Selbstauflösung

ÖIAG: Wie sich die Staatsholding endgültig diskreditiert hat

ÖIAG. Die Staatsholding hat sich endgültig diskreditiert

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Der Blick über die Stadt, die sich wie die Landschaft einer Modelleisenbahn ausbreitet; der Teppichboden, der alle Geräusche schluckt; der große Konferenztisch, an dem in nächster Zeit keine großen Entscheidungen mehr getroffen werden; das großformatige Gemälde von Markus Staudacher; der Schreibtisch, auf dem wohl keine allzu relevanten Papiere mehr zur Unterschrift vorgelegt werden. In diesem überdimensionierten Raum kommt man sich schnell verloren vor. Hier, in einem der obersten Stockwerke im Glaspalast der OMV unweit des Wiener Praters, wird Gerhard Roiss die nächsten acht Monate absitzen. Der scheidende OMV-Generaldirektor wird sich einsam fühlen.

Vorstand auf Abruf
Gerhard Roiss ist Vorstand auf Abruf. Ihm werden das schleppende Raffineriegeschäft, die Einbrüche beim Gasgeschäft und die knappen Margen im Tankgewerbe zum Vorwurf gemacht. Verstehe das, wer will: Erst im Juni des Vorjahres war sein Vertrag von der Staatsholding ÖIAG verlängert worden. Mit ihm soll Gasvorstand Hans-Peter Floren weichen - ein Intimfeind des amtierenden Vorsitzenden. Die Eruption in Österreichs größtem Unternehmen (Jahresumsatz: über 40 Milliarden Euro) war so heftig, dass deren Ausläufer einen weiteren Spieler zu Sturz bringen wird: Rudolf Kemler, Vorstand der Österreichischen Industriebeteiligungsholding, kurz ÖIAG. Er ist als Aufsichtsratsvorsitzender der OMV nicht ganz unschuldig an diesem - am Kursverfall der OMV-Aktie deutlich abzulesenden - Desaster. Kemler waren die Sträuße, die Roiss und Floren ausfochten, nicht verborgen geblieben. Doch statt den hochbezahlten Manager-Kindergarten zur Räson zu bringen, stellte Kemler sich taubblind.

Nun hat die Regierung die Nase gestrichen voll. Von "chaotischen Zuständen“ (Kanzler Werner Faymann), "fortgesetzt problematischem Vorgehen“ (Vizekanzler Reinhold Mitterlehner) und "unprofessioneller Vorgangsweise“ (Finanzminister Hans Jörg Schelling) war vergangene Woche die Rede. Lange war über eine Reform der ÖIAG debattiert worden, welche die verbliebenen Staatsanteile an den börsennotierten Konzernen OMV (31,5 Prozent), Telekom Austria AG (28,42 Prozent) und Österreichische Post AG (52,85 Prozent) hält. Nun wurde sie zur Causa prima erklärt.

ÖIAG kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen
"Das ist eine OMV-Krise, keine ÖIAG-Krise“, versucht Holding-Sprecher Bernhard Nagiller die Wogen zu glätten. Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Die ÖIAG kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen. Fragwürdige Privatisierungen, falsche Personalentscheidungen, teure Managementfehler und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen begleiten die Staatsholding seit über einem Jahrzehnt. Das ist den handelnden Personen geschuldet - und der vor 14 Jahren von der damaligen schwarzblauen Regierung festgeschriebenen Selbsterneuerung des Aufsichtsrates.

Es sagt viel über den missglückten Versuch aus, die ÖIAG-Spitze zu entpolitisieren, wenn der Architekt des geltenden Gesetzes, Notenbankpräsident Claus Raidl, heute sagt: "Was ich bei dem Vorschlag, der dann Gesetz wurde, völlig verkannt hatte, war, dass die ersten neuen ÖIAG-Aufsichtsratsmitglieder fortan Freundschaftspflege betreiben würden. Im Ergebnis hat im ÖIAG-Aufsichtsrat heute eine Insiderclique das Sagen. Mein Konzept wurde pervertiert. Aus der Selbsterneuerung wurde eine Art Selbstbedienung“ (profil 20/14).

