Metaller: „Hat der hohe Lohnabschluss Arbeiter den Job gekostet?“
Von Josef Redl
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Die Herbstlohnrunde des Jahres 2023 hat es in die Geschichtsbücher geschafft. Fast zehn Wochen dauerten die Kollektivvertragsverhandlungen der Metaller, begleitet von Betriebsversammlungen und Streiks in mehr als 100 Betrieben. Für Christian Knill, Wirtschaftskammer-Obmann des Fachverbands Metalltechnische Industrie, war das Verhalten der Gewerkschaft damals „absurd“ und „grotesk“. Metaller-Gewerkschafter Reinhold Binder widmete den Arbeitgebervertretern ein herzhaftes „mit de Einmalzahlungen können s’ scheißen gehen“.
Wie hört sich das an, wenn die beiden Sozialpartner heute aufeinandertreffen? profil hat sie zum Doppelinterview gebeten.
Sie haben einander bei den extrem harten Verhandlungen zum Metaller-Kollektivvertrag kennengelernt. Wie war der erste Eindruck?
Reinhold Binder
Das war ein sehr intensives Kennenlernen. Wir haben Verhandlungen in einer extrem herausfordernden Zeit geführt, und natürlich war auch ein bisschen eine mediale Schlacht dabei.
Christian Knill
Wir haben uns vorher einmal getroffen. Das wäre sonst wahrscheinlich hart gewesen, wenn wir direkt bei den Verhandlungen aufeinandergekracht wären.
Für Sie waren es 2023 die ersten Lohnverhandlungen als Chef der Metallergewerkschaft. Wie groß war der Druck, Herr Binder?
Binder
Die Erwartungshaltung an die Gewerkschaft war enorm. Die Inflationsrate im zweistelligen Prozentbereich haben die Menschen gespürt, darüber ist beim Abendessen in der Familie diskutiert worden. Und man darf nicht vergessen: Die Unternehmen haben in den Jahren davor Rekordgewinne eingefahren.
Knill
Die Voraussetzungen waren außerordentlich schwierig. Die Gewerkschaft hat gefordert, dass wir die Inflation vollständig abgelten.
Dabei hat es damals auch von der Regierung Maßnahmen zum Teuerungsausgleich gegeben.
Binder
Die Maßnahmen der Regierung haben jedenfalls nicht für Entspannung am Verhandlungstisch gesorgt. Wir haben als Gewerkschaft schon früh gewarnt: Bitte setzt preisdämpfende Maßnahmen, sonst geht uns die Inflation durch die Decke.
Die Regierung hat statt auf einen Energiepreisdeckel auf Familienbonus und Teuerungsausgleich gesetzt. Ist das auch ein Scheitern der Sozialpartner?
Knill
Im Nachhinein muss man sagen: ja. Es ist uns nicht gelungen, mit unseren Appellen etwas zu erreichen. Ideen hat es ja gegeben, wie etwa die Gaskraftwerke bei der Strompreis-berechnung herauszunehmen.
Binder
Das Grundübel ist das Merit-Order-System. Dass sich der Preis aus der teuersten Energie ergibt, ist ja irre.
Knill
In China und den USA sind die Energiekosten um 15 Prozent niedriger, das ist einfach ein Wettbewerbsvorteil.
Der Preis der Unabhängigkeit vom russischen Gas.
Knill
Ja. Wir hatten 50 Jahre billiges Gas, jetzt müssen wir neue Quellen erschließen. Das ist der erste Grund, warum wir gravierend an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben.
Und der zweite?
Knill
Sind die Kosten für die Arbeit. Die sind bei uns extrem gestiegen.
„Meine Meinung ist klar: Die Benya-Formel sollte zu Grabe getragen werden.“
Als Grundlage für die Lohnverhandlungen gilt die sogenannte Benya-Formel, (benannt nach dem früheren Gewerkschaftspräsidenten Anton Benya, Anm.). Die Löhne sollen jedes Jahr um die Inflation plus einem Anteil am Produktivitätszuwachs steigen. Geht sich das heute noch aus?
Binder
Die Diskussion muss man intensiv führen. Als Gewerkschafter werde ich mich natürlich immer für einen Ausgleich der Teuerung einsetzen. Alles andere bedeutet ja, dass die Arbeit von einem Jahr aufs nächste weniger wert ist.
