profil-Morgenpost: Alles klar, Herr Kommissar?

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Es ist wieder einmal Montag, und der Corona-Lockdown dauert mittlerweile schon so lange, dass ich ad hoc gar nicht mehr sagen könnte, wie viele Wochen es nun eigentlich bereits sind. Nach kurzem Nachdenken: Fünf Wochen haben wir absolviert, die sechste beginnt und die salbungsvoll angekündigte „Auferstehung“ irgendwann nach Ostern nimmt sehr, sehr langsam, aber doch Form an. Und so machte sich Innenminister Karl Nehammer zuletzt konkrete Gedanken, wie in der viel zitierten „neuen Normalität“, die profil-Herausgeber Christian Rainer als Ausdruck einer gefährlichen Drohung beschreibt, die Jagd nach Viren und deren Wirten vonstattengehen soll. Wenn Nehammer dabei sagt, „wir sind die Flex, die die Infektionskette trennt“, bezieht er sich allerdings nicht auf einen elektrischen Winkelschleifer aus einem der gerade wieder eröffneten Baumärkte.

Der türkise Innenminister will tatsächlich die Polizei einsetzen: Befragungsexperten aus Bundes- und Landeskriminalämtern sollen für die Gesundheitsbehörden ermitteln, wen Infizierte wann und wo getroffen haben. Die Kontaktaufnahme soll primär telefonisch erfolgen. Wenn das nicht möglich ist, würden die Beamten allerdings in Schutzausrüstung zuhause vorbeikommen. Die grüne Handschrift des Koalitionspartners zeigt sich offenbar darin, dass man die Maßnahme nicht von vornherein für ganz Österreich vorschreibt: Die einzelnen Landessanitätsdirektionen sollen entscheiden, ob sie den Assistenzeinsatz von Kottan und Co. wünschen oder nicht.

Seit ich mich durch intensive Recherche in Nachrichtenagentur- und Zeitungsmeldungen davon überzeugen konnte, dass es sich nicht um Fake News oder um einen verspäteten Aprilscherz handelt, stellen sich mir einige dringende Fragen: Ist per Erlass des Innenministeriums eine Rollenaufteilung in Good-Cop/Bad-Cop vorgeschrieben? Reicht eine grelle Tischlampe für die Durchführung der hochnotpeinlichen Befragung aus oder muss man Daumenschrauben bereithalten? Wie wasche ich mir in Handschellen ausreichend oft die Hände? Dreht sich Bezirksinspektor Columbo im zerknitterten Trench-Schutzanzug auf der Türschwelle dreimal um, weil er „nur noch eine letzte Frage“ hat? Und für mich besonders interessant: Hört Minister Nehammer live im Polizeifunk bei der Amtshandlung mit? Wenn Sie mehr über den kantigen Innenminister der Türkis-Grünen-Regierung wissen möchten: Gernot Bauer hat ihm im aktuellen profil, das Sie auch kostenlos als ePaper beziehen können, ein aufschlussreiches Porträt gewidmet.

Angesichts derartiger Entwicklungen ist jedenfalls der Kommentar von Michael Nikbakhsh aktueller denn je, der der Frage nachgeht, auf welcher Basis die Bundesregierung eigentlich solch weitreichende Maßnahmen beschließt. Wenn es um die Einschränkung von Grundrechten im Kampf gegen das Coronavirus geht, steht Österreich freilich nicht alleine da. In Liechtenstein überlegt die Regierung zum Beispiel gerade, Einwohner mit biometrischen Armbändern auszustatten, die Hauttemperatur, Atemfrequenz und Herzschlag messen und an ein Labor zur Analyse schicken sollen.

In der Krise ist offensichtlich auch das rechtsstaatliche Immunsystem vieler Staaten deutlich geschwächt. Das Freiheitsbeschränkungsvirus entpuppt sich dabei als höchst ansteckend, die Infektionskette wird länger und länger. Es gilt aufzupassen, dass das, was in Corona-Woche sechs noch als freiwillige Maßnahme daherkommt, in Woche sieben nicht plötzlich auf dem kurzen Entscheidungsweg verordnet wird.

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Stefan Melichar

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Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.