Raidl steht mit seiner Einschätzung nicht alleine da. Selbst wohlmeinende Beobachter konstatieren, die 14 Aufsichtsräte und der Vorstand der Verstaatlichtenholding hätten ihre Rolle gründlich missverstanden und agierten wie "Unternehmenspatriarchen, die sich als Gralshüter der Privatisierung sehen“, so ein Insider. Ein weiterer Beobacher bilanziert nüchtern: "Es wurde lange Zeit versucht, die ÖIAG sturmreif zu schießen - jetzt hat sie das selbst erledigt.“

Man könnte auch sagen, sie hat sich selbst gesprengt.

Ab 1986 Staatseigentum privatisiert
Auf der Habenseite der ÖIAG, die aus der Verstaatlichten Industrie entwickelt wurde, steht der Abbau von enormen Verbindlichkeiten. Allein zwischen 1980 und 1992 musste der Bund 4,4 Milliarden Euro zur Verlustabgeltung zuschießen. Ab 1986 wurde das Staatseigentum dann nach und nach privatisiert: Noch im selben Jahr wurden 15 Prozent der OMV an die Börse gebracht, es folgte der Verkauf von Leitbetrieben wie der VA Tech AG, der Böhlerwerke, der Voest Alpine Stahl AG oder des Gesundheitsdienstleisters Vamed. Noch im Jahr 2000 war die ÖIAG mit 6,6 Milliarden Euro in den Miesen gewesen. Heute ist sie schuldenfrei.

Die jüngste Geschichte der Staatsholding kann freilich auch anders erzählt werden - nämlich auf Basis kritischer Rechnungshofberichte, anhand interner Küngeleien und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Wie sehr sich die Politik und die politiknahen Freunde an den staatsnahen Konzernen bedienten, legten nicht zuletzt die Korruptionsaffären ab 2011 bloß. Peter Hochegger, über dessen Agentur zwischen 2000 und 2008 Millionen von der Telekom zu politischen Entscheidungsträgern geflossen sein sollen; der Lobbyist Alfons Mensdorff-Pouilly, der 2004 gegen Millionengagen nicht nur für die Telekom Austria zugange war, sondern auch für die OMV; Hochegger und der Grasser-Spezi Walter Meischberger, die rund um den noch unter Grasser eingeleiteten Börsegang der Post 2006 ein Erfolgshonorar von 350.000 Euro von der Centrobank kassierten, ebenfalls für nicht näher definierte Beratungsdienste.

Telekom, OMV, Post - Selbstbedienungsläden für Politik und Lobbyisten? Die ÖIAG, unter deren Kuratel die Unternehmen stehen, wurde nolens volens in den Konflikt mithineingezogen, weil ausgerechnet Markus Beyrer, vormals Generalsekretär der Industriellenvereinigung, 2011 zum ÖIAG-Vorstand bestellt wurde. Seine Amtszeit war beinahe zur Gänze von der Telekom-Affäre überschattet. Beyrer musste eingestehen, dass er als IV-Manager auf Einladung der Telekom Austria an Jagdausflügen beim Waffenlobbyisten Mensdorff-Pouilly teilgenommen hatte; vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss glänzte er mit Erinnerungslücken. All das ließ nicht auf gesteigertes Interesse an einer Aufarbeitung der vielfältigen Malversationen in den teilstaatlichen Konzernen schließen.

Unter Generalverdacht
Die ÖIAG stand ohnehin seit dem Jahr 2000, also seit dem Regierungswechsel zu Schwarzblau, unter Generalverdacht. Denn die als so erfolgreich gepriesenen Privatisierungen hatten nachträglichen Prüfungen nicht immer standgehalten.

Mit dem Machtwechsel zu Schwarzblau mussten die ehemaligen Minister Johannes Ditz und Rudolf Streicher von der ÖIAG-Spitze weichen, parteifreie Manager kamen ans Ruder (siehe Kasten). Das Kabinett Schüssel I - Finanzminister und Eigentümervertreter der ÖIAG war Karl-Heinz Grasser - ließ bereits 25 Tage nach Regierungsantritt die erste Privatisierungsliste durch den Ministerrat absegnen. Auf der Agenda standen unter anderem die Austria Tabak, das Dorotheum und die Staatsdruckerei. Warum Letztere überhaupt verkauft wurde, bleibt ein Rätsel - lebt die Staatsdruckerei doch bis heute hauptsächlich vom Geschäft mit der Republik. Reisepässe, Führerscheine, Strahlenschutzpässe, kurz: behördliche Drucksorten jeglicher Art machten im Vorjahr 23,4 Millionen Euro und somit zwei Drittel des Gesamtumsatzes (34,3 Millionen Euro) aus. 3,5 Millionen Euro hatten die Unternehmer Johannes Strohmayer und Robert Schächter, bis dahin nicht durch besondere Affinität zum Druckgewerbe aufgefallen, auf den Tisch gelegt. Der Vergabeprozess selbst war höchst diskret abgelaufen, ein Bieterprozess ist nicht dokumentiert.