Knill
Wir haben in den letzten drei Jahren insgesamt eine Erhöhung von 22,5 Prozent gehabt. Deutschland hat im selben Zeitraum mit neun Prozent abgeschlossen, dafür gab es mehr Einmalzahlungen. Dort ist nicht darüber diskutiert worden, ob die Arbeit weniger wert ist. Es wird niemandem etwas weggenommen. Wir sprechen immer noch davon, wie viel die Leute dazubekommen. Meine Meinung ist klar: Die Benya-Formel sollte zu Grabe getragen werden.
Ich nehme an, Sie widersprechen, Herr Binder.
Binder
Ja. Gerade jetzt laufen die Energiefördermaßnahmen aus, und die Teuerung kommt wieder ungedämpft bei den Menschen an. Dazu kommt, dass bei der wirtschaftlichen Gesamtsituation viele um ihren Job bangen müssen.
Knill
Im Jahr 2024 haben rund 5000 Menschen in der metalltechnischen Industrie ihren Job verloren. In den Jahren davor haben wir trotz der hohen Preise und trotz hoher Lohnabschlüsse die Beschäftigten halten können.
Gut verhandelt?
Arbeitgeber-Vertreter Christian Knill (l.) und Gewerkschafter Reinhold Binder (r.) diskutieren mit profil-Redakteur Josef Redl ein Jahr nach den hitzigen Lohnverhandlungen der Metaller über die Lohnabschlüsse in der Industrie.
Hat der hohe Lohnabschluss des Jahres 2023 also viele Arbeiter den Job gekostet?
Binder
Das sehe ich überhaupt nicht so. Genauso gut könnte man die Arbeitnehmer für die ganze Weltwirtschaftskrise verantwortlich machen. Ich darf daran erinnern, dass es auch Unternehmer gibt, die uns noch vor zwei Jahren erklärt haben, wie die Wirtschaft funktioniert. Da werden bis zuletzt Dividenden ausgezahlt, statt in die Zukunft zu investieren, am Ende steht die Insolvenz.
Sie spielen auf den Motorradhersteller KTM an.
Binder
Das ist kein Lehrbeispiel für vernünftiges Wirtschaften, solche Insolvenzen machen mich betroffen.
Knill
Ich finde es nicht fair, an einem einzelnen Beispiel die gesamte Unternehmerschaft herunterzuziehen. Das vertrage ich gar nicht. Auch das genannte Unternehmen ist vor mehr als 25 Jahren in einer Sanierung von ganz unten wieder aufgebaut worden. Pauschal zu sagen, die Arbeitgeber würden nur gierig ihre Dividenden kassieren und die Arbeitnehmer schlecht behandeln, das geht nicht.
Binder
Es gibt für mich zwei Typen: Die Gewinnentnehmer und die Unternehmer. Die einen schauen nur aufs eigene Körberl, die anderen sind mit einem Unternehmen auf Jahre oder Generationen verbunden. Wir haben in den letzten zehn Jahren feststellen müssen, dass es auch Vorstände und Geschäftsführer gibt, die nicht einmal wissen, was genau eigentlich produziert wird und wo die Mitarbeiter herkommen.
„Es gibt für mich zwei Typen: Die Gewinnentnehmer und die Unternehmer.“
Knill
Neun von zehn Unternehmen in unserer Branche sind Familienunternehmen. Die kennen alle ihr Produkt genau, und da gibt es auch eine Verbundenheit mit den Mitarbeitern.
Binder
Ich habe selbst in einem großen Betrieb Werkzeugmacher gelernt und erinnere mich noch, wie stolz ich war, dass ich dort in der Lehrwerkstatt lernen kann. Und dass ich dort Aufstiegsmöglichkeiten hatte, die Chance, mich weiterzuentwickeln. Diese Perspektive ist total wichtig und eine der großen Qualitäten hier in Österreich. Dieses ständige Krankjammern des Wirtschaftsstandortes Europa ärgert mich.
Knill
Ich glaube nicht, dass der Standort Europa tot ist. Wir haben prinzipiell auch genug gute Technologien, um am Weltmarkt zu bestehen. Aber wir müssen unsere Hausaufgaben machen.
Binder
Wir müssen insgesamt wieder mehr regionale Wertschöpfung nach Europa holen. Gerade im Zusammenhang mit der ökosozialen Transformation gibt es da Chancen.
Zum Beispiel?
