Neue EU-Richtlinie stellt heimische Unternehmen vor Herausforderungen
Noch feilt Laura Böhm an den letzten Details: "Der Inhalt ist abgesegnet, jetzt geht es eigentlich nur noch um ein paar Layoutanpassungen." Böhm ist beim Faserkonzern Lenzing für die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts verantwortlich. Bereits seit August arbeitet sie in einem vierköpfigen Kernteam daran. Konzernweit waren nicht weniger als rund 50 Mitarbeiter involviert, die Daten und Input zu CO2-Ausstoß, Arbeitsunfällen, Wasserverbrauch, Aufforstungsmaßnahmen, Chemikalieneinsatz und vielen weiteren Indikatoren aus den weltweiten Produktionsstandorten erhoben haben. Die Kennzahlen wurden zigfach analysiert und kontrolliert, in Texte und Infografiken gegossen, dem Vorstand und dem Aufsichtsrat vorgelegt. Am 30. März wird das Opus magnum mit seinen 114 Seiten veröffentlicht werden.
Große börsennotierte Unternehmen wie Lenzing mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern müssen ebenso wie Banken und Versicherungen bereits seit 2017 verpflichtend Nachhaltigkeitsberichte publizieren. Die Europäische Union stellt die Nachhaltigkeitsberichterstattung jedoch nun auf neue Beine: Ab dem Berichtsjahr 2025 gilt mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) eine neue, verschärfte EU-Richtlinie. Dann müssen auch Unternehmen ab 250 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro Informationen betreffend Umwelt, Sozial-und Arbeitnehmerbelange reportieren. Das betrifft in Österreich künftig rund 2000 mittelständische Unternehmen. Doch was können solche Berichte tatsächlich bewirken? Und wie gut sind die heimischen Unternehmen auf die neuen Herausforderungen vorbereitet?
Unternehmen ist nicht bewusst, was auf sie zukommt
Die CSRD verlangt von Betrieben weit tiefer gehende Informationen und Kennzahlen als die bisherige Regelung. Da reicht es in Zukunft nicht mehr, nur die eigenen Daten zu sammeln und den Istzustand zu erheben. Die Unternehmen müssen auch dokumentieren, welche Sozial-und Umweltstandards ihre Lieferanten erfüllen, wie sich das eigene Produkt bis zu seinem Lebenszyklusende auf Mensch und Umwelt auswirkt und wie sie gedenken, zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu kommen. "Vielen ist noch gar nicht klar, was da auf sie zukommt und welche enorme Tragweite das hat", sagt Birgit Haberl in der aktuellen Tauwetter-Folge. Die Nachhaltigkeitsexpertin beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen PwC berät heimische Unternehmen, wie sie die neuen Anforderungen erfüllen können, und hat einen entsprechend tiefen Einblick, auf welchem Stand die Betriebe sind. "Tatsächlich sind viele noch ganz weit weg von dem, wo sie in Zukunft hinmüssen",so Haberl. PwC analysierte kürzlich die-gemessen am Umsatz-123 größten Unternehmen Österreichs nach ESG-Kriterien (also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung-siehe auch unten stehendes Glossar),und das Ergebnis war wenig berauschend: Kein einziges Unternehmen erreichte 100 Prozent der Gesamtpunkte, und ein Drittel aller bewerteten Unternehmen veröffentlicht überhaupt keine Nachhaltigkeitsinformationen. In 82 Prozent der untersuchten Unternehmen gibt es keine Frauen in der Vorstandsetage; und nur sieben Unternehmen haben sich-wie in Zukunft gefordert-bereits wissenschaftlich basierte Emissionsreduktionsziele verordnet. "Das ist ein erschreckendes Szenario",sagt Haberl. Dazu kommt: Laut einer aktuellen Umfrage der Steuerberatungskanzlei Mazars haben 42 Prozent der betroffenen Unternehmen noch gar nicht am Schirm, dass die CSR-Berichtspflicht künftig auch für sie gilt.
Bürokratiemonster erschaffen
Anders die Situation bei der BKS Bank mit Sitz in Klagenfurt: "Das Thema ist bei uns wirklich im gesamten Unternehmen angekommen", sagt Herta Stockbauer, Vorstandsvorsitzende des (bereits mehrfach für seine Nachhaltigkeitsberichte ausgezeichneten) Kreditinstituts. Von heute auf morgen ist das freilich nicht passiert. "Früher hatten wir eine CSR-Beauftragte für die ganze Bank. Mittlerweile ist diese Funktion in jeder einzelnen Abteilung etabliert",erzählt Stockbauer. So wird etwa im Risikomanagement das ESG-Risiko der Kunden untersucht. Ist ein Geschäftsmodell, das finanziert werden soll, nach den Kriterien der EU-Taxonomie, die Geldströme in eine nachhaltige Richtung lenken soll, überhaupt noch zukunftsfähig? Wie schaut es mit der Energieeffizienz von Immobilien aus, die als Sicherheiten für Kredite dienen? Ist sie schlecht, beeinflusst das den Wert der Sicherheit ebenso, wie wenn das Objekt beispielsweise in einer Hochwasserzone liegt. "Solche Dinge werden vom Kundenberater abgefragt und können natürlich auch zu einer Kreditablehnung führen. Aber das ist ja auch der Sinn der Übung", so die Bankchefin. Im Veranlagungsbereich wiederum werden die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden erhoben und entsprechende Anlageprodukte gesucht. All diese Informationen und noch viele mehr fließen auch in den Nachhaltigkeitsbericht ein. Stockbauer sieht die Bank auf die neuen Berichtspflichten prinzipiell gut vorbereitet: "Doch obwohl wir jetzt schon mehr offenlegen, als wir eigentlich müssten, ist es noch immer zu wenig, um die CSRD-Erfordernisse zu erfüllen."
Dass hier ein Bürokratiemonster erschaffen werde, sei nicht ganz von der Hand zu weisen, meint Haberl. "Aber die Sache hat natürlich einen Nutzen, weil Transparenz immer zu einer höheren Vergleichbarkeit führt und der dadurch entstehende Wettbewerb auch ein essenzieller Ansporn für die Unternehmen ist, besser zu werden", so die PwC-Nachhaltigkeitsexpertin.
Bei Lenzing kann man das bestätigen: "Der Bericht wird von unseren Kunden stark nachgefragt, denn in der Textilbranche ist der Druck, was Umwelt-und soziale Themen betrifft, besonders hoch",sagt Peter Bartsch, Senior Advisor beim Faserkonzern. Als Lieferant, der seine Nachhaltigkeitsbestrebungen auch mit Zahlen und Fakten belegen kann, könne man punkten. Berichtsverantwortliche Laura Böhm indes empfiehlt allen künftig von der CSRD-Richtlinie betroffenen Unternehmen, sich schleunigst damit auseinanderzusetzen: "Es gibt wirklich sehr viel zu tun."