürzlich auf einen Anstieg bei Geldwäsche-Verdachtsmomenten und Missbrauchsfällen auf diversen Kryptoplattformen hingewiesen. Wie gehen Sie damit um?
Brönner
Das betrifft uns nicht direkt, weil wir keine Kryptotransaktionen auf unseren Netzwerken durchführen. Uns betrifft das sogenannte On- und Off-Ramping. Also wenn Geld auf ein Kryptokonto überführt wird oder umgekehrt. Die Kryptobörse muss überprüfen, was zwischen den Kryptokonten passiert, und sie muss, ähnlich wie eine Bank, den Konsumenten verifizieren.
Aber wie können Sie sichergehen, dass beim Off-Rampen beispielsweise keine Einnahmen aus Waffengeschäften in reales Geld konvertiert werden?
Brönner
Der Krypto-Wallet-Anbieter ist dafür verantwortlich, seine Kontokunden nach allen geltenden Richtlinien zu prüfen. Ähnlich wie bei einer Retoure im Handel routen wir hier nur die Transaktion zurück, vom Händler zum Konsumenten.
Nachhaltigkeit, grüne Anlageformen boomen auch in der Finanzwelt. Mastercard verspricht auf seiner Website, 100 Millionen Bäume weltweit zu pflanzen. Ist da nicht auch viel Marketing dabei? Ich kann als Konsument doch niemals nachprüfen, ob und wo Sie einen Baum gepflanzt haben.
Brönner
Grundsätzlich ist uns das Thema außerordentlich wichtig, und wir haben eine Reihe an ganz konkreten Projekten in diesem Bereich. In Österreich haben wir beispielsweise zuletzt im Rahmen einer gemeinsamen Kampagne mit einem Handelspartner Geld für die Renaturierung von zwei Mooren in Oberösterreich gespendet. Natürlich ist es für die einzelnen Konsumenten schwer, die konkreten Maßnahmen im Detail nachzuverfolgen. Wir versuchen, unsere Aktivitäten möglichst gut zu dokumentieren und transparent zu machen. Übrigens sind Kartenzahlungen, unabhängig von Bäumen und Mooren, deutlich umweltfreundlicher als Barzahlungen, weil Bargeld eine enorme Logistik erfordert.
Zur Person
Michael Brönner, 36, ist seit 2022 Geschäftsführer von Mastercard in Österreich. Der gebürtige Deutsche begann seine Karriere beim Unternehmensberater McKinsey in Deutschland. 2019 übersiedelte er nach Wien und war bei Mastercard für Data und Services verantwortlich. In Österreich sind laut dem Payment Service Austria zehn Millionen Debitkarten unterwegs, so gut wie alle laufen über die Netzwerke von Mastercard. Hinzu kommen vier Millionen Kreditkarten, wovon ungefähr die Hälfte Mastercard und die andere Hälfte Visa zugerechnet wird.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".