Niederösterreich: Gemeinden schlossen Wetten auf Leben und Tod ihrer Mandatare ab
Man muss nicht unbedingt eingefleischter Krimikonsument sein, um zu wissen, weshalb Verbrechen begangen werden - aber helfen tut es zweifellos. Die zwei häufigsten Motive? Erraten: Eifersucht und Habgier. Und beim Streben nach materiellen Vorteilen steht -nicht nur bei minderbegabten Autoren - ein bestimmter Vermögenswert ganz oben auf der Liste. Anhänger des Wiener Kommissars Brenner ahnen es ebenso längst wie jene des in Los Angeles ermittelnden Inspektor Columbo, des in Triest tätigen Commissario Laurenti oder der an der Küste Maines in Kriminalfälle stolpernden Jessica Fletcher: Eine üppige Lebensversicherung weckt Begehrlichkeiten. So unoriginell wie wahr.
In Zeiten von Schuldenkrise und klammer Gemeindekassen möchte man gar nicht wissen, welche Geschichten das richtige Leben so schreibt. Etwa in Oberwaltersdorf. Oder anderen Orten der niederösterreichischen Provinz. Dort haben die Kommunen Lebensversicherungen auf ihre Gemeinderäte, Bürgermeister oder Gemeindebediensteten abgeschlossen. Begünstigte sind jeweils die Gemeinden selbst. Haben diese also ein Interesse am Ableben ihrer Bürger? Scherz beiseite. Es soll hier niemand auf dumme Gedanken gebracht werden. Aber dass eine Gemeinde auf das Leben ihrer Mandatare wettet, ist reichlich ungewöhnlich und hat zumindest einen schalen Beigeschmack.
Doch wie kam es überhaupt zu diesen Deals? Und weshalb wurden sie abgeschlossen? Mittlerweile beschäftigen diese Geschäfte auch die Landespolitik.
Schulden machen mit Gewinn
Die Causa ins Rollen brachte eine Gemeinderätin der Grünen. Sie stieß im Rechnungsabschluss der Gemeinde Oberwaltersdorf für das Jahr 2015 auf den Posten "Lebensversicherungen". Rund 100.000 Euro machte der aus. Ihre Nachforschungen ergaben, dass die Polizzen unter anderen auf einen ehemaligen Vizebürgermeister sowie Gemeinderäte ausgestellt wurden.
Dem Vernehmen nach soll auch der amtierende Bürgermeister Markus Gogollok (ÖVP) versichert sein. Die Versicherungen mit Laufzeiten bis 2030 seien in den Jahren 2004 bis 2011 abgeschlossen worden. Bürgermeister Gogollok fand bis Redaktionsschluss nicht die Zeit, die Fragen dieses Magazins zu beantworten. Dem "Kurier" bestätigte er jedoch vor wenigen Tagen die grundsätzlichen Fakten. Die Gemeinde, die durch Frank Stronachs Luxuswohnpark "Fontana" überregionale Bekanntheit erlangte, schloss die Verträge nicht deswegen ab, weil sie ihren Mandataren besondere Zuckerl gönnen wollte. Vielmehr ging es darum, Gemeindekredite zu besichern.
Wie Tausende österreichische Hausbauer, Kommunen und Unternehmen hat auch Oberwaltersdorf Darlehen in Schweizer Franken aufgenommen. Allgemein beliebt waren endfällige Kredite. Dabei werden während der Laufzeit ausschließlich die Kreditzinsen bezahlt. Das ausgeliehene Kapital wird erst am Ende zurückgezahlt. Das wird in der Zwischenzeit mit sogenannten Tilgungsträgern angespart. Sie werden mit dem Ziel abgeschlossen, eine höhere Verzinsung zu erreichen, als für das ausgeliehene Kapital bezahlt werden muss. Schulden machen mit Gewinn also. Das war zumindest bis Ausbruch der Krise die weit verbreitete Annahme. Neben Fonds wurden dafür meist Lebensversicherungen eingesetzt. Weil eine Gemeinde jedoch keine Lebensversicherung abschließen kann, wurden Mandatare als Versicherte eingetragen. "Bei einer Lebensversicherung muss immer eine natürliche Person versichert sein. Daher tritt zumeist der Bürgermeister, ein Geschäftsführer oder eine Führungskraft als versicherte Person auf", heißt es in einer Stellungnahme der Uniqa-Versicherung.
