Milchboykott: Was hinter dem NÖM Lieferstopp steckt
Wer heute vor dem Kühlregal in der Supermarktkette Spar steht, wird von einem kleinen roten Schild auf eine eingeschränkte Produktauswahl aufmerksam gemacht. Der Lebensmittelhändler verzichtet seit zwei Wochen auf Milchprodukte der niederösterreichischen Molkerei (NÖM)*. Nachdem Spar eine Erhöhung um einen zweistelligen Prozentbetrag seines Milchlieferanten über das gesamte Sortiments ablehnte, reagierte die Molkerei mit einem Lieferstopp.
Die NÖM argumentiert, dass die gestiegenen Produktionskosten abgegolten werden müssen, um einen fairen Milchpreis für die Bäuerinnen und Bauern zu gewährleisten. Beim Lebensmittelhändler Spar ist man währenddessen nicht gewillt, die Preise an die Konsumentinnen und Konsumenten weiter zu reichen. “Wir wissen, dass gewisse Produktionskosten wie Futtermittel gesunken sind, dafür gibt es öffentliche Statistiken”, hält das Unternehmen fest.
66,9 Kilogramm Milch konsumiert durchschnittlich jede Österreicherin und jeder Österreicher jährlich laut Statistik Austria. Mit einem Selbstversorgungsgrad von 182 Prozent produziert Österreich mehr Milch, als die Republik selbst verbrauchen kann. Der Überschuss wird exportiert – 45 Prozent der Trinkmilch (also ohne Käse oder Butter), rund 322 Millionen Kilogramm, gehen nach Schätzungen der Agrarmarkt Austria (AMA) ins Ausland.
Trotz dieser Produktionszahlen ist der Milchpreis für die Bäuerinnen und Bauern seit Jahren ein umstrittenes Thema. Immer wieder wird der Preisdruck des Lebensmittelhandels als einer der Hauptgründe für die unzureichende Bezahlung der Landwirtschaft genannt. So hat auch der niederösterreichische Bauernbund im aktuellen Konflikt zwischen der NÖM und Spar Beschwerde bei der Kartellbehörde, der Bundeswettbewerbsbehörde eingelegt. Der Vorwurf: Der Spar-Konzern missbrauche seine Marktmacht und diktiere Preise.
Aber hat der Handel Schuld an der Misere? Der Konflikt zwischen Spar und NÖM ist nur ein Symptom einer strukturellen Krise in der Milchwirtschaft.
Überversorgung und Preisverfall
Im niederösterreichischen St. Peter in der Au kritisiert Landwirt Ernst Halbmayr seit Jahren die Zustände in seiner Branche. Als Bauer erhalte man unterm Strich rund 45 Cent pro Kilo konventioneller Milch von einer Großmolkerei. Die tatsächlichen Produktionskosten lägen bei 50 bis 60 Cent. Ohne Nebeneinkünfte, wie etwa Getreideanbau, wäre ein Milchbetrieb wirtschaftlich nicht erhaltungsfähig.
Für Konsumentinnen und Konsumenten steht fest: Ihre Milch soll regional ökologisch produziert werden und Bäuerinnen und Bauern ein faires Einkommen ermöglichen. Die Vorstellung, dass frische Kuhmilch direkt vom Hof ihren Weg auf den Frühstückstisch findet, mag zwar romantisch sein, doch die Realität findet zwischen Genossenschaften, Großmolkereien und Handelsriesen statt, die um jedes Prozent Marge feilschen. Landwirte wie Ernst Halbmayr sind nur kleine Player, die in der Produktionskette meist wenig Mitspracherecht haben.
Damit die Bäuerinnen und Bauern für ihre Milch einen fairen Preis erhalten, treten sie einer Genossenschaft bei. Diese soll nicht nur den Preis verhandeln, sondern auch als politisches Gegengewicht zur Milchindustrie fungieren. Doch in der Praxis sind besonders kleinere Höfe oft nur Preisnehmer, ohne nennenswerte Einflussmöglichkeiten.
“Wir haben ein System gebaut, wo nur auf Masse produziert wird und das dadurch befeuert wird, dass Molkereien ein Staffelpreissystem haben”, sagt Halbmayr. Die Berechnung des Milchpreises richtet sich nämlich nach gelieferter Menge an die Molkerei. Je mehr Milch der Hof anliefern kann, umso höher fällt der Milchpreis pro Kilo aus - für die Molkereien eine Möglichkeit, ihren Bezug effizienter zu gestalten. Für landwirtschaftliche Betriebe stetiger Druck, immer mehr Milch zu produzieren. In der Branche führe das zu einer Überversorgung mit Kuhmilch in den Molkereien, so Halbmayr.
Protest vor Spar-Zentrale 2020
Schon vor vier Jahren äußerten Bäuerinnen und Bauern ihren Unmut über den Handelsriesen Spar, wie hier in Wörgl.
Bauernprotest
Der Lieferstopp von NÖM ist aus Halbmayrs Sicht nur ein kurzfristiger Protest, der die strukturellen Probleme der Milchwirtschaft nicht löst. Ob die Bauernschaft durch den Boykott tatsächlich einen besseren Milchpreis erhalten werde, hält er für fraglich. Zeitlich ist die Eskalation geschickt gewählt, denn im März steht die niederösterreichische Landwirtschaftskammerwahl an. Schon 2020 belagerten Bäuerinnen und Bauern mit Traktoren die Spar-Zentrale in St. Pölten um ihren Unmut kund zu tun.
Trotz dieser Parallelen betont die niederösterreichische Landwirtschaftskammer auf profil-Nachfrage, dass es keinen Zusammenhang gebe. Bei gegenständlicher Causa handle es sich um eine rein geschäftliche Auseinandersetzung zwischen der niederösterreichischen Molkerei und dem Handelskonzern Spar.
Der Präsident der bundesweiten Landwirtschaftskammer Josef Moosbrugger (ÖVP) stellt sich aber nichtsdestotrotz öffentlichkeitswirksam hinter die Milchgenossenschaften und schießt sich auf den Lebensmittelhandel ein. Es gehe darum, landwirtschaftliche Wertschöpfung in Österreich zu halten und Arbeitsplätze zu sichern. Bäuerinnen und Bauern solle ein fairer Erzeugerpreis geboten werden, so Moosbrugger.
Die österreichische Milchwirtschaft steht aber vor einem Dilemma: Einerseits gibt es zu viel Milch, andererseits erhalten die produzierenden Betriebe nicht genug, um ihre Betriebe rentabel führen zu können. Ob der Milchboykott der NÖM zum Vorteil der Landwirtschaft zu einem besseren Milchpreis führt, dürfte angesichts voller Kühlregale jedoch bezweifelt werden. Die Kundinnen und Kunden im Spar merken den Lieferstopp jedenfalls nicht.
*Hinweis: Vereinzelt bietet Spar weiterhin NÖM-Produkte an, die im Rahmen von Aktionen angeboten werden, teilte das Unternehmen auf Nachfrage mit.