Das sollte zur Regel werden.

Management by Chaos
An der Vollprivatisierung der börsennotierten Austria Tabak 2001 (41,1 Prozent hatte die Republik gehalten) arbeitete sich der Rechnungshof ab. Der Verkaufsvorgang geriet zum Management by Chaos: Die Aufsichtsräte waren nur unzureichend informiert, der Vergabeprozess wurde dürftig dokumentiert; die beauftragte Investmentbank Credit Suisse First Boston agierte ohne schriftlichen Vertrag und verrechnete schlussendlich ein höheres Honorar als die zweitgereihte. In den Worten der Prüfer liest sich das so: "Zur Sitzung betreffend die Beschlussfassung des Verkaufs waren keine Unterlagen zur Vorbereitung der Aufsichtsratsmitglieder beigefügt … Ein Bewertungsgutachten zur Beurteilung der Preisangemessenheit der Kaufangebote holte die ÖIAG nicht ein … Unterlagen, aus denen eine Begründung für eine Vorverlegung der Privatisierung zu entnehmen war, konnte die ÖIAG dem Rechnungshof nicht vorlegen.“

Besonders pikant: Im Management der Credit Suisse saß damals Grasser-Spezi Karlheinz Muhr; jener Muhr, der drei Jahre später beim Verkauf der Bundeswohnungen 2004 die zwischenzeitlich kollabierte Lehman Brothers als beratende Investmentbank ins Spiel bringen wird.

Zufall oder nicht: Als 2001 das Dorotheum veräußert wurde, hieß die begleitende Investmentbank UBS Warburg. Auch bei diesem Institut war Muhr tätig gewesen.

Der Vorwurf, wonach im Zuge des Privatisierungsprozesses Schmiergeld geflossen sei, konnte von der Staatsanwaltschaft nie erhärtet werden. Tatsache ist, dass das Aktionshaus an ein Unternehmen im Einflussbereich von Grassers Jugendfreund Erwin Soravia ging - und das, so monierte der Rechnungshof, zu denkbar günstigen Bedingungen "Der Verkaufserlös … in der Höhe von rund 70 Millionen Euro lag um 10 bis 20 Millionen Euro unter der Verkaufspreisempfehlung seitens der Investmentbank“, heißt es. Und: "Die ÖIAG kam der Käuferin entgegen, indem sie noch in ihrer Eigentümersphäre eine Umgründung der Rechtsform von der GmbH in eine GmbH & Co. KG vornahm, was der Käuferin steuerliche Vorteile in der Höhe von geschätzt 16,9 Millionen Euro bot. Dies fand keinen nachvollziehbaren Niederschlag im Kaufpreis.“

"Überdurchschnittliches Beratungshonorar"
Warum und welche Mitbewerber ausgeschieden worden waren, konnte auch hier nicht mehr dokumentiert werden. Festzumachen war aber: "Die Privatisierungkosten von rund drei Millionen Euro waren wegen des überdurchschnittlichen Beratungshonorars an die Investmentbank in der Höhe von rund 1,95 Millionen sehr kostenintensiv.“

Zu günstig verkauft, zu teuer beraten, und das alles im Freundeskreis? Eigentümervertreter Grasser und die ÖIAG hatten die Spekulationen, wonach hier unter Freunden gewirtschaftet werde, stets als böswillige Unterstellung der Opposition abgetan. 2003 aber geriet die ÖIAG in Erklärungsnotstand: profil deckte einen Geheimplan der ÖIAG - Codenamen "Minerva“ - auf, der eine Übernahme und anschließende Zerschlagung der voestalpine durch Frank Stronachs Magna vorsah. Dass der Magna-Europachef Siegfried Wolf hieß, der damals als Aufsichtsrat in der ÖIAG vertreten war, machte die Sache besonders verdächtig.

So darf es nicht verwundern, dass Wolfs Aufstieg zum Vorsitzenden des Kontrollgremiums im Sommer dieses Jahres von der Regierung abwärts mit Unbehagen registriert wurde. Aber so geht Selbsterneuerung.

