Notbestandsaufnahme: Das Wiener Spitalskonzept
Sonja Wehsely hatte eine harte Woche. Vergangener Montag: Landesparteivorstand der SPÖ Wien. Die Wettquoten standen im Vorfeld nicht schlecht, dass die Wiener Gesundheitsstadträtin ihren Posten würde räumen müssen. Mittwoch: Aktuelle Stunde im Wiener Gemeinderat, eingebracht von der FPÖ. Wehsely muss sich zur möglichen Ausgliederung des Krankenanstaltenverbunds (KAV) äußern. Freitag: Sondergemeinderat, beantragt von den NEOS. Dort wird unter dem Titel "Notstand Gesundheitssystem: Häupl und Wehsely ohne Verantwortung und ohne Konzept!" debattiert. Krise in den Wiener Spitälern, Ärztestreik, Kostenexplosion beim Krankenhaus Nord -Wehsely hat nicht nur die Opposition, sondern auch viele Parteifreunde nachhaltig verprellt. Die 46-Jährige steht unter Dauerbeschuss. Eine entspannte Arbeitswoche geht anders.
Und es sieht nicht so aus, als würde sich in absehbarer Zeit etwas zum Besseren wenden. Im Gegenteil. Eine von Wehselys vielen Baustellen ist das sogenannte Spitalskonzept 2030. Es soll die städtischen Krankenhäuser zukunftsfit machen und für eine völlige Neuordnung der Spitalslandschaft sorgen. Doch das Vorhaben unter der Ägide der KAV-Generaldirektion bestehend aus Udo Janßen und dessen Stellvertreter Thomas Balázs läuft immer mehr aus dem Ruder. Bauprojekte verzögern sich, verteuern sich oder werden erst gar nicht realisiert. Und dem Wiener Gesundheitswesen läuft schön langsam die Zeit davon.
Die Verzögerungen beim Krankenhaus Nord ziehen einen ganzen Rattenschwanz an Folgen nach sich.
Das Spitalskonzept 2030 sieht anstelle der bisher zwölf nur mehr sieben KAV-Krankenhäuser vor. Das Leistungsangebot soll verdichtet und die Versorgungsschwerpunkte so aufgeteilt werden, dass die Spitäler einander ergänzen. Herzstück des Konzepts ist das Krankenhaus Nord. Seit der KAV die ersten Entwürfe für die Bettenburg in Floridsdorf präsentierte, steht sie in der Kritik. Ursprünglich sollte das Großkrankenhaus -mit projektierten Kosten von 825 Millionen Euro -2015 in Betrieb gehen. Nach derzeitigem Stand kann es frühestens 2019 eröffnet werden, die Investitionen werden sich bis dahin auf deutlich über eine Milliarde Euro belaufen.
Die Verzögerungen beim Krankenhaus Nord ziehen einen ganzen Rattenschwanz an Folgen nach sich. Schließlich ist geplant, dort Abteilungen verschiedener Standorte zusammenzulegen. Doch solange der Neubau nicht fertiggestellt ist, müssen beispielsweise das Orthopädische Krankenhaus Gersthof und die Semmelweis-Frauenklinik deutlich länger als geplant aufrechterhalten werden. Und auch bei den diversen anderen Projekten im Rahmen des Spitalskonzepts gibt es massive Probleme in Planung und Umsetzung.
Man nehme etwa das Wilhelminenspital. Wie das Kaiser-Franz-Josef-Spital und das Krankenhaus Hietzing hat diese ebenfalls in Pavillon-Bauweise errichtete Krankenanstalt bereits über 100 Jahre auf dem Buckel und entspricht längst nicht mehr den modernen medizinischen Standards. Alle drei Spitäler sollen komplett neu errichtet werden. Am Wilhelminenberg soll es für den Spitalsbetrieb künftig nur mehr zwei Bauten geben: ein Büro-und Betriebsgebäude sowie die Zentralklinik. Ersteres -die "grüne Scholle" nach einem Entwurf des Grazer Architekten Markus Pernthaler -sollte eigentlich seit 2014 im Bau sein. Aktuell ist jedoch noch nicht einmal der Vorgängerbau abgerissen.
Seit Jahren wird kaum noch Geld in die Sanierung der historischen Objekte investiert.
