Öko-Offensive

Nachhaltigkeit: Wirtschaftskammer will nicht mehr „gestrig“ wirken

Eine interne Erhebung der WKÖ, die profil exklusiv vorliegt, zeigt: Sie wird als „Verhinderer“ in Klimafragen gesehen. Die Kammer will das ändern – und feilt an einer Nachhaltigkeitsagenda.

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Es gibt einen Grund, warum auf den PowerPoint-Folien in großen, roten Lettern „vertraulich“ steht. Denn die Wirtschaftskammer (WKÖ) arbeitet derzeit an einer heiklen Mission. An einer Nachhaltigkeits-Agenda. Damit will die Kammer zwei Dinge vereinen, die zumindest bisher oft als Widerspruch gesehen wurden: wirtschaftliches Wachstum und Ökologie.

Im ersten Schritt unternahm die WKÖ eine schonungslose Analyse des Ist-Zustands.

Dafür gingen Kammer-Gesandte auf „Dialog-Tour“ – und mussten sich von den 150 Teilnehmern einiges an Kritik anhören. 

Die befragten Kammermitglieder kritisierten etwa, dass in der WKÖ die „Stimme der Gestrigen stärker als Stimme der Mehrheit“ vertreten sei. Und: Die Unternehmer schreiben ihrer gesetzlichen Interessensvertretung die „Rolle als Verhinderer“ zu, die Kammer spiele „keine proaktiv-positive Rolle“.

Weitere Kritikpunkte: „Intransparenz über Entscheidungen bzw. Positionen der WKO“. Und: „Fehlende Grundkompetenz zu Nachhaltigkeit in den [Länderkammern] und bei vielen Funktionär:innen“.

Mann fürs Grüne

Dieses Negativ-Image will die Wirtschaftskammer loswerden und sie meint es offenbar ernst. Ende des Vorjahres hat das WKÖ-Präsidium rund um den Präsidenten Harald Mahrer (ÖVP) einen Mann fürs Grüne installiert: Justus Reichl ist seit Oktober 2023 „WKÖ-Sonderbeauftragten für Nachhaltigkeit“.

Der studierte Theologe und frühere Geschäftsführer der Nachhaltigkeitsinitiative von Raiffeisen ist der Mastermind hinter der „Agenda für nachhaltiges Unternehmertum“, mit der sich die Kammer als Anlaufstelle zum Thema etablieren will.

Hintergrund der grünen Kammer-Offensive dürften nicht nur intrinsische Motive sein, sondern auch strengere EU-Vorgaben. Demnach müssen Unternehmen mit einem Umsatz ab 40 Millionen Euro und mehr als 250 Mitarbeitern künftig einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht erstellen, der die drei Themenblöcke Umwelt, Soziales und Unternehmensführung entlang ihrer Wertschöpfungskette umfasst – kurz ESG. In Österreich dürften um die 2000 Unternehmen unter die neue Berichtspflicht ab 2025 fallen – allesamt WKÖ-Mitglieder.

Neben der Dialogtour ließ die WKÖ auch 2000 Menschen aus der Gesamtbevölkerung und 1000 Unternehmer befragen. Ergebnis: Das Thema Nachhaltigkeit habe einen „hohen Stellenwert“. Betriebe würden als „Treiber“ für eine nachhaltige Entwicklung gesehen – die WKÖ selbst allerdings noch deutlich weniger.

Laut der Erhebung würden Unternehmer „den Handlungsbedarf bezüglich Energiewende, Umweltschutz, Transport und Logistik erkennen“, hätten eine „hohe intrinsische Motivation, aber noch (zu) wenig Bewusstsein für betriebswirtschaftliche Aspekte der Nachhaltigkeit“.

Die Agenda der WKÖ soll bis Mai 2025 stehen, davor – im September 2024 – ist laut profil-Infos eine Nachhaltigkeitskonferenz geplant.

Auf profil-Anfrage erklärt die WKÖ das Ziel für ihre Agenda so: Die Kammer wolle in der Öffentlichkeit „ein Verständnis etablieren, dass Nachhaltigkeit nur mit und nicht gegen die Wirtschaft funktionieren kann“. Gleichzeitig wolle man die Mitgliederbetriebe dabei unterstützen, Chancen wahrzunehmen, die sich aus dem Thema Nachhaltigkeit für ergeben können, „da derzeit noch sehr viel berechtigte Verunsicherung bezüglich immer neuer regulatorischer Maßnahmen besteht“.

Auf der letzten Folie der Präsentation klingt das noch prägnanter: „Das Thema der Zeit: Nachhaltigkeit. Das Anliegen unserer Mitglieder: Unternehmerischer Erfolg. Die Überzeugung der Wirtschaftskammer: Beides geht zusammen.“

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv. Derzeit in Karenz.