Hundekot am Fensterbrett, uringetränkte Holzböden, am Lärm verzweifelnde Nachbarn – eine Mietnomadin hielt 43 Hunde. Ihre Geschichte zeigt, dass der Mieterschutz manchmal die Falschen schützt.
Wer sich dem alten Bauernhaus mitten in der kleinen Ortschaft Wiederfeld im nördlichen Waldviertel in Niederösterreich nähert, hat mit totaler Überwachung zu rechnen. Es dauert keine zehn Minuten, bis Barbara Grills Smartphone vibriert: „Es sind Leute beim Haus! Weißes Auto mit Wiener Kennzeichen!“, ist in der WhatsApp-Nachricht zu lesen. Doch die Hausbesitzerin kann ihre Nachbarin beruhigen. Es handelt sich nicht um ungebetene Gäste. Grill selbst ist mit profil zum Lokalaugenschein vor Ort.
Dass man im 50-Einwohner-Dorf derart sensibilisiert ist, liegt an den Vorkommnissen des vergangenen Jahres. Barbara Grill wurde Opfer einer Mietnomadin und Animal Hoarderin. 43 Hunde haben zuletzt im liebevoll renovierten Haus der Geschäftsfrau gehaust, das Anwesen unbewohnbar gemacht und mit ständigem Gebell die Nachbarschaft terrorisiert. Kurz: In Wiederfeld liegen die Nerven blank.
Die Causa im Waldviertel ist zweifellos ein Extremfall. Doch sogenannte Mietnomaden sind kein so seltenes Phänomen. „Man versteht darunter Menschen, die bereits mit dem Vorsatz einziehen, keine Miete zu zahlen und die Wohnung oft völlig devastiert hinterlassen“, sagt Martin Prunbauer. Der Rechtsanwalt ist Präsident des Österreichischen Haus- und Grundbesitzerbundes (ÖHGB) und in diesen Funktionen recht häufig mit solchen Causen beschäftigt. Aufgrund eines starken Mieterschutzes, der manchmal die Falschen schützt, und der gemächlich mahlenden Mühlen der Justiz brauchen Vermieter einen extrem langen Atem, wenn sie solche Problem-Mieter wieder loswerden wollen.
Es war im vergangenen Frühling, als Barbara Grill ein Aushang am Schwarzen Brett des von ihr geführten Lebensmittelgeschäfts ins Auge stach: „Wir (pensionierter Beamter, Lehrerin) suchen älteres Haus mit Garten zur Miete.“
Grill hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Gedanken getragen, ihr Haus in den Sommermonaten als Ferienunterkunft zu vermieten. Ein paar Wochen später kam mit Sabine L. (Name der Redaktion bekannt) die Verfasserin des Zettels ins Geschäft. Grill geriet mit der eloquenten Deutschen ins Plaudern. Diese erzählte, sie wolle wegen ihrer betagten Eltern in absehbarer Zeit wieder nach Deutschland ziehen. Bis es jedoch so weit sei, suche sie etwas in Österreich. „Sie war mir sympathisch. Als sie dann meinte, ihr Freund sei Gärtner und könnte sich um den Garten kümmern, hat sie mich gehabt“, erzählt Grill.
Der Lavendel und die Rosen blühen in voller Pracht, aber auch Gras und Unkraut wuchern ungestört vor sich hin. Wer heute durch den mit Schilfmatten verkleideten Zaun in den Vorgarten lugt, erkennt, dass dieser schon lange ungepflegt ist.
Befristeter Mietvertrag
Als Sabine L. am 10. Juni 2023 das Haus besichtigte, zeigte sie sich begeistert. Und dann musste plötzlich alles ganz schnell gehen, die Deutsche wollte sofort einziehen: „Sie erklärte, sie wohne derzeit im Ferienhaus von Freunden, und diese würden es jetzt selbst nutzen wollen“, sagt Grill. Die beiden Damen schlossen einen bis Ende Oktober befristeten Mietvertrag ab. Dass mit Sabine L. und ihrem Lebensgefährten am 15. Juni auch zwei Hunde und ein paar Hasen einziehen sollten, ging für Grill in Ordnung. „Ich hatte wirklich ein gutes Gefühl bei der Sache und freute mich, jemanden gefunden zu haben, der mein Haus wertschätzt“, sagt Grill.