Bis zur Realisierung der Zentralklinik - veranschlagt für das Jahr 2024 - sollte eigentlich ein Übergangsbau in Containerbauweise als OP-Zentrum dienen. Dessen geplante Eröffnung für März dieses Jahres konnte nicht eingehalten werden. Ein Wasserschaden im Sommer, der zu einem Schimmelbefall führte, gab dem Projekt den Rest. Aufgrund der massiven Baumängel nimmt der KAV das Gebäude dem deutschen Errichter, der Firma Cadolto, nicht ab. Es drohen langwierige Rechtsstreitigkeiten. Ob der neue Eröffnungstermin (Frühjahr 2017) hält, ist mehr als fraglich.
Ähnlich die Situation im Kaiser-Franz- Josef-Spital. Das neue Mutter-Kind-und Operationszentrum eröffnete aufgrund der Pleite einer Fassadenbaufirma mit einjähriger Verspätung. Nun stellte sich heraus, dass das Dach undicht ist. Aktuell läuft die gerichtliche Beweissicherung zur Mängelfeststellung. "Auf Basis Sachverständigenberichte wird geklärt, welche Sanierungsmaßnahmen getroffen werden müssen und wer für den Schaden aufzukommen hat", erklärt KAV-Sprecherin Nani Kauer.
Auch die Neubauten für das Krankenhaus Hietzing sollten längst gestartet sein. Doch bis dato gibt es keine verbindlichen Planungen oder Ausschreibungen. Weshalb die KAV-Führung nicht in die Gänge kommt, bleibt offen. Mit der Entscheidung für den Neubau des Krankenhauses Nord - also Mitte der Nullerjahre -wurde auch beschlossen, dass die drei genannten Spitäler neu strukturiert werden. Zeit genug wäre also gewesen.
Seit Jahren wird kaum noch Geld in die Sanierung der historischen Objekte investiert. Und so bröckelt der Putz von den Fassaden, pfeift der Wind durch die Fenster und gammeln Klimaanlagen vor sich hin.
Dazu kommt: Durch die Schließungen der zukünftig nicht mehr benötigten Krankenanstalten (Otto-Wagner-Spital auf der Baumgartner Höhe, Krankenhaus Gersthof, Geriatriezentrum Wienerwald in Lainz etc.) werden wertvolle Grundstücke und Immobilien in exklusiven Lagen frei. Nachnutzungskonzepte für diese Areale fehlen jedoch bis heute. Dabei sollte die Verwertung dieser Objekte -wiewohl der KAV dies in Abrede stellt -zur Finanzierung der Spitalsneubauten beitragen.
Die baulichen Tätigkeiten stünden ohnehin nicht im Vordergrund des Spitalskonzepts, Kernstück sei die medizinische Weiterentwicklung, erklärt indes KAV- Sprecherin Kauer.
profil hat dem KAV einen umfangreichen Fragenkatalog übermittelt. Die Replik blieb wortreich unkonkret. Und Stadträtin Wehsely selbst will sich auf profil-Anfrage nicht äußern. Die Antworten des KAV seien mit ihr abgestimmt, heißt es aus ihrem Büro.
Die baulichen Tätigkeiten stünden ohnehin nicht im Vordergrund des Spitalskonzepts, Kernstück sei die medizinische Weiterentwicklung, erklärt indes KAV- Sprecherin Kauer. Allerdings: Auch die Umsetzung des medizinischen Masterplans geht nur schleppend voran. Vor allem deshalb, weil etwa für die geplante Zusammenlegung von Abteilungen die dafür benötigten größeren Räumlichkeiten noch gar nicht existieren. Die Katze beißt sich also in den Schwanz.
Auch der Rechnungshof übt in seinem noch unveröffentlichten Rohbericht heftige Kritik an den Gepflogenheiten im KAV. So sei "für große Bauprojekte derzeit nicht ersichtlich, wer für diese die Projektorganisation übernahm, obwohl im Rahmen des Spitalskonzepts weitere Investitionen geplant waren". Er weist darauf hin, dass "wesentliche Teile eines Projektportfoliomanagements fehlten". Risikoanalysen seien nicht standardmäßig vorgesehen und weiters habe "im Laufe des Projektfortschritts kein Vergleich mehr mit den ursprünglichen Planungsdaten" stattgefunden. Kurz gesagt: Im KAV scheint es einigermaßen chaotisch zuzugehen.
"Wichtig ist uns, zu betonen, dass die medizinische Versorgung in Wien jederzeit gewährleistet ist, das ist bestimmt auch für profil-Leser/innen eine sehr relevante Information", erklärt Kauer. Stimmt. Genauso relevant wie das Wissen um einen hoffentlich sorgsamen Umgang mit Steuergeldern.