Christian Pilnacek

Neue Pilnacek-Chats: „Vorpreschen der WKStA verhindern“

Wie der Sektionschef im Justizministerium die Korruptionsstaatsanwaltschaft im Mai 2019 von Ermittlungen im „Ibiza“-Komplex fernhalten wollte. Die Chronologie einer – gescheiterten – Intervention.

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Wollte der (nunmehr suspendierte) Sektionschef im Justizministerium Christian Pilnacek die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft von ersten „Ibiza“-Ermittlungen ausschließen? Im Jänner dieses Jahres hatten profil, „Der Standard“ und der ORF bis dahin unter Verschluss gehaltene kompromittierende E-Mails publik gemacht. Stichwort: „Keine aktive Rolle“ für die WKStA.

profil und ORF liegen nun unveröffentlichte Chats und E-Mails vor, die eine deutlichere Antwort auf diese Frage ermöglichen: Ja, Pilnacek wollte verhindern, dass die WKStA im „Ibiza“-Komplex Ermittlungen aufnimmt. Er wandte dafür sogar einiges an Energie auf. Und sein Vertrauter Johann Fuchs, der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, sollte ihn dabei maßgeblich unterstützen.

Die gegenständliche Kommunikation datiert vom 17. Mai 2019, wenige Stunden nachdem „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“ Passagen aus dem „Ibiza“-Videos online gestellt hatten. Die Chats und Mails wurden von der Staatsanwaltschaft (StA) Innsbruck ausgewertet und an den „Ibiza“-Untersuchungsausschuss übermittelt. Die StA Innsbruck ermittelt gegen Pilnacek und Fuchs wegen vermuteten Amtsmissbrauchs. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Keine WKStA, keine Ermittlungen

Der neue Chatverlauf zeigt, dass Christian Pilnacek unmittelbar nach der Veröffentlichung des „Ibiza“-Videos Tatsachen schaffen wollte – und das ohne Rücksprache mit dem Justizminister. Das Ressort unterstand damals Josef Moser, einem Mann mit FPÖ-Hintergrund. Pilnacek war Sektionschef und zugleich auch Generalsekretär, also die Nummer zwei im Haus. Laut den Chats wollte Pilnacek nicht nur die WKStA gezielt außen vor lassen – er wollte nach Möglichkeit gar keine Ermittlungen rund um den „Ibiza“-Komplex.

+ 17. Mai 2019, 20.20 Uhr. Das „Ibiza“-Video ist seit wenigen Stunden online, Heinz-Christian Strache hat vor versteckter Kamera über Dinge gesprochen, die auch für Staatsanwälte relevant sein könnten. Verdeckte Parteispenden über einen geheimnisvollen Verein, die Namen prominenter Spender, Andeutungen über Korruption bei Staatsaufträgen.

Christian Pilnacek schickt Johann Fuchs zunächst einen Link zu einem „Spiegel“-Artikel, eine Minute später schreibt er: „Bitte um Deine strafrechtliche Beurteilung“.

+ Fuchs antwortet um 20.25 Uhr: „Mach ich, sobald möglich; derzeit sitz ich als Ehrengast in einem Konzert der Polizeimusik NÖ“.

+ Pilnacek darauf: „Ok, morgen reicht; hG“.

Doch Pilnacek wartet nicht bis morgen. Noch am 17. Mai, um 21.06 Uhr, veröffentlicht der „Kurier“ eine Online-Meldung, wonach die Justiz sich in die „Ibiza“-Affäre eingeschaltet habe. Pilnacek wird auf kurier.at mit den Worten zitiert: „Die Oberstaatsanwaltschaft wurde bereits mit der Prüfung beauftragt.“ Und: „Es liegen vorerst nur Video-Ausschnitte vor, der Zusammenhang lässt sich nicht beurteilen.“

Laut Pilnacek hatte Fuchs also bereits am Abend des 17. Mai 2019 einen „Prüfauftrag“ erhalten, obwohl Fuchs zu diesem Zeitpunkt noch als Ehrengast in einem Konzert der Polizeimusik Niederösterreich saß.

„HBM ist schon wieder fuchsteufelswild“

+ 17. Mai 2019, 22.05 Uhr. Ein Oberstaatsanwalt der Oberstaatsanwaltschaft Wien, schickt ein E-Mail an mehrere Empfänger im Haus, unter ihnen Christian Pilnacek. Der Absender teilt den Link zum eben erschienen Online-Artikel des „Kurier“ – „Justiz schaltet sich in Ibiza-Affäre ein Video wird geprüft“.