Zu den fragwürdigen Privatisierungsdeals gesellten sich im vergangenen Jahrzehnt auch wirtschaftlich Flops - etwa der Verkauf der Austrian Airlines im Jahr 2009 an die Lufthansa. Für rund 36 Millionen Aktien (oder 41,56 Prozent) hatte die ÖIAG von den Deutschen exakt 366.268,75 Euro erhalten. Das war umgerechnet ein Cent pro Aktie. Um die AUA an den einzigen noch verbliebenen Bieter verkaufen zu können, musste allerdings eine nicht rückzahlbare Mitgift in Höhe von 500 Millionen Euro als - vom Steuerzahler finanzierte - Restrukturierungsbeihilfe beigesteuert werden. Die Schuldenübernahme wurde erst bekanntgegeben, als die Lufthansa als letzter Bieter feststand. Andernfalls hätten wohl auch andere Fluggesellschaften Angebote gelegt. Denn Interessenten für die marode AUA - zum Jahreswechsel 2008/2009 bekam sie vom Staat ein Notdarlehen in Höhe von 200 Millionen Euro, da sonst die Zahlungsunfähigkeit gedroht hätte - gab es einige. Doch der damalige ÖIAG-Vorstand Peter Michaelis hatte schon vor Beginn des Verfahrens seine Präferenz für die Lufthansa klargemacht.

Fragwürdiger "größter Erfolg"
366.000 Euro kassiert, 700 Millionen bezahlt: Man muss nicht Thomas Piketty sein, um hier keinen rasend wirtschaftlichen Erfolg auszumachen. Peter Michaelis aber? Sollte den Deal später allen Ernstes als den "größten Erfolg der ÖIAG“ bezeichnen.

Realitätsferne ist den Vertretern der ÖIAG nicht fremd, wie ein weiterer Vorfall bezeugt.

Im April dieses Jahres sollte sich der Aufsichtsrat der Verstaatlichtenholding ÖIAG ein Imagedesaster erster Güte leisten. Der Telekom-Syndikatsvertrag zwischen ÖIAG und der mexikanischen América-Móvil-Gruppe wäre fast geplatzt, weil das ÖIAG-Gremium nicht beschlussfähig war. Vier der neun Kapitalvertreter weilten im Ausland; Aufsichtsratsvorsitzender Peter Mitterbauer und ein weiteres Mitglied mussten eingeflogen werden, um überhaupt das nötige Quorum zu sichern.

Die Arbeitnehmervertreter hatten zuvor schon angekündigt, der Sitzung fernbleiben zu wollen. Sie hielten das Vertragswerk für eine Unterwerfung gegenüber den Mexikanern - und das nicht zu Unrecht: Die Mexikaner haben seit Juli Anspruch auf acht Aufsichtsräte, die ÖIAG auf zwei; América Móvil sicherte sich per Vertrag zwei Vorstandsmitglieder, der ÖIAG steht nur eines zu. Trotzdem sprach ÖIAG-Vorstand Kemler im Brustton der Überzeugung von einem "Vertrag auf Augenhöhe“.

Generell hat sich die ÖIAG, was die Telekom betrifft, nicht mit Ruhm bekleckert. Damit die Republik die Sperrminorität von 25 Prozent und einer Stimme halten kann, muss die ÖIAG wohl oder übel bei der von den Mexikanern angekündigten Kapitalerhöhung mitgehen. Das kostet die Kleinigkeit von bis zu 280 Millionen Euro. Geld, das im Konzern nicht vorhanden ist, weil in den vergangenen Jahren eine allzu großzügige Dividendenpolitik gefahren worden war. Zwischen 2008 und 2013 hatte die Telekom 299 Millionen Euro nach Steuern verdient - aber 1,2 Milliarden Euro ausgeschüttet.

Auf Wunsch des Finanzministeriums, wie es heute heißt.

Aber war nicht genau deshalb die ÖIAG gegründet worden, um politischen Begehrlichkeiten die Mauer zu machen?

Bis Jahresende will die Regierung über die Reform der ÖIAG einig sein. Die Arbeitsgruppe wird über Struktur, über Postenverteilung, über Umfang der einzubringenden Beteiligungen streiten - doch eines ist jetzt schon stillschweigend beschlossen: Die Selbsterneuerung des Aufsichtsrates ist Geschichte.