Wirtschaft

Minister Totschnig: „Bauern sind Handelsketten ausgeliefert“

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig ortet „unfaire Handelspraktiken“. Das beim Ministerium angesiedelte „Fairness-Büro“ registriert eine Vervielfachung der Beschwerden.

Drucken

Schriftgröße

Von österreichischen Bauern mehr Tierwohl einfordern, aber dann ausländische Billigware ins Supermarktregal legen? profil berichtete vor einigen Tagen über die heftige Kritik heimischer Putenzüchter an Teilen des Handels – Kritik, die auch das beim Landwirtschaftsministerium angedockte „Fairness-Büro“ auf dem Radar hat. Nun hat das „Fairness-Büro“ – eine Erstanlaufstelle für Beschwerden von Lebensmittelproduzenten gegen potenziell unfaire Handelspraktiken – seinen Tätigkeitsbericht für das Jahr 2023 veröffentlicht. Neben dem Puten-Thema finden sich darin noch andere Beispiele, die zeigen, dass es vor allem kleine Produzenten, die am unteren Ende der Lebensmittelkette stehen, im Match mit dem Handel nicht leicht haben.

Der „Apfel-Cluster“

Von einem „Apfel-Cluster“ ist da zum Beispiel die Rede: Bauern liefern ihr Obst an einen Zwischenhändler, der es bis zum Abruf durch den Lebensmitteleinzelhandel lagert. Doch Letzterer kommt – dem Bericht zufolge – mitunter recht kurzfristig auf die Idee, die Ware zu einem billigeren Preis als üblich ins Regal legen zu wollen: „Aktionsangebote der Lebensmitteleinzelhändler werden vorab mit dem Zwischenhändler ‚vereinbart‘, das heißt, etwa vier Wochen vor Start der Aktion wird diese mit dem Lieferanten ‚besprochen‘.“ Und weiter heißt es im Bericht: „Verweigern Lieferanten solche Aktionspreise, kommt es zu verbalen oder schriftlichen Drohungen mit den Worten, es könne sein, dass ‚demnächst der Absatz einbreche‘.“ Die solcherart reduzierten Preise würden dann auf die Produzenten ganz unten in der Kette überwälzt. 

Der „Lieferanten-Tag“

Ein weiterer Beschwerdefall bezieht sich auf einen sogenannten „Lieferanten-Tag“: Laut Bericht des „Fairness-Büros“ bot ein – namentlich nicht genanntes – Handelsunternehmen ein Webinar (also ein Online-Seminar) für Lieferanten an. Im Anschluss daran erhielten alle eine Rechnung des Händlers mit der Aufforderung ein „Investment“ zu tätigen und der Anmerkung: „Wir werden Ihre Bereitschaft, als Partner eine Unterstützung zu leisten, mitverfolgen. Bitte beachten Sie, dass Ihr Investment unsere Partnerschaft nachhaltig stärken und im Aufbau einer gemeinsamen, erfolgreichen Zukunft unterstützen wird. Es liegt an Ihnen, dieses Vorhaben in die Realität umzusetzen“, wie aus dem Bericht des „Fairness-Büros“ hervorgeht.  Tatsächlich dürften einige bezahlt haben – und zwar jeweils zwischen 10.000 und 100.000 Euro. Nachdem sich das „Fairness-Büro“ eingeschaltet habe, seien die Beträge von der Handelskette wieder refundiert worden, heißt es im Tätigkeitsbericht.

Minister ortet „unlautere Praktiken“

„Es ist ein Kampf mit ungleichen Waffen“, stellte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) am Dienstag bei der Präsentation des Berichtes fest. Die Bäuerinnen und Bauern seien „den großen Handelsketten ausgeliefert“. Durch das seit zwei Jahren aktive „Fairness Büro“, das zwar beim Ministerium angesiedelt, aber inhaltlich unabhängig gestellt ist, würden die „unlauteren Praktiken“ nun thematisiert.

Der Leiter des Büros, Johannes Abentung ortet „enormen Druck“ von Seiten des Handels auf die Lieferanten – etwa im Bereich der Eigenmarken, aber auch sonst mit Blick auf die Preispolitik. Kritisch sieht Abentung darüber hinaus zunehmende Versuche der „vertikalen Integration“: Handelskonzerne würden danach streben, Vorstufen der Lebensmittelproduktion unter ihre eigene Kontrolle zu bringen. „Wir haben es mit einem Oligopol zu tun – mit allen Nachteilen, die Oligopole haben“, fasst der Leiter des „Fairness-Büros“ zusammen. 

Im Vorjahr 235 Beschwerden

2023 verzeichnete das Büro 235 Beschweren – eine Verzehnfachung im Jahresvergleich. Das Büro versucht zunächst, Beschwerdefälle direkt im Austausch mit dem Handel zu lösen. Bei entsprechend gravierenden Verstößen, und sofern die jeweiligen Beschwerdeführer zustimmen, erstattet das Büro Anzeige bei der Bundeswettbewerbsbehörde. Diese hat zuletzt zwei Fälle aufgegriffen und beim Kartellgericht Anträge auf Geldbußen gestellt.

Das „Fairness-Büro“ sieht jedoch auch die Politik in der Pflicht: Im Bericht werden einige Verschärfungen des „Faire-Wettbewerbsbedingungen Gesetz“ gefordert. Man sei dazu bereits mit dem Wirtschaftsministerium im Austausch, sagt Totschnig. Ob ein Ergebnis noch vor Ende der Legislaturperiode zu erwarten sei, ließ der Minister offen.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).