+ Pilnacek beantwortet das E-Mail um 22.59 Uhr.: „Bitte Sprachregelung: Ich habe auf die Zuständigkeit der OStA zur Prüfung des Verdachts verwiesen; nichts anderes. P.S. das ist auch gut, um Vorpreschen der WKStA zu verhindern.“

+ 17. Mai 2019, 23.05 Uhr. Pilnacek hat für diesen Abend noch nicht genug. Er schreibt Fuchs eine weitere Nachricht, die auf die „Kurier“-Meldung Bezug nimmt. „Ich habe nur gesagt, die Prüfung obliegt Euch, um zu verhindern, dass die WKStA von sich aus tätig wird, was ja gedroht hat“.

+ 17 Mai 2019, 23.27 Uhr. Der leitende Oberstaatsanwalt der OStA Wien meldet sich via E-Mail bei Pilnacek: „Habe der WKStA gesagt, wir machen das vorerst. Sprachregelung, wir prüfen. Das (sic!) die WKStA anfragt, verwundert.“

+ Um 23.31 Uhr schreibt wiederum Pilnacek eine Chatnachricht an Fuchs: „Und zum Kurier: Ich finde nichts Falsches daran; habe versucht Druck wegzunehmen und der WKStA ein eigenständiges Vorpreschen zu verhindern, was ist daran falsch? HG“.

+ Um 23.33 Uhr eine weitere Nachricht an Fuchs: „Unterstütze mich bitte; HBM (Anm.: Herr Bundesminister) ist schon wieder fuchsteufelswild, dass ich das gesagt habe; wäre das nicht der Fall gewesen, wäre die WKStS (sic!) … wieder eigenständig vorgegangen; das kann doch gerade jetzt nicht unser Interesse sein; hG“.

Unmittelbar darauf reicht Pilnacek zwei Nachrichten nach, die er jedoch wieder löscht.

Es ist der 18. Mai 2019, exakt 00.00 Uhr, als Fuchs antwortet: „Lieber Christian, ich sehe in der Kurier-Mitteilung überhaupt nichts Dramatisches. Wie kann ich Dich unterstützen? HG“.

Pilnacek antwortet um 00.19 Uhr: „Eben dadurch, dass ich verhindern wollte, dass WKStA von sich aus aktiv wird; gute Nacht“.

Fuchs verabschiedete sich um 00.21 Uhr: „ja so werde ich das auch kommunizieren Gute Nacht“.

„Eigenständiges Vorpreschen der WKStA verhindern“

Pilnaceks nächtliche Chats liefern mehrere Erkenntnisse. 1) Zu fortgeschrittener Stunde sollte man entweder einen klaren Kopf haben oder schlafen; 2) Pilnacek hatte seine Statements im „Kurier“ offensichtlich nicht mit Justizminister Josef Moser abgesprochen; 3) Pilnacek wollte verhindern, dass die WKStA „von sich aus tätig wird“, „eigenständig vorprescht“, „eigenständig vorgeht“, „von sich aus aktiv wird“.

Deutlicher kann man es eigentlich nicht mehr sagen. Pilnacek wollte unbedingt die Kontrolle über das Geschehen behalten und forderte seinen Vertrauten Fuchs mehrfach und eindringlich auf, den „Ibiza“-Komplex an sich zu reißen. Gleichzeitig war Pilnacek bemüht, mit der Oberstaatsanwaltschaft Wien eine gemeinsame „Sprachregelung“ zu finden.

Keinesfalls sollte die für Pilnacek offenbar unkontrollierbare WKStA autonom Verfahrensschritte setzen. Jene WKStA, die Pilnacek und Fuchs kurz vor Veröffentlichung des „Ibiza“-Videos wegen Amtsmissbrauchs in der Eurofighter-Affäre angezeigt hatte (dies, nachdem Pilnacek in einer internen Dienstbesprechung angeregt hatte, Ermittlungen zu „daschlog’n“. Die StA Linz legte die Anzeige später nieder).

„Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht zulässig“

+ Am Morgen des 18. Mai meldet sich Fuchs bei Pilnacek. Um 9.01 Uhr hat der OStA-Leiter eine erste Rechtsmeinung formuliert: Der verfügbare Video-Mitschnitt liefere keine Hinweise auf Straftaten, daher kein „Anfangsverdacht“, daher auch kein Ermittlungsverfahren: „Guten Morgen Christian, hier mein aktueller Meinungsstand zu einem möglichen Wording (wenn wir wieder ,dürfen‘): ,Die bisher medial veröffentlichten Rechercheergebnisse bieten keine ausreichende Grundlage für die Darstellung eines strafrechtlichen Anfangsverdachts. Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat lassen sich daraus nicht gewinnen. Eine (amtswegige) Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist daher zumindest derzeit nicht zulässig. Da das Videomaterial nach dem aktuellen Informationsstand überdies durch das Redaktionsgeheimnis geschützt ist, wäre eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage auch von einer Kooperation der hier agierenden Medienunternehmen abhängig.‘ HG Hans“.