Doch die Freude hielt nicht lange an.
1. Juli 2023: „Es gibt Probleme mit Nachbarn u Polizei, die mich mittlerweile mehrfach kontaktiert hat. Mein Haus ist kein Gnadenhof, Sabine. Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass hier Dutzende Hunde gehalten werden, noch dazu mitten in einer Ortschaft. (…) Du hast gesagt, dein Freund kümmert sich um den Garten u pflegt alles. Du hast mich offenbar ganz bewusst hintergangen“, schreibt Barbara Gill an Sabine L. Deren lapidare Antwort: „Der Garten wird nächste Woche gemäht.“
Tag und Nacht hätten die Hunde gebellt, gewinselt und gejault, sagt eine vorbeikommende Nachbarin: „Manchmal habe ich geglaubt, die zerfleischen sich gegenseitig. Wir haben die Tiere ständig gehört, und es war ganz eindeutig, dass es sehr viele sind.“
Wie viele, das sollte Grill im August erfahren. 43 Hunde zählte der Amtstierarzt bei seinem Überprüfungsbesuch. Die Tiere waren allesamt gechipt, ordnungsgemäß gemeldet und in keinem schlechten Zustand. Vonseiten der Behörde sah man keinen Grund, Sabine L. die Tiere abzunehmen. Und die seit Sommer 2023 in Niederösterreich geltende Beschränkung, nach der man maximal fünf Hunde halten darf, greift nicht bei Tieren, die schon davor im Besitz der Halter waren.
Während die Wiederfelder am Lärm verzweifelten, musste Grill dem Geld nachlaufen: „Juni und Juli hat sie noch Miete bezahlt, im August und September erst nach mehrmaliger Aufforderung, und danach gar nicht mehr. Sie sagte, sie habe das Geld für eine Operation ihrer Mutter benötigt.“
Gerade kleine private Vermieter würden leicht Opfer von Mietnomaden werden, sagt ÖHGB-Präsident Prunbauer. „Große Unternehmen haben ihre Rechtsabteilungen, die automatisch aktiv werden, wenn Mietzahlungen ausbleiben. Der private Vermieter lässt sich oft vertrösten“, so der Anwalt. Sein Rat: sich von potenziellen Mietern eine Lohnbestätigung geben lassen, eine Bonitätsauskunft einholen und Kaution verlangen. Und wenn auch nur eine Monatsmiete nicht gezahlt wird, sofort schriftlich mahnen. „Hundertprozentige Sicherheit gewährt das freilich auch nicht, aber man muss es potenziellen Betrügern ja nicht zu einfach machen“, meint Prunbauer.
Durch Fäkalien verunreinigte Hausbrunnen
Das Gebell der Hunde sollte nicht das einzige Problem bleiben. Auch die Gewässeraufsicht wurde in Wiederfeld vorstellig. Der Verdacht, dass durch die Ausscheidungen der Tiere das Grundwasser verschmutzt werden könnte, hat sich dabei bestätigt. Die aus Hausbrunnen entnommenen Proben zeigten eine „extreme Verunreinigung aus dem Darm von Warmblütern“. Sabine L. war zuvor dabei beobachtet worden, wie sie im Innenhof des Anwesens Hundekot mit dem Schlauch weggespritzt hatte. „Der Innenhof war vorher grün und voller Blumen und Sträucher. Jetzt ist hier nur mehr verschlammte Erde. Das ist alles kontaminiert“, klagt Grill. Auch wenn hier das Verursacherprinzip gilt: Für die aufwendigen, behördlich angeordneten Sanierungsmaßnahmen wird sie vermutlich selbst aufkommen müssen. Bei Sabine L. wird wohl nicht viel zu holen sein.