Win-win-Situation
Was so verlockend nach Win-win-Situation klang, hat die Kreditnehmer in den vergangenen Jahren enorm in die Bredouille gebracht. Nicht nur hat der Schweizer Franken massiv aufgewertet - wodurch sich die Schuld der Kreditnehmer erhöht hat. Auch die Tilgungsträger entwickelten sich weit schlechter als prognostiziert. Die Versicherer haben große Probleme, für ihre Kunden ordentliche Erträge zu erwirtschaften. Für die Kreditnehmer taten sich massive Deckungslücken auf. Laut Finanzmarktaufsicht im Schnitt rund 24 Prozent.
Ende 2015 saßen rund 127.000 Haushalte noch immer auf einem Frankenkreditvolumen von 23 Milliarden Euro. Städte und Gemeinden haben immerhin noch 2,8 Milliarden Euro in Frankenkrediten aushaftend.
Eine davon ist Krems in der Wachau. Deren Fremdwährungskredite und ihre Tilgungsträger sind sogar Gegenstand eines Ende 2015 veröffentlichten Kontrollamtsberichts. Die Behörde geht mit der Kommune hart ins Gericht: "Das Ziel, durch Fremdwährungskredite Zinsvorteile für den Magistrat zu erwirtschaften, wurde nicht erreicht", heißt es in dem Papier. Es sei erkennbar, "dass in der Stadt Krems grundlegendes Know-how im Bereich der Fremdwährungsfinanzierung fehlte. Die ersten Fremdwährungskredite hat die Stadt im Jahr 1999 aufgenommen. Vier Jahre später beschloss der Gemeinderat, keine weiteren Darlehen in fremder Währung aufzunehmen. Dennoch wurden 2007 und 2008 - per Gemeinderatsbeschluss - in größerem Umfang Euro-Kredite in Schweizer Franken konvertiert und neue Frankenkredite aufgenommen. "In dieser Zeit wurden Fremdwährungskredite von Banken und sonstigen Beratern als äußerst günstig empfohlen. Berücksichtigt wurde insbesondere der sich anfänglich ergebende Zinsvorteil. Das Kursrisiko dürfte unberücksichtigt geblieben bzw. als unbedeutend eingestuft worden sein", heißt es dazu im 55-seitigen Bericht.
Auf Empfehlung eines Finanzdienstleisters wurden insgesamt fünf Erlebens-und Rentenversicherungen unterschiedlicher Anbieter als Tilgungsträger gewählt. Als versicherte Personen wurden die damals jeweils amtierenden Bürgermeister eingetragen. "Meinen Vorgängern entstand dadurch keinerlei persönlicher Vorteil", lässt SP-Bürgermeister Reinhard Resch wissen.
"Worst case"
Auch Krems musste naturgemäß die gleichen Erfahrungen wie andere Frankenschuldner machen: die lahme Entwicklung der Tilgungsträger. Die Finanzdirektion legte den Mandataren Ende 2014 mehrere Szenarien über die mögliche weitere Entwicklung der Tilgungsträger vor. Im schlechtesten Fall ("Worst case") wäre der Fehlbetrag aller Tilgungsträger 1,8 Millionen Euro, hieß es damals. "Dass der 'worst case' nicht die schlechteste Variante ist, ist seit Jänner 2015 bekannt", vermerkte das Kontrollamt dazu lapidar.
"Lebensversicherungen als Tilgungsträger sind nicht nur pietätlos, sondern spekulative Produkte, welche den Gemeinden aufgeschwatzt wurden. Wie viele Gemeinden betroffen sind, wer diese Geschäfte anleiert, bewertet und wer die Boni kassiert, ist derzeit unklar", so Helga Krismer. Die Klubobfrau der Grünen im niederösterreichischen Landtag hat in dieser Causa nun zwei Anfragen an Johanna Mikl-Leitner eingebracht. Im Büro der frischgebackenen NÖ ÖVP-Finanzlandesrätin ist man noch mit der Recherche beschäftigt. Antworten soll es Mitte Juni geben.
Eine Sprecherin der Generali-Versicherung beteuert jedenfalls, dass das beschriebene Modell "kein aktiv betriebenes Geschäftsfeld" sei. Zudem würden Versicherungsgesellschaften die mit den Banken vereinbarten Kreditkonditionen in der Regel nicht kennen. Und aus der Uniqa heißt es: "Verträge dieser Art waren nicht alltäglich, wurden jedoch im kleineren Umfang abgeschlossen."
Dass Kommunen nun ein gesteigertes Interesse am Tod ihrer Repräsentanten hätten, muss zumindest nicht zwangsläufig befürchtet werden. Denn im Ablebensfall werde nicht notwendigerweise die gesamte Versicherungssumme, sondern oft nur die Summe der bis dahin einbezahlten Prämien fällig. Zudem würde der Bedarf an einem neuen Tilgungsträger Mehrkosten verursachen. Kein Fall also für die Brenners, Columbos, Laurentis und Fletchers dieser Welt.