+ Pilnacek antwortete um 9.44 Uhr: „Danke, das würde ich unterstützen; hG“.

Mit anderen Worten: Der Sektionschef und Generalsekretär des Justizministeriums hatte sich bereits unmittelbar nach Veröffentlichung des Videos mit dem Leiter der OStA Wien darauf verständigt, dass die bis dahin bekannten Videoinhalte keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zur Folge hätten.

„Keine aktive Rolle“ – neu interpretiert

Am Abend des 18. Mai 2019 schrieb Pilnacek schließlich jene drei Mails, über welche profil, „Standard“ und ORF im Jänner berichteten. Der Sektionschef übermittelte Fuchs zwischen 20.33 Uhr und 20.50 Uhr drei „Weisungen“ von Justizminister Josef Moser: 1) Beischaffung des gesamten Video-Materials; 2) zentrale Kommunikation über die Oberstaatsanwaltschaft; 3) „Keine aktive Rolle“ für die WKStA. Tatsächlich will Josef Moser aber nur die ersten beiden Weisungen erteilt haben.

Keine aktive Rolle – nachdem die E-Mails öffentlich geworden waren, wurde heftig darüber diskutiert, was damit gemeint gewesen sein könnte. Johann Fuchs sagte bei seiner zweiten Befragung im „Ibiza“-Ausschuss im März dieses Jahres, er habe aus der Formulierung „nichts Umsetzbares ableiten können“, bei Pilnacek aber auch nicht weiter nachgefragt. Das Justizministerium hatte im Jänner dieses Jahres auf Anfrage erklärt, die Formulierung „keine aktive Rolle“ habe sich rein auf das „mediale Auftreten der WKStA an diesem Wochenende“ bezogen. Josef Moser wiederum bezeichnete diese angebliche dritte Weisung öffentlich mehrfach als „absoluten Blödsinn“, da habe er so nie gesagt oder gewollt.

Die nun vorliegende Chatverlauf sollte dem freien Interpretieren ein Ende setzen. Die Formulierung „keine aktive Rolle“ bezog sich offenkundig nicht auf die Medienarbeit der WKStA – sondern auf deren Ermittlungstätigkeit. Fuchs wusste das. Das ließ er gegenüber dem Untersuchungsausschuss unerwähnt.

Am 18. Mai 2019 erteilte Fuchs der Leiterin der WKStA Ilse-Maria Vrabl-Sanda schließlich die Weisung, das gesamte Videomaterial bei „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ beizuschaffen – im Wege von „Erkundigungen zur Prüfung eines Anfangsverdachts“. Dabei war allen Beteiligten damals klar, dass die Medien das Material mit Blick auf das Redaktionsgeheimnis niemals herausgeben würden, was sie nebenbei auch nicht taten.

Am Ende scheiterte die Intervention. Während die Vertreter der Oberbehörden noch über die Unzulässigkeit von Ermittlungen sinnierten, hatte die WKStA die Arbeit bereits aufgenommen.

Unmittelbar nachdem die Ausschnitte öffentlich geworden waren, erhielt WKStA-Chefin Vrabl-Sanda die Information eines fallführenden Staatsanwalts, wonach bei einem laufenden Ermittlungsverfahren – dem Fall „Wienwert“ – eine verdächtige Zahlung an einen FPÖ-nahen Verein aufgetaucht sei. Bekanntlich hatte Strache im „Ibiza“-Video von einem Verein schwadroniert, über welchen sich Parteispenden am Rechnungshof vorbei organisieren ließen.

Man stelle sich vor, was dieses Land alles nicht über die türkise und andere Familien erfahren hätte, wären die „Ibiza“-Ermittlungen 2019 gar nicht erst aufgenommen, weil frühzeitig „daschlog’n“ worden.

Johann Fuchs wollte auf Anfrage nicht auf Details eingehen. In einer Stellungnahme legte er Wert auf die Feststellung, dass er sich „zu den angesprochenen Themen weiterhin im Bedarfsfall ausschließlich in rechtstaatlichen Verfahren äußern“ werde. Christian Pilnacek kommuniziert nur über seinen Rechtsanwalt Rüdiger Schender mit Medien. Schender hatte auf Anfrage bisher wiederholt erklärt, dass sein Mandant bis auf Weiteres keine Stellungnahmen abgebe, den Vorwurf von Pflichtwidrigkeiten aber zurückweise.

 

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.