10. Oktober 2023: „Ich werde den Mietvertrag nicht verlängern. Angesichts der Endzeitstimmung in Wiederfeld kann ich das nicht machen. Letzte Woche haben mich weinende Nachbarn angerufen und waren hier bei mir im Geschäft, weil sie nicht mehr schlafen können. Außerdem stehen mir mehrere Anzeigen ins Haus (…). Solche Dinge ertrage ich nicht. Ich muss dort wieder leben und momentan hassen mich alle für euch. Ich hab die Nase gestrichen voll“, schreibt Barbara Grill an Sabine L. Diese zeigt sich unbeeindruckt: „Ich werde die Miete auch für November überweisen. Dann müssen wir den Rest vor Gericht klären. Wir ziehen definitiv im Frühling aus.“
Für Grill war das aus naheliegenden Gründen nicht akzeptabel. Am 18. Oktober brachte sie beim Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya einen Antrag auf Erlassung eines sogenannten Übergabeauftrags ein, der prompt binnen zwei Tagen erlassen wurde. Damit trägt das Gericht den Mietern auf, die Wohnung zum Vertragsende zu übergeben. „Die Mieterin hatte dann vier Wochen Zeit, Einwendungen zu erheben. Sabine L. hat das zum letztmöglichen Zeitpunkt getan“, erzählt Grills Anwalt Konstantin Haas. Zur mündlichen Verhandlung kam es dann Mitte Februar dieses Jahres, das schriftliche Urteil wurde im April ausgefertigt. Der Inhalt? Der Übergabeauftrag ist wirksam, die Liegenschaft binnen 14 Tagen zu übergeben, ist in dem Urteil zu lesen. Ab Zustellung beginnt die Vier-Wochen-Frist für die Berufung. Sabine L. stellte jedoch einen Antrag auf Verfahrenshilfe, dadurch wird die Berufungsfrist unterbrochen. „Aktuell warten wir auf die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich des Verfahrenshilfeantrags“, sagt Anwalt Haas. Wenn diese rechtskräftig vorliege, beginne die vierwöchige Berufungsfrist neu zu laufen. „Bisher wurde von der Beklagten jede Möglichkeit zur Verzögerung genutzt“, sagt Haas.
Der Mieterschutz in Österreich ist zu stark. Hier schützt er eindeutig die Falschen.
Martin Prunbauer
Österreichischer Haus- und Grundbesitzerbund
Für ÖHGB-Präsident Prunbauer zeigt dieser Fall, dass der Mieterschutz in Österreich zu stark sei: „Hier schützt er eindeutig die Falschen. Wenn man solche Mieter binnen eines Jahres rausbringt, kann man sich glücklich schätzen. Meist dauern solche Causen deutlich länger.“
Das können einige niederösterreichische und burgenländische Gemeinden bestätigen. Sabine L. hat in den vergangenen 20 Jahren eine Spur der Verwüstung durchs Land gezogen. Im burgenländischen Markt St. Martin dauerte es fünf Jahre, bis man sie wieder loswurde. Als sie auszog, haben die geplagten Anrainer ein Fest gefeiert.
Am 17. Juni dieses Jahres wurde Grill von ihren Nachbarn informiert, dass mehrere Autos mit Anhängern vorgefahren, die Hunde verladen und Kisten und Schachteln weggebracht worden seien. Seitdem ist Sabine L. mitsamt ihren Tieren spurlos verschwunden. Als Grill in das unversperrte Haus geht, trifft sie fast der Schlag: „Es stinkt bestialisch. Der neue Eichenboden ist uringetränkt, auf einem Fensterbrett lag Kot, die Holzmöbel sind zerbissen.“ Hausschlüssel hat Sabine L. keine hinterlassen. Dafür gut 100 Paar Schuhe und andere persönliche Dinge. Noch immer ist sie mit Hauptwohnsitz in Wiederfeld gemeldet. Und solange das Gerichtsverfahren nicht abgeschlossen ist beziehungsweise Sabine L. offiziell auszieht, darf Grill ihr eigenes Haus nicht betreten.