Binder
Man könnte die Förderungen für den Umstieg weg von den fossilen Energieträgern daran knüpfen, ob ein Teil der Wertschöpfung bei der Herstellung von Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen in Europa passiert.
Knill
Wir bräuchten überhaupt so etwas wie eine gemeinsame europäische Industriepolitik.
Die EU-Mitgliedstaaten haben teilweise sehr unterschiedliche wirtschaftliche Interessen. Wie soll man das unter einen Hut bekommen?
Knill
Wirtschaftspolitisch werden wir als Einzelstaaten im globalen Wettbewerb nicht erfolgreich sein. Aber es stimmt schon: Viele Entscheidungen auf europäischer Ebene werden durch Einzelinteressen blockiert oder verschleppt, da ist die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips überfällig. Noch dringender ist aus unternehmerischer Sicht aber ein Abbau der überbordenden Bürokratie.
Binder
Da muss ich nachfragen, was gemeint ist. Unter dem Titel Bürokratieabbau gibt es immer wieder den Versuch, Arbeitnehmerrechte abzubauen. Da werden in der öffentlichen Diskussion ganz wichtige Schutzbestimmungen für die Arbeitnehmer als bürokratische Hindernisse dargestellt.
Knill
Daran habe ich jetzt eher nicht gedacht, sondern an die von der EU vorgeschriebenen Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen, die wahrscheinlich kein Mensch je lesen wird. Aber um ehrlich zu sein: Die Kollektivverträge sind teilweise so umfangreich, da muss man schon ein Spezialist sein. Da würde ich auch nicht jedes Details als sakrosankt ansehen.
Binder
In den Kollektivvertragsverhandlungen werden ständig verschiedene Aspekte angepasst oder überhaupt neu geregelt. Das ist in meinen Augen auch eine große Stärke der Sozialpartnerschaft.
Derzeit verhandeln FPÖ und ÖVP über eine Koalition. Was muss die nächste Regierung umsetzen?
Knill
Die Lohnnebenkosten sind für uns natürlich ein großes Thema. Warum der Familienlastenausgleichsfonds oder die Wohnbauförderung über die Löhne finanziert werden müssen, verstehe ich nicht. Dass einige Umweltförderungen reduziert werden, scheint mir auch vernünftig.
Binder
Ich halte die Einsparungen im Klimabereich für Propaganda. Wir sollten nicht vergessen, dass von den Förderkürzungen viele Unternehmen in Österreich betroffen sein werden und damit auch viele Arbeitsplätze. Die Budgetsituation ist ein echtes Problem, denn eigentlich bräuchte es ein Konjunkturprogramm.
Knill
Da stimme ich zu. Und: Bei den Pensionen muss etwas passieren. Das Thema greift niemand gerne an, weil es da um viele Wählerstimmen geht. Das tatsächliche Pensionsantrittsalter muss angehoben werden. Da geht es um das Budget, aber auch um Generationengerechtigkeit.
Binder
Absolut. Die Frage ist, mit welchen Maßnahmen das gelingt. Ungefähr ein Fünftel der Arbeitslosen ist über 50 Jahre alt. Viele wechseln von der Arbeitslosigkeit direkt in die Pension, weil sie keinen Job mehr bekommen. Daran würde sich wahrscheinlich auch nichts ändern, wenn ich das gesetzliche Antrittsalter erhöhe.
Knill
Wir haben bei Pensionierungen die Erfahrung gemacht, dass viele lieber kleine Abschläge in Kauf nehmen und dafür schon mit 62 in Pension gehen. Der Anreiz, länger zu bleiben, ist zu gering.
Binder
Es ist ein riesengroßer Unterschied, was für einen Job man macht. Bei harter, schwerer Arbeit sage ich als Produktionsgewerkschafter: Nach 45 Beitragsjahren muss es möglich sein, abschlagsfrei in Pension zu gehen. Davon rücken wir nicht ab.
Zu den Personen
Christian Knill (55) ist Obmann des Fachverbands Metalltechnische Industrie in der Wirtschaftskammer. Der Steirer führt mit seinem Bruder, dem IV-Präsidenten Georg Knill, die Knill-Gruppe mit 30 Unternehmen für Anlagenbau und Energieübertragung.
Reinhold Binder (46), ist gelernter Werkzeugmacher und Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE. Seit Oktober 2024 sitzt der Oberösterreicher für die SPÖ im Nationalrat.
Josef Redl
Wirtschaftsredakteur. Davor Falter Wochenzeitung.